Samstag, 8. April 2023

Zur (Un-) Wirksamkeit einer Zustellung an eine c/o-Adresse

Das Landgericht (LG) wies den Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils zurück, da die Klageschrift nach seiner Auffassung dem Beklagten nicht wirksam zugestellt worden sei. Es sei nicht belegt, dass der Beklagte tatsächlich unter Anschrift der Zustellung, bei der es sich um eine c/o-Anschrift handelt, auch tatsächlich wohne; es sei lediglich ein Einwurf in den Briefkasten erfolgt (also wohl der Person, die im c/o benannt wurde), keine Übergabe an den Beklagten. Die gegen diese Entscheidung von der Klägerin eingelegte Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht (OLG) nach Nichtabhilfe durch das LG zurückgewiesen. 

Die Voraussetzungen für ein Versäumnisurteil wurden auch vom OLG negiert. Eine Zustellung an den Beklagten sei nicht wirksam erfolgt.

Eine wirksame Zustellung hätte vorgelegen, wenn diese direkt durch persönliche Übergabe an den Beklagten oder einen Familienangehörigen oder Mitbewohner erfolgt wäre, § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Da eine persönliche Übergabe erfolglos versucht wurde, wurde das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingeworfen. Dieser Einwurf stelle sich aber nicht als eine wirksame Ersatzzustellung (§§ 180, 178 Ans. 1 Nr. 1 ZPO) dar.

Der in §§ 178 Abs. 1 Nr. 1, 180  ZPO verwandte begriff der Wohnung sei im Zustellungsrecht eigenständig nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift zu bestimmen. Dies erfordere, dass die Partei durch die Anschrift eindeutig identifiziert werden könne und mithin an sie eine wirksame Zustellung erfolgen könne. Bei einer c/o-Anschrift sei strittig, on diese Angabe dann genügt, wenn ein ordnungsgemäßer Prozessablauf sichergestellt sei (BGH, Urteil vom 06.04.2022 - VIII ZR 262/20 -) oder für eine ordnungsgemäße Klageerhebung grundsätzlich nicht ausreicht (OLG Frankfurt, Urteil vom 15.05.2014 - 16 U 4/14 -). Allerdings könne dies hier dahinstehen, da nicht feststehen würde, dass der Beklagt tatsächlich unter der c/o-Anschrift wohnhaft sei. Wohnung seien die Räume, in denen der Adressat auch (wenn auch nur vorübergehend) tatsächlich lebe und insbesondere schläft.

Der handschriftliche Vermerk auf der Postzustellungsurkunde unter der c/o-Adresse beinhalte keine Aussage dazu, welche Tatsachen dem Vermerk zugrunde liegen und ob der Beklagte unter dieser Anschrift bei dem Zustellversuch auch (noch) wohnte. § 180 ZPO bürde dem Empfänger nicht das Risiko der Wirksamkeit zweifelhafter Ersatzzustellungen auf.

Auch ließe sich nicht feststellen, dass der Beklagte nach außen den Anschein aufrechterhalten hätte, am fraglichen Ort eine Wohnung zu haben, weshalb er mit einer dortigen Zustellung hätte rechnen müssen. Nur dann, wenn der Zustellungsadressat einen solchen Anschein zielgerichtet herbeigeführt hätte, könnte er sich nicht auf eine fehlerhaft dort bewirkte Ersatzzustellung berufen (OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 26.10.2020 - 4 U 1563/20 -).

Die Klägerin habe auch als darlegungs- und beweispflichtige Partei nicht dargelegt, dass die Zustellung dem Beklagten tatsächlich zugegangen sei.

OLG Nürnberg, Beschluss vom 20.02.2023 - 13 W 44/23 -


Aus den Gründen:

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 15.11.2022, Az. 19 O 2576/22, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat mit Beschluss vom 15.11.2022 den Antrag der Klägerin auf Erlass eines Versäumnisurteils mit der Begründung zurückgewiesen, die Klageschrift habe dem Beklagten nicht wirksam zugestellt werden können. Es sei nicht belegt, dass der Beklagte an der angegebenen „c/o-Adresse“ tatsächlich wohnhaft sei; die Klageschrift sei ihm nicht persönlich dort ausgehändigt, sondern lediglich in den Briefkasten eingeworfen worden. Es bestehe daher ein Erlasshindernis nach § 335 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 ZPO.

Gegen diese den Klägervertretern am 17.11.2022 zugestellte Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer am 24.11.2022 beim Landgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde, die mit Schriftsatz vom 14.12.2022 begründet wurde. Hierin wird im Wesentlichen ausgeführt, die Zustellung der Klageschrift sei wirksam erfolgt, sodass dem Antrag auf Erlass eines stattgebenden Versäumnisurteils im schriftlichen Verfahren gemäß § 331 Abs. 3 Satz 2 ZPO stattzugeben sei. Das Gericht selbst sei in seiner Verfügung vom 08.08.2022 davon ausgegangen, dass an der auf die PZU geschriebenen c/o-Adresse zugestellt werden könne. Andernfalls wäre das Gericht dazu verpflichtet gewesen, die Zustellung an die Adresse zu verweigern oder zumindest einen richterlichen Hinweis zu erteilen.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 16.12.2022 nicht abgeholfen und darauf verwiesen, dass die Anfrage des Gerichts vom 08.08.2022, ob unter der c/o-Anschrift in N. eine Zustellung versucht werden solle, erfolgt sei, um die Chance einer persönlichen Übergabe des zuzustellenden Dokuments zu nutzen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

1. Die sofortige Beschwerde ist gegen den Beschluss, mit dem der Erlass des beantragten Versäumnisurteils zurückgewiesen wurde, gemäß § 336 Abs. 1 Satz 1 ZPO statthaft. Die sofortige Beschwerde wurde auch innerhalb der Notfrist von zwei Wochen gemäß § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO beim Ausgangsgericht eingelegt.

2. Die sofortige Beschwerde erweist sich jedoch als unbegründet, weil das Erstgericht zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils im schriftlichen Vorverfahren gemäß § 331 Abs. 3 ZPO zurückgewiesen hat.

Die Auffassung des Landgerichts, dass die Klageschrift sowie die Verfügung zur Durchführung des schriftlichen Vorverfahrens dem Beklagten nicht wirksam zugestellt worden seien, ist zutreffend, sodass der Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils gemäß § 335 Abs. 1 Nr. 4 ZPO zurückzuweisen war.

Die Zustellung vom 16.08.2022 ist nicht wirksam erfolgt.

a) Es ist weder eine persönliche Übergabe an den Beklagten noch eine solche an einen Familienangehörigen oder Mitbewohner im Sinne von § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erfolgt. Ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 16.08.2022 wurde versucht, die Zustellung unter der Anschrift c/o K., K.straße, N., durch Übergabe zu bewirken; weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung nicht möglich war, sei das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung eingelegt worden.

b) Dieser Einwurf in den Briefkasten stellt keine wirksame Ersatzzustellung im Sinne von §§ 180, 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO dar, weil nicht feststeht, dass der Beklagte unter der c/o-Anschrift (zu diesem Zeitpunkt) tatsächlich wohnhaft war.

aa) Der für die Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1, § 180 ZPO maßgebliche Begriff der Wohnung ist im Zustellungsrecht eigenständig zu bestimmen und hat Sinn und Zweck der Vorschriften der Ersatzzustellung Rechnung zu tragen (Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 178 Rn. 3). Der Zweck der Angabe einer ladungsfähigen Anschrift ist dann erfüllt, wenn die Partei durch die angegebene Anschrift eindeutig identifiziert wird und an sie wirksam Zustellungen vorgenommen werden können (BGH, Urteil vom 06.04.2022 - VIII ZR 262/20; MDR 2022, 782, 783). Abzustellen ist auf die Umstände des Einzelfalles und den Sinn und Zweck der Ersatzzustellung (BeckOK ZPO/Dörndorfer, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 178 Rn. 3). Bei der vorliegend erfolgten Zustellung unter einer c/o-Anschrift ist umstritten, ob diese Adressangabe jedenfalls dann genügt, wenn sie einen ordnungsgemäßen Ablauf des gerichtlichen Verfahrens sicherstellt (so: BGH, a.a.O. ) oder für eine ordnungsgemäße Klageerhebung grundsätzlich nicht ausreicht (so: OLG Frankfurt, Urteil vom 15.05.2014 - 16 U 4/14 -, Rn. 15, juris; Anders/Gehle/Anders, 81. Aufl. 2023, ZPO § 253 Rn. 24).

bb) Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen, weil jedenfalls nicht feststellbar ist, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der Zustellung unter der angegebenen c/o-Anschrift überhaupt wohnhaft war.

Wohnung sind die Räume, in denen der Adressat wenn auch nur vorübergehend tatsächlich lebt und insbesondere schläft (Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 178, Rn. 4).

Vorliegend beruht die Zustellung unter der c/o-Anschrift auf einem handschriftlichen Vermerk auf der im Zusammenhang mit dem Zustellungsversuch vom 06.07.2022 in Rücklauf gekommenen Postzustellungsurkunde. Dieser beinhaltet keinerlei Aussage dazu, welche Tatsachen dem Vermerk zugrundeliegen und ob der Beklagte unter dieser Anschrift tatsächlich auch beim Zustellungsversuch vom 16.08.2022 (noch) wohnhaft war. § 180 ZPO sieht jedoch nicht vor, dem Empfänger das Risiko der Wirksamkeit zweifelhafter Ersatzzustellungen aufzuerlegen (vgl. BGH, Beschluss vom 22.10.2009 - IX ZB 248/08 -, Rn. 21, juris).

Es ist auch nicht feststellbar, dass der Beklagte nach außen den Anschein aufrechterhalten hätte, dass er an diesem Ort eine Wohnung unterhält, und er sich diese deshalb bei der Zustellung zurechnen lassen müsste. Dem Zustellungsadressaten kann es nämlich nur dann versagt werden, sich auf die Unwirksamkeit der Ersatzzustellung zu berufen, wenn er diesen Anschein zumindest insofern zielgerichtet herbeigeführt hat (OLG Dresden Hinweisbeschluss vom 26.10.2020 - 4 U 1563/20, BeckRS 2020, 37503 Rn. 10, beck-online).

Schließlich hat der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger (Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 189 Rn. 14) schon nicht dargelegt, dass die Zustellung dem Beklagten tatsächlich zugegangen ist, sodass auch eine Heilung des Zustellungsmangels nach § 189 ZPO nicht eingetreten ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.


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