Montag, 6. Dezember 2021

Schriftformerfordernis (§ 550 BGB) bei wesentlicher Änderung des Mietvertrages ?

Der Rechtsstreit der Mietvertragsparteien erledigte sich im Rahmen des Revisionsverfahrens in der Hauptsache und der BGH hatte nur noch über die Kosten zu entscheiden. Die Kostenentscheidung hat auch im Revisionsverfahren, worauf der BGH hinwies, gem. § 91a ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu erfolgen. Danach seien die Kosten des Verfahrens hier der Klägerin aufzuerlegen, da sie mit ihrem Räumungs- und Herausgabeanspruch der Mietsache, der auf einen Verstoß gegen das Schriftformerfordernis des § 550 BGB gestützt wurde, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht durchgedrungen wäre.

Grundlage des Rechtstreits war § 550 BGB, demzufolge ein für einen längeren Zeitraum als einem Jahr abgeschlossener Mietvertrag der Schriftform bedarf. Der Zweck der Norm bestehe darin, einen Erwerber des Grundstücks vor der Gefahr zu schützen, an einen Mietvertrag, dessen Inhalt er nicht zuverlässig kennt, länger als ein Jahr gebunden zu sein (BGH, Urteil vom 12.03.2003 - XII ZR 18/00 -). Ferner würde die Norm auch dazu dienen, die Beweisbarkeit langfristiger Abreden auch zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien zu gewährleisten und diese auch vor einer unbedachten Eingehung langfristiger Bindungen zu schützen (BGH, Urteil vom 27.09.2017 - XII ZR 114/16 -). Der Gesetzgeber habe mit der Vorgabe, dass die Schriftform für Verträge über eine Laufzeit von mehr als einem Jahr geltend würde, gleichzeitig postuliert, bis zu welchem Zeitpunkt nicht von einer langfristigen  Bindung auszugehen sei.

Nach dem benannten Zweck der Norm würde das Schriftformerfordernis auch für vertragswesentliche Vereinbarungen (wie z.B. Miethöhe) gelten, wenn diese länger als ein Jahr gelten sollen. Daraus ergäbe sich, dass die Jahresfrist er mit Abschluss einer nicht formgerechten Änderungsvereinbarung zu laufen beginne, die die Schriftform des ursprünglich formwirksamen Vertrages entfallen ließe (BGH, Urteil vom 25.01.2017 - XII 69/16 -), weshalb sich die Vertragsparteien (einschließlich eines evtl. eintretenden Erwerbers) selbst bei einem Schriftformverstoß bei der Änderungsvereinbarung erst nach Ablauf eines Jahres aus der vertraglichen Bindung lösen könnten.

Vorliegend ging es um zwei Vereinbarungen der Vertragsparteien zur Minderung der Miete infolge eines Minderungsgrundes und der Dauer der möglichen Minderungen. Vorliegend käme es nicht darauf an, ob die Vereinbarung zur Minderung der Schriftform unterliege, wenn die Dauer an das Bestehen des Minderungsgrundes geknüpft sei. Die Minderungen hätten jeweils eine Dauer von unter einem Jahr gehabt. Auch wenn beide Minderungen mit 15 Monaten die Jahresfrist überschritten hätten, käme es darauf nicht an, da die Laufzeit jeweils in Bezug auf die einzelne Abrede betrachtet werden müsse. Der von der Klägerin aus den beiden Vereinbarungen abgeleitete Schriftformverstoß des bis zum 31.08.2020 befristeten und mit zwei je fünfjährigen Verlängerungsoptionen für den Mieter versehene Mietvertrag habe mithin nicht an einem Schriftformverstoß gem. § 550 BGB gelitten, weshalb die darauf beruhende Kündigung und damit das gerichtliche Räumungs- und Herausgabeverlangen unberechtigt seien.

BGH, Beschluss vom 15.09.2021 - XII ZR 60/20 -

Samstag, 4. Dezember 2021

Unzulässige Polizeiklausel in AGB eines Kfz-Vermieters

In den AGB der klagenden gewerblichen Autovermietung hieß es unter der Überschrift „Wesentliche Pflichten des Mieters“

„Der Mieter hat jeden Diebstahl oder Verlust (oder gegebenenfalls jeden Unfall) sofort der Polizei anzuzeigen und den Vermieter unverzüglich in Textform über die Anzeige zu unterrichten.“

Der Beklagte hatte einen Unfall nicht sofort der Polizei angezeigt. Die Kosten der Reparatur, die der Beklagte nur in Höhe der vereinbarten Selbstbeteiligung zahlte, waren Streitgenstand. Nach seiner Ansicht kann sich der Autovermieter nicht auf die benannte Klausel berufen, um die weiteren Reparaturkosten von ihm zu fordern, da diese Klausel AGB-widrig sei.

Das Landgericht schloss sich der Rechtsansicht des Beklagten an.

Der Klägerin stünde zwar wegen Verletzung einer Obhutspflicht ein Schadensersatzanspruch zu, §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB (BGH, Urteil vom 28.02.2018 – VIII ZR 157/17 -). Dieser Anspruch sei hier aber auf die gezahlte Selbstbeteiligung begrenzt. Unabhängig davon, ob die Klausel bereits wegen Mehrdeutigkeit nach § 305c Abs. 2 iVm. Abs. 1 BGB nicht greife, sei sie jedenfalls nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam. Danach seien Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) unwirksam, wenn sie den Vertragspartners des Verwenders der AGB entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligen, wobei sich eine Unangemessenheit auch daraus ergeben könne, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich sei.

Grundsätzlich bestünden keine Bedenken gegen eine sogen. Polizeiklausel (BGH, Urteil vom 01.12.2009 – XII ZR 117/09 -). Vorliegend weiche die Klausel aber von jener, die der BGH zu beurteilen hatte ab.

Schon die in Klammern gesetzte Formulierung „gegebenenfalls jeden Unfall“ sei nicht klar und verständlich. Die Formulierung „gegebenenfalls“ würde vom Kunden dahingehend verstanden werden können, dass die Verpflichtung nur eingeschränkt gilt. Verstärkt würde dies noch dadurch, dass dies in Klammern gesetzt wurde, demgegenüber die beiden weiteren Ereignisse, die sofort der Polizei zu melden seien (Diebstahl oder Verlust) ohne Klammern genannt seien.

Dieser Eindruck des typischerweise angesprochenen Kunden zu einem Stufenverhältnis zwischen Unfall und Diebstahl/Verlust würde sich würde sich auch dadurch verfestigen, dass es in demselben Paragrafen, einen Abschnitt darüber hieß: „Der Mieter hat dem Vermieter den Unfall, Diebstahl oder Verlust unverzüglich – gleich auf welche Weise – anzuzeigen.“ Da dort die Ereignisse gleichberechtigt nebeneinander genannt wurden, vermute der typischerweise angesprochene Mieter einen Unterschied zu der Polizeiklausel. Ansonsten hätte es heißen können: „Der Mieter hat jeden Diebstahl, Verlust oder Unfall sofort der Polizei anzuzeigen und den Vermieter unverzüglich in Textform über die Anzeige zu unterrichten.“

Es sei auch nicht fernliegend, einen Unterschied zwischen Diebstahl/Verlust und Unfall zumachen. Da Diebstahl eine Straftat sei und auch der Verlust eines Fahrzeugs fast immer auf einer Straftat beruht, mithin die Hinzuziehung der Polizei eine natürliche Erstreaktion sei, sei es bei kleineren Unfällen ohne Personenschaden, bei denen auch keine Verkehrsstraftat (z.B. § 142 StGB, § 315b StGB) in Betracht käme, oder – wie wohl vorliegend – kein Dritter beteiligt war, untypisch die Polizei hinzuzuziehen.

Die Konsequenz der Unwirksamkeit sei, dass sich das Verhältnis der Parteien nach den gesetzlichen Vorschriften orientiere, § 306 Abs. 2 BGB. Hier allerdings würde die Obliegenheit für den Mieter eines Fahrzeugs, die Polizei bei einem Unfall sofort zu informieren, nicht bestehen. Anderes könne auch nicht aus § 28 Abs. 2 und Abs. 3 VVG abgeleitet werden, denn diese Normen setzen eine wirksame und ausdrückliche vertragliche Vereinbarung der Anzeigenobliegenheit voraus, an der es hier in Ansehung der Unwirksamkeit der Polizeiklausel ermangele.

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 04.08.2021 - 2-13 O 333/20 -

Donnerstag, 2. Dezember 2021

Grenzen der Vollstreckung mit elektronisch übermittelten Vollstreckungsbescheiden

Der Gläubiger hatte gegen die Schuldnerin einen Vollstreckungsbescheid erwirkt. Auf dem elektronischen Weg erteilte er bei Amtsgericht einen Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher, bei dem er zugleich die Abnahme der Vermögenauskunft bei der Schuldnerin und, falls die Schuldnerin dem Termin zur Abnahme der Vermögensauskunft unentschuldigt fernbleiben würde, den Erlass eines Haftbefehls gegen sie beantragt. Dem Antrag lag der Vollstreckungsbescheid als elektronische Dokument bei und es wurde versichert, dass das Original des Titels nebst Zustellungsbescheinigung vorläge und die Forderung gemäß dem Vollstreckungsauftrag noch bestünde.  Die Schuldnerin erschein zum Termin zur Abnahme der Vermögensauskunft unentschuldigt nicht. Das Amtsgericht forderte nunmehr vom Gläubiger das Original des Vollstreckungsbescheides zur Prüfung des Erlasses des beantragten Haftbefehls an. Da dem der Gläubiger nicht nachkam, wies es den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zurück. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers wurde zurückgewiesen. Im Verlauf des (vom Beschwerdegericht zugelassenen) Rechtsbeschwerdeverfahrens beglich die Schuldnerin die Forderung und die Hauptsache wurde für erledigt erklärt. Der BGH sah in der Sache die Rechtsbeschwerde nicht als erfolgversprechend an und erlegte dem Gläubiger die Kosten des Verfahrens auf.

Der BGH verwies darauf, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 802g Abs. 1 S. 1 ZP= oder § 802c ZPO zur Erzwingung der Abgabe des Vermögensverzeichnisses ein Haftbefehl erlassen werden könne. Das Vollstreckungsgericht habe dann zu prüfen, ob die Voraussetzungen vorliegen. Zum Nachweis könne das Vollstreckungsgericht die Vorlage der vollstreckbaren Ausfertigung des Titels verlangen. Es müsse sich nicht, anders als der Gerichtsvollzieher bei der Abnahme der Vermögensauskunft, nicht mit der Vorlage einer Abschrift des Vollstreckungsbescheides als elektronisches Dokument begnügen. Die Regelung des § 754a ZPO zum elektronischen Vollstreckungsauftrag sei nicht auf das richterliche verfahren zum Erlass eines Haftbefehls anwendbar. Auch der Umstand, dass der Antrag auf Erlass eines Haftbefehls bereits mit dem elektronisch möglichen Vollstreckungsauftrag möglich sei, beute nicht, dass deshalb § 754a ZPO hier auch anwendbar sei. Der Gesetzgeber habe mit § 754a ZPO eine Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens für geringwertige Forderungen (titulierter Anspruch von max. € 5.000,00 einschl. Nebenforderungen und Kosten) beabsichtigt, keine weiteren – außer dem elektronisch vorgelegten Vollstreckungsbescheid - Urkunden vorgelegt werden müssten. Demgegenüber handele es sich bei einem Haftbefehl, der vollzogen wird, um einen einschneidenden Grundrechtseingriff durch die freiheitsentziehende Maßnahme.

§ 754a Abs. 1 ZPO richte sich ausschließlich an den Gerichtsvollzieher im Hinblick auf dessen Vollstreckungsauftrag, nicht auch an das Vollstreckungsgericht gerichtete Anträge. Das folge bereits aus dem Wortlaut des § 754a Abs. 2 ZPO, der als Vollstreckungsorgan den Gerichtsvollzieher benennt. Ferner spreche die systematische Stellung des § 754a ZPO für dessen Unanwendbarkeit für das Vollstreckungsgericht. Es sei eine Reglung am Ende der Reglungen zur Zuständigkeit von Gerichtsvollziehern. Ferner enthalte § 829a ZPO eine ähnliche Regelung wie § 754a ZPO, allerdings in Bezug auf die elektronische Übermittlung des Vollstreckungsbescheides an das Vollstreckungsgericht zur Erwirkung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (§§ 829, 835 ZPO). Für den Haftbefehl nach § 802g Abs. 1 ZPO fehle eine solche Regelung.

Sinn und Zweck würden hier auch keine erweiternde Auslegung des § 754a ZPO gebieten. In diesem Zusammenhang wies der BGH auf der - trotz Schutzmechanismen wie in § 754a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 ZPO - bestehenden Missbrauchsgefahr hin, weshalb der Gesetzgeber das elektronische Auftragsverfahren auf bestimmte Fälle beschränkt habe.

BGH, Beschluss vom 24.09.2021 - 16 W 28/21 -

Dienstag, 30. November 2021

Haustiere als berücksichtigungsfähiger Haushaltsführungsschaden

Nach einem Unfall besteht häufig Streit über den Schaden des Geschädigten. Neben reinen Sachschäden (so am Fahrzeug) und Schmerzensgeld wegen Verletzungen ist an entgangenen Verdienst/Gewinn aber auch an einen Haushaltsführungsschaden zu denken. Ein solcher Streit liegt der Entscheidung des OLG Koblenz vom 01.03.2021 zu Grunde, bei dem ein Schwerpunkt der Haushaltsführungsschaden unter besonderer Berücksichtigung von Tieren im Haushalt des Geschädigten ist.

Das Landgericht hatte sich auf ein von ihm eingeholtes Sachverständigengutachten gestützt, welches von einer Minder der Haushaltsführungstätigkeit zu verschiedenen Prozentsätzen ab dem Unfall bis zur Ausheilung der unfallbedingten Verletzungen ausging. Die Höhe des Haushaltsschadens, so das OLG, würde sich aus den von der Klägerin darzulegenden und zu beweisenden Umständen ergeben, nämlich die eigenen Lebens- und Wohnverhältnisse (Größe des Hauses/der Wohnung, Anzahl der zu versorgenden Personen, eine evtl. Berufstätigkeit), Umfang der Haushaltstätigkeit vor dem Unfall (was wurde täglich erledigt, was nur wöchentlich oder monatlich. Dem sei der Umfang der noch möglichen Haushaltstätigkeit gegenüberzustellen.

Den vom OLG als „Sonderfall“ eingestuften Umstand, dass auch Haustiere der Klägerin bzw. deren Familie zu versorgen seien, wollte der Senat nicht grundsätzlich die Berücksichtigungsfähigkeit im Rahmen eines Haushaltsführungsschadens versagen. Dabei seien aber Besonderheiten zu berücksichtigen:

Nach Angaben der Klägerin habe diese den Hund vor dem Unfall 90 Minuten/Tag ausgeführt, nach dem Unfall nur 75 Minuten. Hier negierte das OLG einen ersatzfähigen Schaden. Es sei weder dargelegt worden, weshalb es der Klägerin nicht möglich gewesen sei, noch weitere 15 Minuten/Tag mit dem Hund zu gehen, wie auch nicht, weshalb durch die fehlenden 15 Minuten der Hund einen Schaden erleiden sollte. Zudem habe ein Zeuge bekundet, dass er den Hund ebenfalls abends, teilweise nachts ausführe, weshalb eine Kompensation vorläge und einen Ersatzanspruch ausschließe.

Anmerkung:

Sollte der Hund dadurch einen Schaden erleiden, würde es sich nicht um einen Haushaltsführungsschaden handeln, sondern um einen Folgeschaden in Form eines Sachschadens aus dem dem Vorgang zugrunde liegenden Verkehrsunfall; allerdings läge bei einem dadurch bedingten Schaden beim Hund wohl ein Mitverschulden der Klägerin vor, da sie für eine Kompensation (z.B. durch Beauftragung eines Dritten, ggf. gegen Entgelt, diesen hätte abwenden können.

Ein Haushaltsführungsschaden läge allerdings vor, wenn die Klägerin nachweislich nicht 90 Minuten den Hund hätte ausführen könnte, dies aber notwendig wäre, und wenn nun ein Dritter, wenn es auch ein Familienmitglied der Klägerin war, die zeitliche Differenz übernimmt; in diesem Fall wäre der geldwerte Vorteil des Ausführend des Dritten zu bewerten (üblicher Stundensatz) und als Haushaltsführungsschaden zu behandeln. Der Umstand einer Kompensation, wie sie hier nach Ansicht des OLG vorlag, würde mithin nicht den Haushaltsführungsschaden hindern können, da dieser gerade auch dann gilt, wenn Dritte die Tätigkeiten übernehmen, die von dem Geschädigten bisher wahrgenommen wurden. Allenfalls wäre zu prüfen, ob eine Kompensation dadurch erfolgen könnte, dass der Dritte, der die Aufgabe übernimmt, bisher im Haushalt eine andere Tätigkeit ausführte, die dem Geschädigten auf Grund seiner Verletzung noch möglich wäre, so dass durch zumutbare Umorganisation ein Schaden entfällt.

Alleine mit der Begründung einer Kompensation dadurch, dass ein Dritter den Hund (ergänzend) ausführt, kann mithin entgegen der Annahme des OLG der Haushaltsführungsschaden nicht negiert werden. Gleichwohl ist vorliegend die Verneinung eines solchen zutreffend, da die Klägerin nicht dargelegt haben soll, warum sie den Hund nur 75 Minuten und nicht 90 Minuten habe ausführen können, unabhängig davon, dass auch nach den Entscheidungsgründen nicht ersichtlich wäre, weshalb der Hund 90 Minuten hätte ausgeführt werden müssen und nicht (jedenfalls übergangsweise) 75 Minuten ausreichend sein sollen.  

Weiterhin hatte die Klägerin Fische und Hasen gezüchtet und versorgt. Hierbei würde es sich nach Ansicht des OLG um eine reine Liebhaberei der Klägerin bzw. deren Familie handeln. Eine solche führe nicht zu einer Ersatzfähigkeit im Rahmen eines Haushaltsführungsschadens; dieser Umstand sei lediglich im Rahmen des Schmerzensgeldes berücksichtigungsfähig. Zudem sei dem Senat nicht ersichtlich, weshalb nicht der Ehemann oder die im Haushalt lebende Tochter die Hasen und Fische hätte versorgen können.

Anmerkung: Sollte die Klägerin nach der Organisation des Haushalts die Fische und Hasen versorgt haben und unfallbedingt dazu nicht in der Lage gewesen sein (was sie darlegen und beweisen müsste), so würde auch hier bei einer Übernahme durch ein Familienmitglied bzw. einem sonstigen Dritten ein Haushaltsführungsschaden bestehen, der ersatzfähig ist. Es lässt sich aus den Entscheidungsgründen nicht entnehmen, was während des verletzungsbedingten Ausfalls der Klägerin mit den Hasen und Fischen erfolgte; sollten sie weggegeben worden sein oder sogar eingegangen sein ? In diesem Fall läge wohl wieder ein Mitverschulden vor, da eine Ersatzmöglichkeit hätte beschafft werden können (evtl. zeitweise Unterbringung in einem Tierheim oder einer Tierhandlung gegen Entgelt, welches vom Schädiger zu ersetzen wäre, wenn nicht Familienmitglieder einspringen können, deren Tätigkeit auch einen ersatzfähigen Schaden darstellen würden, oder eine Umorganisation möglich sein, die einen Ersatzanspruch ausschließen würde). Nach den Leitsätzen der Entscheidung musste die Klägerin die Zucht aufgeben; dies bedinge eine Berücksichtigung im Rahmen des Schmerzensgeldes.

Die Begründung des Senats zur Versagung der Ersatzfähigkeit ist nicht überzeugend und widerspricht vom Ansatz der Ersatzfähigkeit eines Haushaltsführungsschadens, da es nicht darauf ankommt, ob Tiere aus Liebhaberei gehalten werden. Auch ein im Haushalt lebender Hund wird regelmäßig aus Liebhaberei gehalten. Eine Berücksichtigung im Rahmen des Schmerzensgeldes scheidet grundsätzlich aus. Soweit es mithin um die Versorgung derselben ging, läge ein ersatzfähiger Schaden vor, wenn sich die Klägerin verletzungsbedingt um diese nicht kümmern konnte und ein Dritter dies übernehmen muss, auch dann, wenn es ein im Haushalt lebendes Familienmitglied ist, wenn nicht durch Umorganisation  der Haushaltsführung die Klägerin eine andere Tätigkeit übernehmen könnte. Die Berücksichtigung der entfallenden Zucht aus Liebhaberei im Rahmen des Schmerzensgeldes ist nachvollziehbar.

Die Klägerin hatte zudem ein Pferd. Dieses befand sich nach ihren Angaben in einem Pensionsstall in „Vollpension“ (d.h., die Box wurde vom Betreiber des Pferdehofes gereinigt, mit Heu / Einstreu versorgt, wie auch für Wasser und Futter gesorgt und regelmäßig auch für Auslauf). Darauf basierend negierte der Senat einen Ersatzanspruch der Klägerin für einen Haushaltsführungsschaden.

Anmerkung: Dieser Ansicht des Senats ist zu folgen. Der Haushaltsführungsschaden soll vermehrte Bedürfnisse finanziell abdecken. Wenn sich aber die Klägerin um das Pferd nicht kümmern musste, da es in Vollpension stand, gab es keine Verpflichtungen der Klägerin für das Pferd und konnten auch Aufwendungen dafür (sei es auch fiktiv dadurch, dass andere Personen des Reitstalls nun für die Klägerin tätig wurden) entstehen.

Zutreffend wies der Senat darauf hin, dass gegebenenfalls die Aufwendungen der Klägerin für die Unterstellung des Pferdes einen ersatzfähigen Schaden nach § 249 BGB darstellen könnten. Dies wäre dann der Fall, wenn das Pferd z.B. von der Klägerin gehalten wurde, da sie es ritt. Konnte sie verletzungsbedingt das Pferd nicht nutzen, hatte sie Aufwendungen für das Pferd (durch das an den Reitstell zu zahlende Entgelt, welches sie hier als Schadensposition hätte geltend machen können. Dies wurde aber von der Klägerin nicht geltend gemacht; dazu hätte sie die Kosten darlegen und im Bestreitensfall nachweisen müssen.

Das OLG hatte sich im Übrigen zum weiteren Haushaltsführungsschaden der Ansicht des Landgerichts angeschlosssen, dass die Klägerin täglich vier Stunden im Haushalt tätig war und den für die Entschädigung zugrunde liegenden Stundensatz mit dem im fraglichen Zeitraum mit € 8,50 geltenden Mindestlohnsatz angenommen. Gemäß der prozentualen Höhe des Ausfalls der Klägerin bei den Haushaltsarbeiten hatte es den Entschädigungsbetrag dann für die entsprechende Zeitspanne berechnet.

OLG Koblenz, Urteil vom 01.03.2021 - 12 U 1297/20 -

Samstag, 27. November 2021

BVerfG: Einstweilige Versagung des Prozessfortgangs vor Berufungsgericht (§ 32 BVerfGG)

Der Beschwerdeführer hatte sich an das Bundesverfassungsgericht gewandt, da ihr Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) vom Berufungsgericht zurückgewiesen wurde. Er sah sich daher der Gefahr ausgesetzt, im Berufungsverfahren nicht mehr anwaltlich vertreten zu sein. Hier besteht allerdings Anwaltszwang, so dass es ihm nicht möglich wäre, sich zur Sache einzulassen oder Anträge zu stellen. Die Zurückweisung durch das Berufungsgericht erfolgte mit der Begründung, die Bedürftigkeit sei von dem Beschwerdeführer nicht hinreichend dargelegt worden.

Mit seiner Entscheidung erklärte das BVerfG der Beschwerdeführerin gesetzte Fristen für wirkungslos und untersage eine Terminierung vor einer Entscheidung des BVerfG, längstens für sechs Monate, § 32 Abs. 1, Abs. 2 BVerfGG. Dieser einschneidende Eingriff in ein laufendes zivilrechtliches Verfahren wurde vom BVerfG damit begründet, dass vorbehaltlich einer weitergehenden Prüfung davon ausgegangen werde, dass die Versagung der Prozesskostenhilfe nicht offensichtlich gerechtfertigt sei.

Die vorläufige Regelung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG könne erfolgen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten sei, wobei wegen der weittragenden Folgen ein strenger Maßstab anzulegen sei.

Die einstweilige Anordnung diene dazu, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern. Von daher würden Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen würden, grundsätzlich außer Betracht bleien müssen, es sei denn, das Begehren des Beschwerdeführers erweise sich von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Lägen derartige Versagungsgründe nicht vor, sei eine Folgenabwägung vorzunehmen, welche Nachteile bei Erlass einer einstweiligen Anordnung entstünden und welche bei Versagung derselben entstünden.

Die Verfassungsbeschwerde sei hier nicht von vornherein unbegründet; vielmehr sei es möglich, dass das Berufungsgericht bei der Versagung der PKH für die zweite Instanz den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Ar. 3 Abs. 3 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG verletzte. Es seien möglicherweise vom Berufungsgericht die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers überspannt worden. Dafür spreche, dass dem seit Jahren grundsicherungsberechtigte Beschwerdeführer sowohl in erster Instanz als auch bereits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BGH PKH bewilligt worden sei und dortige Rückfragen offensichtlich befriedigend waren.

Die Folgenabwägung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG würde hier zugunsten des Beschwerdeführers ausfallen. Die Folgen fehlender anwaltlicher Vertretung im Berufungsrechtszug würden schwer wiegen als der Umstand, dass sich später herausstelle, das dass durch eine einstweilige Untersagung unterbrochene Verfahren ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Im ersten Fall hätte der Beschwerdeführer die Möglichkeit, der ggf. rechts- und verfassungswidrig unterlassenen Beiordnung eines Rechtsanwalts im Hauptsacheverfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde bzw. Revision (so evtl. wegen fehlerhafter Anwendung von Präklusionsvorschriften oder fehlerhaft angenommener schuldhafter Säumnis) zu korrigieren. Eine verlässliche Beurteilung sei hier nicht möglich, da die erforderliche Prognose des weiteren Prozessverlaufs vom Verhalten aller anderen Prozessbeteiligten und des Entscheidungsausgangs abhänge, insbesondere nach der auch in der Hauptsache zuvor erfolgten Aufhebung und Rückverweisung durch den BGH. Ein Rechtsmittelverlust des Beschwerdeführers infolge der Ablehnung von PKH und der damit verbundenen Versagung der Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten sei daher nicht ausgeschlossen. Demgegenüber könne das Berufungsverfahren, sollte sich die angegriffene Entscheidung als verfassungsgemäß erweisen, lediglich zu einem späteren Zeitpunkt fortgeführt werden.

BVerfG, Beschluss vom 03.09.2021 - 2 BvR 1514/21 -

Donnerstag, 25. November 2021

Anschlussberufung birgt Kostenrisiko bei Zurückweisung der Hauptberufung nach § 522 ZPO

1. Eine Anschlussberufung liegt vor, wenn eine Partei gegen ein der Klage teilweise stattgebendes Urteil das Rechtmittel der Berufung zur nächsthöheren Instanz einlegt und die andere Partei nachfolgend ebenfalls. Anschluss Berufung wird qua Definition von demjenigen eingelegt, der das Rechtsmittel als Zweiter einlegt. Für die Rechtsfolgen ist entscheidend, ob es sich um eine selbständige oder eine unselbständige Anschlussberufung handelt.

Handelt es sich um eine selbständige Anschlussberufung, so gelten für diese die üblichen Normen der ZPO für Berufungen und zwischen dem Berufungskläger und dem Anschlussberufungskläger besteht keinerlei Unterschied in der Behandlung der jeweiligen Berufung. Eine selbständige Berufung liegt vor, wenn die Anschlussberufung als solche qua Zulassung oder Streitwert zulässig ist und innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist von einem Monat nach Zustellung des Urteils durch einen an einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt wird. Um eine unselbständige Anschlussberufung handelt es sich in dem Fall, dass die Berufung erst nach Ablauf der Berufungsfrist eingelegt wird, eine Berufung der anderen Partei bereits vorliegt (die allerdings für die Zulässigkeit der Anschlussberufung auch zulässig sein muss, also rechtzeitig erhoben sein muss und ansonsten zulässig sein müsste) oder aber zwar evtl. auch innerhalb der eigenen Berufungsfrist eingelegt wird, aber im Hinblick auf den Streitwert und mangels Zulassung ansonsten nicht zulässig wäre.

Die unselbständige Anschlussberufung wird zwar wie eine normale Berufung behandelt, ist aber letztlich ist abhängig von der Berufung (Hauptberufung) der anderen Partei. Nimmt die andere Partei ihre Berufung (noch zulässig) zurück oder weist das Berufungsgericht die Berufung der anderen Partei wegen offensichtlicher Unbegründetheit nach § 522 ZPO per Beschluss (nicht durch Urteil; im Falle eines Urteils wäre auch in der Sache über die Anschlussberufung zu entscheiden) zurück, so kann auch nicht mehr über die unselbständige Anschlussberufung entschieden werden. Ihre Zulässigkeit ist von dem Bestand er Hauptberufung abhängig.

In diesem Zusammenhang besteht in Literatur und Rechtsprechung Streit zu der Frage, wie mit den Kosten der Anschlussberufung umzugehen ist. Teils wird angenommen, dass mit der Zurückweisung nach § 522 ZPO der Hauptberufungsführer auch die Kosten der Anschlussberufung zu tragen habe, teils wird angenommen, dass die Kosten nach dem Verhältnis von Berufung und Anschlussberufung zu quoteln sind (auch dann, wenn die Anschlussberufung in der Sache Erfolg haben könnte).

2. Das OLG Stuttgart hatte die Hauptberufung im Beschlussweg nach § 522 ZPO in seinem hier besprochenen Beschluss zurückgewiesen und dabei gleichzeitig festgestellt, dass die unselbständige Anschlussberufung wirkungslos wurde (§ 524 Abs. 4 ZPO). Die Kosten des Berufungsverfahrens (aus dem Streitwert von Hauptberufung und Anschlussberufung) hatte es im Verhältnis von 8%   des unselbständigen Anschlussberufung hatte es dem Kläger als Hauptberufungsführer mit 8%, dem Beklagten im Hinblick auf dessen unselbständige Anschlussberufung mit 92% auferlegt.

Zur Begründung der Kostenentscheidung wies das OLG darauf hin, dass § 522 Abs. 2  S. 1 ZPO nicht klärt, wer die Kosten einer zulässigen unselbständigen Anschlussberufung zu tragen habe und dies auch bisher höchstrichterlich Rechtsprechung (BGH) nicht geklärt sei, in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten sei. Es entscheid sich zu der Quotelung entsprechend einem jeweiligen Obsiegen zum Unterliegen und hat damit den Anschlussberufungskläger wie eine unterlegene Partei behandelt, ohne die mögliche Begründetheit dessen Berufung zu würdigen. Dabei hat sich das OLG mit verschiedenen Konstelltationen, die in der obergerichtlichen Rechtsprechung gebildet wurden. auseinandergesetzt:

Kostenteilung wegen Missbrauchsgefahr (so OLG Köln, Beschluss vom 23.07.2009 - 4 UF 80/09 - und OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.03.2009 – 12 U 220/08 -): Dabei würde zugrunde gelegt, der Anschlussberufungskläger könne das Rechtsmittel nur einlegen, um die Kosten für den Berufungskläger in die Höhe zu treiben. Das könne zwar angenommen werden, wenn die Anschlussberufung erst nach einem Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO erfolge (Hinweis darauf, dass beabsichtigt sei, die Berufung zurückzuweisen) oder z.B. offensichtlich sei, dass die Berufung unzulässig oder unbegründet ist. Dies sie aber nicht der Regelfall und könne hier nicht angenommen werden.

Kostenteilung wegen Abwartens bis zu einer Terminierung (z.B. OLG München, Beschluss vom 11.04.2014 – 23 U 4499/13 -). Da aber die Anschlussberufung (mit Ausnahme des Falles in § 524 Abs. 2 S. 3 ZPO) eine Anschließung nur bis zum Ablauf der (Anm.: diesbezüglich nicht verlängerbaren) Berufungserwiderungsfrist erfolgen könne, sei dies auch kein Argument für eine Kostenteilung, da in der Regel bis zu diesem Zeitpunkt keine Terminierung erfolge.

Gegen eine Kostenteilung spreche nicht, dass damit die Rücknahme der Berufung nach einem Hinweis nach § 522 ZPO mit der Zurückweisung nach § 522 ZPO gleichgestellt werden müssten. Diese Fälle lägen nicht gleich. Bei der Zurücknahme ohne gerichtliche Entscheidung durch eine im Belieben des Berufungsklägers liegende Entscheidung erfolge, nicht durch eine gerichtliche Maßnahme (Beschluss). Zwar könne nicht maßgeblich für eine Kostenteilung bei Zurückweisung sprechen, dass die Rücknahme noch im Belieben des Hauptberufungsführers stünde was zwar der Fall sei. Allerdings müsse für die Zurücknahme nicht zwingend sprechen, dass er sich von der Argumentation des Gerichts überzeugen ließ, da auch anderweitige Erwägungen (so, dass er zur Einsparung von Kosten darauf verzichte, des Gericht durch Argumentation von seiner Sicht zu überzeugen) möglich seien. Nutze der Hauptberufungsführer sein Recht zum rechtlichen Gehör und versuche er, das Gericht von einer Zurückweisung nach § 522 ZPO abzubringen, könne ihm dies alleine nicht zum Nachteil gereichen, weshalb es an einer Grundlage fehle, ihm auch die Kosten der Anschlussberufung aufzuerlegen.

Folgende Gründe benannte das OLG zur Rechtefertigung seiner Kostenentscheidung:

Das Grundprinzip sei, dass derjenige, der mit seinem Angriff erfolglos bliebe, die Kosten dieses Angriffs zu tragen habe, gleich aus welchem Grund er damit erfolglos geblieben sei (so z.B. OLG München, Beschluss vom 23.07.2009 - 23 U 4499/13 -; zu Anschlussrevision BGH, Beschluss vom 11.03.1981 - GSZ 1/80 -). Zwar sei die unselbständige Anschlussberufung kein eigenes Rechtsmittel, sondern nur ein Angriff innerhalb der Berufung des Gegners, weshalb § 97 ZPO (Kosten des Rechtsmittels) nicht in Betracht käme. Der Grundsatz gelte insoweit, als nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO derjenige die Kosten trage, der unterliege. Dies setze sich in § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO fort, wonach bei teilweisen Obsiegen und Unterliegen die Kosten im Verhältnis aufzuteilen seien. Auch hebe der Kläger bei einer Klagerücknahme gem. § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO regelmäßig die Kosten zu tragen ebenso der Berufungsführer bei einer Berufungsrücknahme . Auch im Rahmen des § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO (Hauptsacheerledigung) seien im Rahmen einer Ermessenentscheidung die jeweiligen Erfolgsaussichten bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen. Nach § 96 ZPO könnten auch dem obsiegenden Kläger Kosten eines ohne Erfolg gebliebenen Angriffs- oder Verteidigungsmittels auferlegt werden. Es könne also nicht formal darauf abgestellt werden, dass die unselbständige Anschlussberufung kein eigenständiges Rechtsmittel sei. Sie diene nicht nur zur Durchsetzung oder Abwehr eines Anspruchs, sondern mit ihr erstrebe die Partei mit Sachanträgen eine Abänderung der Entscheidung zu ihren Gunsten. Auch wenn die Wirkungslosigkeit der Anschlussberufung gem. § 524 Abs. 4 ZPO kein Unterliegen iSv. § 92 ZPO sei, führe dies zur Erfolglosigkeit der Anschlussberufung.

Derjenige, der eine unselbständige Anschlussberufung einlege, hätte durch rechtzeitige eigene Berufungseinlegung sicherstellen können, dass sein Rechtsmittel nicht von demjenigen des Gegners abhängig ist. Weiterhin hätte er die unselbständige Anschlussberufung unter einer zulässigen auflösenden Bedingung erheben können (OLG Nürnberg, Beschluss vom 23.07.2012 – 5 U 126/11 -; Anmerkung: Es ist strittig, ob eine Anschlussberufung unter einer Bedingung prozessual zulässig ist).

Derjenige, der eine unselbständige Anschlussberufung einlege, wisse zudem, dass sein Rechtsmittel davon abhängig ist, dass die Berufung des Gegners nicht durch Beschluss zurückgewiesen wird. Dies zwinge zwar nicht zur Kostenteilung, zeige aber auf, dass der Anschlussberufungsführer mit den Kosten nicht unbillig belastet würde. Er wisse, dass sein Risiko darin bestünde, auch ohne jegliche Sachprüfung mit diesem Rechtsmittel keinen Erfolg haben zu können.

Die Kostenquotelung sei nach dem jeweiligen Wert ermittelten Quote der Berufungsanträge zu bemessen.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 18.06.2021 - 23 U 728/21 -

Samstag, 20. November 2021

Die rechtsmissbräuchliche Eigenbedarfskündigung

Die Klägerin zu 1, eine Aktengesellschaft, deren Anteile überwiegend von der Familie P. gehalten werden, der auch die Klägerin zu 2 angehörte, erwarb 2015 eine Eigentumswohnung. Eine auf Eigenbedarf gestützte Räumungsklage mit der Begründung, der Vater der Klägerin zu 1, Vorstandsmitglied der Klägerin zu 1, wolle dort einziehen, wurde zurückgewiesen. Danach schenkte die Klägerin zu 1 der Klägerin zu 2 einen 5/100 Miteigentumsanteil an die Klägerin zu 2 und die Kläger kündigten wegen Eigenbedarfs. Die Räumungsklage wurde zurückgewiesen. Der BGH wies darauf hin, dass er die Revision nicht annehmen würde, woraufhin die vom Berufungsgericht zugelassene Revision zurückgenommen wurde.

Das Landgericht hatte als Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass die Klägerin zu 1 als juristische Person keinen Eigenbedarf geltend machen könne und mit der Übertragung des 5/100 Miteigentumsanteils an die Klägerin zu 2 als natürliche Person nur ein völlig unbedeutender Miteigentumsanteil übertragen worden sei, um das Hindernis der fehlenden Berechtigung der juristischen Person zu umgehen; dies sei rechtsmissbräuchlich.

Der BGH wies darauf hin, dass die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung habe noch eine Entscheidung des BGH zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gefordert sei (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Entscheidung hänge von der Beantwortung der Frage ab, ob ein Verhalten treuwidrig oder rechtsmissbräuchlich sei (§ 242 BGB), was von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles abhänge und sich daher einer Grundsatzentscheidung entziehe.

Zudem habe die Revision aber auch in der Sache keinen Erfolg. Ersichtlich habe die Übertragung des minimalen Miteigentumsanteils auf die Tochter des Vorstandsmitgliedes der Aktiengesellschaft nur dem Ziel gegolten, die der Gesellschaft nicht mögliche Eigenbedarfskündigung durchzusetzen, ohne dass mit der Übertragung von Miteigentumsanteilen eine nennenswerte Änderung der Eigentumsverhältnisse oder wirtschaftlichen Verhältnisse verbunden gewesen sei. Die Würdigung durch das Landgericht halte sich damit im Rahmen zulässiger tatrichterlicher Würdigung.

BGH, Beschluss vom 30.03.2021 - VIII ZR 221/19 -