Immer wieder müssen sich die
Gerichte mit der Frage der Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen
Suizidgefahr bei den jeweiligen Schuldnern im Zusammenhang mit Räumungs- und Zwangsversteigerungsmaßnahmen
auseinandersetzen. Vorliegend betrieben die Gläubiger die Zwangsversteigerung
einer Immobilie der Schuldnerin und erhielt am 24.08.2017 der Ersteher den
Zuschlag. Die Schuldnerin legte gegen den Zuschlagsbeschluss unter Verweis auf
eine Suizidgefahr bei ihr Beschwerde ein. Nach Gutachteneinholung vertrat das
Landgericht (LG) als Beschwerdegericht die Auffassung, der Suizideinwand habe
nicht das für eine Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses und Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens
notwendige Gewicht; die Schuldnerin habe
während des Beschwerdeverfahrens therapeutische Hilfe erhalten, weshalb sie
Interventions- und Hilfemöglichkeiten selbst formulieren könne und ein Suizid
eher unwahrscheinlich sei. Es bestünde für den Fall der Bestätigung des
Zuschlagsbeschlusses (Anm: Auf Grund desselben kann der Ersteher die zwangsweise
Räumung betreiben) keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen Suizid.
Auf die zugelassene
Rechtsbeschwerde hob der BGH den Beschluss auf und verwies das Verfahren an das
Beschwerdegericht zurück.
Richtig habe zwar das LG erkannt,
dass einer Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss nach § 100 Abs. 3 iVm. 83
Nr. 6 ZVG stattzugeben sei, wenn wegen eines Vollstreckungsschutzantrages des
Schuldners nach § 765a ZPO der Zuschlag wegen einer bereits mit dem Eigentumsverlust
verbundenen konkreten Gefahr für das Leben des Schuldners (oder eines nahen
Angehörigen) nicht erteilt werden dürfe oder wenn die ernsthafte Gefahr einer
Selbsttötung des Schuldners während des Beschwerdeverfahrens zu Tage trete.
Zwar sei deshalb die Zwangsversteigerung
nicht ohne Weiteres einzustellen bzw. aufzuheben. Im Hinblick auf die Wahrung der
ebenfalls grundrechtlich geschützten Interessen des Gläubigers als auch des
Erstehers sei zu prüfen, ob der Gefährdung von Leben und Gesundheit des
Schuldners auch anders als durch Einstellung oder Aufhebung der
Zwangsersteigerung wirksam begegnet werden könne.
Dies setze aber voraus, dass das
Gericht die Geeignetheit der in Betracht gezogenen Maßnahmen sorgfältig prüfe
und deren Vornahme sicherstelle. Daran fehle es vorliegend jedenfalls in Bezug
auf die Sicherstellung der geeigneten Maßnahmen.
Auch wenn das LG nur von einer „geringen
Suizidgefahr“ ausgehen würde, nehme es aber weder ein Vorspiegeln derselben
durch die Schuldnerin an noch sähe diese als so vage an, dass von einer
Verwirklichung ernsthaft nicht ausgegangen werden könne. Es weise vielmehr
darauf hin, dass einer erneuten Aktualisierung der Suizidgefahr durch ein
bestehendes „Setting“ aus Anbindung an den Therapeuten und medikamentöser
Behandlung begegnet werden könne. Damit sei eine ernsthafte Gefahr der
Selbsttötung nicht ausgeschlossen, weshalb das LG ungeachtet der schutzwürdigen
Interessen der Gläubiger an einer Fortsetzung des Verfahrens dafür hätte Sorge
tragen müssen, dass sich die mit der Fortsetzung des Verfahrens verbundene
Lebens- und Gesundheitsgefahr nicht realisiere. Durch das bestehende „Setting“
sei das LG davon nicht entbunden, da offen sei, b dies im Ernstfall funktioniert
hätte. So sei auch ein Verweis auf die für den Lebensschutz primär zuständigen
Behörden und Gerichte verfassungsrechtlich nur tragfähig, wenn das
Vollstreckungsgericht dafür Sorge trage, dass diese Stellen rechtzeitig tätig werden.
Daher dürfe das Vollstreckungsgericht
die Einstellung des Verfahrens nur ablehnen, wenn im Hinblick auf ambulante Maßnahmen
zur Bewältigung der Suizidgefahr auch diese Maßnahmen sichergestellt würden.
Dieser Anforderung habe das LG
nicht genügt. Weder habe es sichergestellt noch dafür Sorge getragen, dass die
therapeutische und medikamentöse Behandlung der Schuldnerin im Zeitpunkt der
endgültigen Entscheidung über den Zuschlag gesichert sei. Es habe nicht darauf
vertrauen dürfen, dass das „Setting“ bei einer akuten Krisensituation besteht
und wirksam wird. Dies hätte hier einer freiwilligen Mitwirkung der Schuldnerin
bedurft, ohne dass berücksichtigt worden sei, dass bei einer Zuspitzung, wie
sie vom LG nicht ausgeschlossen worden sei, ein Suizidgefährdeter nicht mehr in
der Lage sei, sich selbst Hilfe zu organisieren. Von daher hätte das LG für
diesen Fall die vom LG für geeignet gehaltenen ambulanten Maßnahmen zur Begegnung
der konkreten Suizidgefahr auch für den Fall, dass die Schuldnerin die
Konfliktsituation nicht mehr selbst beherrschen kann, sicherstellen müssen.
Vor diesem Hintergrund wurde der
Beschluss des LG aufgehoben. Das LG habe nun neue Feststellungen zur aktuellen
Situation der Schuldnerin zu treffen und dürfe unveränderter Sachlage die Einstellung
des Verfahrens nur ablehnen, wenn es sicherstelle, dass das „Setting“ aus
ambulanter und medikamentöser Behandlung besteht und funktioniert.
BGH, Beschluss vom 19.09.2019 - V ZB 16/19 -