Freitag, 14. Februar 2020

WEG: Durchsetzung der Hausgeldklage im Urkundenprozess


Im Streit waren Hausgeldansprüche der klagenden Wohnungseigentümer (Kläger). Nachdem dem beklagten Wohnungseigentümer die Klage zugestellt worden war, zahlte er. Die Kläger erklärten die Hauptsache für erledigt. Das Amtsgericht hatte ihnen die Verfahrenskosten auferlegt mit der Begründung, die Klage sei unzulässig gewesen, da sie im Urkundenverfahren erhoben worden sei. Auf die Beschwerde wurden die Kosten dem Beklagten auferlegt.

Damit musste sich das Landgericht mit der Frage auseinandersetzen, ob die Klage im Urkundenverfahren zulässig erhoben werden konnte. Dabei, so das Landgericht, käme es vorliegend auch nicht darauf an, dass der Beklagte auf die Klage gar nicht erwidert habe und von daher die Forderung unstreitig gewesen sei, weshalb ein  Urkundenbeweis nicht einmal erforderlich gewesen sei. Einer entsprechenden Bewertung würde § 597 Abs. 2 ZPO entgegenstehen, wonach die nicht durch Urkunden bewiesenen Tatsachen im Falle einer Säumnissituation des Gegners entgegen § 331 Abs. 1 ZPO nicht als zugestanden gelten würden, sondern die die Echtheit der Urkunden und die Übereinstimmung von Kopien und Originalen.

Entscheidend sei, ob das Protokoll der Eigentümerversammlung, auf der über den Wirtschaftsplan bzw. die Jahresabrechnung abgestimmt würde, auf deren Grundlage dann die Forderung geltend gemacht würde, die Beschlussfassung beweise und damit also die anspruchsbegründenden Tatsachen iSv. § 592 ZPO bewiesen werden können. Diese in der Literatur unterschiedlich beantwortete Frage wurde vom Landgericht pro Urkundenverfahren entschieden.

Das Protokoll der Eigentümerversammlung sei lediglich eine Privaturkunde (§ 416 ZPO). Dieser komme nur ein eingeschränkter Beweiswert dahingehend zu, dass die Unterzeichner derselben den Inhalt für wahrheitsgemäß befinden. Der Urkundenbegriff in § 592 ZPO würde aber keine Unterscheidung zwischen Privaturkunde und öffentlicher Urkunden oder im Übrigen machen; vielmehr entspräche der verwandte Urkundenbegriff in der Prozessordnung der der §§ 415ff BGB mit der Folge, dass er alle schriftlichen Beweisstücke umfasse. Deshalb müsse die Urkunde das den Anspruch begründende Rechtsverhältnis selbst verbriefen. Ausreichend sei, dass nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung der geltend gemachte Anspruch durch die Urkunde bewiesen werden könne. Die Urkunde müsse also positiv nur geeignet sein, das Bestehen des Anspruchs unmittelbar oder mittelbar (z.B. im Rahmen einer Indiztatsache) zu erbringen und dürfe negativ nicht einen unzulässigen Augenschein-, Zeugen oder Sachverständigenbeweis durch Verschriftlichung ersetzen.

Hier käme dem Protokoll die Indizwirkung zu, dass Beschlüsse gefasst wurden, wie protokolliert. Ein abweichender Geschehensablauf müsse vom Gegner dargelegt und nahgewiesen werden.

Damit besteht eine vereinfachte und schnellere Möglichkeit, Ansprüche der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen nicht zahlende Wohnungseigentümer geltend zu machen, die sich entweder aus der beschlossenen Jahresabrechnung oder dem beschlossenen Wirtschaftsplan ergeben. Zwar sind dem jeweiligen Gegner seine Rechte für das Nachverfahren (auf Antrag bei Anerkenntnis des Anspruchs im Urkundenverfahren oder bei Klageabweisungsantrag) vorzubehalten, doch kann bereits aus dem Urteil im Urkundenverfahren vollstreckt werden.

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 11.12.2019 - 2-13 T 106/19 -

Sonntag, 9. Februar 2020

Zuweisung und Zuweisungsbefugnis von Sondernutzungsrechten durch (ausgeschiedenen) teilenden Eigentümer


Häufig weiß der aufteilende Eigentümer nicht, welchem Sonder-/Teileigentum er bestimmte Sondernutzungsrechte (die z.B. an Stellplätzen geschaffen werden) er diese zuteilen wird, da er die Entscheidung z.B. vom Abverkauf abhängig machen will. In diesen Fällen wird eine entsprechende Regelung zur Zuweisung und Zuweisungsbefugnis in die Teilungserklärung der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) aufgenommen. In dem vom OLG Düsseldorf zu beurteilenden Fall wurde aufgenommen: „Der aufteilende Eigentümer ist berechtigt, bei Beurkundung der Verträge über die erstmalige Veräußerung der Wohnungs- und Teileigentumseinheiten zu bestimmen, ob und ggf. welche der vorgenannten PKW-Abstellplätze dem betreffenden Erwerber und künftigen Eigentümer eines Wohnungs- oder Teileigentumsrechts zur alleinigen, unentgeltlichen und ausschließlichen Nutzung zusteht. Der aufteilende Eigentümer ist berechtigt, eine solche Bestimmung auch ohne Veräußerung durch eine notariell beglaubigte Erklärung zu treffen.“.  Im folgenden Absatz heißt es: „Unter der aufschiebenden Bedingung, dass der zur jeweiligen Sondernutzung eines der vorgenannten Stellplätze allein berechtigte Sondereigentümer in vorstehender Form bestimmt wird, sind die jeweils anderen Sondereigentümer von der Nutzung der Stellplätze ausgeschlossen und haben die unentgeltliche Sondernutzung zu dulden.

Zum Zeitpunkt der erfolgten Zuteilung war der teilende Eigentümer nicht mehr Eigentümer von Wohnungs- und Teileigentum gewesen. Das Grundbuchamt sah zur Eintragung der Sondernutzungsrechte zu jeweils benannten Wohn-/Teileigentumseinheiten im Rahmen einer Zwischenverfügung die Mitwirkung aller Miteigentümer als erforderlich an. Dagegen wandte sich die Beschwerde, über die das OLG zu entscheiden hatte. Die Beschwerde hatte aus formalen Gründen Erfolg, da nach Auffassung des OLG eine Zwischenverfügung nicht hätte ergehen dürfen. Das Grundbuchamt wird daher in der Sache entscheiden müssen. Allerdings nahm das OLG die Beschwerde zum Anlass auch zur Sache Stellung zu nehmen, wobei es sich auch grundlegend zu dem Zuweisungsrecht äußerte:

Sollen Sondernutzungsrechte nachträglich als Inhalt des Sondereigentums im Grundbuch eingetragen werden, bedürfe es der Einigung sämtlicher Wohnungseigentümer, § 10 Abs. 3 WEG, und nach §§ 5 Abs. 4 WEG, 877, 876 BGB der Zustimmung möglicherweise dadurch Benachteiligter dinglicher Berechtigter (so Grundschuldgläubiger) sowie jener, denen bereits eine Auflassungsvormerkung erteilt wurde. Dies gelte auch dann, wenn die nachträgliche Begründung von Sondernutzungsrechten bereits in der ursprünglichen, im Grundbuch gewahrten Teilungserklärung vorgesehen sei.

Allerdings gäbe es zwei anerkannte Möglichkeiten der Gestaltung einer Teilungserklärung, die dem teilenden Eigentümer die nachträgliche Begründung von Sondernutzungsrechten ohne Mitwirkung der übrigen Wohnungs- und Teileigentümer und der dinglich Berechtigten ermögliche.

1. Der teilende Eigentümer könne sich in der Teilungserklärung ein Zuordnungsrecht vorbehalten mit der Folge, dass dieses zunächst keiner Wohnung bzw. keinem Teileigentum zugeordnet wird und er alleine Berechtigt bleibt. Diese „gestreckte Begründung von Sondernutzungsrechten durch Zuordnungsvorbehalt“ beruhe aber auf dessen persönlicher Sondernutzungsberechtigung und würde nur bis zu seinem Ausscheiden aus der Gemeinschaft gelten können. Das Sondernutzungsrecht ist an die Inhaberschaft von Wohnungs- oder Teileigentum gebunden. Ein Mitnehmen des Zuweisungsrechts würde überwiegend abgelehnt.

2. Der teilende Eigentümer könne alle künftigen Erwerber unter der aufschiebenden Bedingung (§ 158 BGB) einer Zuweisung der Sondernutzungsrechte  von einer Nutzung mit Eintritt der Bedingung ausschließen („gestreckte Begründung von Sondernutzungsrechten durch aufschiebend bedingte Zuordnung“). Hier der teilende Eigentümer nur zuweisungsberechtigt. In diesem Fall würde in der Rechtsprechung überwiegend eine Zulässig (bejahend OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.06.2015 - 20 W 54/15 -; OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.05.2012 - 8 W 164/11 -; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 16.06.2017 - 15 W 474/16 -).

Das OLG lässt offen, ob es sich bei der Regelung in der Teilungserklärung in Ansehung des 2. Absatzes um die Variante der „gestreckten Begründung von Sondernutzungsrechten durch aufschiebend bedingte Zuordnung“ handelt.  Entscheidend sei die Auslegung der vorliegenden Teilungserklärung, was vom Grundbuchamt entsprechend § 133 BGB zu erfolgen habe. Es sei auf Wortlaut und Sinn der Erklärung abzustellen. Danach nimmt das OLG an, dass der teilende Eigentümer mit seinem Ausscheiden aus der Gemeinschaft  nicht mehr zur Zuweisung berechtigt sei. Ausdrücklich sei im ersten Absatz auf die Zuweisungsberechtigung des teilenden Eigentümers „bei Beurkundung der Verträge über die erstmalige rechtsgeschäftliche Veräußerung“ abgestellt worden. Eine Regelung dazu, was gelten soll, wenn der teilende Eigentümer ohne Zuweisung alle Wohnungs- und Teileigentumseinheiten veräußert und übertragen hat, fehle.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.10.2019 - I-3 Wx 69/19 -

Freitag, 7. Februar 2020

Ausschließlicher Gerichtsstand des § 29a ZPO für lediglich aus dem Mietvertrag verpflichtete Dritte


In dem mit einer Kommanditgesellschaft (KG) abgeschlossenen Mietvertrag hatte sich diese für den Fall, dass sie für den Fall der Nichterbringung von bestimmten Ausbauleistungen zur Zahlung einer Vertragsstrafe an den Vermieter verpflichtet. Nach Abschluss des Mietvertrages ging das Mietverhältnis auf Vermieterseite auf die Klägerin über. Streitig war, ob es einer Gerichtsstandbestimmung für die Klage gegen den  nicht am Ort der Mietsache und außerhalb deren Gerichtsbezirk wohnhaften Komplementär bedarf. Das BayObLG war zur Gerichtsstandsbestimmung zuständig (§ 36 Abs. 2 ZPO iVm. § 9 EGZPO).

Das BayObLG lehnte eine Gerichtsstandbsstimmung ab.

Sei für einen der beteiligten Streitgenossen ein ausschließlicher besonderer Gerichtsstand gegeben, greife auch § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO:

„(1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt:
3. wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist“

Die sei für die Mieterin (KG) das nach § 29a Abs. 1 ZPO das LG Memmingen, da diese Norm auf das Gericht verweist, in dessen Bezirk sich die Mietsache befindet. Da der Komplementär nicht in diesem Bezirk wohnhaft sei, wurde der Antrag auf Gerichtsstadsbestimmung gestellt.

Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung wurden allerdings vom BayObLG gleichwohl negiert. Zwar sei der Komplementär nicht Partei des Mietvertrages. Allerdings seien auch Dritte in den Anwendungsbereich des § 29a ZPO einbezogen, wenn sie aus dem Mietvertrag und nicht aufgrund eines selbständigen Vertrages hinsichtlich des Mietverhältnisses verpflichtet sind (BGH, Beschluss vom 16.12.2003 – X AZR 270/03 -). Der Komplementär, der bei der KG nach Mietvertragsabschluss eintrat,  soll hier für die Verpflichtungen der KG als Mieterin akzessorisch und damit ebenso wie die Mieterin selbst aus dem Mietvertrag haften (§§ 162 Abs. 2 iVm. 128 HGB). Anders wurde dies vom OLG Köln (Beschluss vom 10.02.2000 – 1 W 114/99 – für den Kommanditisten gesehen. Da der Komplementär – so das BayObLG – wie der Mieter selbst aus dem Mietvertrag gegenüber dem Vermieter haftet, bedürfe es keiner Gerichtsstandsbestimmung, da für ihn auch originär der Gerichtsstand des § 29a Abs. 1 ZPO gelte und sich die Verpflichtung zu Ausbaumaßnahmen sowie, für den Fall der Nichtdurchführung, die Verpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe direkt aus dem Mietvertrag ergebe.

Von daher käme es vorliegend auch nicht darauf an, dass es auf Seiten des Vermieters zu einer Rechtsnachfolge gekommen sei (nach § 398 BGB oder nach § 566 BGB). § 29a ZPO erfasse nicht nur Ansprüche aus den Hauptpflichten des Mietvertrages, sondern auch die Erfüllung vertraglicher Nebenpflichten sowie Schadensersatzansprüche aus Verletzung vertraglicher Nebenpflichten.

BayObLG, Beschluss vom 19.11.2019 - 1 AR 109/19 -

Montag, 3. Februar 2020

Steuerrecht: Auslegung des Umfangs eines Einspruchs bei verbundenen Steuerbescheiden


Im Ausgangsfall legte der Kläger gegen den „Bescheid für 2015 über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Soli vom 22.03.2018“ (ein sogenannter verbundener Bescheid, da er hier nach der Bescheidüberschrift die Bescheide zur Einkommensteuer, Kirchensteuer und zum Solidaritätszuschlag umfasste, darüber hinaus, in der in der Bescheidüberschrift nicht benannte Zinsen zur Einkommensteuer) mit Schreiben vom 09.04.2018 Einspruch ein. Nach einer von  ihm erbetenen Erörterung mit dem Finanzamt (FA) äußerte der Kläger Zweifel an einem zusätzlichen (vom FA berücksichtigten) veräußerungsgewinn in 2015 (statt 2016), bat erneut um einen Erörterungstermin und erhob im Rahmen desselben mit Schreiben vom 23.07.2018 erstmals Einwendungen gegen die im angefochtenen Bescheid festgesetzte Verzinsung. In der Einspruchsentscheidung setzte sich das FA mit der Zinsfestsetzung nicht auseinander und lehnte mit besonderen Bescheid vom gleichen Tag eine Änderung der Zinsfestsetzung wegen Bestandskraft des Bescheides ab, da sich der Einspruch nicht gegen die Zinsen gerichtet habe. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage. Mit Zwischenurteil stellte das Finanzgericht fest, dass der Kläger rechtzeitig gegen die Zinsfestsetzung im Bescheid vom 22.03.2018 Einspruch erhoben habe. Auf die Revision des FA hob der BFH das Urteil auf und verwies den Rechtstreit an das Finanzgericht zurück.

Der BFH wies darauf hin, dass auf der Grundlage des § 357 Abs. 3 S. 1 AO die genaue Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht erforderlich sei, allerdings die Zielrichtung des Begehrens angegeben werden müsse, aus der sich der angefochtene Verwaltungsakt ergeben müsse  oder Zweifel/Unklarheiten beseitigt werden müssten. Fehle es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung, sei eine Auslegung erforderlich. Diese Auslegung eines Rechtsbehelfs richte sich außerprozessual als auch prozessual nach § 133 BGB. Es sei der wirkliche Wille zu erforschen, weshalb auch außerhalb der Erklärung liegende Umstände berücksichtigt werden dürften. Allerdings dürfe dies nicht dazu führen, dass die Auslegung zu einem Ergebnis führe, für welches es in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte gäbe. Damit ergäben sich im Wesentlichen folgende Fallgruppen:

  1. Würden miteinander verbundene Bescheide unter Wiedergabe der amtlichen Bescheidbezeichnung (wie hier: „Bescheid für 2015 über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag“) angefochten, ohne dass (zunächst) konkrete Einwendungen erhoben würden und erfolgt späterhin (ggf. nach Ablauf der Einspruchsfrist) eine Begründung gegen einen bestimmten Bescheid, beziehe sich der Rechtsbehelf jedenfalls auch gegen diesen Bescheid. So hatte das FG Düsseldorf mit Urteil vom 26.05.2008 - 18 K 2172/07 AO - (zitiert vom BFH) den Einspruch gegen einen wie oben bezeichneten Bescheid auch als Einspruch gegen den im Bescheid festgesetzten Verspätungszuschlag angesehen, wobei allerdings das FG Düsseldorf die Auffassung vertrat, dass die korrekte Bezeichnung des Bescheides dies bereits umfasse und sich vorliegend zusätzlich (worauf der BFH einzig abstellt) aus der darauf bezogenen Begründung desselben ergäben.
  2. Enthalte das (unspezifisch) auf verbundene Bescheide bezogene Einspruchsschreiben eine Begründung, sei der Gegenstand des Einspruchs einengend auszulegen. Würden nach Ablauf der Einspruchsfrist auch Einwendungen gegen einen weiteren verbundenen Verwaltungsakt erhoben, die in der ursprünglichen Begründung nicht benannt worden seien, so würde dem die Bestandskraft des Bescheides entgegenstehen (BFHE 222, 196; BFHE 243, 304).
  3. Richte sich der Einspruch ausdrücklich zwar nur gegen einzelne miteinander verbundene Verwaltungsakte und würde innerhalb der Einspruchsfrist der Einspruch auf einen weiteren verbundenen Verwaltungsakt ausgedehnt, stünde der weiteren Anfechtung keine Bestandskraft entgegen. Dies ist verständlich, da der nur eingeschränkte zunächst erhobene Einspruch nicht als Verzicht auf ein Rechtsmittel im Übrigen gedeutet werden kann; erfolgt allerdings der weitere Einspruch nach Ablauf der Einspruchsfrist, stünde ihm auch die Bestandskraft entgegen.  

Die Auslegung des Einspruchs obliege, so der BFH, dem Finanzgericht. Der BFH als Revisionsgericht könne nur prüfen, ob das Finanzgericht die anerkannten Auslegungsregeln beachtet und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen habe, ferner, ob der Einspruch überhaupt auslegungsbedürftig sei. An der Auslegungsbedürftigkeit würde es bei einer nach Wortlaut und Zweck eindeutigen Erklärung fehlen.

Vorliegend sei zwar die Bescheidüberschrift gewählt worden, doch sei diese unvollständig gewesen, insoweit die mit festgesetzten Zinsen zur Einkommensteuer nicht erwähnt worden seien. Von daher habe es hier einer Auslegung bedurft.

Da das Finanzgericht diese Grundsätze nicht gewahrt habe, sei die Sache zurückzuverweisen und das Finanzgericht müsse sich mit dem Verhalten des Klägers nach Einlegung des Einspruchs und insbesondere auch seinen an das FA gerichteten Schreiben auseinandersetzen.

BFH, Urteil vom 29.10.2019 - IX R 4/19 -

Donnerstag, 30. Januar 2020

Klausel „Mietsicherheit“ im Wohnraummietvertrag (bei gestellter Mietkautionsversicherung)


Das Mietverhältnis war beendet. Der Mieter war nach dem Vertrag zur Erbringung einer Mietsicherheit verpflichtet und hatte eine Mietkautionsversicherung gestellt. Der Vermieter nahm diese – während eines laufenden gerichtlichen Verfahrens zu Ansprüchen des Vermieters gegen den Mieter in Anspruch. Dies nach Ansicht des LG Berlin in einem Beschwerdeverfahren zu Kosten des in der Hauptsache erledigten Verfahrens mit der Folge, dass dem Vermieter die Kosten auferlegt wurden.

Nach dem Urteil des BGH vom 24.07.2019- VIII ZR 141/17 - ist der Vermieter nach Vertragsende kann der Vermieter nach Beendigung des Mietverhältnisses zur Verwertung einer vom Mieter gestellten Barkaution selbst dann befugt, wenn die vermieterseits geltend gemachten Ansprüche weder rechtskräftig festgestellt noch zwischen den Parteien unstreitig sind. Das LG Berlin äußert Zweifel an der Richtigkeit dieser Entscheidung im Hinblick darauf, dass zweifelhaft sei, ob eine derartige Auslegung der Sicherungsabrede dem tatsächlichen Willen der Mietvertragsparteien eines Wohnraummietvertrages und der in § 551 Abs. 3 S. 3 BGB angeordneten insolvenzfesten Anlage entspricht. Jedenfalls aber sei diese Entscheidung für eine Barkaution ergangen und nicht auf eine (wie hier) vom Mieter gestellte Mietkautionsversicherung.

Auch sei eine Auslegung der Sicherungsabrede dahingehend, dass unabhängig vom Vorliegen einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder eines zwischen den Mietvertragsparteien unstreitigen Anspruchs diese Mietkautionsversicherung bei Beendigung des Vertragsverhältnisses in Anspruch genommen werden kann, ausgeschlossen, die die Klausel in einem vom Vermieter gestellten Formularvertrag enthalten sei. Darauf sei die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB anzuwenden, derzufolge Unklarheiten bei der Auslegung zu Lasten des Verwender gehen würden. In der Überschrift und der Klausel selbst würde nur über eine „Mietsicherheit“ gesprochen, ohne dass die Befugnis über eine vermieterseitige Verwertung während oder nach dem Ende des Mietverhältnisses geregelt worden sei. Es sei daher vertretbar die Klausel im Sinne einer auf den Wortlaut bezogenen Funktion dahingehend zu verstehen, dass ihr nur eine Sicherung des Vermieters vor einer möglichen Insolvenz des Mieters zukäme, die ihm allenfalls für rechtskräftig festgestellte oder unstreitige Ansprüche eine Verwertungsmöglichkeit eröffne. Ausdrücklich hält das LG Berlin fest, dass dahinstehen könne, ob dies auch für eine inhaltsgleiche Individualvereinbarung oder eine Formularvereinbarung, in der eine Regelung zur Verwertung durch den Vermieter enthalten sei, maßgebend sei. Ausreichend sei hier, dass vorliegend eine kundenfreundlichste Auslegung von zumindest zwei Auslegungsvarianten vertretbar sei.

Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung schied aus, worauf das LG Berlin hinweist, da die Kammer über einen für erledigt erklärten Antrag über eine einstweilige Verfügung entschieden hatte, §§ 574 Abs. 1 Satz 2, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Anmerkung: Zwar hatte der BGH in der vorgenannten Entscheidung lediglich zur Verwertung einer Barkaution entschieden. Den Entscheidungsgründen lässt sich allerdings nicht entnehmen, dass seine Rechtsauffassung nur auf diese bezogen sein soll, zumal auch nach der hier vom LG Berlin ausgelegten Klausel die Mietsicherheit als Barkaution hätte geleistet werden können. Die Auslegung einer Norm, die verschiedene Arten der Sicherheitserbringung zulässt dahingehend, je nach Art der danach erbrachten Sicherheit ist unvertretbar. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass in der benannten Entscheidung des BGH es um die Frage der Aufrechnungsmöglichkeit mit der als Barkaution erbrachten Sicherheit ging. Eine Aufrechnung mit einer Mietkautionsversicherung ist nicht möglich. Die weitergehende Frage wäre, ob der Mieter nach der Entscheidung des BGH bei Geltendmachung von Ansprüchen des Vermieters im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens die Sicherheit (vorliegend in Form der Mietkautionsversicherung) herausverlangen könnte (wenn nicht der Vermieter zuvor die Geltendmachung weiterer Ansprüche ankündigt), da der Vermieter diese nicht in Anspruch nahm. Während aber die Barkaution ein liquides, dem Vermieter zur Verfügung stehendes Mittel ist, ist dies die Mietkautionsversicherung nicht, insoweit ein Dritter, der Versicherer, in Anspruch zu nehmen ist. Hier kann der Vermieter mithin sicherlich zuwarten, ob er seinen Anspruch tituliert bekommt und daraufhin der Mieter zahlt. Gleichwohl wird man zur Frage der Verwertungsmöglichkeit selbst keinen Unterschied zwischen der Barkaution und der Mietkautionsversicherung sehen können. Von daher entspricht die Entscheidung des LG Berlin nicht der Vorgabe des BGH.

LG Berlin, Beschluss vom 01.10.2019 - 67 T 107/19 -

Freitag, 24. Januar 2020

Muffiger Kellergeruch bei Altbau kann offenbarungspflichtiger Mangel sein


Die Kläger erwarben unter Ausschluss der Haftung für Sachmängel von der Beklagten ein Grundstück mit Einfamilienhaus. In dem Exposé des von dem Beklagten eingeschalteten Maklers wurde von einem aufwendig sanierten Einfamilienhaus und einer vollständigen Renovierung gesprochen. Die Kläger hatten die Immobilie vor Abschluss des notariellen Kaufvertrages besichtigt; Feuchtigkeitsschäden im Keller waren hierbei nicht ersichtlich. Nach ihrem Einzug stellten die Kläger Feuchtigkeit an den Kellerwänden fest; nach einem Gutachten im Rahmen eines von ihnen eingeleiteten selbständigen Beweisverfahrens waren die Kellerwände bereits zum Zeitpunkt der Übergabe des Hauses an die Kläger durchfeuchtet. Ursächlich sei ein für das Baujahr 1914 typischer technischer Standard.

Der BGH verwies darauf, dass bei Häusern, die zu einer Zeit errichtet worden seien, als Kellerabdichtungen noch nicht üblich waren, nicht jede Feuchtigkeit im Keller einen Mangel darstellen könne. Es käme auf die Umstände des Einzelfalls an, also z.B. darauf, ob das Haus in einem sanierten Zustand verkauft wurde, der Keller Wohnzwecken diente, welcher Zustand bei der Besichtigung erkennbar war und wie stark die Feuchtigkeitserscheinungen sind. Zur Sollbeschaffenheit würden auch die Eigenschaften zählen, die der Käufer nach öffentlichen Äußerungen (wie in einem Exposé) des Verkäufers erwarten dürfe.

Vorliegend sei nicht zu beanstanden, dass das OLG im Berufungsrechtszug auch unter Berücksichtigung des Exposés davon ausgegangen sei, dass weder ein sanierter noch ein zu Wohnzwecken geeigneter Keller geschuldet sei, sondern nur ein der Bauzeit geschuldeter Zustand.  Allerdings sei ein Mangel dann anzunehmen, wenn, wie klägerseits behauptet, ein muffiger oder modrig-feuchter Geruch durch die übrigen Bereiche des Hauses ziehe, der bei Öffnen der Tür sofort wahrnehmbar sei.

BGH, Beschluss vom 10.10.2019 - V ZR 4/19 -

Mittwoch, 22. Januar 2020

Zuschlagsbeschluss und Suizidgefahr bei der Schuldnerin


Immer wieder müssen sich die Gerichte mit der Frage der Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen Suizidgefahr bei den jeweiligen Schuldnern  im Zusammenhang mit Räumungs- und Zwangsversteigerungsmaßnahmen auseinandersetzen. Vorliegend betrieben die Gläubiger die Zwangsversteigerung einer Immobilie der Schuldnerin und erhielt am 24.08.2017 der Ersteher den Zuschlag. Die Schuldnerin legte gegen den Zuschlagsbeschluss unter Verweis auf eine Suizidgefahr bei ihr Beschwerde ein. Nach Gutachteneinholung vertrat das Landgericht (LG) als Beschwerdegericht die Auffassung, der Suizideinwand habe nicht das für eine Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses und Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens  notwendige Gewicht; die Schuldnerin habe während des Beschwerdeverfahrens therapeutische Hilfe erhalten, weshalb sie Interventions- und Hilfemöglichkeiten selbst formulieren könne und ein Suizid eher unwahrscheinlich sei. Es bestünde für den Fall der Bestätigung des Zuschlagsbeschlusses (Anm: Auf Grund desselben kann der Ersteher die zwangsweise Räumung betreiben) keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen Suizid.

Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hob der BGH den Beschluss auf und verwies das Verfahren an das Beschwerdegericht zurück.

Richtig habe zwar das LG erkannt, dass einer Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss nach § 100 Abs. 3 iVm. 83 Nr. 6 ZVG stattzugeben sei, wenn wegen eines Vollstreckungsschutzantrages des Schuldners nach § 765a ZPO der Zuschlag wegen einer bereits mit dem Eigentumsverlust verbundenen konkreten Gefahr für das Leben des Schuldners (oder eines nahen Angehörigen) nicht erteilt werden dürfe oder wenn die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung des Schuldners während des Beschwerdeverfahrens zu Tage trete. Zwar sei  deshalb die Zwangsversteigerung nicht ohne Weiteres einzustellen bzw. aufzuheben. Im Hinblick auf die Wahrung der ebenfalls grundrechtlich geschützten Interessen des Gläubigers als auch des Erstehers sei zu prüfen, ob der Gefährdung von Leben und Gesundheit des Schuldners auch anders als durch Einstellung oder Aufhebung der Zwangsersteigerung wirksam begegnet werden könne.

Dies setze aber voraus, dass das Gericht die Geeignetheit der in Betracht gezogenen Maßnahmen sorgfältig prüfe und deren Vornahme sicherstelle. Daran fehle es vorliegend jedenfalls in Bezug auf die Sicherstellung der geeigneten Maßnahmen.

Auch wenn das LG nur von einer „geringen Suizidgefahr“ ausgehen würde, nehme es aber weder ein Vorspiegeln derselben durch die Schuldnerin an noch sähe diese als so vage an, dass von einer Verwirklichung ernsthaft nicht ausgegangen werden könne. Es weise vielmehr darauf hin, dass einer erneuten Aktualisierung der Suizidgefahr durch ein bestehendes „Setting“ aus Anbindung an den Therapeuten und medikamentöser Behandlung begegnet werden könne. Damit sei eine ernsthafte Gefahr der Selbsttötung nicht ausgeschlossen, weshalb das LG ungeachtet der schutzwürdigen Interessen der Gläubiger an einer Fortsetzung des Verfahrens dafür hätte Sorge tragen müssen, dass sich die mit der Fortsetzung des Verfahrens verbundene Lebens- und Gesundheitsgefahr nicht realisiere. Durch das bestehende „Setting“ sei das LG davon nicht entbunden, da offen sei, b dies im Ernstfall funktioniert hätte. So sei auch ein Verweis auf die für den Lebensschutz primär zuständigen Behörden und Gerichte verfassungsrechtlich nur tragfähig, wenn das Vollstreckungsgericht dafür Sorge trage, dass diese Stellen rechtzeitig tätig werden.  Daher dürfe das Vollstreckungsgericht die Einstellung des Verfahrens nur ablehnen, wenn im Hinblick auf ambulante Maßnahmen zur Bewältigung der Suizidgefahr auch diese Maßnahmen sichergestellt würden.

Dieser Anforderung habe das LG nicht genügt. Weder habe es sichergestellt noch dafür Sorge getragen, dass die therapeutische und medikamentöse Behandlung der Schuldnerin im Zeitpunkt der endgültigen Entscheidung über den Zuschlag gesichert sei. Es habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass das „Setting“ bei einer akuten Krisensituation besteht und wirksam wird. Dies hätte hier einer freiwilligen Mitwirkung der Schuldnerin bedurft, ohne dass berücksichtigt worden sei, dass bei einer Zuspitzung, wie sie vom LG nicht ausgeschlossen worden sei, ein Suizidgefährdeter nicht mehr in der Lage sei, sich selbst Hilfe zu organisieren. Von daher hätte das LG für diesen Fall die vom LG für geeignet gehaltenen ambulanten Maßnahmen zur Begegnung der konkreten Suizidgefahr auch für den Fall, dass die Schuldnerin die Konfliktsituation nicht mehr selbst beherrschen kann, sicherstellen müssen.

Vor diesem Hintergrund wurde der Beschluss des LG aufgehoben. Das LG habe nun neue Feststellungen zur aktuellen Situation der Schuldnerin zu treffen und dürfe unveränderter Sachlage die Einstellung des Verfahrens nur ablehnen, wenn es sicherstelle, dass das „Setting“ aus ambulanter und medikamentöser Behandlung besteht und funktioniert.

BGH, Beschluss vom 19.09.2019 - V ZB 16/19 -