Mittwoch, 15. März 2017

Seitenabstand des überholenden Radfahrers zum überholten Radfahrer

Auch ein Radfahrer muss beim Überholen eines anderen Radfahrers einen ausreichenden Seitenabstand einhalten. § 5 Abs. 4 S. 2 StVO ist anwendbar. Darauf hat das OLG Karlsruhe verwiesen. Nach seinen Feststellungen fuhren die Parteien mit ihren Rädern in eine Richtung auf einem 2m breiten Sand-Schotter-Weg. Der Kläger Der Kläger soll dabei eine Fahrlinie etwas rechts von der Mitte des Weges eingehalten haben. Der Beklagte, der sich von hinten näherte, wollte den Kläger links überholen. Während des Überholvorgangs berührte der Beklagte den Kläger mit seiner rechten Schulter an dessen linken Schulter, worauf der Kläger stürzte und sich verletzte.

Das OLG führte aus, dass es keine festen Regeln für den Sicherheitsabstand zwischen zwei Radfahrern nach § 5 Abs. 4 S. 2 StVO gäbe, vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen sei. Zwar könne der überholender Radfahrer einen geringeren Seitenabstand als ein PKW, da die Gefahren geringer wären als bei einem mit erheblicher Geschwindigkeit fahrenden PKW; allerdings müsse er auch mit mehr oder minder unvermittelten Schwankungen des überholten Radfahrers rechnen, wobei auch zu berücksichtigen sei, dass der überholte Radfahrer nicht durch Motorengeräusche, wie bei einem PKW, vorgewarnt würde. Vorliegend sei zudem zu berücksichtigen, dass sich die Radfahrer auf einem unebenen Sand-Schotter-Weg befanden, nicht auf einer asphaltierten Fläche.

Es käme für den notwendigen Seitenabstand nicht auf den Abstand der Fahrlinien (hier: 89 cm für den Beklagten vom rechten Fahrbahnrand, für den Kläger 164 cm vom rechten Fahrbahnrand) an, da auch die Körperbreite zu berücksichtigen sei, die rechts und links über die Fahrlinie rage. Bei Annahme einer Ellenbogenbreite beider Radfahrer jeweils zu einer Seite über die Fahrbahnlinie ergäbe sich dann hier lediglich ein Anstand von ca. 10cm.

Nach Angaben des Beklagten sei der Kläger kurz vor dem Überholen noch etwas nach rechts gefahren, weshalb er sich nur noch 67cm vom Wegrand entfernt befunden habe. Bei einer anzunehmenden Körperbreite von 65cm ergäbe sich hier ein Abstand von 32cm. Damit sei aber hier ein gefahrloses Überholen nicht möglich gewesen. Dabei wären die möglichen Schwankungen aus der geringen Geschwindigkeit des Klägers (nach Angaben des Beklagten 10-13 km/h) und des Belags (Sand-Schotter) zu berücksichtigen. Auch die Veränderung der Fahrlinie durch den Beklagten hätte den Kläger zur zusätzlichen Vorsicht veranlassen müssen. Auch wenn der Beklagte nach seinen Angaben geklingelt haben sollte, hätte sich nicht ergeben, dass dies von dem Kläger wahrgenommen worden sei, wobei auch der Beklagte in Ansehung von lauten Motorengeräuschen eines in der Nähe befindlichen Rasenmähers nicht annehmen durfte, der Kläger hätte dies gehört. Der Kläger hätte eine Fahrlinie 30cm weiter links fahren können, da ihm der gesamte linke Teil des Weges zum Überholen zur Verfügung stand.  

Es könne deshalb auf sich beruhen, ob der Beklagte in Ansehung von leichten Schwankungen des Klägers ganz auf ein Überholen hätte verzichten müssen oder sich vorher positiv mit dem Kläger hätte verständigen müssen.

Auch ein Mitverschulden des Klägers ließe sich nicht feststellen. Bei einem Seitenabstand von etwa 80cm zum rechten Wegesrand läge in Ansehung der örtlichen Verhältnisse noch kein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot vor, § 2 Abs. 2 StVO. Der Kläger hätte diesen Seitenabstand einhalten dürfen, um übliche Schwankungen beim Fahren auszugleichen. Der Beklagte habe zudem nicht bewiesen, dass der Kläger ihn wahrgenommen habe.

Die Berufung wurde mit Beschluss vom 04.07.2016 zurückgewiesen.

OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 30.05.2016 – 9 U 115/15 -

Mittwoch, 8. März 2017

Beschränkt die zeitliche Beschränkung der Hauptvollmacht auch die Untervollmacht ?

Der Geschäftsführer der Beteiligten zu 1. Erteilte einem Herrn P. eine auf den Zeitraum 08.08. – 09.10.2016 beschränkte notarielle Vollmacht, alle Rechtsgeschäfte im Zusammenhang mit der Veräußerung bestimmter Grundstücke vorzunehmen, Eintragungen jeder Art zu bewilligen und zu beantragen und Untervollmachten sowie Belastungsvollmachten zu erteilen. Am 08.08.2016 schloss Herr P.  einen notariellen Kaufvertrag mit der Beteiligten zu 1., in dem der Beteiligten zu 2. Eine zeitlich nicht beschränkte Belastungsvollmacht erteilt wurde. Im November 2016 bewilligte die Beteiligte zu 1. auch im Namen der Beteiligten zu 2. (unter Bezugnahme auf die Belastungsvollmacht) die Wahrung einer Gesamtbuchgrundschuld und beantragte deren Wahrung im Grundbuch. Dies wies das Grundbuchamt in einer Zwischenverfügung unter Verweis auf die zeitliche Beschränkung der Hauptvollmacht des Herrn P. darauf hin, dass es dem nicht folgen will.

Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Kammergericht (KG) statt.

Zwar könne die Untervollmacht nicht weiter gelten als die Hauptvollmacht (BGH NJW 2013, 297, 298). Es würde daher vertreten, dass bei einer zeitlich befristeten Hauptvollmacht auch die Untervollmacht entsprechend zeitlich befristet ist. Allerdings vertrete das KG die Ansicht, dass die zeitliche Befristung der Hauptvollmacht die Möglichkeit der Erteilung einer zeitlich unbefristeten Untervollmacht nicht grundsätzlich ausschließe.

Abzustellen sei auf Wortlaut und Sinn der zeitlich befristet erteilten Hauptvollmacht, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung darstelle. Außerhalb der Urkunde liegende Umstände dürften nur insoweit berücksichtigt werden, als sie für jedermann klar erkennbar wären.

Danach gelte, dass im Zweifel der Geschäftsherr nach Ablauf der zeitlichen Frist für die Hauptvollmacht die Angelegenheit wieder selbst wahrnehmen wolle. Diese Zweifel würden aber hier nicht bestehen. Es handele sich um eine Finanzierungsvollmacht für den Erwerber und es ließe sich nicht erkennen, dass der Geschäftsherr (hier die Beteiligte zu 2.) selbst anders gehandelt hätte, also die Vollmacht zeitlich befristet hätte. Die Gesamtgrundschuld diene der Abwicklung des Rechtsgeschäfts (Kaufvertrag). Während die zeitliche Befristung der hauptvollmacht auf das Hauptgeschäft, die Veräußerung, gerichtet gewesen sei, welches nach Fristablauf die Beteiligte zu 2. Wieder selbst vornehmen wollte, kann diese Interessenslage bei der reinen Abwicklung des gewollten Rechtsgeschäfts (Kaufvertrag) nicht angenommen werden; vielmehr dient hier die Belastungsvollmacht gerade der Verwirklichung des gewollten angebahnten und abgeschlossenen Vertrages, um so das Verfahren zu vereinfachen (es müssen nicht beide Kaufvertragsbeteiligten selbst mitwirken).


KG, Beschluss vom 14.02.2017 – 1 W 20/17 -

Freitag, 3. März 2017

Prozessrecht: Prozesskostenhilfeantrag im Rechtsmittelverfahren ohne Belege gestellt – und Konseuquenz der Abweisung ohne Hinweis

Der Kläger hat am Tag vor Ablauf der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Schleswig-Holsteinischen OLG unter Beifügung des von ihm ausgefüllten und unterschriebenen Formulars Prozesskostenhilfe für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren und ein sich anschließendes Revisionsverfahren beantragt.  Belege waren diesem per Telefax bei dem BGH eingegangenen Schriftsatz nicht beigefügt worden. Der BGH hat den Antrag zurückgewiesen.

Zur Begründung wurde darauf verwiesen, der Antrag ließe keine Prüfung nach § 114 Satz 1 ZPO zu, ob er nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage sei, die Kosten des Prozesses zu tragen. Es würde an der Vorlage der Belege ermangeln, die § 117 Abs. 2 S. 1 ZPO zwingend vorsieht.

Da dieser Beschluss erst am 10.11.2016 erging, der Antrag am 16.06.2016 per Telefax gestellt wurde, die Frist für die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde am 20.05.2016 ablief, war die Frist versäumt. Wäre der Antrag positiv verbeschieden worden, wäre ihm wegen der Nichtwahrung der Frist Wiedereinsetzung zu gewähren gewesen, ebenso, wenn aus sachlichen der Antrag zurückgewiesen worden wäre. Vorliegend aber führte der BGH im Rahmen der Zurückweisung des Antrages aus, der Kläger habe in Ansehung des unzureichenden Antrages nicht darauf vertrauen dürfen, dass seinem Antrag entsprochen würde, zumal bereits das OLG betreffend dem dort gestellten Antrag ebenfalls darauf hingewiesen habe, dass er (trotz einer Auflage durch das OLG) seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Ermangelung der Vorlage von Belegen  nicht glaubhaft gemacht habe.

Der BGH wies ferner darauf hin, dass er den Kläger auch darauf nicht hätte aufmerksam machen können. Denn sein Antrag sei am 16.06.2016 (einem Freitag) eingegangen, und die Frist für die Nichtzulassungsbeschwerde lief bereits am 20.06.2016 ab. Damit wäre eine Prüfung der Vollständigkeit der Prozesskostenhilfeunterlagen nicht vor Ablauf der Frist für das Rechtsmittel im normalen Geschäftsgang möglich gewesen.

Danach sei ein Hinweis nicht mehr opportun gewesen, da die Frist für das Rechtsmittel bereits abgelaufen sei und eine Wiedereinsetzung nicht möglich sei. Eine Partei, die aus eigenen Mitteln das Verfahren nicht finanzieren könne, müsse ihr vollständiges Gesuch auf Prozesskostenhilfe einschließlich der erforderlichen Unterlagen innerhalb der Rechtsmittelfrist einreichen. Ein mögliches Verschulden des Anwalts an der Unterlassung sei dem Antragsteller nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.

Anmerkung: Rechtsmittelfristen (Berufung, Revision bzw. Nichtzulassungsbeschwerde) sind sogenannte Notfristen. Werden sie nicht eingehalten, ist glaubhaft zu machen, dass ein Verschulden an der Versäumung der Frist nicht vorliegt (z.B. rechtzeitige Absendung der Rechtsmittelschrift mit der Post, der aber durch nicht zu erwartende Verzögerungen bei der Postzustellung erst verspätet beim Rechtsmittelgericht eintrifft).  Ebenfalls wird Wiedereinsetzung gewährt, wenn statt des Rechtsmittels innerhalb dieser Frist ein Prozesskostenhilfeantrag gestellt wird. Aber dieser muss vollständig sein. Ist er unvollständig, so der BGH, kann der Rechtssuchende nicht darauf vertrauen, dass er darauf hingewiesen wird und nachbessern kann. Dies jedenfalls dann nicht, wenn in einem „normalen Geschäftsgang“ (was der BGH darunter versteht, lässt er offen) nicht mehr geprüft werden konnte und ein Hinweis erteilt werden konnte. Eine Fristerstreckung kommt hier in Ansehung der Notfrist nicht in Betracht.


BGH, Beschluss vom 10.11.2016 – V ZA 12/16 -

WEG: Wichtige Gründe für Abberufung eines Verwalters

Die Wohnungseigentümergemeinschaft hatte den klagenden Verwalter „aus wichtigem Grund“   abberufen. Das Amtsgericht hatte noch der vom Verwalter dagegen erhobenen Klage stattgegeben; die Berufung der Wohnungseigentümergemeinschaft führte zur Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung und zur Klageabweisung. Das Landgericht bejahte im Berufungsverfahren aus mehreren Gründen das Vorliegen eines wichtigen Grundes, wobei es darauf Hinweis, dass ein wichtiger Grund vorliegt, wenn der Gemeinschaft die Fortsetzung der Zusammenarbeit nicht mehr zugemutet werden kann und das Vertrauensverhältnis zerstört sei, wobei die einzelnen Gründe dafür nicht einmal auf einem Verschulden beruhen müssen. Abzuwägen wären die weitere Vertragsdauer, die beiderseitigen Verursachungsbeiträge und insbesondere das Fehlverhalten des Verwalters.


a) Führen der Beschlusssammlung

Dem Verwalter wurde zum Vorwurf gemacht, die Beschlusssammlung entgegen § 26 Abs. 1 S. 4 WEG nicht korrekt zu führen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich (wie hier) nicht mehr um eine Bagatelle handelt, da die Eigentümer darauf vertrauen dürfen, dass diese Sammlung aktuell, richtig und vollständig ist. Entgegen § 24 Abs. 7 Nr. 1 WEG wäre für eine Versammlung vom 20.12.2012 nicht der Ort der Versammlung benannt worden. Auch wenn damals die Klägerin noch nicht Verwalterin war, oblag ihr doch eine Korrekturpflicht. Im übrigen sei sie der Verpflichtung zur Benennung des Versammlungsortes für die Versammlung vom 22.01.2013 selbst nicht nachgekommen. Schwerwiegend sei, dass hinsichtlich eines Beschlusses in einer Versammlung vom 13.05.2013 der Beschluss nicht im Wortlaut in der Beschlussfassung wiederzufinden ist (es fehlen ganze Textpassagen).

Der Verwalter hätte auch nicht vor der Abberufung abgemahnt werden müssen. Dies sei nach § 24 Abs. 7 WEG nicht vorgesehen (BT-Drucksache 16/887, S. 35). Auf § 626 Abs. 2 WEG (2-Wochen-Frist für Kündigung nach Kenntnis des Kündigungsgrundes) käme es hier nicht an, da es sich um einen Organisationakt handele, der nicht von § 626 Abs. 2 BGB erfasst würde.

b) Entnahme von Geldern

Der Verwalter habe Gelder von dem Konto der WEG entnommen, die ihm nicht zugestanden hätten. Zwar begründete der Verwalter die Entnahmen mit einem jeweiligen Rechtsanspruch, der allerdings hier vom Landgericht nicht gesehen wurde. Dies ging zu Lasten des Verwalters.


LG Berlin, Urteil vom 02.10.2015 – 55 S 206/14 WEG -

Montag, 27. Februar 2017

Bestand des Vorkaufsrechts einer GmbH im Grundbuch auch bei Löschung der GmbH im Handelsregister

Im Grundbuch war für eine GmbH ein dingliches Vorkaufsrecht gemäß §§ 1094ff BGB in der Form des subjektiv-persönlichen Vorkaufsrechts für alle Verkaufsfälle eingetragen, welches nicht vererblich und nicht rechtsgeschäftlich übertragbar sein sollte. Die GmbH wurde 1996 aufgelöst und die Löschung derselben in 1997 im Handelsregister gewahrt. Die Eigentümerin hat die Löschung des Vorkaufsrechts im Grundbuch bewilligt und beantragt. Das Grundbuchamt hat mit Zwischenverfügung vom 07.10.2015 in der Fassung des Beschlusses vom 06.11.2015 beanstandet, dass zur Löschung die Zustimmung eines Nachtragsliquidators der GmbH erforderlich; das Grundbuch sei nicht offensichtlich unrichtig. Hiergegen wandte sich die Eigentümerin mit ihrer Beschwerde. 

Die Beschwerde hatte einstweilen Erfolg, da nach Auffassung des OLG München eine Zwischenverfügung nicht hätte ergehen dürfen. In der Sache hat es aber bereits darauf hingewiesen, dass es der Auffassung des Grundbuchamtes folgt.

Zwar würde das Vorkaufsrecht mit Erlöschen des berechtigten nach §§ 1089 Abs. 1, 473 BGB auch erlöschen. Es sei aber lediglich belegt, dass die noch im Grundbuch eingetragene GmbH im Handelsregister gelöscht wurde. Die Löschung im Handelsregister wirke im Falle noch vorhandenen Gesellschaftsvermögens aber nur deklaratorisch. Trotz Liquidation und Löschung bestehe daher die Gesellschaft als Liquidationsgesellschaft so lange fort, solange Aktivvermögen vorhanden sei. Damit könne ein für die Gesellschaft eingetragenes dingliches Recht nicht mit der Löschung der Firma im Handelsregister untergehen. Ein Vermögenswert könne insoweit auch einem subjektiv-persönlichen Vorkaufsrecht nach § 1094 Abs. 1 BGB  innewohnen, da dieses zusammen mit dem von der Gesellschaft betriebenen Unternehmen oder Unternehmensteil ohne Zustimmung des Eigentümers rechtsgeschäftlich übertragen werden könne, §§ 1098 Abs. 3, 1059a Abs. 2 BGB. Die Art und Weise der Liquidation sei beim Grundbuchamt nicht offensichtlich und wäre auch nicht von der Eigentümerin durch Urkunden belegt. Damit käme der Fortbestand des Rechts als noch nicht verwerteter Vermögenswert in Betracht.

Auch die Löschungsvoraussetzungen nach § 23 GBO lägen nicht vor. Zwar sei hier die Vorschrift anwendbar, wenn das Recht auf die Dauer des Bestehens einer juristischen Person beschränkt ist. Die Vorschrift entbinde aber nicht von der Verpflichtung nachzuweisen, dass das Stammrecht durch Fortfall des berechtigten erloschen ist. Denn regelmäßig wäre die Beendigung einer juristischen Person ausgeschlossen, wenn sie noch als Rechtsträger eingetragen ist.


OLG München, Beschluss vom 12.05.2016 -  34 Wx 424/15 -

Freitag, 24. Februar 2017

Haftungsvoraussetzungen für Radfahrer bei fahren auf falscher Seite auf Radweg und Kollision mit Fußgänger

Der Beklagte war als Radfahrer unterwegs und wechselte von dem rechts neben der Straße (in seiner Fahrtrichtung gesehen) auf  den Radweg auf der linken Seite der Straße. Im Anschluss an den Radweg befand sich (links in Fahrtrichtung) ein Fu0weg.  Auf diesem stand die Geschädigte, die Mitglied bei der auf Aufwendungsersatz klagenden Krankenversicherung war.  Sie stand zum Radweg hin gewendet und schaute von ihr aus nach links, da sie beabsichtigte, im Bereich einer Fußgängerfurt die Straße zu überqueren. Der Beklagte sah das Mitglied der Klägerin bei seiner Annäherung, die unbeweglich war. Als er , nach seiner Angabe, mit dem Fahrrad fast den Bereich erreicht hatte, an dem sich das Mitglied der Klägerin befand, ging diese (unstreitig ohne noch einmal nach rechts zu sehen) los und direkt auf den Radweg (nach ihren Angaben), da ein PKW stoppte um ihr den Übergang über die Straße zu ermöglichen. Der Beklagte gab an, nicht mehr hätte reagieren zu können. Es kam zur Kollision, bei der sich das Mitglied der Klägerin verletzte.

Eine Haftung des Beklagten käme hier unter den Voraussetzungen des § 823 BGB in Betracht. Die Darlegungs- und Beweislast lag bei der Klägerin.

Diese hatte wesentlich darauf abgestellt, dass der Beklagte den linksseitigen Radweg benutzte und damit gegen § 2 Abs. 4 S. 4 StVO verstoßen habe. Dem folgte das Landgericht nicht. Unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des OLG Saarbrücken (NJW-RR 2015, 798) wies es darauf hin, dass diese Vorschrift nur dem Schutz des Gegen- und Überholverkehrs auf Radwegen dient und nicht dem Schutz der Fußgänger.  Dies hatte im übrigen auch bereits der BGH (in Strafsachen) in einem Beschluss vom 15.07.1986 (BGHSt 34, 127ff) ausgeführt.

Es müsste damit ein anderes schuldhaftes Verhalten des Beklagten nachgewiesen werden, welches unfallursächlich geworden wäre. Ein solche könne nach dem Landgericht darin liegen, dass der Beklagte die Gefahrensituation vorausgesehen habe oder in Ansehung der nach seinen Angaben nur in einer Entfernung von 1m zum Radweg stehenden Geschädigten zu schnell gefahren wäre. Beides hätte hier die Klägerin zu beweisen.

Der Beklagte hatte in seiner persönlichen Anhörung ausgeführt, er habe beabsichtigt, nach der Telefonzelle, vor der die Geschädigte stand, nach links auf einen Schotterweg abbiegen wollen. Deshalb habe er abgebremst und die Bremse schon wieder gelockert gehabt. Gegenteiliges hätten die klägerseits benannten Zeugen auch nicht bekundet. Der eine Zeuge habe den Vorfall selbst nicht mitbekommen (er sprach lediglich davon, dass zuvor der Beklagte eine rote Fußgängerampel „zügig“ überquert habe; diese befand sich aber 50 – 80m vor der Unfallstelle. Die Geschädigte selbst, die zwar in der schriftlichen Aussage bei der Polizei ausführte, der Beklagte sei „wohl auch zu schnell gefahren“, hatte den Beklagten aber gar nicht gesehen, da sie nicht in seine Richtung sah. Sie ging – ohne vorher sich nachrechts auf dem Radweg zu vergewissern, auf diesen. Damit sei die Einlassung des Beklagten, er habe nicht mehr reagieren können, nicht ausgeschlossen worden. Damit sei ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten nicht festzustellen.

Obwohl es auf die Schadenshöhe nicht ankam, hat das Landgericht allerdings die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie ihre Aufwendungen, trotz Hinweises auf Beklagtenseite, nicht substantiiert hätte. Die einzelnen Positionen wären nicht dargelegt worden. Auch auf eine Aufforderung durch das Landgericht sei lediglich ein umfangreiches Anlagenkonvolut überlassen worden, der aber der Aufforderung zum Vortrag nicht gerecht würde.


LG Bielefeld, Urteil vom 14.02.2017 – 2 O 98/16 -

Donnerstag, 16. Februar 2017

Tierhalterhaftung und galoppieren auf dem Abreiteplatz

Die Parteien sind Reiter und waren Teilnehmer eines Reit- und Springturniers. Sie befanden sich mit ihren Pferden zum Aufwärmen vor der Prüfung auf dem Abreiteplatz (Vorbereitungsplatz). Dieser Platz ist umgrenzt und nach den Regeln des Reitsports darf der äußere Weg nicht im Schritt beritten werden; dieser äußere Weg ist dem Trab und Galopp vorbehalten. Pferde, die im Schritt bewegt werden, müssen die inneren Bahnen (2. Und 3. Hufschlag) nutzen.

Die Klägerin ritt mit ihrem Pferd auf dem 3. Hufschlag im Galopp. Als sie an dem Pferd des Beklagten, welches im Schritt auf dem 1. Hufschlag (äußerer Weg) geritten wurde, vorbei wollte, schlug das Pferd des Beklagten nach hinten aus und verletzte die Klägerin an Bauch, rechter Hand sowie rechten Ober- und Unterarm. Das Landgericht gab der Klage mit Grundurteil statt und schloss ein Mitverschulden der Klägerin aus.

Mit seiner Berufung begehrte der Beklagte die Abänderung des Grundurteils dahingehend, dass er nur zu 50% hafte. Dieser (eingeschränkten) Berufung des Beklagten gab das Oberlandesgericht statt.

Zutreffend habe das Landgericht eine Tierhalterhaftung des Beklagten nach § 833 S. 1 BGB bejaht. Allerdings sei das Verhalten des Pferdes des Beklagten auch auf die schnelle Annäherung des Pferdes der Klägerin im Galopp zurückzuführen, womit sich auch die vom Pferd der Klägerin ausgehende Tiergefahr verwirklicht habe. Dies müsse, so das OLG, zu einer Schadensteilung führen. Die Tiergefahr des eigenen Pferdes müsse sich der Geschädigte entsprechend § 254 BGB (Mitverschulden) zurechnen lassen.  Zwar behauptete die Klägerin, dass das Pferd des Beklagten zum Austreten neige. Das aber würde eine Differenzierung der wechselseitigen Tiergefahr nicht bedingen können. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass sich die Klägerin im Galopp von hinten näherte und dadurch eine nicht unwesentliche Gefährdungsursache gesetzt habe. Sollte das Pferd des Beklagten (wie von diesem behauptet, was allerdings ohne Beweisaufnahme nicht geklärt werden könne) mit einer roten Schleife gekennzeichnet gewesen sein, würde sich der Haftungsanteil der Klägerin noch erhöhen. Bei der Abwägung sei auch nicht der Aufenthalt der jeweiligen Pferde in einer falschen Bahn zu berücksichtigen, da sich beide Pferde in der falschen Bahn befunden hätten. Diese von der Gepflogenheit abweichende Verhaltensweise hätte die Klägerin berücksichtigen können und müssen und zu besonderer Vorsicht und einem größeren, unfallvermeidendenden Sicherheitsabstand veranlassen müssen. Damit wären die Verursachungsanteile beider Pferde jedenfalls als gleichwertig anzusehen, weshalb der eingeschränkten  Berufung stattzugeben sei.

Anmerkung: Hätte der Beklagte hier mehr als 50% Mithaftung der Klägerin im Berufungsverfahren geltend gemacht, wäre es nach der Entscheidung des OLG darauf angekommen, ob das Pferd des Beklagten eine rote Schleife trug. Darüber wäre Beweis zu erheben gewesen. Da die Berufung auf eine Haftungsteilung abstellte, konnte dies auf sich beruhen.


OLG Koblenz, Urteil vom 07.01.2016 – 1 U 422/15 -