Freitag, 13. September 2024

Privatgutachterkosten (auch) für Versicherer notwendige Prozesskosten

Die Beklagte, eine Versicherungsgesellschaft, machte im Rahmen der Kostenfestsetzung nach Abschluss des streitigen Verfahrens auch von ihr aufgewandte Kosten für ein von eingeholtes privates Sachverständigengutachten geltend. Dem wurde vom Gericht entsprochen. Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss legte die Klägerseite, soweit es diese Kosten betraf, sofortige Beschwerde ein, die vom OLG als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Das OLG stelle zutreffend darauf ab, ob die Hinzuziehung eines privaten Sachverständigen für die Versicherungsgesellschaft zur (hier) Rechtverteidigung notwendig war, § 91 Abs. 2 ZPO. Dabei berücksichtigte das OLG den Umstand, dass die Beauftragung des medizinischen Sachverständigen durch die Beklagte nah Klageerhebung eggen sie im Februar 2016 erst im Juni 2018 erfolgt sei, nachdem ein für sie negatives gerichtlich eingeholtes Sachverständigengutachten vorgelegen habe.

Dabei stellte das OLG auf die Rechtsprechung des BGH ab, derzufolge darauf abzustellen sei, ob eine verständige und wirtschaftlich denkende Partei die kostenauslösende Maßnahme ex ante betrachtet als sachdienlich angesehen hätte, wobei dies insbesondere bejaht würde, wenn die Partei infolge fehlender Sachkenntnisse ohne die Einholung eines Privatgutachtens nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage wäre und mithin – liegt wie hier ein negatives Gerichtssachverständigengutachten vor – dieses selbst nicht zu erschüttern vermag (BGH, Beschluss vom 20.12.2011 - VI ZB 17/11 -). Vorliegend habe auch von einem größeren Versicherungsunternehmen nicht erwartet werden können, dass insoweit interne Sachkunde vorgehalten würde (es ging um Fragestellungen im Zusammenhang mit der Schädigung des Sehnervs); der BGH hatte diesbezüglich zu einem Versicherungskonzern entschieden.  

Die Beklagte habe die schriftliche Stellungnahme des privaten Sachverständigen zur Akte gereicht und zur Grundlage ihrer Stellungnahme gemacht. Ob das Gutachten schließlich Eingang in das Urteil findet oder nicht, sich also positiv für die Partei auswirkt oder nicht, sei nicht entscheidend.

Es sei auch nicht zu beanstanden, dass der Rechtspfleger den Stundensatz des privaten Sachverständigen bei der Festsetzung berücksichtigte. Für den privaten Sachverständigen seien nicht die Stundensätze nach dem JVEG maßgeblich, welches auch nicht entsprechend angewandt werden könne. (BGH, Beschluss vom 25.01.2007 - VII ZB 74/06 -). Lediglich bei einer erheblichen Abweichung sei eine besondere Darlegung der Notwendigkeit von Gebühren in dieser Höhe erforderlich (BGH aaO.), was hier nicht vorläge.

OLG Köln, Beschluss vom 02.04.2024 - I-17 W 42/24 -

Montag, 9. September 2024

Unverhältnismäßigkeit von Mängelbeseitigungsaufwand

Unstreitig war, dass der Klägerin ein Restwerklohn der in Höhe von € 13.170,83 zustand. Die Beklagten machten allerdings von ihrem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch (§ 641 Abs. 3 BGB), weshalb das OLG eine Verurteilung zur Zahlung lediglich Zug um Zug gegen eine benannte Mängelbeseitigung (Dusche im Kinderbad) tenorierte.

Zwischen den Parteien eines Bauwerkvertrages war streitig, ob die Dusche im Kinderbad im Hinblick auf die geschuldete Breite einen Mangel aufwies. Diese hätte nach einem Sachverständigengutachten ein Rohbaumaß von 90cm haben müssen, welches durch Bekleidungen von Putzen, Klebern und Fliegenbelägen auf eine lichte Breite von 87cm reduziert gewesen wäre. Diese geschuldete Breite sei bei tatsächlich erreichten 79,4 cm nicht gegeben. Mit einer Abweichung von ca. 10% stelle sich diese als so erheblich dar, dass man nicht mehr von bauüblichen Toleranzen sprechen könne. Zudem sei die Breite einer Dusche von erheblicher Bedeutung für die Benutzung, wenn sie – wie hier – in einer Nische läge. Da dieser Mangel bei Abnahme gerügt worden sei und Abhilfe unter Fristsetzung verlangt worden sei, lägen die Voraussetzungen für einen Nacherfüllungsanspruch vor, §§ 640 Abs. 3, 634 Nr. 1,  635 Abs. 1 BGB.

Der Sachverständige habe die Kosten der Mängelbeseitigung mit € 7.500,00 netto beziffert. Dies sei auch im Hinblick auf das Interesse der Beklagten an der besseren Nutzbarkeit auch noch unverhältnismäßig iSv. § 635 Abs. 3 BGB. Das doppelte dieser Kosten (€ 15.200,00) könne als Zurückbehaltungsrecht der Klageforderung entgegengehalten werden.

Ein weiteres beklagtenseits geltend gemachtes Zurückbehaltungsrecht wurde aber vom OLG negiert. Zwar weise der Dachdrempel im Mittel nur eine Höhe von 1,79m (verbunden mit einer reduzierten Wohnfläche von 1,26qm) auf und auch im Übrigen sei die Nutzbarkeit dadurch beeinträchtigt, dass die Räume zur Wand hin niedriger seien. Auch dies stelle einen Mangel dar, der ebenfalls bei Abnahme gerügt worden sei und für den unter Fristsetzung Abhilfe gefordert worden sei. Nach Ansicht des OLG greife hier aber der Unverhältnismäßigkeitseinwand der Klägerin nach § 635 Abs. 3 BGB: Das OLG stellte darauf ab, ob ein nach den Umständen objektiv geringes Interesse des Bestellers an einer Mangelfreiheit einem ganz erheblichen und vergleichsweise unangemessenen Kostenaufwand gegenüberstünde. Dabei sei zu Lasten des Auftragnehmers auch zu berücksichtigen, ob und in welchem Ausmaß ein Verschulden bei ihm vorläge. Das Verlangen einer Vertragserfüllung ohne Rücksicht auf den erforderlichen Aufwand könne sich als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen (BGH, Urteil vom 06.12.2011 - VII ZR 241/00 -).

Vorliegend würde der erforderliche Sanierungsaufwand zur Herstellung des vertragsgerechten Zustandes (Drempelhöhe) netto € 264.000 (brutto € 314.160,00) betragen. Hinzu kämen noch Kosten zur Einlagerung und zum Wiederaufbau von Möbeln und Kosten für Ersatzwohnraum für die Bauzeit (was dann insgesamt brutto € 331,760,00 ergäbe. Der Preis für die Errichtung des Einfamilienhauses ehedem (2019) habe bei € 358.550,00 gelegen. Bereinigt um die Baukostensteigerungen seither (ca. 25%) verblieben immer noch statt € 314.160,00 zumindest Kosten von 234.620,00 zuzüglich der weiteren Kosten (insgesamt dann € 253.220,00).

Je erheblicher der Mangels ei, umso geringer sei die Bedeutung der Kosten.

Vorliegend sah das OLG zwar eine „gewisse Höheneinschränkung“ durch den niedrigeren Drempel, doch könne dort die Dusche „ohne Neigung des Kopfes“ (mit Ausnahme bei mittigen Durchschreiten der Öffnung) betreten werden, lege man die Durchschnittsbreite einer erwachsenen Person zugrunde (625mm). Damit läge nur eine geringe Komforteinschränkung bei der Nutzung der Dusche vor. Ebenso würde sich die um 1,26qm reduzierte Wohnfläche und eine Nutzungseinschränkung dadurch, dass eine größere Person nicht ganz so nahe an die Außenwand treten könne, im Ergebnis nicht als so erheblich darstellen, dass die genannten Kosten der Mängelbeseitigung hierzu nicht außer Verhältnis stehen würden. Dabei stellte das OLG darauf ab, dass die Flächen unter der Schräge zum Abstellen von Gegenständen, für Möbel und zum Sitzen oder Liegen nahezu ohne Einschränkung verwandt werden könnten. Zudem sei in Ansehung eines Ausgangsfehlers des Architekten ein Verschulden der Klägerin als nur gering anzusehen. Hinzu käme weiterhin, dass durch eine Planänderung teilweise Abhilfe geschaffen worden sei, worin zwar kein Verzicht auf weitere Mängelrechte gesehen werden könne, was aber dazu führen würde, dass ein Bestehen auf der vollständigen Vertragserfüllung mit den damit verbundenen Kosten und bei Berücksichtigung aller Umstände als unverhältnismäßig anzusehenden Kosten  treuwidrig wäre.

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 03.07.2024 - 12 U 63/22 -

Freitag, 6. September 2024

Einberufung der Gesellschafterversammlung einer PartG mbB durch Nichtberechtigten

Der PartG mbB (Partnerschaftsgesellschaft bestehend aus Rechtsanwälten) gehörten neben dem Kläger die Beklagten zu 1 und 4, zeitweise auch die Beklagten zu 2 und 3 als Partner an. Nach dem Gesellschaftsvertrag war die Partnerversammlung vom Managing Partner einzuberufen. Der Beklagte zu 4 berief zu einer Partnerversammlung ein, deren Tagesordnung den Ausschluss des Klägers vorsah. Der Ausschlussbeschluss wurde mit den Stimmen der Beklagten zu 1 bis 4 in Abwesenheit des Klägers gefasst. Der Kläger erhob Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses. Die Klage wurde ebenso wie die dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen. Auf die vom BGH zugelassene Revision wurde das Urteil aufgehoben und der Rechtstreit an das Berufungsgericht (OLG Frankfurt) zurückverwiesen.

In der Partnerschaftsgesellschaft würden die zum Personengesellschaftsrecht entwickelten Grundsätze zur Behandlung von Beschlussmängeln gelten (BGH, Urteil vom 19.04.2013 - II ZR 3/12 -). Die Einberufung durch einen Unbefugten würde bei der Personengesellschaft zur Nichtigkeit der auf der Gesellschafterversammlung gefassten Beschlüsse führen (BGH, Urteil vom 13.05.2014 - II ZR 250/12 -). Diese Rechtsfolge habe das OLG hier mit der Begründung nicht angenommen, da weder dargetan noch ersichtlich wäre, dass bei Ladung durch den Managing Partner der Beschlussinhalt ein anderer gewesen wäre. Dem wollte der BGH nicht folgen.

Die Rechtsprechung vor der Reform durch das Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz (vom 10.08.2021, in Kraft seit dem 01.01.2024) habe eine Nichtigkeit wegen Fehlern bei der Form, Frist und Inhalt einer Einberufung bei Verletzung des Dispositionsschutzes ausgeschlossen, wenn nicht ausgeschlossen werden konnte, dass das Zustandekommen des Beschlusses durch den Fehler nicht beeinflusst sei. Diese Rechtsprechung sei aber nicht auf die Einberufung durch einen Unbefugten übertragbar. Dessen Einberufung würde nach der ständigen Rechtsprechung rechtsformübergreifend stets die Unwirksamkeit der Einladung und damit die Nichtigkeit der auf der Versammlung gefassten Beschlüsse zur Folge haben (BGH, Urteil vom 16.12.1953 - II ZR 167/52 -). In diesen Fällen läge nicht ein bloßer Formmangel vor, vielmehr fehle ein Mindesterfordernis der Gesellschafterversammlung, weshalb die Ladung durch einen Unbefugten einer Nichtladung gleichkäme. Die Beachtung der Ladungsbefugnis diene der Sicherung eines für jeden Gesellschafter unverzichtbaren Gesellschaftsrechts, seines Teilnahmerechts an der Gesellschafterversammlung und der damit verbundenen Willensbildung der Gesellschaft; auf die Ladung eine Unbefugten müsse er nicht reagieren.

Dass es sich vorliegend um eine personalistisch geprägte Gesellschaft handelte, sah der BGH in Ansehung des Gewichts der drohenden Rechtsbeeinträchtigung nicht als Grund für eine Abweichung von diesen Grundsätzen an. Insoweit verwies der BGH auch auf die Aktiengesellschaften und die GmbH (bei der nach ständiger Rechtsprechung aktienrechtliche Grundsätze übertragen würden), bei denen die Nichtigkeit der Beschlüsse auf einer von einem Unbefugten geladenen Gesellschafterversammlung in § 241 Nr.1, § 121 Abs. 2 AktG ihren Niederschlag gefunden hätten, unabhängig davon, ob es sich um einen kleinen oder großen Gesellschafterkreis handele.     

Da sich der Kläger darauf berufen habe, dass der Beklagte zu 4 nicht Managing Partner gewesen sei, das Berufungsgericht dazu aber keine Feststellungen getroffen hatte (fehlerhaft davon ausgehend, dass es hier darauf nicht ankommen würde), war das Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zurück zu verweisen.

BGH, Urteil vom 16.07.2024 - II ZR 100/23 -

Montag, 2. September 2024

Zahlung des Haftpflichtversicherers an nichtberechtigten Fahrzeugführer/-halter

Bei der Klägerin handelte es sich um eine Leasinggesellschaft. Am 07.05.2021 ereignete sich ein Verkehrsunfall, an dem das bei der beklagten Haftpflichtversicherung (Pflichtversicherung) und der nach Angaben der Klägerin von ihr verleaste BMW beteiligt waren. Zunächst wurden nach nah dem Verkehrsunfall über eine Anwaltskanzlei für eine Z. GmbH Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung des BMW gegenüber der Beklagten geltend gemacht, die von der Beklagten reguliert wurden. Sodann machte die Klägerin Schadensersatzansprüche mit der Behauptung geltend gemacht, sie sei Eigentümerin des BMW und es habe mit der Z GmbH ein Leasingvertrag bestanden.  geltend, die von der Beklagten zurückgewiesen wurden. Das Landgericht hat einen Anspruch der Klägerin gegen die beklagte bejahrt und der im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten wurde das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kernpunkt der rechtlichen Auseinandersetzung war, ob die Beklagte mit befreiender Wirkung an die Z. GmbH zahlen konnte. Unter Verweis auf § 851 BGB wurde dies vom Berufungsgericht bejaht. Danach könne ein Deliktsschuldner mit befreiender Wirkung an den Besitzer einer beweglichen Sache Ersatz leisten, wenn er ihn gutgläubig für den Eigentümer halte. Nach § 851 BGB würde die Redlichkeit des Ersatzleistenden Schädigers vermutet, weshalb die Beweislast für dessen Bösgläubigkeit zum Zeitpunkt der Leistung den wahren Eigentümer bzw. Inhaber eines dinglichen Rechts treffe, der den Schädiger seinerseits ein zweites Mail in Anspruch nehme und gegen den sich der Schädiger nach §§ 361, 851 BGB verteidige (OLG Saarbrücken, Urteil vom 10.05.2011 - 4 U 261/10 -).

Die Z. GmbH sei als Leasingnehmer (und damit nicht Eigentümerin) eine Nichtberechtigte. Sie habe das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalls allerdings in ihrem Besitz gehabt. Entsprechend der Wertung in § 1006 Abs. 3 BGB gelte § 851 BGB sowohl für den unmittelbaren wie auch den mittelbaren Besitz (OLG Saarbrücken aaO.), weshalb es vorliegend ohne Bedeutung sei, dass die Z. GmbH als Leasingnehmerin im Zeitpunkt des Schadensereignisses infolge des unmittelbaren Besitzes des faktischen Fahrzeughalters C. nur mittelbare Besitzerin gewesen sei. Auch wenn im Leasingvertrag die „Z. GmbH i.G. stand, habe der Senat infolge der gleichen Anschrift und Firmierung keine Zweifel, dass eine Identität vorläge. Auch auf Haftpflichtschäden nach §§ 7, 18 StVG ei § 851 BGB anzuwenden (OLG Saarbrücken aaO.).

Für eine Bösgläubigkeit der Beklagten iSv. § 851 BGB sei der gleiche Maßstab wie für § 932 Abs. 2 BGB anzulegen. Der Ausschluss der befreienden Wirkung greife also bei Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis. Grobe Fahrlässig in Bezug auf die Kenntnis des Rechts des Dritten läge vor, wenn der Ersatzpflichtige die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und dasjenige nicht beachtet habe, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urteil vom 13.04.1994 - II ZR 196/93 -). Der gute Glaube des Ersatzpflichtigen müsse zum Zeitpunkt der Leistung vorliegen, spätere Erkenntnisse seien unschädlich.  

Unstreitig kannte die Beklagte zum Zeitpunkt der Leistung die Eigentümerstellung der Klägerin nicht. Die Klägerin habe auch nicht den Nachweis geführt, dass ihr das Eigentum der Klägerin infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben sei.

Eine grobe Fahrlässigkeit wegen einer nicht verlangten Vorlage der Zulassungsbescheinigung Teil II und einer unterbliebenen Einsichtnahme in die Ermittlungsakte negierte das Berufungsgericht. Der Vorgang sei nicht vergleichbar demjenigen bei einem gutgläubigen Erwerb eines Fahrzeugs. Bei der Regulierung von Verkehrsunfällen würde die von § 851 BGB intendierte zügige Schadensabwicklung verzögert, würde der Haftpflichtversicherer zunächst einen Eigentumsnachweis des Geschädigten fordern. Auch der Umstand, dass in der heutigen Wirtschaftspraxis die Aufspaltung von Nutzungs- und Eigentumsrecht eher der Regalfall sei, dürfe grob fahrlässige Unkenntnis von der Nichtberechtigung des Besitzers nicht pauschal bejaht werden, wenn ohne Vergewisserung zur Eigentumslage gezahlt würde und keine Anhaltspunkte ersichtlich seien, dass es sich bei dem Unfallwagen um Vorbehaltsware oder ein Leasingfahrzeug handele (OLG Saarbrücken aaO.).

Die Formulierung in dem anwaltlichen Anspruchsschreiben zu dem „Pkw des Mandanten“ deute nach dem üblichen Sprachgebrauch auf eine Eigentümerstellung hin, weshalb auch aus dieser Formulierung nicht grob fahrlässig ein fehlendes Eigentum nicht erkannt worden sei. Zu der Formulierung und das Verständnis im allgemeinen Sprachgebrauch verweist das Berufungsgericht auf eine Entscheidung des KG Berlin vom 04.03.1976 - 22 U 1946/ 75 – (wonach dort zusätzlich vom Halter gesprochen wurde) und eine Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 09.03.1992 - 1 U 70/91 – hin (nach der allerdings der Anspruchsteller auch als Eigentümer bezeichnet worden sei). Anmerkung: Das Berufungsgericht weist zutreffend an anderer Stelle auf die heutige Wirtschaftspraxis hin, nach der zunehmend Nutzungsrecht und Eigentum an einem Kfz auseinanderfallen, was zum Zeitpunkt der von ihm benannten Entscheidungen in diesem Umfang noch nicht der Fall war. Da der „allgemeine Sprachgebrauch“ einer tatsächlichen Rechtslage häufig nicht gerecht wird, man zudem von einem Anwalt verlangen sollte, sich rechtlich klar auszudrücken, erscheint es bedenklich, jedenfalls und konkrete Nachfrage zum Eigentum und einer Bejahung durch die anwaltlich vertretene Anspruchstellerseite eine grobe Fahrlässigkeit zu negieren, da an sich einsichtig ist, dass eine Termins wie „Pkw meines Mandanten“ auch bewusst verwandt worden sein könnte, um gerade die fehlerhafte Behauptung von Eigentum zu vermeiden.

Neben der benannten Formulierung verwies aber das Berufungsgericht ergänzend darauf, dass verbliebene Zweifel des Sachbearbeiters der Haftpflichtversicherung dadurch zerstreut werden könnten, dass ein Gutachten vorgelegt würde, in dem der Anspruchsteller als Auftraggeber und Halter oder als Eigentümer benannt würde. Anmerkung: Gefolgt werden kann dem Berufungsgericht aus dem Blickwinkel der zu prüfenden groben Fahrlässigkeit m.E. lediglich in dem Fall, dass der Anspruchsteller in einem von diesem über seinem Anwalt vorgelegten Gutachten als Eigentümer benannt wird (da damit die anwaltliche Angabe „Pkw meines Mandanten“ rechtlich konkretisiert wird). In Bezug auf die Zulassungsbescheinigung / Haltereigenschaft kann ihm nicht gefolgt werden, da weder der Inhaber der Zulassungsbescheinigung als Eigentümer ausgewiesen wird (so explizit auch der Hinweis auf der Zulassungsbescheinigung Teil II), noch notwendig der Halter Eigentümer sein muss (so z.B. bei Leasing, Sicherungseigentum).

Lägen im Einzelfall keine konkreten Anhaltspunkte vor, dass es sich bei dem Unfallwagen um ein Leasingfahrzeug, sicherungsübereignetes Fahrzeug oder um Vorbehaltsware handele, so das Berufungsgericht, und bestünden auch aus anderen Gründen keine validen Zweifel, dass der Anspruchsteller Eigentümer des Unfallsfahrzeugs sei, müsse mithin von dessen Berechtigung ausgegangen werden dürfen.

Das LG Nürnberg-Fürth habe in seinem hier mit der Berufung angegriffenen Urteil zwar als Erfahrungssatz ausgeführt, dass nahezu in jedem zweiten Fall in finanziertes oder geleastes Fahrzeug betroffen sei. Unabhängig davon, ob dies zugrunde gelegt werden könne, und selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Unfall geleaster Fahrzeuge im gewerblichen Bereich (wie hier) noch höher ausfallen möge, verbliebe ein bestimmter Anteil an Fahrzeugen die im Eigentum des gewerblichen Nutzers stünden, weshalb sich alleine aufgrund dieser Tatsachen für die Beklagte keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen eines geleasten Fahrzeugs ergeben müsse. (Auf meine vorherigen Anmerkungen darf ich verweisen).

Die vom Erstgericht gestellten Anforderungen an den Sorgfaltsmaßstab seien zu weit gefasst und ließen eine klare Abgrenzung zur gewöhnlichen (einfache) Fahrlässigkeit nicht mehr zu, fordere man vom Haftpflichtversicherer nicht nur bei konkreten Anhaltspunkten zur Vermeidung des Vorwurfs einer groben Fahrlässigkeit, den Anspruchsteller zu einer eindeutigen Erklärung zum Eigentum aufzufordern. Anmerkung: Auch hier ist dem Berufungsgericht nicht zu folgen., Es ist ein Unterschied, ob verlangt wird, der Versicherer müsse sich den Beweis für das Eigentum erbringen lassen oder ob er nur die deutliche Erklärung des Anspruchsstellers zum Eigentum verlangt. Das Unterlassen der Nachweiserbringung kann tatsächlich (liegen nicht konkrete Anhaltspunkte vor, die gegen ein Eigentum sprechen) nicht als grob fahrlässig angesehen werden, anders aber das Unterlassen nach einer einfachen Erklärung zum Eigentum (in Ansehung geleaster und sicherheitsübereigneter Fahrzeuge).

Richtig verweist das Berufungsgericht abschließend darauf hin, dass zwar § 119 Abs. 3 VVG dem Haftpflichtversicherer einen Auskunftsanspruch gegen den Dritten einräumt, aber keine Obliegenheit normiert, dass eine bestimmte Auskunft eingeholt werden müsse. Das aber ändert nichts an der Betrachtung zu § 851 BGB.

OLG Nürnberg, Urteil vom 11.06.2024 - 14 U 203/23 -

Freitag, 30. August 2024

WEG: Qualifizierte Mehrheit bei Änderung von Regelungen in Gemeinschaftsordnung und Öffnungsklausel

Die sogen. Öffnungsklausel betrifft Änderungen (zulässiger) Vereinbarungen der Wohnungseigentümer (Teilungserklärung / Gemeinschaftsordnung) nach § 10 Abs. 1 S. 2 WEG. Grundsätzlich bedarf die Änderung einer Vereinbarung der Mitwirkung sämtlicher Wohnungseigentümer. Neben gesetzlichen Öffnungsklauseln, nach denen eine Vereinbarung auch durch Beschluss geändert werden kann (z.B. §§ 16 Abs. 2 S. 2, 12 Abs. 4 und 21 Abs. 5 WEG) kann allerdings auch eine Öffnungsklausel vereinbart werden, also in die Gemeinschaftsordnung aufgenommen werden, nach der die Wohnungseigentümer allgemein oder in bestimmten Fällen nicht nur mittels einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer, sondern im Beschlussweg mit der (qualifizierten) Mehrheit eine Änderung vornehmen können.

Dem Rechtsstreit lag hier eine notariell bei Begründung des Wohnungseigentums 1984 protokollierte   und im Grundbuch gewahrte Gemeinschaftsordnung zugrunde, die u.a.  besagte, dass das Gebäude zu Wohnzwecken und gewerblichen Zwecken diene (Z. 2 Abs. 1) und der Bestimmungszweck des Gebäudes sowie der einzelnen Sondereigentumsräume „nur mit einer Mehrheit von ¾ aller stimmberechtigten Miteigentümer geändert werden kann“ (Z. 2. Abs. 4). Für die Änderung der Gemeinschaftsordnung sei ggf. zusätzlich die Zustimmung von Hypotheken- und Grundschuldgläubigern erforderlich (Z. 21 Abs. 1). Auf Antrag des Beteiligten wurde in einer Eigentümerversammlung vom 14.06.2022 mit Mehrheit der Beschluss gefasst, dass zum Einen die Vertretungsberechtigung in Bezug auf die Ausübung des Stimmrechts nicht mehr auf Miteigentümer oder den Verwalter beschränkt ist, und die Teileigentumseinheiten 02 und 03 in Wohnungseigentum umgewandelt werden können, wird dies vom jeweiligen Sondereigentümer gewünscht. Der Geschäftsführer der Verwaltung beantragte mit notarieller Urkunde die „Änderung der Teilungserklärung“ zu den benannten Beschlüssen in den Grundbüchern der Gemeinschaft einzutragen. Mit Zwischenverfügung wies das Grundbuchamt darauf hin, dass die Zustimmung der dingliche berechtigten in Abt. III der Grundbücher erforderlich sei und setzte zur Behebung eine Frist. Hiergegen richtete sich die Beschwerde des Beteiligten, der das Grundbuchamt nicht abhalf.

Das Beschwerdegericht hob zwar die Zwischenverfügung auf die Beschwerde hin auf, doch dürfte dies dem Beteiligten nicht weiterhelfen.

Das Beschwerdegericht wies darauf hin, dass dann, wenn der beantragten Eintragung ein Hindernis entgegen stehen würde, den Antrag entweder unter Angabe der Gründe zurückweisen oder (wie hier in der Sache geschehen) dem Antragsteller eine angemessene Frist zur Behebung des Hindernisses setzen müsse (§ 18 Abs. 1 S. 1 GBO). Eine Zwischenverfügung (Hinweis mit Fristsetzung) käme aber nur dann in Betracht, wenn das Eintragungshindernis rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragsstellung bei dem Grundbuchamt behoben werden könne (BGH, Beschluss vom 01.10.2020 - V ZB 51/20 -). Das Hindernis könne hier aber weder durch das vom Grundbuchamt aufgezeigte Abhilfemittel und schon gar nicht auf den Zeitpunkt der Antragsstellung behoben werden.

Dass für die vorgesehene Änderung der Vertretungsberechtigung bei der Stimmabgabe keine Öffnungsklausel für eine Änderung durch qualifizierten Mehrheitsbeschluss vorläge, sei offenkundig, weshalb der entsprechende Beschluss nicht Grundlage für eine Eintragung im Grundbuch sein könne.  

Vorliegend hätten nicht alle Wohnungseigentümer Erklärungen abgegeben noch wären sie übereinstimmend. Streitbefangen seien Beschlüsse seien Beschlüsse die zwar auf eine Änderung der Gemeinschaftsordnung gerichtet seien, aber nicht auf Grund der Gemeinschaftsordnung gefasst worden seien.  Es würde eine entsprechende Öffnungsklausel in der Gemeinschaftsordnung fehlen.

Offen bleiben könne dabei, ob in Ansehung der Regelung unter Z. 2 Abs. 4 die Umwandlung von Teileigentum in Wohnungseigentum und umgekehrt durch qualifizierten Mehrheitsbeschluss überhaupt geregelt sei oder es dort nur um Zweckbestimmungen gehe, also ob Wohnungseigentum auch gewerblich genutzt werden dürfe, was hier (noch) nicht streitgegenständlich sei.

In der Sache sei der Beschluss auf Umwandlung auf die Schaffung einer Öffnungsklausel gerichtet, aufgrund derer der Beteiligte als derzeitiger Eigentümer der Teileigentumsrechte ohne weitere Beteiligung der anderen Miteigentümer eine Umwandlung in Wohnungseigentum vornehmen könne. Ein entsprechender Änderungsvorbehalt sei in der Gemeinschaftsordnung bisher nicht geregelt, was bedeute, dass zunächst eine entsprechende Vereinbarung der Miteigentümer untereinander erforderlich sei. Diese Vereinbarung läge bisher nicht vor.

Unter Verweis auf § 10 Abs. 3 S. 2 WEG verwies das Beschwerdegericht darauf, dass Beschlüsse zur Wirksamkeit gegenüber Sondernachfolgern, die nicht aufgrund einer Vereinbarung ergehen würden, keiner Eintragung im Grundbuch bedürfen. Daraus folge zugleich deren fehlende Eintragungsfähigkeit (BGH, Beschluss vom 16.09.1994 - V ZB 2/93 -; hier wies der BGH auf die Notwendigkeit einer Anfechtung hin). 

An das Grundbuchamt erging durch das Beschwerdegericht der Hinweis, dass nicht eine Zwischenverfügung zur Vorlage einer Vereinbarung ergehen könne, da mittels der Zwischenverfügung nicht auf den Abschluss eines Rechtsgeschäfts hingewirkt werden könne, welches Grundlage einer einzutragenden Rechtsänderung werden könne.

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 01.02.2024 - 1 W 378/23 -

Dienstag, 27. August 2024

Mitwirkung des Richters bei Versäumnisurteil (1. Instanz) und Befangenheit (2. Instanz)

Immer wieder wechseln Richter vom Landgericht zum (zuständigen) Oberlandesgericht oder werden vom Landgericht zum Oberlandesgericht oder umgekehrt abgeordnet. Das kann im Einzelfall dazu führen, dass sie z.B. beim Oberlandesgericht mit einem Verfahren konfrontiert werden, bei dem sie auch bereits erstinstanzlich mitgewirkt haben. So auch in dem vom OLG zu beurteilenden Fall, in dem ein Vorsitzender Richter am OLG erstinstanzlich (im Rahmen eines dort zunächst ergangenen) Versäumnisurteils mitgewirkt hatte, welches durch das nach Einspruch ergangene Urteil weitestgehend aufrechterhalten wurde und nunmehr dem Senat die Entscheidung über die Berufung oblag, dem der Vorsitzende Richter angehörte. Und natürlich erfolgte wurde zum Einen ein Ausschluss seiner Person nach § 41 Nr. 6 ZPO eingewandt, zum Anderen ein Befangenheitsantrag gestellt.  gegen ihn ein Befangenheitsantrag. Beides wurde zurückgewiesen.

1. Ausschluss gem. § 46 Nr. 6 ZPO

Der zur Entscheidung berufene Senat verwies auf den Wortlaut von § 46 Nr. 6 ZPO, demzufolge ein Richter, der in einer früheren Instanz oder in einem vorangegangenen schiedsgerichtlichen Verfahren mitgewirkt habe, unter den weiteren Voraussetzungen von § 41 Nr. 6 ZPO vom Richteramt in derselben Angelegenheit ausgeschlossen sei. Dies diene der Gewährleistung eines unparteiisch entscheidenden Instanzenzuges. Dieser Ausschluss greife bei Erlass (so der Wortlaut von Nr. 6) jeder Entscheidung, die nach der Anfechtung mit einem ordentlichen Rechtsmittel (§§ 511 ff, 542 ff, 567 ff ZPO) einer Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht unterliege. Nicht abgestellt würde für den Ausschluss auf eine Mitwirkung bei der Verkündung der Entscheidung, da diese nach dem Erlass erfolgt (vgl. § 309 ZPO). Umfasst seien damit die Mitwirkung bei dem Erlass von Endurteilen 1. Und 2. Instant und von Zwischenurteilen gem. § 303 ZPO. Auf die Mitwirkung an diesen Urteilen vorausgehenden Entscheidungen käme es nicht an (BGH, Beschluss vom 18.12.2014 – IX ZB 65/13 -).

Daher führe die Mitwirkung an einem die Instanz nicht abschließenden Versäumnisurteil nicht zu einem Ausschluss nach § 41 Nr 6 ZPO (entgegen BAG, Beschluss vom 07.02.1968 - 5 AR 43/68 -).

Anmerkung: Das BAG hatte u.a. darauf abgestellt, dass zu berücksichtigen sei, dass ggf. die Entscheidung über die Berufung nur davon abhängen könne, ob die Klage schlüssig sei. Wenn der Richter des Berufungsverfahrens aber bereits erstinstanzlich im Rahmen eines Versäumnisurteils notwendig eine Schlüssigkeitsprüfung hatte vornehmen müssen, könne dies bereits zur Voreingenommenheit im Berufungsverfahren führen, weshalb § 41 Nr., 6 ZPO bei einer Mitwirkung an einem Versäumnisurteil in der Vorinstanz entsprechend anzuwenden sei. Das OLG hat sich hier – leider – mit diesem stichhaltigen Argument nicht auseinandergesetzt.

2. Befangenheit gem. § 42 Abs. 2 ZPO

Eine (für einen erfolgreichen Befangenheitsantrag ausreichende) Besorgnis der Befangenheit liegt vor, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist. Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Bai, so das OLG zutreffend, müsse es sich um einen objektiven Grund haben, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung erwecken könne, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber.

§ 42 Abs. 2 ZPO müsse mit Blick darauf, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden dürfe (Art. 101 Abs. 1 SD. 1 GG), ausgelegt werden. Gleichwohl dürften die Anforderungen an die Vernunft und Einsichtsfähigkeit der ablehnenden Partei nicht überspannt werden. Gleichwohl sieht das OLG die richterliche Neutralität durch die frühere Befassung im Zusammenhang mit einem Versäumnisurteil nicht als in Frage gestellt an. Alleine eine Befassung in einem früheren Verfahren auch über den gleichen Sachverhalt, welches für die Partei einen ungünstigen Ausgang gehabt habe, genüge nicht als Ablehnungsgrund, wenn nicht eine atypische Situation vorläge.

Diese atypische Situation wurde vorliegend vom OLG verneint. Dabei verwies es darauf, dass es in der Praxis zahlreiche Konstellationen gäbe, in denen ein Richter eigene Entscheidungen oder Maßnahmen im weiteren Verfahren zu überprüfen und ggf. zu ändern habe, z.B. die Schlüssigkeitsprüfung nach einem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil, Prüfung von Verfügungsanspruch und -grund nach einem Widerspruch gegen eine Beschlussverfügung (im Arrest- oder einstweiligen Verfügungsverfahren) und eine Entscheidung in der Hauptsache nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe. Ein Richter, der hier jeweils seine Meinung zum Ausdruck gebracht habe, verliere dadurch nicht seine Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit. Das Gesetz ginge in all diesen Fällen davon aus, dass er seine Meinung unter Berücksichtigung der Argumente der Parteien unter Berücksichtigung der Argumente der Parteien und etwaiger neuer Erkenntnisse unvoreingenommen überdenke und ggf. bereit sei, von seiner bisherigen Auffassung abzuweichen. Dementsprechend würde eine Befangenheit selbst dann verneint, wenn ein Richter nach Aufhebung seines früheren Urteils durch da höhere Gericht wieder mit der Sache befasst würde (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.08.1983 - 7 W 85/83 -). Gleiches gelte bei einer Restitutionsklage. Läge mithin kein Fall des § 41 Nr. 6 ZPO vor, sei die Vorbefassung als solcher kein Grund für eine Besorgnis der Befangenheit.

Anmerkung: Wollte man vorliegend mit dem BAG aaO. einen Fall des § 41 Nr. 6 ZPO annehmen, wäre damit auch der Befangenheitsantrag begründet. Zudem finden sich in der Praxis häufig Richter, die von einer einmal vorgefassten Ansicht nicht abkommen, weshalb es auch zu Rechtsmitteln kommt. Wenn diese Richter dann im Rechtsmittelzug wieder tätig werden (können, da sie nicht an dem Erlass der Entscheidung selbst beteiligt waren), ist nicht ausgeschlossen, dass die Rechtsmittelinstanz davon geprägt wird.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.05.2024 - 6 U 212/23 -

Samstag, 24. August 2024

Repräsentantenhaftung und Haftung nach § 111 SGB VII

Die P. GmbH, ein Mitgliedunternehmen der klagenden gesetzlichen Unfallversicherung, war mit einem zum Schadenszeitpunkt von Z. geführten Transporter bei der Beklagten haftpflichtversichert. Z verunfallte mit dem Transporter, der nach einem rund einem Monat vorher erstellten Bericht des TÜV Süd (von dem der Fuhrparkleiter der P. GmbH wusste) eine Reihe von Mängeln aufwies,  und verletzte sich dabei. Die Klägerin machte bei der Beklagten im Hinblick auf ihre dadurch bedingten Aufwendungen Regress geltend. Das Landgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht gab ihr auf der Grundlage von §§ 110, 111 SGB VII iVm. § 115 VVG statt. Die (zugelassene) Revision führte zur Abweisung der Klage.

Streitig war, ob die Anspruchsvoraussetzungen nach §§ 110 Abs. 1, 111 S. 1 SGB VII vorlagen. Bei diesem, so der BGH, handele es sich um einen originären, selbständigen Anspruch des Sozialversicherungsträgers, der privatrechtlicher Natur sei, der auch ggf. direkt gegen den Fahrzeug-Haftpflichtversicherer nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG geltend gemacht werden könnte. Das Berufungsgericht war davon ausgegangen, dass der Fuhrparkleiter in Ansehung seiner Kenntnis von den Mängeln den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe (§§ 110 Abs. 1 S. 1m 111 S. 1 SGB VII).

Nach § 110 SGB VII würden gemäß § 111 S. 1 SGB VII auch die Vertretenen haften, wenn ein Mitglied eines vertretungsberechtigten Organs, Abwickler oder Liquidatoren juristischer Personen, vertretungsberechtigte Gesellschafter oder Liquidatoren einer rechtsfähigen Personengesellschaft oder gesetzliche Vertreter der Unternehmer in Ausführung ihnen zustehender Verrichtungen den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachten. Allerdings sei der Fuhrparkleiter nicht Mitglied eines vertretungsberechtigten Organs der P. GmbH, weshalb eine Haftung der P. GmbH ausscheide und damit auch eine Haftung der Beklagten nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG..

Daher musste sich der BGH damit auseinandersetzen, ob – wie teilwiese in Rechtsprechung und Literatur angenommen - § 111 S. 1 SGB VII den §§ 31, 89, 278 BGB vergleichbar ist und für die Anwendbarkeit des § 31 BGB spreche, dass dem Vertreter durch die allgemeine Betriebsreglung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen juristischer Personen zugewiesen seien, so dass er die juristische Person auf diese Weise repräsentiere. Da er gleichsam fremdnützig für das Unternehmen des Vertretenen handele, sei es gerechtfertigt, das zivilrechtliche Repräsentationsprinzip der (Mit-) Haftung des Vertretenen nach §§ 31, 278 und 831 BGB zu übertragen.

Der BGH negierte die Anwendbarkeit der zu § 31 BGB entwickelten Grundsätze zur Repräsentantenhaftung auf § 111 S. 1 SGB VII.

§ 111 S. 1 SGB VII sei enger gefasst als § 31 BGB, insoweit dort neben dem vertretungsberechtigten Organ nur Abwickler oder Liquidatoren juristischer Personen benannt würden, und im Gegensatz zu § 31 BGB keinen Oberbegriff („verfassungsmäßig berufene Vertreter“) enthalte. Auch das Gesetzgebungsverfahren zu § 111 S. 1 SGB VII gebe keine Anhaltspunkte dafür her, dass der Gesetzgeber bei § 111 S. 1 SGB VII von einer Repräsentantenhaftung ausgehen wollte. In Ansehung der Repräsentantenhaftung bei Auslegung und Anwendung des § 31 BGB und der diesbezüglichen „langen Rechtsprechungsgeschichte“ hätte der Gesetzgeber, wenn er bei § 111 SGB VII und den Vorgängervorschriften darauf zurückkommen wollen, nicht nur reichlich Gelegenheit gehabt, sondern sogar mehrfach Anlass gehabt, dies zu regeln. Zudem gäbe es keinen allgemein geltenden Grundsatz der Repräsentantenhaftung.

Eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung des § 111 S. 1 SGB VII im Sinne einer Repräsentantenhaftung würde der Gesetzessystematik widersprechen; Sinn und Zweck würden dem entgegenstehen. §§ 110 f SGB VII würden im System der Haftung nach § 104 ff SGB VII einen spezifischen Zweck erfüllen. Der Gesetzgeber habe dem Sozialversicherungsträger nur dann zu Lasten des Schädigers schadlos stellen wollen, wenn dieser den Schadensfall durch ein besonders missbilligendes Verhalten herbeigeführt habe und in diesem Fall den Regress seinem pflichtgemäßen Ermessen anheim gestellt (§ 110 Abs. 2 SGB VII). Der das Schadensersatzrecht beherrschende Ausgleichsgedanke verliere damit an Gewicht und § 111 S. 1 SGB VUU solle keinen umfassenden Rückgriff nach schadensersatzrechtlichen Grundsätzen gewährleisten.  Damit läge keine gesetzliche Lücke vor, die durch eine Analogie geschlossen werden könnte.

BGH, Urteil vom 11.06.2024 - VI ZR 133/23 -