Posts mit dem Label örtliche zuständigkeit werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label örtliche zuständigkeit werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Montag, 26. September 2022

Insolvenzantrag beim örtlich unzuständigen Gericht und Sitzverlegung in EU-Mitgliedstaat

Eine Gläubigerin beantragte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin bei dem AG Cottbus. Dort ging der Antrag am 28.10.2018 ein. Mit Beschluss vom 12.06.2019 verwies das AG Cottbus die Sache an das örtlich zuständige AG Charlottenburg. Von der Schuldnerin wurde die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bestritten. Sie hatte zum Zeitpunkt des Eingangs des Insolvenzantrages bei dem AG Cottbus hatte sie nach Handelsregistereintrag ihren Sitz im dortigen Amtsgerichtsbezirk. Dort war sie allerdings nie tätig, sondern hatte in 2017 ihr Gewerbe in Berlin angemeldet. Am 24.04.2019 übertrug der geschäftsführende Alleingesellschafter seine Anteile an der Schuldnerin auf eine in Polen ansässige Person, der Sitz der Gesellschaft wurde zeitgleich nach Berlin verlegt und eine in Polen ansässige Person zur Geschäftsführerin bestellt. Diese teilte dem Insolvenzgericht (AG Charlottenburg) mit Datum vom 25.07.2019 mit, sie führe die Geschäfte der Schuldnerin ausschließlich von Polen aus.

Mit Beschluss vom 08.07.2019 wies das AG - Insolvenzgericht - Charlottenburg den Eröffnungsantrag mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse ab. Die dagegen von der Schuldnerin eingelegte Beschwerde wurde zurückgewiesen, ebenso die gegen die Zurückweisung zugelassene Rechtsbeschwerde zum BGH, mit der die Schuldnerin die Zurückweisung des Eröffnungsantrages als unzulässig begehrte.

Der BGH verwies darauf, dass sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichts nach Art. 3 der Verordnung (EU) 2015/848 vom 20.05.2015 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) richte. Danach seien die Gerichte des Mitgliedsstaates der EU für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen habe. Entscheidend sei danach der Zeitpunkt der Antragstellung, wenn der Schuldner nach Antragstellung, aber vor einer Entscheidung über den Antrag über die Eröffnung des Insolvenzantrages diesen Mittelpunkt in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats verlege (EuGH, Urteile vom 17.01.2006 - C-1/04 - und vom 24.03.2022 - C-723/20 -).

Der Mittelpunkt habe sich hier zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrages bei dem AG Cottbus in Deutschland, nämlich Berlin, befunden. Erst durch die Transaktion der Anteile an der Schuldnerin, und Änderung der Geschäftsführung habe die Schuldnerin, deren satzungsmäßiger Sitz weiterhin in Deutschland lag, die Geschäfte von Polen aus fortgeführt.

Es käme nicht darauf an, dass der Antrag bei dem örtlich unzuständigen Gericht AG Cottbus und nicht bei dem zuständigen Amtsgericht in Berlin gestellt worden sei. Ein Insolvenzantrag würde nach dem (insoweit maßgeblichen) deutschem Recht mit dem Eingang bei dem zuerst angerufenen Gericht anhängig. Mit der Verweisung durch das örtlich unzuständige an das örtlich zuständige Gericht würde kein neues Eröffnungsverfahren begründet, sondern das Verfahren bei dem dann örtlich zuständigen Gericht lediglich fortgesetzt.

Der vorliegende europäische Bezug würde daran nichts ändern, da die EuInsVO nur die internationale Zuständigkeit regele (§ 26 EuInsVO), nicht aber die sachliche und örtliche Zuständigkeit im Mitgliedstaat.  Dies entspräche auch Sinn und Zweck der EuInsVO über Insolvenzverfahren, deren Ziel die Verhinderung der Verlagerung von Vermögensgegenständen oder Rechtsstreitigkeiten von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verhindern, um so eine verbesserte Rechtslage zu erhalten. Damit würde die nach den Erwägungsgründen drei und acht der EuInsVO gewollte Effizienz und Wirksamkeit grenzüberschreitender Verfahren beeinträchtigt, da der Gläubiger gezwungen wäre, gegen den Schuldner immer wieder dort vorzugehen, wo dieser sich gerade für kürzere oder längere Zeit niederlasse, was zu einer Verlängerung des Verfahrens führen könnte (EuGH, Urteil vom 24.03.2022 - C-723/20 -). Selbst wenn der Eröffnungsantrag in einem Mitgliedstaat bei dem örtlich unzuständigen Gericht erhoben würde, soll dem Schuldner nicht die Möglichkeit zu einem Wechsel der internationalen Zuständigkeit gegeben werden.

Anmerkung: Die hier vorliegende Problematik hat ihren Hintergrund in dem Umstand, dass der satzungsmäßige Sitz nicht identisch mit dem Sitz der Verwaltung sein muss. Innerhalb der EU kann daher eine Gesellschaft zwar ihren Sitz z.B. in Berlin haben, ihren Verwaltungssitz aber in Frankreich oder Polen. Der Verwaltungssitz ist der o.g. Mittelpunkt, weshalb sich die Zuständigkeit auch für Insolvenzverfahren danach orientiert. Diesen Umstand wollte sich hier offensichtlich die Schuldnerin nutzbar machen, indem sie den Verwaltungssitz nach Polen verlagerte, um so die internationale Zuständigkeit der deutschen Insolvenzgerichte auszuschließen, da mit der Eröffnung des Insolvenzverfahren als auch, wie geschehen, durch die Versagung der Eröffnung mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse die Gesellschaft nicht mehr werbend tätig werden kann.

BGH, Beschluss vom 07.07.2022 - IX ZB 14/21 -

Freitag, 7. Februar 2020

Ausschließlicher Gerichtsstand des § 29a ZPO für lediglich aus dem Mietvertrag verpflichtete Dritte


In dem mit einer Kommanditgesellschaft (KG) abgeschlossenen Mietvertrag hatte sich diese für den Fall, dass sie für den Fall der Nichterbringung von bestimmten Ausbauleistungen zur Zahlung einer Vertragsstrafe an den Vermieter verpflichtet. Nach Abschluss des Mietvertrages ging das Mietverhältnis auf Vermieterseite auf die Klägerin über. Streitig war, ob es einer Gerichtsstandbestimmung für die Klage gegen den  nicht am Ort der Mietsache und außerhalb deren Gerichtsbezirk wohnhaften Komplementär bedarf. Das BayObLG war zur Gerichtsstandsbestimmung zuständig (§ 36 Abs. 2 ZPO iVm. § 9 EGZPO).

Das BayObLG lehnte eine Gerichtsstandbsstimmung ab.

Sei für einen der beteiligten Streitgenossen ein ausschließlicher besonderer Gerichtsstand gegeben, greife auch § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO:

„(1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt:
3. wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist“

Die sei für die Mieterin (KG) das nach § 29a Abs. 1 ZPO das LG Memmingen, da diese Norm auf das Gericht verweist, in dessen Bezirk sich die Mietsache befindet. Da der Komplementär nicht in diesem Bezirk wohnhaft sei, wurde der Antrag auf Gerichtsstadsbestimmung gestellt.

Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung wurden allerdings vom BayObLG gleichwohl negiert. Zwar sei der Komplementär nicht Partei des Mietvertrages. Allerdings seien auch Dritte in den Anwendungsbereich des § 29a ZPO einbezogen, wenn sie aus dem Mietvertrag und nicht aufgrund eines selbständigen Vertrages hinsichtlich des Mietverhältnisses verpflichtet sind (BGH, Beschluss vom 16.12.2003 – X AZR 270/03 -). Der Komplementär, der bei der KG nach Mietvertragsabschluss eintrat,  soll hier für die Verpflichtungen der KG als Mieterin akzessorisch und damit ebenso wie die Mieterin selbst aus dem Mietvertrag haften (§§ 162 Abs. 2 iVm. 128 HGB). Anders wurde dies vom OLG Köln (Beschluss vom 10.02.2000 – 1 W 114/99 – für den Kommanditisten gesehen. Da der Komplementär – so das BayObLG – wie der Mieter selbst aus dem Mietvertrag gegenüber dem Vermieter haftet, bedürfe es keiner Gerichtsstandsbestimmung, da für ihn auch originär der Gerichtsstand des § 29a Abs. 1 ZPO gelte und sich die Verpflichtung zu Ausbaumaßnahmen sowie, für den Fall der Nichtdurchführung, die Verpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe direkt aus dem Mietvertrag ergebe.

Von daher käme es vorliegend auch nicht darauf an, dass es auf Seiten des Vermieters zu einer Rechtsnachfolge gekommen sei (nach § 398 BGB oder nach § 566 BGB). § 29a ZPO erfasse nicht nur Ansprüche aus den Hauptpflichten des Mietvertrages, sondern auch die Erfüllung vertraglicher Nebenpflichten sowie Schadensersatzansprüche aus Verletzung vertraglicher Nebenpflichten.

BayObLG, Beschluss vom 19.11.2019 - 1 AR 109/19 -

Donnerstag, 15. August 2019

Steuerrecht: Bindungswirkung der vom unzuständigen Finanzamt erteilten verbindlichen Auskunft


Die Klägerin war Kommanditistin der Beigeladenen (einer GmbH & Co. KG). Nachdem die Beigeladene hatte nach Veräußerung eines Grundstücks eine Rücklage nach § 6b EStG gebildet. Da die Beigeladene über kein Ersatzwirtschaftsgut verfügte, plante die Klägerin im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft den Bau von Tiefgaragenplätzen und wollte zum Zwecke der Übertragung der Rücklage die Fristverlängerung auf sechs Jahre gem. § 6b Abs. 3 S. 3 EStG in Anspruch nehmen. Sie stellte deshalb im Juni 2008 bei dem für sie betreffend der einheitlichen und gesonderten Feststellung zuständige Finanzamt (FA) S. einen Antrag auf verbindliche Auskunft unter Darlegung der Umstände. Das FA S. erteilte unter Bezugnahme auf die Darstellung der Klägerin die gebührenpflichtige verbindliche Auskunft, dass die Rücklage, soweit sie auf die Klägerin entfällt, in deren Gesamthandsvermögen übertragen werden könne. Auch die vorgesehene buchhalterische Abwicklung entspräche den Richtlinien. Sofern die „formalen Voraussetzungen des § 6b Abs. 4 EStG eingehalten werden, werde die Übertragung anerkannt“. Die Beigeladene löste die Rücklage auf und buchte den auf die Klägerin entfallenden Betrag ertragsneutral unter Zuschreibung zum Gesellschafterdarlehen aus und führte die Rücklage in ihren Bilanzen fort.

Im Rahmen einer bei der Beigeladenen durchgeführten steuerlichen Außenprüfung wurde die steuerneutrale Übertragung der anteiligen Rücklage nicht anerkannt. Die Auskunft des örtlich unzuständigen FA S. entfalte keine Bindungswirkung, da die Umstellung des Wirtschaftsjahres bei der Beigeladenen nicht mitgeteilt worden sei und das zuständige FA, der Beklagte des Verfahrens, nicht beteiligt worden sei. Der Auflösungsbetrag sei daher steuerpflichtiger Gewinn der Klägerin. Der Beklagte daher seinen unter Nachprüfungsvorbehalt stehenden Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen den Gewinn der Beigeladenen hinsichtlich des Gewinnanteils der Klägerin, indem es die Rücklage nach § 6b EStG auch für die Klägerin zinswirksam auflöste. Der Einspruch der Klägerin wurde zurückgewiesen. Hiergegen erhob die Klägerin Klage.

Das Finanzgericht (FG) stellte zunächst die Zulässigkeit der Klage fest und machte sodann Ausführungen zu einer Rücklage nach § 6b EStG. Im Hinblick auf den Zeitraum sei zwar die Rücklage, wenn sie am Schluss des vierten bzw. sechsten Jahres nach ihrer Bildung noch vorhanden sei, grundsätzlich gewinnerhöhend aufzulösen. Hier hätten die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Reinvestitionsfrist von vier auf sechs Jahre (bei der Klägerin) vorgelegen. Einzig kontrovers sei, ob die Rücklage bei der Beigeladenen gewinnneutral hätte aufgelöst werden und auf die Klägerin als Mitunternehmerin übertragen werden dürfen, bevor die Herstellung des Reinvestitionsgutes abgeschlossen war  und ohne auf Seiten der Beigeladenen eine Ergänzungsbilanz für die Klägerin zu bilden. Dies ergäbe sich, unbeschadet der materiell-rechtlichen Richtigkeit (BFH, Urteil vom 22.11.2018 - VI R 50/16 -) aus der verbindlichen Auskunft des FA S.

§ 89 Abs. 2 S. 1 AO sehe vor, dass Finanzämter auf Antrag verbindliche Auskünfte über eine steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilen, wenn in Ansehung der steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse bestünde. Diese Auskünfte seien für die Besteuerung des Antragstellers verbindliche (§ 2 Abs. 1 S. 1 StAuskV) Verwaltungsakte, die nach § 133 BGB zu beurteilen seien. Sie würden mit Bekanntgabe wirksam, §§ 124 Abs. 1 S. 1 AO iVm. 122 AO) und eine Rechtswidrigkeit sei grundsätzlich ohne Bedeutung. Nur eine Nichtigkeit käme in Betracht (§§ 124 Abs. 3, 125 Abs. 1 AO), der einen besonders schwerwiegenden Fehler voraussetze und offenkundig sein müsse (BFH, Urteil vom 12.08.2015 - I R 45/14 -). Eine verbindliche Auskunft durch das FA S. in diesem Sinne sei zu bejahen.

Die Nichtangabe des Wirtschaftsjahres bei der Beigeladenen sei ohne Bedeutung, da lediglich die Verlängerung der Reinvestitionsfrist von vier auf sechs Jahre entscheidend gewesen sei, bei der hier datumsmäßig die Umstellung des Wirtschaftsjahres ohne Belang gewesen sei.

§ 2 Abs. 1 S. 1 StAuskV entfalte auch Bindungswirkung für die Klägerin in personeller Hinsicht. Es könne dahinstehen ob in Fällen eines mehrstufigen Feststellungsverfahrens der Antrag von der Beigeladenen als auch der Klägerin zu stellen gewesen sei (§§ 1 Abs. 3, 2 Abs. 3 StAuskV, § 178 Abs. 2 S. 2 AO), wobei das FG von einer alleinigen Antragsbefugnis der Klägerin in Ansehung einer mitunternehmerbezogenen Sichtweise des § 6b EStG ausgeht, da die formelle Rechtmäßigkeit nicht die Bindungswirkung bzw. Wirksamkeit ausschließen würde (BFH, Urteil vom 12.08.2015 - I R 45/14 -).

Selbst wenn (was nicht unzweifelhaft sei) das FA S. örtlich nicht zuständig gewesen sein sollte, würde dies die Bindungswirkung nicht betreffen. Die Bindungswirkung würde nur im Falle der Nichtigkeit entfallen. Soweit in § 2 Abs. 1 S. 1 StAuskV und dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 89 ausdrücklich ausgeführt wird, dass Auskünfte unzuständiger Behörden keine Bindungswirkung entfalten würden, würde es schon in Ansehung von Art 80 Abs. 1 GG an einer tragfähigen Ermächtigungsgrundlage ermangeln. Es handele sich um einen solch fundamentalen Eingriff in die gesetzliche Regelung betreffend der Wirksamkeit von Verwaltungsakten, dass diese entweder im Gesetz selbst (§ 89 Abs. 2 AO) oder deutlich in die Ermächtigungsgrundlage hätte aufgenommen werden müssen. Auch würde die Bindungswirkung nicht deshalb entfallen, da das FA S. und nicht die Beklagte die verbindliche Auskunft erteilt habe; auch bei Steuerbescheiden, die von einer unzuständigen Behörde erlassen worden seien, könne eine Durchbrechung ihrer Bestandskraft nur bei Vorliegen entsprechender Rechtsgrundlagen erfolgen. Maßgebend sei alleine, dass sich die Verwaltungsakte auf sämtliche Steuerfestsetzungen beziehen würden. Dem entspräche auch § 2 Abs. 1 S. 1 StAuskV, da dort von der Bindung „für die Besteuerung des Antragstellers gesprochen würde.

Auch sei die verbindliche Auskunft nicht wieder aufgehoben worden. Auch eine konkludente Aufhebung sei nicht erfolgt, da das Verhalten der Betriebsprüfung dahin gegangen sei, dass die Auskunft von vornherein keine Wirksamkeit entfalte.

FG Münster, Urteil vom 17.06.2019 - 4 K 3539/16 F -