Mit seinem Urteil vom
15.08.2018 - VI ZR 233/17 - hatte der BGH entschieden, dass die permanente und
anlasslose Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens mit datenschutzrechtlichen
Regelungen nicht vereinbar sei. Die Nutzung von Dashcam-Aufzeichnungen, die ein
Unfallbeteiligter vom Unfallgesehen gefertigt habe, sei in einem
Unfallhaftpflichtprozess gleichwohl verwertbar. Daran anknüpfend entschied das
AG Lörrach einen Fall, bei dem mittels einer aufgestellten Wildkamera festgestellt
werden sollte, wer ein Fahrzeug durch Beibringung von Kratzern schädigt.
Der Beklagte ist Eigentümer, der Kläger
und der Drittwiderbeklagte sind Mieter einer Immobilie, in der neben den benannten
auch die Eltern des Klägers und des Beklagten wohnen. Am Fahrzeug des auf dem
Grundstück abgestellten Fahrzeugs des Klägers (dessen Eigentum vom Beklagten bestritten
wurde) kam es im Zeitraum Oktober und November 2020 zu immer neuen Kratzern an
dem Fahrzeug, weshalb der Drittwiderbeklagte am 26.11.2020 (im Einvernehmen mit
dem Kläger), nachdem zuletzt neue Kratzer am 20.11.2020 festgestellt wurden, eine
Wildkamera aufstellte, die das Fahrzeug und den Hauseingang filmte. Diese nahm
nur auf, wenn der Bewegungssensor derselben Bewegungen feststellte. Am
30.11.2020 ist der Beklagte sichtbar, wie er sich - mit einem Schlüssel – am Heck
des Fahrzeugs befindet. Den Schaden durch Kratzer verlangte der Kläger vom
Beklagten; die Kratzer habe der Beklagte mit einem spitzen Gegenstand, wie
einem Schlüssel, hineingeritzt. Der
Beklagte bestritt dies; er habe sich das Fahrzeug nur auf Wunsch seiner Mutter
angesehen; zudem sei das Video der Wildkamera unverwertbar. Drittwiderklagend
beantragte er festzustellen, dass der Drittwiderbeklagte keine
Schadensersatzansprüche gegen ihn im Zusammenhang mit der Schädigung habe. Im
Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht (AG) wurde das sich in
der beigezogenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte befindliche Video angesehen.
Das AG stellte zunächst fest,
dass der Kläger Eigentümer des Fahrzeugs sei (was bestritten war). Mangels
Eigentums hätte ansonsten seine Klage abgewiesen werden müssen. Das AG kam
aufgrund der Videoaufzeichnung zu dem Ergebnis, dass der Schaden vom Beklagten
verursacht wurde. Damit stellte sich die Frage der Verwertbarkeit der
Aufzeichnung.
Dahingestellt ließ das AG, ob die
Aufnahmen rechtmäßig waren. Es spräche allerdings vieles dafür, dass sie nach
Art. 6 Datenschutzverordnung (DSGVO) unrechtmäßig erfolgten, wobei insbesondere
zu berücksichtigen sei, dass die Aufnahmen auf dem Grundstück des Beklagten
erfolgten und dieser mithin ohne Kenntnis in seinem privaten Bereich gefilmt
wurde. Allerdings würden auch rechtswidrig erlangte Aufnahme nicht zwingend zu
einem Beweisverwertungsverbot führen. Das Interesse des Klägers an der
Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche, verankert im Grundgesetz mit dem
Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 GG iVm. dem Interesse an einer funktionierenden
Zivilrechtspflege und einer materiell richtigen Entscheidung auf der einen
Seite, sei mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beklagten aus Art. 2
Abs. 1 GG iVm. Art, 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informelle
Selbstbestimmung und ggf. als Recht am eigenen Bild, soweit er auf einer
Aufnahme erkennbar sei, abzuwägen (BGH, Urteil vom 15.05.2018 – VI ZR 233/17
-). Nach Maßgabe einer abgestuften Schutzwürdigkeit, in denen sich die Persönlichkeit
verwirkliche, würden die sogen. sensitiven Daten (zugeordnet der Intim- und
Geheimsphäre) besonderen Schutz genießen. Geschützt sei aber auch das Recht auf
Selbstbestimmung bei der Offenbarung persönlicher Lebenssachverhalte, die
lediglich zur Sozial- und Privatsphäre gehören würden.
Da die Kamera auf dem eigenen Grundstück
des Beklagten aufgestellt gewesen sei und auch der Eingangsbereich des Hauses (und
damit das Rein- und Rausgehen des Beklagten) zu sehen sei, sei ein sensibler
Bereich betroffen. Man könne davon ausgehen, dass das eigene Grundstück ein
geschützter Bereich sei, auf dem auch keine ungenehmigten Videoaufzeichnungen
gefertigt werden dürfen. Zu berücksichtigen sei aber dass nur ein kleiner
Bereich gefilmt worden sei und im Vordergrund das Fahrzeug zu sehen sei. Auch
würde nur ein Teil gefilmt, bei dem man idR. nur kurz durchlaufen würde und
keine besondere die Persönlichkeit entfaltende Tätigkeit vornehme. Damit sei
die Privatsphäre des Beklagten hier nur in einem untergeordneten Maße betroffen
gewesen.
Auf der anderen Seite sei der
Kläger in schwerer Beweisnot gewesen. Er hatte in einem kurzen Zeitraum mehrere
Beschädigungen an seinem Fahrzeug entdeckt und habe mit weiteren zu rechnen
gehabt. Für ihn sei auch nicht auszuschließen gewesen, dass der Beklagte der Täter
war (was hier vom AG nicht weiter ausgeführt wurde). Es sei bei dem Kläger das
Rechtsgut Eigentum durch Sachbeschädigung betroffen, was als gewichtig
anzusehen sei. Er und der Drittwiderbeklagte seien eingriffsschonend
vorgegangen; so sei nur eine Wildkamera mit Bewegungssensor aufgestellt worden.
Diese sie am 26.11. aufgestellt worden und am 30.11.2022 hätten sich der Kläger
und der Drittwiderbeklagte mit dieser Aufnahme begnügt. Es sei ihnen also nur
um die Beweissicherung der erfolgten Beschädigung gegangen.
Einer Verwertung der Aufzeichnung
stünde nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beklagten entgegen. Die
Privatsphäre des Beklagten sei nicht stark betroffen. Demgegenüber sei die
Beweisnot des Klägers als hoch anzusehen. Der Umstand, dass auch Dritte von den
Aufnahmen betroffen sein könnten, ändere an der Abwägung nichts. Ihrem Schutz
sei durch die Regelungen des Datenschutzes selbst auch Rechnung getragen (BGH
aaO.). Für den Kläger spreche dessen Interesse an der materiellen Wahrheit im
Zivilprozess. Das Recht am eigenen Bild des Beklagten ändere auch nichts an der
Abwägung, da ein Verbreiten nach § 22 KunstUrhG nicht beabsichtigt gewesen sei
und auch nicht stattgefunden habe.
Der Beklagte könne sich auch nicht
auf das einen ähnlichen Sachverhalt betreffende Urteil des OLG Karlsruhe vom 08.11.2001
– 12 U 180/21 – berufen, da diese vor dem Urteil des BGH zur Dashcam (aaO.).
berufen- Das OLG habe auf das Interesse unbeteiligter Dritter abgestellt, was
aber nach der BGH-Entscheidung nicht mehr stark zu gewichten sei. Bei dem beklagtenseits
benannten Urteil des OLG Köln vom 05.07.2005 – 24 U 12/05 – sei es um
Aufzeichnungen in einer Waschküche, und damit einem sensiblen Bereich gegangen,
wie er hier nicht vorgelegen habe. Ebenso wenig greife das Urteil des LG
Mühlhausen vom 12.05.2020 – 6 O 486/18 – zugunsten des Beklagten, da es sich
dort um anlasslose Aufnahmen gehandelt habe, demgegenüber hier die kurzzeitigen
Aufnahmen unter schwerer Beweisnot des Klägers bei zu befürchtenden weiteren
Schädigungen erfolgt seien.
Der Klage wurde stattgegeben, der Drittwiderklage wurde stattgegeben (darauf wurde oben nicht näher eingegangen).
AG Lörrach, Urteil vom 27.02.2023
- 3 C 111/22 -