Der Beschwerdeführer hatte sich an das Bundesverfassungsgericht gewandt, da ihr Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) vom Berufungsgericht zurückgewiesen wurde. Er sah sich daher der Gefahr ausgesetzt, im Berufungsverfahren nicht mehr anwaltlich vertreten zu sein. Hier besteht allerdings Anwaltszwang, so dass es ihm nicht möglich wäre, sich zur Sache einzulassen oder Anträge zu stellen. Die Zurückweisung durch das Berufungsgericht erfolgte mit der Begründung, die Bedürftigkeit sei von dem Beschwerdeführer nicht hinreichend dargelegt worden.
Mit seiner Entscheidung erklärte das BVerfG der Beschwerdeführerin gesetzte Fristen für wirkungslos und untersage eine Terminierung vor einer Entscheidung des BVerfG, längstens für sechs Monate, § 32 Abs. 1, Abs. 2 BVerfGG. Dieser einschneidende Eingriff in ein laufendes zivilrechtliches Verfahren wurde vom BVerfG damit begründet, dass vorbehaltlich einer weitergehenden Prüfung davon ausgegangen werde, dass die Versagung der Prozesskostenhilfe nicht offensichtlich gerechtfertigt sei.
Die vorläufige Regelung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG könne erfolgen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten sei, wobei wegen der weittragenden Folgen ein strenger Maßstab anzulegen sei.
Die einstweilige Anordnung diene dazu, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern. Von daher würden Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen würden, grundsätzlich außer Betracht bleien müssen, es sei denn, das Begehren des Beschwerdeführers erweise sich von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Lägen derartige Versagungsgründe nicht vor, sei eine Folgenabwägung vorzunehmen, welche Nachteile bei Erlass einer einstweiligen Anordnung entstünden und welche bei Versagung derselben entstünden.
Die Verfassungsbeschwerde sei hier nicht von vornherein unbegründet; vielmehr sei es möglich, dass das Berufungsgericht bei der Versagung der PKH für die zweite Instanz den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Ar. 3 Abs. 3 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG verletzte. Es seien möglicherweise vom Berufungsgericht die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers überspannt worden. Dafür spreche, dass dem seit Jahren grundsicherungsberechtigte Beschwerdeführer sowohl in erster Instanz als auch bereits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BGH PKH bewilligt worden sei und dortige Rückfragen offensichtlich befriedigend waren.
Die Folgenabwägung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG würde hier zugunsten des Beschwerdeführers ausfallen. Die Folgen fehlender anwaltlicher Vertretung im Berufungsrechtszug würden schwer wiegen als der Umstand, dass sich später herausstelle, das dass durch eine einstweilige Untersagung unterbrochene Verfahren ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Im ersten Fall hätte der Beschwerdeführer die Möglichkeit, der ggf. rechts- und verfassungswidrig unterlassenen Beiordnung eines Rechtsanwalts im Hauptsacheverfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde bzw. Revision (so evtl. wegen fehlerhafter Anwendung von Präklusionsvorschriften oder fehlerhaft angenommener schuldhafter Säumnis) zu korrigieren. Eine verlässliche Beurteilung sei hier nicht möglich, da die erforderliche Prognose des weiteren Prozessverlaufs vom Verhalten aller anderen Prozessbeteiligten und des Entscheidungsausgangs abhänge, insbesondere nach der auch in der Hauptsache zuvor erfolgten Aufhebung und Rückverweisung durch den BGH. Ein Rechtsmittelverlust des Beschwerdeführers infolge der Ablehnung von PKH und der damit verbundenen Versagung der Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten sei daher nicht ausgeschlossen. Demgegenüber könne das Berufungsverfahren, sollte sich die angegriffene Entscheidung als verfassungsgemäß erweisen, lediglich zu einem späteren Zeitpunkt fortgeführt werden.
BVerfG, Beschluss vom
03.09.2021 - 2 BvR 1514/21 -
Aus den Gründen:
Tenor
Etwaige vom
Oberlandesgericht Karlsruhe im Verfahren 1 U 20/19 gesetzte Fristen zur Stellungnahme
für den Beschwerdeführer und insbesondere die am 7. Juli 2021 gesetzte und
zuletzt am 30. August 2021 auf den 8. September 2021 verlängerte Frist werden
bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer
von sechs Monaten, einstweilen für wirkungslos erklärt. Während desselben
Zeitraums darf in der Sache weder eine mündliche Verhandlung stattfinden noch
ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
Gründe
Zur
Verfahrenssicherung werden im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe - 1
U 20/19 - gesetzte Fristen zur Stellungnahme für den Beschwerdeführer
einstweilen für wirkungslos erklärt und die Durchführung eines Termins zur
mündlichen Verhandlung gemäß § 32 Abs. 1 und Abs. 2 BVerfGG bis
zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von
sechs Monaten, einstweilen untersagt.
1. Das
Bundesverfassungsgericht kann einen Zustand durch einstweilige Anordnung gemäß
§ 32 Abs. 1 BVerfGG vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer
Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen
Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die
Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, ist wegen der
weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger
Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166
<216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>).
Als Mittel des
vorläufigen Rechtsschutzes hat die einstweilige Anordnung auch im
verfassungsgerichtlichen Verfahren die Aufgabe, die Schaffung vollendeter
Tatsachen zu verhindern; sie soll auf diese Weise dazu beitragen, Wirkung und
Bedeutung einer erst noch zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache zu
sichern und zu erhalten (vgl. BVerfGE 42, 103 <119>). Deshalb bleiben die
Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme
vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, die Hauptsache
erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet
(vgl. BVerfGE 89, 38 <43 f.>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>;
stRspr). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so hat das
Bundesverfassungsgericht grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung
die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht
erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte,
gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige
Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der
Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 <371>; 106, 351
<355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 132, 195 <232 f.
Rn. 87>; stRspr).
2. Nach
diesen Maßstäben ist eine einstweilige Anordnung zu erlassen.
a) Die
Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich
unbegründet. Es erscheint vielmehr möglich, dass die angegriffene Entscheidung
des Oberlandesgerichts Karlsruhe, mit der der Antrag des Beschwerdeführers auf
Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den zweiten Rechtszug zurückgewiesen
wurde, diesen in seinen Rechten aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung
mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Es
erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass das Oberlandesgericht in seiner
Entscheidung die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers
überspannt hat. Dafür spricht insbesondere, dass der bereits seit Jahren
grundsicherungsberechtigte Beschwerdeführer bei insoweit gleicher
wirtschaftlicher Lage sowohl bereits in erster Instanz als auch im
Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof Prozesskostenhilfe
erhalten hat sowie dessen Rückfragen zu seinem dort gestellten Antrag offenbar
zufriedenstellend beantworten und Zweifel beseitigen konnte (vgl. BVerfG,
Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. Februar 2020 - 1 BvR 1975/18
-, Rn.14 ff. m.w.N.).
b) Die
nach § 32 Abs. 1 BVerfGG erforderliche Folgenabwägung geht zugunsten
des Beschwerdeführers aus. Die Folgen, die einträten, wenn der Beschwerdeführer
in der Berufungsinstanz nicht (mehr) anwaltlich vertreten wäre, wiegen schwerer
als die Folgen, die entstünden, wenn der Fortgang des Verfahrens einstweilen
untersagt bliebe, sich später aber herausstellte, dass es ohne Rechtsverstoß
hätte durchgeführt werden können. Im erstgenannten Fall wäre es dem Beschwerdeführer
zwar unter Umständen - auch ohne vollständige inzidente Prüfung der
angegriffenen Entscheidung zur Gewährung von Prozesskostenhilfe - rechtlich
möglich, die Auswirkungen einer gegebenenfalls in rechts- und
verfassungswidriger Weise unterlassenen Beiordnung eines Rechtsanwalts im
Hauptsacheverfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde beziehungsweise die
Revision, etwa wegen rechtsfehlerhafter Anwendung von Präklusionsvorschriften
oder einer rechtsfehlerhaft angenommenen schuldhaften Säumnis, zu korrigieren.
Die für eine diesbezüglich verlässliche Beurteilung erforderliche Prognose des
weiteren Verlaufs des Berufungsverfahrens, der nicht zuletzt auch vom Verhalten
aller anderen Prozessbeteiligten abhängig ist, sowie des Entscheidungsausgangs,
insbesondere nach der auch in der Hauptsache erfolgten Aufhebung und
Rückverweisung durch den Bundesgerichtshof, ist aber derzeit nicht möglich. Zum
jetzigen Zeitpunkt erscheint ein Rechtsmittelverlust infolge der Ablehnung von
Prozesskostenhilfe und der damit versagten Beiordnung seines
Prozessbevollmächtigten jedenfalls nicht ausgeschlossen. Dieses Risiko ist dem
Beschwerdeführer in Anbetracht der Gesamtumstände des vorliegenden Einzelfalls
nicht zuzumuten. Demgegenüber kann das Berufungsverfahren, sollte sich die
angegriffene Entscheidung als verfassungsmäßig erweisen, zu einem lediglich
späteren Zeitpunkt fortgeführt werden.
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