Mittwoch, 11. Mai 2022

Wann unterfällt das Gesellschaftsverhältnis einer (nicht eingetragenen) OHG dem Recht der GbR ?

Nicht jede offene Handelsgesellschaft (OHG, § 105 HGB) ist tatsächlich im Rechtsinn eine solche, sondern kann auch nur eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR, § 705 BGB) sein. Das OLG musste sich anlässlich einer Ausschließungsklage eines Gesellschafters (§ 140 Abs. 1 HGB) einer unter Bezeichnung R & M OHG OHG damit auseinandersetzen, da für die GbR zur Ausschließung keine Ausschließungsklage zu erheben ist, sondern dies von den Gesellschaftern zu beschließen (§ 737 BGB) ist (wobei dieser Beschluss gerichtlich angegriffen werden kann).

Kläger und Beklagter waren Gesellschafter der M& R OHG, die nicht im Handelsregister eingetragen war. Sie betrieb ein Naturfreundehaus als Veranstaltungslokal für Events (Seminare, Hochzeitsfeiern u.a.).  Nachdem der Beklagte in der Nähe eine Blockhütte zum Betreib eines entsprechendes Eventlokals anmietet, erhob der Kläger Ausschließungsklage nach § 140 Abs. 1 HGB. Das Landgericht gab der Klage statt. Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg, da das Oberlandesgericht (OLG) die R & M OKG als eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach § 705 BGB einstufte, bei der die Ausschließung eines Gesellschafters nicht mittels einer Ausschließungsklage zu erfolgen hat, sondern mittels eines Gesellschafterbeschlusses (§ 737 BGB).

Nicht entscheidend ist, wie die Gesellschaft firmiert, d.h. dass sie hier in der von ihr verwandten Firmierung des Gesellschaftsstatus einer OHG angab. Dies ergab sich bereits aus dem Umstand, dass die Gesellschaft nicht im Handelsregister eingetragen war, wie es § 107 HGB vorsieht. Auf die OHG finden die Vorschriften über die Gesellschaft bürgerlichen Rechts nur insoweit Anwendung, soweit nicht in den §§ 105 ff HGB zur OHG abweichendes geregelt ist. Vor diesem Hintergrund prüfte das OLG zutreffend, ob für die Gesellschaft das Recht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach §§ 705 ff BGB oder jenes der OHG nach §§ 105 ff HGB anzuwenden ist, also tatsächlich eine Ausschließungsklage erhoben werden konnte, da bei der GbR der Gesellschafter nicht durch Gerichtsurteil (Ausschließungsklage), sondern nur durch Gesellschafterbeschluss (§ 737 BGB) ausgeschlossen werden kann.

Grundlage der Überlegung des OLG war, dass es sich bei der OHG ebenso wie bei der GbR um eine Gesellschaft handelt, bei der die Haftung der Gesellschafter nicht beschränkt ist, aber die OHG ein Handelsgewerbe betreibt (§ 105 HGB). Eine GbR, die ein Handelsgewerbe betreibt, ist qua gesetzlicher Definition in § 105 HGB eine offene Handelsgesellschaft, und umgekehrt eine (jedenfalls nicht eingetragene) OHG, die keine solches betreibt, eine GbR. Damit wäre die Ausschließungsklage nach § 140 HGB nur zulässig, wenn die Gesellschaft ein Handelsgewerbe betreibt. Die Legaldefinition für ein Handelsgewerbe entnahm das OLG § 1 Abs. 2 HGB, demzufolge ein Handelsgewerbe jedes Gewerbe ist, es sei denn, es erfordert keine kaufmännische Einrichtung.

Grundsätzlich sei die vorliegende Vermietung einer Lokalität zum Zwecke der Gewinnerzielung ein Gewerbe. Damit spräche die gesetzliche Vermutung dafür, dass es sich um ein Handelsgewerbe handele, weshalb der Beklagte die Darlegungs- und Beweislast trage, dass es sich nicht um ein solches handelt, da er sich darauf berief, dass die Regelung des § 140 HGB zur Ausschließungsklage nicht greift.

Im Hinblick darauf prüfte das OLG die einzelnen Umstände, die für bzw. gegen ein Handelsgewerbe im konkreten Fall sprachen.

Die Gesellschaft verfügte über kein Personal, was gegen das Erfordernis einer kaufmännischen Einrichtung spräche.  Zur Kapitalstruktur stellte das OLG fest, dass die Gesellschaft ohne Fremdkapital arbeitete und das Anlagevermögen mit einer Geschirrspülmaschine, einem Laubbläser, einem Pkw und einem „Sammelposten“ im Wert von € 891,00 überschaubar sei und auch keine kaufmännische Einrichtung erfordere. Zur Lagerhaltung stellte es fest, dass die Käufe sich im dreistelligen, selten im vierstelligen Bereich bewegt hätten, die Kunden zwar Getränke von der Gesellschaft erwerben konnten (weshalb sich der Anlieferverkehr auf Getränke beschränke, die Verköstigung im Übrigen über einen Caterer erfolge, weshalb hier für Veraltung des Getränkelagers auch keine kaufmännische Einrichtung erforderlich sei. Da auch keine weiteren Leistungen neben der Zurverfügungstellung der Räume und Getränke nicht angeboten worden seien (allenfalls der Caterer unter Vermittlung der Gesellschaft), sei das Angebot nicht vielfältig sondern überschaubar, was eher gegen das Erfordernis einer kaufmännischen Einrichtung spräche. Da auch das Werbevolumen meist nur zweistellige Beträge ausweise, erfordere dies auch keine kaufmännische Einrichtung. Auch die klägerseits benannte Internetpräsenz ließe keinen Rückschluss auf eine Kaufmannseigenschaft zu, auch wenn „heutzutage jeder Kaufmann im Internet präsent sei“, da man für den Internetauftritt nur PC und Internetzugang benötige (den notwendigen Provider benennt das OLG nicht, doch dürfte es darauf auch nicht ankommen). Die Kundenzahl von 706 (auch mit namhaften Firmen), bei der auch nicht ersichtlich sei, dass es sich um Stammkunden handeln würde, sei nicht entscheidend, da die Vermietung bedinge, dass immer nur ein Kunde pro Zeiteinheit buchen könne und von daher auch keine kaufmännische Einrichtung erforderlich sei. Es würde kein schriftlicher Gesellschaftsvertrag existieren, keine ausdrücklichen Regelungen über die Vertretungsmacht (sondern nur eine konkludente Einigung zur Einzelvertretung durch stillschweigende Handhabung), keine Prokuristen (was mangels Eintragung im Handelsregister auch nicht möglich ist) und keine Bevollmächtigten bestellt sein, was für ein kaufmännisches Unternehmen untypisch sei.

Als Resümee fasste das OLG zusammen, dass allenfalls die Kundenzahl und die Umsatzzahl in den Grenzbereich eines Handelsgewerbes fallen würden, wobei die Buchführungspflicht aus steuerlichen Gründen nichtssagend sei. Kapitalstruktur, fehlende Angestellte und das überschaubare Angebot der Gesellschaft würden hingegen eindeutig gegen die Notwendigkeit einer kaufmännischen Einrichtung sprechen. Es würde sich der Eindruck aufdrängen, dass die Gesellschafter den Geschäftsbetrieb möglichst schlank halten wollten und möglichst viel in Eigenregie bzw. durch Fremddienstleister erledigen wollten. Von daher wurde die Gesellschaft vom OLG als GbR und nicht als OHG angesehen, weshalb eine Ausschließungsklage unzulässig war.

OLG München, Urteil vom 19.01.2022 - 7 U 3250/20 -

Montag, 9. Mai 2022

Paktdienstleister: Allgemeine Geschäftsbedingungen zum Weisungsrecht des Versenders und zur Art der Zustellung

Der BGH hatte sich in einem Verfahren der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. (Klägerin) mit deren Antrag auf Unterlassung von bestimmten Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) eines Paktdienstleisters gegenüber Verbrauchern auseinanderzusetzen. Zwei dieser Klauseln sind Gegenstand dieser Darstellung, von denen eine Klausel für wirksam, die andere Klausel für unwirksam angesehen wurde.

1. Wirksam ist nach Auffassung des BGH die Klausel 2.3 der AGB:

„Weisungen, die nach Übergabe der Pakete vom Versender erteilt worden sind, müssen nicht befolgt werden. Die §§ 418 Abs. 1 bis 5 und 419 HGB finden keine Anwendung.“

Das OLG Frankfurt hatte Ergebnis diese Klausel wegen unangemessener Benachteiligung des Verbrauchers als unwirksam angesehen. Zutreffend habe das OLG nach Ansicht des BGH die Regelung unter Klausel 2.3 im Ergebnis als vollständige Abbedingung des Weisungsrechts des Absenders eingestuft. Anders als vom OLG angenommen, käme es hier nicht auf die kundenfeindlichste Auslegung an, da schon nach dem klaren Wortlaut ein vollständiger Ausschluss der in §§ 418, 419 HGB benannten Rechte des Absenders gegeben sei.

Allerdings sei dieser Ausschluss hier entgegen der Annahme des OLG wirksam. Dies vor dem Hintergrund, dass es sich bei der in Rede stehenden Besorgung von Paketversendungen um ein Massengeschäft handele. § 418 Abs. 1 S. 1 HGB eröffne dem Absender die Möglichkeit über das Gut nach Übergabe an den Frachtführer zu verfügen. So könne er u.a. könne nach § 418 Abs. 1 S. 2 HGB verlangen, dass das Gut nicht weiterbefördert wird oder an einen anderen Bestimmungsort und/oder Empfänger befördert wird. Allerdings sei der Frachtführer nach diesen Regelungen nur insoweit verpflichtet der Weisung zu folgen, als deren Ausführung weder Nachteile für den Betrieb seines Unternehmens noch Schäden für die Absender oder Empfänger anderer Sendungen bringe (§ 418 Abs. 1 S. 3 HGB) und zudem Ersatz der durch die Weisung entstehenden Aufwendungen sowie einen Vorschuss darauf verlangen. Ähnliches gelte auch im Rahmen des § 419 HGB, der eine Nachfrageobliegenheit des Frachtführers vorsieht.

Durch den Ausschluss der Rechte nach §§ 418, 419 HGB würde der Verbraucher bei der Versendung von Paketen im Massengeschäft nicht unangemessen benachteiligt. Eine unangemessene Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB läge vor, wenn die Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen würde, nicht zu vereinbaren sei. Sei die Abweichung sachlich gerechtfertigt und der gesetzliche Schutzzweck anderweitig sichergestellt, läge Unangemessenheit nicht vor.

Zwar stünde die Regelung in den AGB im Widerspruch zu § 418 Abs. 1 HGB. Allerdings läge eine sachliche Rechtfertigung vor. Die Regelungen in §§ 418, 419 HGB seien auf ein praktisches Bedürfnis bei Transporten längerer Dauer ausgerichtet, bei denen sich während der Transportdauer des Gutes Veränderungen gegenüber den Umständen bei Absendung ergeben könnten. Hier allerdings würde ein Massentransport von kurzer Dauer (möglichst innerhalb von 24 Stunden) zu niedrigen Preisen erfolgen. Daher sei offenkundig, dass nachträgliche Weisungen bei der Vielzahl von Absendern und der großen Anzahl von Paketsendungen Nachteile für den Betrieb der Beklagten die Folge wären und ebenso die Schnelligkeit der Transporte beeinträchtigen würde. Deshalb sei zur Vereinfachung der Betriebsabläufe der Ausschluss eines nachträglichen Weisungsrechts geeignet und verhältnismäßig; auch erweise sich eine Befolgung von nachträglichen Weisungen während des laufenden Beförderungsvorgangs angesichts der kurzen Beförderungsdauer als tatsächlich nahezu unmöglich. Es würde mit der Klausel bei dem von der Beklagten betriebenen Pakettransport für jedermann und Auslegung dieser Transporte auf eine schnelle und kostengünstige Beförderung nicht in wesentliche Rechte des Verbrauchers eingegriffen, da - im Gegenteil - die Prüfung von nachträglichen Weisungen den Vertragszweck gefährden würde.

2. Die Klausel 2.5.5

„Hat der Empfänger G. eine Abstellgenehmigung erteilt, gilt das Paket als zugestellt, wenn es an der in der Genehmigung bezeichneten Stelle abgestellt worden ist.“

hatte das OLG als wirksam angesehen. Anders der BGH.

Zwischenanmerkung: Es handelt sich hier nicht um einen der häufig vorkommenden Fälle, dass der Paktzusteller (ohne dass eine Einwilligung des Empfängers vorliegt) das Paket vor der Haus-, Wohnungs- oder Geschäftsraumtür (im Treppenhaus) abstellt, ein leider immer wieder vorkommender Fall. Vielmehr hat der Empfänger in dem der Klausel zugrunde liegenden Fall dem Paketzusteller eine bestimmte Stelle angegeben, an der das Paket, wenn er nicht angetroffen wird, abstellen kann.

Dass das Abstellen des Pakets an irgendeiner Stelle vor dem Haus oder in einem Mehrparteienhaus unzulässig ist, bedarf keiner Erörterung. Unabhängig davon hält der BGH aber auch die hier fragliche Klausel, nach der ein Abstellen an einem mit dem Empfänger vereinbarten Ort als Zustellung (Zugang) gilt, für unwirksam, da diese Regelung nach Empfänger nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB entgegen dne Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige.

Die Klausel als solche sei klar und verständlich und verstoße daher nicht gegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Allerdings würde sie den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen, da sie nicht vorsähe, dass der Empfänger von der Bereitstellung des Pakets an der Ablieferungsstelle und dem Zeitpunkt der Abstellung in Kenntnis gesetzt würde.

Grundsätzlich seien Pakete nach § 3 Nr. 3 S. 1 PUDLV zuzustellen, sofern der Empfänger nicht erklärt habe, dass er die Sendung abholen wolle. Die Zustellung habe an der in der Anschrift benannten Wohn- oder Geschäftsadresse durch Aushändigung an den Empfänger oder einen Ersatzempfänger zu erfolgen, soweit nicht gegenteilige Weisungen des Absenders oder Empfängers vorlägen (§ 3 Nr. 3 S. 2 PUDLV). Nach § 3 Nr. 3 S. 2 PUDLV würden aber Absender oder Empfänger die Weisung erteilen, dass auch in anderer Weise als durch persönliche Aushändigung an den Empfänger oder eine empfangsberechtigte Person an der in der Anschrift genannten Wohn- oder Geschäftsadresse zustellen.

Die Art und Weise der Zustellung in einem Fall des § 3 Nr. 3 PUDLV sei dort nicht geregelt. Die Zulassung der Form der Zustellung entspräche grundsätzlich den Interessen des Versenders, Beförderers und Empfängers, da dies die Zustellung beschleunige und vereinfache. Sie bedeute aber auch die Gefahr, dass ein Unbefugter die Sendung an sich nehme; es läge in der Natur der Sache, dass als Abstellort ein allgemein zugänglicher Ort - da er auch für den Frachtführer erreichbar sein müsse - gewählt würde. Das Risiko sei dann besonders groß, wenn die Abstellgenehmigung nicht nur für eine konkrete Lieferung erfolge, sondern für eine Vielzahl von Fällen. In diesen Fällen müsse gewährleistet werden, dass der Empfänger von einer bestimmten Sendung erfahre und in Kenntnis gesetzt würde, dass er sie an der in der Genehmigung benannten Stelle in Besitz nehmen könne. Nur so sei gewährleistet, dass der Empfänger in der Lage ist, die Sendung bald an sich zu nehmen, bevor es ein unberechtigter Dritter tut.

Die Erfüllung dieser Verpflichtung sei der Beklagten auch möglich. Nach der Lebenserfahrung würden dem Paketzusteller Abstellgenehmigungen elektronisch erteilt, weshalb er in der Lage sei, auf demselben Weg eine Benachrichtigung dem Empfänger zuzuleiten.  

BGH, Urteil vom 07.04.2022 - I ZR 212/ 20 -

Mittwoch, 4. Mai 2022

Titelersetzendes außergerichtliches Anerkenntnis eines Schadensersatzanspruchs und Feststellungsinteresse

Hat der Gläubiger (hier aus einem Schadensfall) ein Feststellungsinteresse für eine Klage auf Feststellung der Ersatzverpflichtung des Schuldners, wenn der Schuldner (außergerichtlich) bereits ein Anerkenntnis abgegeben hat ? Antwort: Nein, wenn der Gläubiger durch das Anerkenntnis ausreichend geschützt ist. Ob hier der klagende Gläubiger durch das außergerichtliche Anerkenntnis des beklagten Haftpflichtversicherers ausreichend geschützt, war im Streit.

Das Oberlandesgericht (OLG) wies darauf hin, dass ein außergerichtliches schriftliches Anerkenntnis dann das Feststellungsinteresse an einem Urteil entfallen lassen würde, wenn der Schuldner seine Ersatzpflicht für bereits eingetretene und künftige noch entstehende Schäden dem Grunde nach mit Wirkung eines Feststellungsurteils anerkenne und zugleich uneingeschränkt auf die Einrede der Verjährung verzichte (so die herrschende Rechtsprechung, z.B. OLG Saarbrücken, Urteil vom 07.03.2006 - 4 U 117/05 -; KG, Urteil vom 19.01.2004 - 22 U 71/03 -; OLG Hamm, Urteil vom 10.02.2000 - 6 U 208/99 -). Das Feststellungsinteresse entfalle nämlich dann, wenn die für ein Feststellungsurteil erforderliche Unsicherheit, die dem Recht oder der Rechtslage des Klägers (Gläubigers) bei einem Bestreiten durch den Beklagten (Schuldner) drohe, ausgeräumt würde.

Im konkreten Fall sei das Anerkenntnis der beklagten Haftpflichtversicherung aber nicht ausreichend gewesen, diese Unsicherheit auszuräumen. Das Anerkenntnis von dieser habe sich auf „den unfallbedingten zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden ab dem 28.02.2020“ bezogen. Es sei damit zeitlich eingeschränkt gewesen, da es nur die (etwaig weiteren) Schäden ab dem 28.02.2020 (Tag des Anerkenntnisses) erfasst habe, nicht auch die Schäden (einschließlich der immateriellen Schäden), die ab dem 13.10.2019 (bis zum 28.02.2020) bereits entstanden gewesen seien.

Auch aus dem Umstand, dass die Beklagten (der Haftpflichtversicherer und der versicherte Versicherungsnehmer) die Auffassung vertraten, ein zur Beendigung ausreichendes Anerkenntnis abgegeben zu haben, folge nichts anderes. Das OLG wies darauf hin, dass eine Erklärung nach §§ 133, 157 BGB ausgelegt werden könne/müsse und ein eventuelles Redaktionsversehen berücksichtigt werden könne. Der Wortlaut sei vorliegend eindeutig im Hinblick auf das Anerkenntnis des lediglich zukünftigen materiellen und immateriellen Schadensersatzes. Mit der Erklärung, ein ausreichendes Anerkenntnis abgegeben zu haben, sei nicht erklärt worden, dass auch die bereits ab dem Unfall vom 13.10.2019 entstandenen materiellen und immateriellen Schäden einbezogen werden sollten. Damit sei nicht davon auszugehen, dass das abgegebene Anerkenntnis vom 28.02.2020 anders als formulier auch auf Schäden ausgedehnt werden könne, die vor diesem Tag lägen.

Damit musste sich das OLG mit der Frage auseinandersetzen, ob im Umfang des Anerkenntnisses (hier im Hinblick auf künftige, ab dem 18.02.2020 eintretende Schäden) dieses im Tenor eines Urteils zu berücksichtigen sei. Das wurde vom OLG verneint. Es verwies darauf, dass die Aufgabe des Bestreitens das Feststellungsinteresse nur entfallen lasse, wenn der Kläger endgültig gesichert sei. Die endgültige Sicherung beträfe aber den gesamten geltend gemachten Anspruch, also ab dem Unfallereignis vom 13.10.2019. Da das vorliegend nicht der Fall gewesen sei, sei der umfassende Antrag weiterhin gerechtfertigt.

OLG Hamm, Urteil vom 17.12.2021 - I-7 U 99/20 -

Sonntag, 1. Mai 2022

Pflichtteilsberechtigter hat keinen Anspruch auf ein Sachverständigengutachten für Grundstückswertermittlung


Im Streit zwischen den Parteien war, ob der Pflichtteilsberechtigte im Rahmen des verlangten notariellen Nachlassverzeichnisses vom Erben zur Ermittlung des Verkehrswertes eines zum Nachlass gehörenden Grundstücks ein Sachverständigengutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen verlangen kann. Vom Erben wurde ein Schätzgutachten des Ortsgerichts Rüsselsheim dem Nachlassverzeichnis beigefügt. Das Landgericht wies die Klage ab. Die vo Kläger eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen.

§ 2314 BGB als Grundlage des Auskunftsanspruchs des Pflichtteilsberechtigten sehe die Ermittlung des Wertes von Nachlassgegenständen vor. So sollen dem Berechtigten vom Verpflichteten die Informationen zugeleitet werden, die diesen in die Lage versetzen seinen Pflichtteilsanspruch, ggf. unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen, zu berechnen. Auch wenn der Erbe dem Bestandsverzeichnis, welches er auf Verlangen notariell erklären muss, keine Wertangaben beifügen müsse, habe der Pflichtteilsberechtigte einen vom Auskunftsanspruch zu trennenden Wertermittlungsanspruch, der unabhängig vom Wissen und den Vorstellungen des Verpflichteten sei.

Gutachten dieser Art könnten den Streit über den (fiktiven oder realen) Wert von Gegenständen nicht entscheiden, weshalb bei einem gerichtlichen Streit meist weitere Gutachten erforderlich würden (BGH, Urteil vom 19.04.1989 - IV a ZR 85/88 -). Damit käme einem Wertgutachten nicht selten lediglich die Funktion zu, das Prozessrisiko besser abzuschätzen. Dass der Berechtigte ohne derartige vorbereitende Sachverständigengutachten auskommen könne zeige auch § 1379 BGB, der dem Ehegatten bei Beendigung des gesetzlichen Güterstandes einen Anspruch auf Wertermittlung lediglich auf eigene Kosten gebe (BGH aaO.).

Das OLG vertritt die Auffassung, dass schon mit der Vorlage der Schätzung des Ortsgerichts der Erbe seiner gesetzlichen Verpflichtung iSv. § 2314 BGB nachkommen würde. So sei das Ortsgericht nach § 2 Ortsgerichtsgesetz in Hessen eine berufene Stelle für Grundstücksschätzungen, da ihm das Schätzungswesen obläge und es eine Hilfsbehörde der Justiz sei. Die Mitglieder des Ortsgerichts würden über besondere Sachkunde verfügen, da sie besondere Kenntnisse zur Lage der zu schätzenden Grundstücke und um deren wertbildende Faktoren hätten. Das beruhe auf ihrer Kenntnis des örtlichen Grundstücksmarktes. Nach § 8 Ortsgerichtsgesetz sei persönliche Voraussetzung für die Ernennung zu Ortsgerichtsmitgliedern deren Vertrautheit mit der Schätzung von Grundstücken, wobei hinzu käme, dass Grundstücksschätzungen nach § 18 Ortsgerichtsgesetz in der Besetzung mit drei Mitgliedern vorzunehmen sei.

§ 2314 BGB schreibe auch nicht zwingend die Einholung eines Sachverständigengutachtens vor, weshalb die Einholung einer ortsgerichtlichen Schätzung ausreichend sei. Eine Qualifikation als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger sei im Gesetz nicht geregelt; eine Allgemeinvereidigung habe unabhängig davon keinen Einfluss auf Qualifikation und Unabhängigkeit, wobei eine Unparteilichkeit entsprechend den Regelungen zur Befangenheit eines gerichtlich bestellten Sachverständigen (§ 406 ZPO) vorliegen müsse. Die Wertermittlung als solche müsse nach einer gängigen Methode erfolgen (wie hier eine Verkehrswertermittlung). Da die vorliegende Wertermittlung sowohl eine Bodenwertermittlung als auch eine Verkehrswertermittlung (bei gegebener Selbstnutzung) enthalte und die baulichen Besonderheiten berücksichtige, erfülle sie die Voraussetzungen des § 2314 BGB, um dem Kläger ein umfassendes Bild über den Nachlassgegenstand und damit seinen Pflichtteilsanspruch zu verschaffen.

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 08.12.2021 - 12 U 110/21 -

Samstag, 30. April 2022

Selbständiges Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO und Schiedsgutachterabrede

Der Streit der Parteien ging in der Sache um behauptete Mängel an einer neuerrichteten Autobahnbrücke. Die Antragstellerin beantragte die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO zur Feststellung von Mängeln bestimmten Stahlbauteilen, dessen Zulässigkeit sich aus § 485 Abs. 1 Fall 2 ZPO wie auch aus € 485 Abs. 2 ZPO ergebe. Von der Antragsgegnerin wurde auf die vereinbarten VOB/B verwiesen, weshalb dem selbständigen Beweisverfahren die Schiedsgutachterabrede nach § 18 Abs. 4 VOB/B und Ziffer 2.3.6. ZTV-ING, Teil 1, Abschnitt 1 entgegenstünde. Das Landgericht wies den Antrag zurück. Auch die sofortige Beschwerde war nicht erfolgreich, weshalb die Antragstellerin die zugelassene Rechtsbeschwerde einlegte. Aber auch diese führte nicht zum Erfolg. Der BGH vertrat die Ansicht, dass die Schiedsgutachterabrede nach § 18 Abs. 4 VOB/B Vorrang habe und es von daher der Antragstellerin an einem rechtlichen Interesse an einem selbständigen Beweisverfahren ermangele.

Nach § 18 Abs. 4 S. 1 VOB/B könne jeder Vertragspartei bei Meinungsverschiedenheiten unter anderem über die Eigenschaft von Stoffen oder Bauteilen, für die allgemein gültige Prüfverfahren bestünden, die materialtechnische Untersuchung durch eine staatliche oder staatlich geprüfte Materialprüfungsstelle vornehmen lassen, deren Feststellungen nach § 18 Abs. 4 VOB/B verbindlich seien. Die Regelung in § 18 Abs. 4 VOB/B stelle eine Schiedsgutachterabrede dar, soweit der gegenständliche Anwendungsbereich reiche.

Im Einzelnen zeigte der BGH den unterschiedlichen Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur zum Verhältnis eines selbständigen Beweisverfahrens im Verhältnis zu einer Schiedsgutachterabrede der Parteien auf. Teilweise würde für ein selbständiges Beweisverfahren das rechtliche Interesse negiert, wenn die Parteien eine Schiedsgutachterabrede getroffen hätten. Nach anderer Ansicht bliebe die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens trotz Schiedsgutachtervereinbarung zulässig. Eine vermittelnde Ansicht nehme eine Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens an, solange ein Schiedsgutachterverfahren noch nicht eingeleitet worden sei bzw. ein Schiedsgutachten noch nicht eingeholt worden sei.  Der BGH folgte der ersten Auffassung zur Unzulässigkeit wegen fehlenden rechtlichen Interesses.

Mit der Schiedsgutachterabrede würden die Parteien die Abrede treffen, dass die gegenständlich in der Vereinbarung (hier § 18 Abs. 4 ZPO) erfassten Tatsachenfragen grundsätzlich bindend durch den Schiedsgutachter festgestellt werden sollen, dessen Feststellungen dann nur noch bedingt nach Maßgabe von §§ 317 ff BGB gerichtlich überprüfbar seien (BGH, Urteil vom 11.03.2021 - VII ZR 196/18 -). Der Wille der Parteien sei mit der Schiedsgutachterabrede darauf gerichtet, dass bei einer Auseinandersetzung ein Schiedsgutachten eingeholt werden solle und über das Beweisthema gerade keine gerichtliche Beweiserhebung vorgenommen werden solle.

Es entspräche den Grundsätzen der Privatautonomie zu entscheiden, ob bei Auseinandersetzungen über tatsächliche Fragen ein Gericht selbständiges Beweisverfahren angestrengt werden soll/kann oder nicht. Ein entsprechender Vertrag, mit dem sich eine Partei zu einem bestimmten prozessualen Verpflichtet oder sich verpflichtet ein solches zu unterlassen, sei wirksam, wenn die Handlung oder Unterlassung möglich sei und weder gegen ein gesetzliches Verbot noch gegen die guten Sitten verstoße (BGH, Urteil vom 21.12.2005 - VIII ZR 108/04 -). Haben die Parteien eine Vereinbarung dahingehend getroffen, dass Feststellungen auf andere Weise als durch ein selbständiges Beweisverfahren getroffen werden sollen, fehle es daher an einem rechtlichen Interesse für eine vorherige oder parallele Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens. Dies gelte auch für § 18 Abs. 4 VOB/B. Die sich daraus ergebende Sperrwirkung trage auch dem Umstand Rechnung, eine doppelte Begutachtung in derselben Angelegenheit zu vermeiden.

Auch der Umstand, dass im Rahmen des Schiedsgutachterabrede keine Streitverkündung nach §§ 72 ff ZPO möglich sei und von daher in einem Folgeprozess mit einem Dritten eventuell doch ein gerichtliches Gutachten einzuholen ist, ändert im Hinblick auf die Zulässigkeit der privatautonomen Vereinbarung der Parteien nichts.

Zudem läge auch kein Fall des § 485 Abs. 1 Fall 2 ZPO vor vor dem Hintergrund, dass sich die Stahlbauteile an einem Ort im Ausland befänden. Dies begründe ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht die Besorgnis eines Beweismittelverlusts (wobei für Gegenstände, die ins Ausland verbracht werden sollen, anders gelten könnte).

BGH, Beschluss vom 26.01.2022 - VII ZB 19/21 -

Donnerstag, 28. April 2022

Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist kein Kaufmann (zur Gerichtstandvereinbarung, § 38 ZPO)

Bei der Klägerin handelte es sich um ein gewerbliches Reinigungsunternehmen, die für die Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) tätig war. Ihren Werklohnanspruch machte sie ursprünglich gegen die in Form einer GmbH geführten WEG-Verwalterin vor dem AG W. geltend. Dort wurde die Klage erhoben, da nach den AGB der Klägerin als Erfüllungsort und Gerichtsstand W. benannt wurde. Die Klage gegen die GmbH nahm die Klägerin zurück und richtete sie nunmehr gegen die WEG. Die beklagte WEG rügte die Unzuständigkeit des AG W. Nach Anhörung verwies das AG W. den Rechtsstreit an das AG H.-M., in dessen örtlichen Bereich das Wohnungseigentum lag. Das AG H.-M. sah die Verweisung als willkürlich an, erklärte sich für unzuständig und legte den Rechtsstreit dem OLG Celle zur Zuständigkeitsbestimmung vor mit der Begründung, die WEG sei qua Gesetz teilrechtsfähig und von daher wie eine juristische Person zu behandeln.

Das OLG erklärte das AG H.-M. (bzw. das LG Aurich, zu dessen Bezirk des AG H.-M. gehört) als zuständiges Gericht und führte aus, der Verweisungsbeschluss sei nicht objektiv willkürlich und von daher nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO bindend. Für eine Willkür sei nicht ausreichend, dass der Verweisungsbeschluss evtl. inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft sei. Vielmehr setze Willkür voraus, dass der Beschluss bei verständiger Würdigung nach den das Grundgesetz beherrschenden Gedanken (gemeint dürfte hier insbes. die Beachtung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1GG ebenso wie das Gebot des gesetzlichen Richters, Art. 101 Abs. 1 GG sein) nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar sei (BGH, Beschluss vom 09.06.2015 - X ARZ 115/15 -).

Das AG H.-M. hatte sich von dem Gedanken leiten lassen, dass in den AGB der Klägerin eine Gerichtsstandklausel enthalten ist, derzufolge für gerichtliche Auseinandersetzungen Gerichtsstand W. ist. Ist der Vertragspartner Kaufmann, kann (auch in AGB) ein Gerichtsstand für schuldrechtliche Auseinandersetzungen abweichend vom Gerichtsstand des Sitzes/Wohnsitzes des Gegners (§ § 13, 17 ZPO) ein Gerichtsstand bestimmt werden (§ 38 ZPO).

Das OLG führte aus, dass das AG W. zutreffend eine Kaufmannseigenschaft der WEG verneint habe, weshalb auf sich beruhen könne, ob eine unzutreffende rechtliche Einordnung durch das AG W. hier die Annahme einer Willkür rechtfertigen könne.

Zwar sei die WEG teilrechtsfähig, doch würde dies nichts dazu aussagen, ob sie auch als Kaufmann einzustufen sei. Wer im Sinne von § 38 Abs. 1 ZPO Kaufmann sei würde das Handelsrecht in §§ 1 bis 7 HGB regeln. Erfasst würden danach alle Betreiber eines Handelsgewerbes, mithin jeder Gewerbetreibende, soweit der Gewerbebetrieb nicht nach Art und Umfang keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordere (Anm.: derjenige, der sich darauf beruft, dass sein Gewerbebetrieb keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordere, muss dies im Streitfall darlegen und beweisen). Ferner würden unter den Begriff des Kaufmanns alle im Handelsregister eingetragenen Gewerbetreibenden, Land- und Forstwirte sowie alle Handelsgesellschaften fallen, unabhängig davon, ob der Zweck auf den Betreib eines Handelsgewerbes gerichtet sei oder ob sie kraft gesetzlicher Fiktion (vgl. z.B. § 12 Abs. 3 GmbHG, § 3 Abs. 1 AktG) als solche gelten. Die WEG falle nicht darunter.

Von daher sei es unerheblich, ob die WEG als Verbraucherin iSv. § 13 BGB oder als Unternehmerin iSv. § 14 BGB anzusehen sei, auch wenn die Einordnung als Verbraucherin nach dem Schutzzweck der Norm des § 13 BGB in der Regel nicht zu verneinen sei (Anm.: Der BGH hat mit Urteil vom 24.03.2015 - VIII ZR 243/13 - entscheiden, dass die WEG immer dann einem Verbraucher gleichzustellen sei, wenn anzusehen sei, wenn ihr zumindest ein Verbraucher angehöre und der streitbefangene Vertrag nicht unternehmerischen oder gewerblichen Zwecken diene).

OLG Celle, Beschluss vom 22.12.2021 - 18 AR 27/21 -

Mittwoch, 27. April 2022

WEG: Beschluss zum Verbot der Nutzung der Tiefgarage mit E-Autos

Die E-Mobilität ist auch in der Rechtsprechung angekommen. So hat sich schon mancher die Frage gestellt, wie leicht ein E-Autos Feuer fangen kann und wie schwer es ist, dieses zu löschen. Und die weitergehende Frage daraus ist, ob das Fahrzeug in einer (Tief-) Garage geparkt werden sollte oder nicht. Das AG Wiesbaden musste sich nun damit auseinandersetzen, ob die Wohnungseigentümergemeinschaft mit Mehrheitsbeschluss das Abstellen von E-Autos in Tiefgaragen verbieten kann. Dies wurde vom Amtsgericht verneint, welches damit den entsprechenden Beschluss für unwirksam erklärte. Es bleibt abzuwarten, ob andere Gerichte und Instanzgerichte dem folgen oder anders entscheiden.

Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung der WEG und Klageerhebung wurde der der Wohnung des Klägers zugeordnete Tiefgaragenstellplatz von einem Mieter des Klägers für ein Hybrid-Fahrzeug genutzt. Nach dem angefochtenen Beschluss wurde das Abstellen von E-Autos in der Tiefgarage bis auf weiteres untersagt. Der Klägervertrat die Ansicht, der Eigentümerversammlung ermangele es an einer Beschlusskompetenz und zudem greife der Beschluss in sein Sondernutzungsrecht ein und verstoße gegen die gesetzgeberische Zielsetzung der Förderung der Elektromobilität. Die Beklagtenseite wies u.a. auf die Gefahr durch die Lithium-Ionen-Batterien hin, mit denen die Fahrzeuge betrieben würden und die sich entzünden könnten. Nicht nur sei die Dauer des Brandverlaufs länger als bei einem Benzinbrand, es könne nicht mit Löschschaum gelöscht werden und das Fahrzeug müsste von der Feuerwehr in einen Container zum Ausbrennen gezogen werden, wobei ein solcher Container nicht in die Tiefgarage verbracht werden könne, weshalb er mit einer weitergehenden Gefahr für das Gemeinschaftseigentum in der Tiefgarage ausbrennen müsse.

Das Amtsgericht bejahte die Beschlusskompetenz der Eigentümerversammlung gem. § 19 Abs. 1 WEG. Es handele sich danach vorliegend um Nutzungsreglungen des Gemeinschafts- und Sondereigentums. Zwar sei ein solcher Beschluss nichtig, wenn er das Sondernutzungsrecht aushöhle, doch würde diese Grenze durch den Beschluss nicht überschritten, da nur das Abstellen bestimmter Fahrzeuge untersagt würde.

Allerdings verstoße der Beschluss gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung. Der Gesetzgeber habe jedem einzelnen Wohnungseigentümer ein individuelles Recht auf Gestattung baulicher Maßnahmen gegeben, die dem Laden elektrisch beriebener Fahrzeuge dienen, § 20 Abs. 2 Nr. 2 WEG. Dieses Recht würde mit dem Beschluss ins Leere laufen. Die einzelnen Wohnungseigentümer könnten zwar die Installation einer Ladesäule erzwingen, sie dann aber nicht nutzen. Es läge damit ein Verstoß gegen ein wesentliches gesetzgeberisches Ziel der WEG-Reform vor. Vor diesem Hintergrund verstoße der Beschluss selbst dann gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn man zugunsten der Beklagtenseite die besondere Brandgefahr von Elektrofahrzeugen als wahr unterstelle.

Anmerkung: Das Amtsgericht hat sich im Hinblick auf die Grundlage einer gesetzgeberischen Intention, der Norm des § 20 Abs. 2 WEG und den Grundlagen ordnungsgemäßer Verwaltung nicht mit der Frage der akuten Brandgefahr und erhöhten Gefährdung des Gemeinschaftseigentums auseinandergesetzt. Zu fragen wäre hier, ob die gesetzgeberische Intention mit dem Grundrecht der Gewährleistung des Eigentum sin Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar ist. Zwar steht dieses unter Gesetzesvorbehalt, Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG. Grundsätzlich gewährleistet Art. 14 GG einen verfassungsrechtlichen Schutz gegen staatliche Eingriffe in das Eigentum und gewährleistet einen effektiven Rechtsschutz. Danach dürfen solche Sachbereiche nicht der Privatrechtsordnung entzogen werden, die zum elementaren Bestand grundrechtlich geschützter Betätigung im vermögensrechtlichen Bereich gehören (BVerfG, Urteil vom 18.12.1968 - I BvR 638/64 -). Hier geht es gerade um diesen vermögensrechtlichen Bereich, wenn seitens der Eigentümergemeinschaft eine nicht kalkulierbare Gefährdung des Gemeinschaftseigentums bei Brand derartiger Fahrzeuge geltend macht. So wird teilweise vorgegeben, dass bei Parkern mit Hebebühne der untere Parker nicht unter den Fußboden der Garage gefahren werden darf, damit die Feuerwehr im Brandfall auch Zugriff hat. Der Brandschutz ist ein wesentliches Element des baurechtlichen Genehmigungsverfahrens, gerade bei Mehrfamilienhäusern, auch in Bezug auf Tiefgaragen. So gilt es auch Regelungen zur Menge der Lagerung von brennbaren Stoffen in Garagen (vgl. 17 Abs. 4 bay. GaStellV). Es dürfte zumindest fraglich sein, ob hier die gesetzgeberische Intention der Förderung der Elektromobilität zu Lasten des Eigentum Dritter vorgeht. Damit hätte sich das Amtsgericht auseinandersetzen müssen.

AG Wiesbaden, Urteil vom 04.02.2022 - 92 C 2541/21 -