Der Streit der Parteien ging in der Sache um behauptete Mängel an einer neuerrichteten Autobahnbrücke. Die Antragstellerin beantragte die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO zur Feststellung von Mängeln bestimmten Stahlbauteilen, dessen Zulässigkeit sich aus § 485 Abs. 1 Fall 2 ZPO wie auch aus € 485 Abs. 2 ZPO ergebe. Von der Antragsgegnerin wurde auf die vereinbarten VOB/B verwiesen, weshalb dem selbständigen Beweisverfahren die Schiedsgutachterabrede nach § 18 Abs. 4 VOB/B und Ziffer 2.3.6. ZTV-ING, Teil 1, Abschnitt 1 entgegenstünde. Das Landgericht wies den Antrag zurück. Auch die sofortige Beschwerde war nicht erfolgreich, weshalb die Antragstellerin die zugelassene Rechtsbeschwerde einlegte. Aber auch diese führte nicht zum Erfolg. Der BGH vertrat die Ansicht, dass die Schiedsgutachterabrede nach § 18 Abs. 4 VOB/B Vorrang habe und es von daher der Antragstellerin an einem rechtlichen Interesse an einem selbständigen Beweisverfahren ermangele.
Nach § 18 Abs. 4 S. 1 VOB/B könne jeder Vertragspartei bei Meinungsverschiedenheiten unter anderem über die Eigenschaft von Stoffen oder Bauteilen, für die allgemein gültige Prüfverfahren bestünden, die materialtechnische Untersuchung durch eine staatliche oder staatlich geprüfte Materialprüfungsstelle vornehmen lassen, deren Feststellungen nach § 18 Abs. 4 VOB/B verbindlich seien. Die Regelung in § 18 Abs. 4 VOB/B stelle eine Schiedsgutachterabrede dar, soweit der gegenständliche Anwendungsbereich reiche.
Im Einzelnen zeigte der BGH den unterschiedlichen Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur zum Verhältnis eines selbständigen Beweisverfahrens im Verhältnis zu einer Schiedsgutachterabrede der Parteien auf. Teilweise würde für ein selbständiges Beweisverfahren das rechtliche Interesse negiert, wenn die Parteien eine Schiedsgutachterabrede getroffen hätten. Nach anderer Ansicht bliebe die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens trotz Schiedsgutachtervereinbarung zulässig. Eine vermittelnde Ansicht nehme eine Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens an, solange ein Schiedsgutachterverfahren noch nicht eingeleitet worden sei bzw. ein Schiedsgutachten noch nicht eingeholt worden sei. Der BGH folgte der ersten Auffassung zur Unzulässigkeit wegen fehlenden rechtlichen Interesses.
Mit der Schiedsgutachterabrede würden die Parteien die Abrede treffen, dass die gegenständlich in der Vereinbarung (hier § 18 Abs. 4 ZPO) erfassten Tatsachenfragen grundsätzlich bindend durch den Schiedsgutachter festgestellt werden sollen, dessen Feststellungen dann nur noch bedingt nach Maßgabe von §§ 317 ff BGB gerichtlich überprüfbar seien (BGH, Urteil vom 11.03.2021 - VII ZR 196/18 -). Der Wille der Parteien sei mit der Schiedsgutachterabrede darauf gerichtet, dass bei einer Auseinandersetzung ein Schiedsgutachten eingeholt werden solle und über das Beweisthema gerade keine gerichtliche Beweiserhebung vorgenommen werden solle.
Es entspräche den Grundsätzen der Privatautonomie zu entscheiden, ob bei Auseinandersetzungen über tatsächliche Fragen ein Gericht selbständiges Beweisverfahren angestrengt werden soll/kann oder nicht. Ein entsprechender Vertrag, mit dem sich eine Partei zu einem bestimmten prozessualen Verpflichtet oder sich verpflichtet ein solches zu unterlassen, sei wirksam, wenn die Handlung oder Unterlassung möglich sei und weder gegen ein gesetzliches Verbot noch gegen die guten Sitten verstoße (BGH, Urteil vom 21.12.2005 - VIII ZR 108/04 -). Haben die Parteien eine Vereinbarung dahingehend getroffen, dass Feststellungen auf andere Weise als durch ein selbständiges Beweisverfahren getroffen werden sollen, fehle es daher an einem rechtlichen Interesse für eine vorherige oder parallele Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens. Dies gelte auch für § 18 Abs. 4 VOB/B. Die sich daraus ergebende Sperrwirkung trage auch dem Umstand Rechnung, eine doppelte Begutachtung in derselben Angelegenheit zu vermeiden.
Auch der Umstand, dass im Rahmen des Schiedsgutachterabrede keine Streitverkündung nach §§ 72 ff ZPO möglich sei und von daher in einem Folgeprozess mit einem Dritten eventuell doch ein gerichtliches Gutachten einzuholen ist, ändert im Hinblick auf die Zulässigkeit der privatautonomen Vereinbarung der Parteien nichts.
Zudem läge auch kein Fall des § 485 Abs. 1 Fall 2 ZPO vor vor dem Hintergrund, dass sich die Stahlbauteile an einem Ort im Ausland befänden. Dies begründe ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht die Besorgnis eines Beweismittelverlusts (wobei für Gegenstände, die ins Ausland verbracht werden sollen, anders gelten könnte).
BGH, Beschluss vom
26.01.2022 - VII ZB 19/21 -
Aus den Gründen:
Tenor
Die
Rechtsbeschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des 17. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Köln vom 15. März 2021 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die
Antragstellerin erstrebt im selbständigen Beweisverfahren die Feststellung von
Mängeln an seitens der Antragsgegnerin zur Verwendung bei der Neuerrichtung
einer Autobahnbrücke vorgesehenen Stahlbauteilen.
Die
Antragstellerin erteilte der Antragsgegnerin im Jahre 2017 den Zuschlag für ein
Bauvorhaben, das unter anderem die Neuerrichtung einer Autobahnbrücke umfasst.
In den Bauvertrag wurden unter anderem die VOB/B sowie die Zusätzlichen
Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING)
einbezogen. Die Antragstellerin erhob in der Folgezeit zahlreiche Rügen
insbesondere in Bezug auf die von einem Nachunternehmer der Antragsgegnerin
gefertigten Stahlbauteile sowie den Fertigungsprozess; hierüber entstand
zwischen den Parteien Streit. Mit Schreiben vom 16. April 2020 teilte die
Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, sie mache von ihren vertraglichen
Rechten aus § 18 Abs. 4 VOB/B und Ziff. 2.3.6. ZTV-ING, Teil 1,
Abschnitt 1 Gebrauch und verlange eine Schiedsuntersuchung mittels einer
Prüfung durch eine staatlich anerkannte Prüfstelle; den Antrag richte sie an
eine - von ihr näher bezeichnete - Versuchsanstalt in K. unter Leitung von
Prof. Dr.-Ing. U.
Mit Schriftsatz
vom 27. April 2020 beantragte die Antragstellerin bei dem Landgericht die
Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens und zugleich den Erlass von
Anordnungen gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO in Bezug auf
bestimmte Stahlbauteile. Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Zulässigkeit
des selbständigen Beweisverfahrens ergebe sich sowohl aus § 485
Abs. 1 Fall 2 als auch aus § 485 Abs. 2 ZPO. Die Antragsgegnerin
meint dagegen, der Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens stehe eine
vorgreifliche Schiedsgutachtervereinbarung nach § 18 Abs. 4 VOB/B und
Ziff. 2.3.6. ZTV-ING, Teil 1, Abschnitt 1 entgegen.
Prof. Dr.-Ing.
U. ließ am 27. Juli 2020 mitteilen, seine Versuchsanstalt könne die
Untersuchung nicht in der gewünschten Form durchführen, dies sei lediglich
einer von ihm benannten anderen Einrichtung möglich, die als solche aber keine
Materialprüfungsstelle sei. Die Antragsgegnerin unterrichtete daraufhin mit
Schreiben vom 27. August 2020 die Antragstellerin, sie werde die mit Schreiben
vom 16. April 2020 beantragte Schiedsuntersuchung nunmehr durch ein -
gleichfalls von ihr näher bezeichnetes - Materialprüfungsamt in M. unter
Leitung von Prof. Dr.-Ing. M., vornehmen lassen. In der Folgezeit fanden
Untersuchungen der Stahlbauteile durch Prof. Dr.-Ing. M. statt. Die
Begutachtung ist noch nicht abgeschlossen.
Das Landgericht
hat den auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gerichteten
Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige
Beschwerde der Antragstellerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Oberlandesgericht
zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter.
II.
Die gemäß
§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2,
§ 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist
nicht begründet.
1. Das
Beschwerdegericht hat im Wesentlichen ausgeführt, es fehle dem Antrag auf
Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO
an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Hätten die Parteien - so wie hier
- eine Schiedsgutachtenklausel in den Vertrag aufgenommen, sei die vorherige
oder parallele Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens grundsätzlich
unzulässig. Es komme nicht darauf an, ob zeitlich früher eine der Parteien das
Schiedsgutachterverfahren eingeleitet oder die Durchführung eines selbständigen
Beweisverfahrens beantragt habe. Erst dann, wenn das Schiedsgutachterverfahren
ohne Erfolg geblieben sei, sei der Gang zu den ordentlichen Gerichten zulässig.
Der Grund hierfür liege darin, dass sich die Parteien kraft ausdrücklicher
Vereinbarung im Rahmen der Vertragsfreiheit für eine entsprechende
Vorgehensweise entschieden hätten. Das selbständige Beweisverfahren sei auch
nicht zur Vermeidung eines Rechtsstreits geeignet, weil eine hierauf gestützte
Klage selbst bei für die Antragstellerin positivem Beweisergebnis als derzeit
unbegründet abgewiesen werden müsse, wenn die Antragsgegnerin - so wie hier -
die Einrede des Schiedsgutachterverfahrens erhebe. Ein rechtliches Interesse
auf Einholung eines Beweisgutachtens trotz des Vorhandenseins einer
Schiedsgutachterabrede sei daher nicht erkennbar. Das gelte erst recht, wenn
bereits ein Schiedsgutachten vorliege.
Das
selbständige Beweisverfahren sei ferner nicht nach § 485 Abs. 1 ZPO
zulässig. Es sei nicht ausreichend ersichtlich, dass ein Beweismittel
verlorengehen könnte oder seine Benutzung erschwert würde. Mangels Zulässigkeit
des selbständigen Beweisverfahrens sei auch kein Raum für Anordnungen nach
§ 144 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO.
2. Dies
hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
a) Zu
Recht hat das Beschwerdegericht den Antrag auf Durchführung eines selbständigen
Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO für unzulässig erachtet, weil
aufgrund einer vorrangigen Schiedsgutachtervereinbarung der Parteien nach
§ 18 Abs. 4 VOB/B kein rechtliches Interesse der Antragstellerin an
den Feststellungen besteht, die Gegenstand der beantragten Begutachtung durch
einen Sachverständigen sein sollen.
aa) Nach
§ 18 Abs. 4 Satz 1 VOB/B kann bei Meinungsverschiedenheiten
unter anderem über die Eigenschaft von Stoffen oder Bauteilen, für die
allgemein gültige Prüfungsverfahren bestehen, jede Vertragspartei die
materialtechnische Untersuchung durch eine staatliche oder staatlich anerkannte
Materialprüfungsstelle vornehmen lassen, deren Feststellungen verbindlich sind.
§ 18 Abs. 4 VOB/B stellt, soweit sein gegenständlicher
Anwendungsbereich reicht, eine Schiedsgutachtenabrede dar, welche durch
Einbeziehung der VOB/B - wie sie im vorliegenden Fall erfolgt ist - Bestandteil
des Bauvertrages wird (allg. Auffassung, vgl. nur Ingenstau/Korbion/Joussen,
VOB Teile A und B, 21. Aufl., § 18 Abs. 4 VOB/B Rn. 16 m.w.N.).
bb) Im
Ergebnis zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass eine
Schiedsgutachtenabrede nach § 18 Abs. 4 VOB/B jedenfalls einer
vorherigen oder parallelen Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens,
soweit dieses auf § 485 Abs. 2 ZPO gestützt wird, grundsätzlich
entgegensteht, soweit das Beweisthema des beabsichtigen Beweisverfahrens sich
mit dem gegenständlichen Anwendungsbereich der Schiedsgutachtenabrede deckt.
(1) In
welchem Verhältnis das auf § 485 Abs. 2 ZPO gestützte selbständige
Beweisverfahren einerseits und eine von den Parteien getroffene
Schiedsgutachtenvereinbarung andererseits zueinanderstehen, ist in
Rechtsprechung und Schrifttum umstritten.
Nach einer
Auffassung fehlt es für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens
nach § 485 Abs. 2 ZPO grundsätzlich am notwendigen rechtlichen
Interesse, soweit die Parteien eine Schiedsgutachtenabrede getroffen haben.
Danach ist die vorherige oder parallele Durchführung eines selbständigen
Beweisverfahrens unzulässig, soweit der Gegenstand der Schiedsgutachtenabrede
reicht (OLG Bremen, Beschluss vom 30. März 2009 - 1 W 10/09, NZBau 2009, 599,
juris Rn. 9; LG Berlin, Beschluss vom 8. Juni 2011 - 94 OH 2/10, juris Rn. 7
ff.; Musielak/Voit/Huber, ZPO, 18. Aufl., § 485 Rn. 14;
MünchKommZPO/Schreiber, 6. Aufl., § 485 Rn. 16; Stein/Jonas/Berger, ZPO,
23. Aufl., § 486 Rn. 37; Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl., § 485 Rn. 7a;
Weise, Selbständiges Beweisverfahren im Baurecht, 2. Aufl., Rn. 249; ders.,
NJW-Spezial 2015, 684 f.; Cuypers, NJW 1994, 1985, 1992; Zanner, BauR 1998,
1154, 1156 ff.), jedenfalls sofern sich der Gegner - wie hier die
Antragsgegnerin - auf die Schiedsgutachtenabrede beruft (OLG Düsseldorf,
Beschluss vom 28. April 1998 - 23 W 25/98, BauR 1998, 1111;
Ingenstau/Korbion/Joussen, VOB Teile A und B, 21. Aufl., § 18 Abs. 4
VOB/B Rn. 13, Anhang 2 Rn. 58; Heinzerling/Pastor in Werner/Pastor, Der
Bauprozess, 17. Aufl., Rn. 501).
Nach der
Gegenansicht bleibt das selbständige Beweisverfahren nach § 485
Abs. 2 ZPO trotz entsprechender Schiedsgutachtenabrede uneingeschränkt
zulässig (von Bernuth, ZIP 1998, 2081, 2084; ders., EWiR 1999, 235, 236; vgl.
auch OLG Köln, Beschluss vom 19. Oktober 1998 - 20 W 48/98, juris Rn. 3; LG
Hanau, Beschluss vom 28. Mai 1991 - 4 OH 6/91, MDR 1991, 989; im Ergebnis
ebenso Musielak/Voit/Voit, ZPO, 18. Aufl., § 1042 Rn. 28;
Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 42. Aufl., § 485 Rn. 10; Koeble in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher,
Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., 14. Teil Rn. 99).
Eine
vermittelnde Auffassung wiederum nimmt ein rechtliches Interesse im Sinne von
§ 485 Abs. 2 ZPO trotz Schiedsgutachtenabrede an, solange das
Schiedsgutachterverfahren noch nicht in Gang gebracht (OLG Köln, Beschluss vom
24. April 2008 - 15 W 15/08, BauR 2008, 1488 = NZBau 2009, 252, juris Rn. 16)
beziehungsweise das Schiedsgutachten noch nicht eingeholt worden ist (OLG
Koblenz, Beschluss vom 15. Juli 1998 - 5 W 464/98, BauR 1999, 1055, juris Rn.
2). Teilweise wird das rechtliche Interesse nach § 485 Abs. 2 ZPO
auch davon abhängig gemacht, dass mit der Einholung eines Schiedsgutachtens
nicht zu rechnen sein darf (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. August 2015 - 9 W
30/15, BauR 2016, 1962 = NZBau 2015, 775, juris Rn. 16; ähnlich auch
Messerschmidt/Voit/Boldt, Privates Baurecht, 3. Aufl., T. Rn. 81 f.).
(2) Der
erstgenannten Auffassung gebührt der Vorzug. Schließen die Parteien eine
Schiedsgutachtervereinbarung, treffen sie damit gleichzeitig die Abrede, dass
die gegenständlich erfassten Tatsachenfragen grundsätzlich bindend durch den
Schiedsgutachter festgestellt werden sollen. Dessen Feststellungen sind dann
nur noch eingeschränkt nach Maßgabe der §§ 317 ff. BGB gerichtlich
überprüfbar (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2021 - VII ZR 196/18 Rn. 25, BauR
2021, 1183 = NZBau 2021, 316). Durch die Schiedsgutachtenabrede bringen die
Parteien ihren Willen zum Ausdruck, dass sie bei entstehenden
Auseinandersetzungen ein Schiedsgutachten wünschen, und stellen damit
gleichzeitig klar, dass daneben über das gleiche Beweisthema im Allgemeinen
gerade keine gerichtliche Beweiserhebung in Angriff genommen werden soll
(Zanner, BauR 1998, 1154, 1156; Weise, NJW-Spezial 2015, 684; vgl. auch schon
RGZ 96, 57, 61).
Das entspricht
dem Grundsatz der Privatautonomie. Ob die Parteien bei Auseinandersetzungen
über tatsächliche Fragen ein gerichtliches selbständiges Beweisverfahren
anstrengen wollen oder nicht, steht grundsätzlich zu ihrer privatautonomen
vertraglichen Disposition. Denn ein Vertrag, in dem sich eine Partei zu einem
bestimmten prozessualen Verhalten verpflichtet oder dazu, ein solches zu
unterlassen, ist wirksam, wenn die Handlung oder Unterlassung möglich ist und
weder gegen ein gesetzliches Verbot noch gegen die guten Sitten verstößt (st.
Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2005 - VIII ZR 108/04, NJW-RR 2006,
632, juris Rn. 19 m.w.N.). Haben die Parteien die Vereinbarung getroffen, dass
Feststellungen gerade auf andere Weise als durch ein gerichtliches
selbständiges Beweisverfahren getroffen werden sollen, fehlt es daher am
rechtlichen Interesse für die vorherige oder parallele Durchführung eines
streitschlichtenden Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO. Dies gilt
auch im Falle einer Schiedsgutachtervereinbarung nach § 18 Abs. 4
VOB/B. Die grundsätzliche Sperrwirkung der Schiedsgutachtenabrede trägt
außerdem dem Rechtsgedanken der Vermeidung doppelter Begutachtung in derselben
Angelegenheit (vgl. § 485 Abs. 3 ZPO) Rechnung; denn es wäre nicht
nachvollziehbar, wenn staatliche Gerichte bemüht werden sollen, obwohl die
Vertragspartner sich bereits auf ein außergerichtliches Verfahren über den
gleichen Beweisgegenstand geeignet haben (Weise, NJW-Spezial 2015, 684, 684
f.).
Ob das auf
§ 485 Abs. 2 ZPO gestützte selbständige Beweisverfahren gleichwohl
zulässig bleibt, wenn sich der Gegner nicht auf die
Schiedsgutachtervereinbarung beruft, kann dahinstehen, da die Antragsgegnerin
die Einrede der Schiedsgutachtenabrede erhoben hat.
(3) Die
weiteren Einwände, welche die Rechtsbeschwerde gegen die Annahme einer
Sperrwirkung der Schiedsgutachtenabrede vorbringt, greifen nicht durch.
(a) Ob
ein gerichtliches selbständiges Beweisverfahren, wie die Rechtsbeschwerde
geltend macht, etwa aufgrund der Möglichkeit zur Streitverkündung nach
§§ 72 ff. ZPO oder eines Erörterungstermins mit dem Ziel eines
Vergleichsabschlusses nach § 492 Abs. 3 ZPO in größerem Maße geeignet
sein mag, die Zahl möglicher Folgeprozesse zu minimieren, kann letztlich auf
sich beruhen. Haben sich die Parteien - so wie hier - verbindlich darauf
geeinigt, die Feststellungen von Tatsachen einem sachkundigen Dritten zu
übertragen und ist damit von ihnen ein weniger an staatlichem Verfahren
gewollt, so haben sie zugleich etwaige Nachteile, die daraus entstehen, in
ihren Willen mit aufgenommen und müssen diese daher hinnehmen (Zanner, BauR
1998, 1154, 1158). Es gilt der Vorrang der vertraglichen Vereinbarung,
unabhängig davon, ob die rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen der
Antragsgegnerin durch ein selbständiges Beweisverfahren gleichermaßen gewahrt
wären.
(b)
Soweit die Rechtsbeschwerde die Notwendigkeit betont, anhand des Ergebnisses
eines selbständigen Beweisverfahrens das Schiedsgutachten auf offenbare
Unbilligkeit analog § 319 Abs. 1 BGB überprüfen können zu müssen, und
für den Streitfall bereits Gesichtspunkte aufzeigt, die ihrer Auffassung nach
gegen ein "billiges" Ergebnis der laufenden Schiedsbegutachtung
sprechen, führt dies jedenfalls nicht zur Zulässigkeit eines auf § 485 Abs. 2
ZPO gestützten selbständigen Beweisverfahrens, solange - wie hier - das
Schiedsgutachten, dessen "Unbilligkeit" zu überprüfen ist, noch gar
nicht vorliegt (so auch Zanner, BauR 1998, 1154, 1157).
(c)
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde lassen sich auch der Gesetzesbegründung
zum Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I 1990,
S. 2847), mit welchem die Regelung des § 485 Abs. 2 ZPO zum
streitschlichtenden Beweisverfahren eingeführt wurde, keine Anhaltspunkte gegen
die Sperrwirkung der Schiedsgutachtenabrede entnehmen. Nach der
Gesetzesbegründung soll das Verfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO spätere
Hauptsacheprozesse gerade in Bausachen vermeiden helfen (vgl. BT-Drucks.
11/3621, S. 23). Eine privatautonom getroffene Schieds-gutachterabrede
dient indes ebenfalls dieser Vermeidung (zutreffend Weise, NJW-Spezial 2015,
684). Dass den Parteien das Verfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO daneben
zwingend offenstehen muss und insoweit keiner Parteidisposition zugänglich sein
darf, findet in den Gesetzesmotiven keine Stütze.
(d) Die
Rechtsbeschwerde dringt auch nicht mit dem Einwand durch, es bestehe zwischen
den Parteien Streit über die Reichweite der Schiedsgutachtenabrede, so dass es
der Antragstellerin, welche meint, es handele sich bei den Stahlbrückenteilen
nicht um untersuchungsfähige Bauteile im Sinne von § 18 Abs. 4 VOB/B,
möglich sein müsse, ein selbständiges Beweisverfahren parallel zu dem aus ihrer
Sicht unzulässigen Schiedsgutachterverfahren einzuleiten. Denn ob die
Sichtweise der Antragstellerin zutrifft, also eine gegenständlich vorrangige
Schiedsgutachtenabrede nicht besteht, ist bei der Prüfung der Zulässigkeit des
Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gerade zu
entscheiden, und zwar - so wie im vorliegenden Fall geschehen, wenn auch mit
negativem Ausgang für die Antragstellerin - bei der Prüfung des rechtlichen
Interesses nach § 485 Abs. 2 ZPO.
(e)
Soweit die Rechtsbeschwerde schließlich eine Vielzahl ungeklärter
verjährungsrechtlicher Fragen ins Feld führt und die Antragstellerin großer
Rechtsunsicherheit ausgesetzt sieht, sollte diese gehalten sein, zunächst den
Ausgang des Schiedsgutachterverfahrens abzuwarten, spricht dies ebenfalls nicht
gegen den Vorrang des schiedsgutachterlichen Verfahrens nach § 18
Abs. 4 VOB/B. Bei der Schiedsgutachtenabrede nach § 18 Abs. 4
VOB/B handelt es sich um ein "vereinbartes Begutachtungsverfahren" im
Sinne von § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB (Beck'scher
VOB/B-Kommentar/Kölbl, 3. Aufl., § 18 Abs. 4 Rn. 29;
Ingenstau/Korbion/Joussen, VOB Teile A und B, 21. Aufl., § 18 Abs. 4
VOB/B Rn. 14; im Ergebnis ebenso OLG Celle, Urteil vom 26. Januar 1995 - 14 U
48/94, BauR 1995, 556, juris Rn. 4 zu § 202 BGB a.F.; a.A.
Leinemann/Franz, VOB/B, 7. Aufl., § 18 Rn. 70; Kapellmann/Messerschmidt/Merkens,
VOB Teile A und B, 7. Aufl., § 18 VOB/B Rn. 38). Andernfalls hätte es der
Gegner in der Hand, die Verjährungshemmung durch Nichtbeteiligung am Verfahren
nach § 18 Abs. 4 VOB/B zu vereiteln, was nicht gewollt sein kann.
Durch die Einleitung des Begutachtungsverfahrens wird daher die Verjährung von
Ansprüchen, die mit dem Prüfungsauftrag der Materialprüfungsstelle in
Verbindung stehen, beziehungsweise zu deren Durchsetzung es auf die
Begutachtung ankommt, gehemmt (vgl. Schmidt-Räntsch in Erman, BGB, 16. Aufl.,
§ 204 Rn. 22).
(f) Der
Rechtsbeschwerde muss der Erfolg auch insofern versagt bleiben, als sie darauf
abhebt, durch die Mitteilung des Prof. Dr.-Ing. U. vom 27. Juli 2020 habe die
Schiedsbegutachtung geendet und bei dem nunmehr von der Antragsgegnerin
betriebenen Schiedsgutachtenverfahren mit Prof. Dr.-Ing. M. handele es sich um
ein neues, selbständiges Verfahren nach § 18 Abs. 4 VOB/B
beziehungsweise ZTV-ING. Denn unabhängig davon, ob dieser Rechtsstandpunkt
zutrifft oder stattdessen nur ein Gutachterwechsel innerhalb eines
einheitlichen - fortdauernden - Schiedsgutachtenverfahrens vorliegt, vermag
auch die Auffassung der Rechtsbeschwerde die Zulässigkeit des auf § 485
Abs. 2 ZPO gestützten selbständigen Beweisverfahrens nicht zu begründen.
Allein der Beauftragung eines neuen Gutachters kann hier nicht der Wille der
Antragsgegnerin entnommen werden, die von ihr bereits erhobene Einrede der
Schiedsgutachtenabrede wieder fallen zu lassen.
cc)
Rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht schließlich auch die Voraussetzungen
von § 18 Abs. 4 VOB/B im konkreten Fall als Bedingung für die
Sperrwirkung gegenüber dem selbständigen Beweisverfahren bejaht. Soweit die
Rechtsbeschwerde meint, dass es sich bei den zu untersuchenden
Stahlbrückenteilen nicht um "Bauteile" im Sinne von § 18
Abs. 4 VOB/B handele, ist das Beschwerdegericht zu Recht davon
ausgegangen, dass der Antragstellerin dieser Einwand jedenfalls versperrt ist,
nachdem sie entsprechende Fragen zum Zustand der Stahlbauteile mittlerweile
selbst in das Schiedsgutachterverfahren eingeführt hat. Dagegen sowie gegen das
Vorliegen der übrigen Voraussetzungen von § 18 Abs. 4 VOB/B werden
von der Rechtsbeschwerde auch keine Einwendungen erhoben.
dd) Nach
alledem kann offenbleiben, ob die das rechtliche Interesse nach § 485
Abs. 2 ZPO ausschließende Schiedsgutachtervereinbarung - so wie die
Antragsgegnerin meint - auch auf Ziff. 2.3.6. ZTV-ING, Teil 1, Abschnitt 1
gestützt werden kann. Denn sie ergibt sich bereits aus § 18 Abs. 4
VOB/B. Die von der Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang sinngemäß erhobene
Gehörsrüge, das Beschwerdegericht habe das Parteivorbringen zu den Grundlagen
der Schiedsgutachtenabrede nicht hinreichend erfasst und dabei rechtsirrig
Ziff. 2.3.6. ZTV-ING, Teil 1, Abschnitt 1 als "Schiedsgutachtervereinbarung
gemäß § 18 Abs. 4 VOB/B" bezeichnet, hat der Senat geprüft, aber
für nicht durchgreifend erachtet; von einer Begründung wird insoweit abgesehen
(§ 577 Abs. 6 Satz 2 ZPO i.V.m. § 564 Satz 1 ZPO).
b) Die
Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens ergibt sich auch nicht aus
§ 485 Abs. 1 ZPO. Das Rechtsbeschwerdegericht ist rechtsfehlerfrei
davon ausgegangen, dass bereits die Voraussetzungen von § 485 Abs. 1
Fall 2 ZPO nicht vorliegen, also die Besorgnis des Verlusts des Beweismittels oder
der Erschwernis seiner Benutzung nicht besteht.
aa)
Soweit die Rechtsbeschwerde meint, es bestehe die Gefahr von Veränderungen der
zu begutachtenden Brückenteile durch Verwitterung und durch von der
Nachunternehmerin der Antragsgegnerin angekündigte Antikorrosionsmaßnahmen, hat
das Beschwerdegericht keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen. Die in
diesem Zusammenhang von der Rechtsbeschwerde sinngemäß erhobene Gehörsrüge hat
der Senat geprüft, aber für nicht durchgreifend erachtet; von einer Begründung
wird insoweit abgesehen (§ 577 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. § 564
Satz 1 ZPO).
bb) Die
Zulässigkeit eines auf § 485 Abs. 1 Fall 2 ZPO gestützten
selbständigen Beweisverfahrens ergibt sich entgegen der Auffassung der
Rechtsbeschwerde auch nicht daraus, dass die Stahlbauteile an einem anderen Ort
im Ausland liegen. Ohne Hinzutreten besonderer Umstände begründet dies für sich
gesehen noch keine Besorgnis eines Beweismittelverlusts (anders etwa für den
Fall der bevorstehenden Veräußerung der Sache ins Ausland Praun in
Klein-Möller/Merl/Glöckner, Handbuch Baurecht, 6. Aufl., § 19 Rn. 24).
cc) Da
schon die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 485 Abs. 1 Fall 2
ZPO nicht vorliegen, kann offenbleiben, ob der Antrag worauf das
Beschwerdegericht ebenfalls abgestellt hat - auch deshalb unzulässig ist, weil
der Schiedsgutachter Prof. Dr.-Ing. M.
bereits in die
Thematik eingearbeitet sei und ein selbständiges Beweisverfahren daher keinen
zeitlichen Vorteil gegenüber dem Schiedsgutachtenverfahren hätte.
c) Zu
Recht hat das Beschwerdegericht schließlich den Antrag auf Anordnungen nach
§ 144 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO zurückgewiesen, nachdem es bereits
die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens zutreffend verneint hat.
Außerhalb eines anhängigen Verfahrens ist für eine Anordnung nach § 144 Abs. 1
Satz 2 und 3 ZPO kein Raum, wobei offenbleiben kann, ob § 144
Abs. 1 ZPO überhaupt im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens
Anwendung finden kann (dies offenlassend BGH, Beschluss vom 16. Mai 2013 - VII
ZB 61/12 Rn. 9, BauR 2013, 1307 = NZBau 2013, 634).
III.
Die
Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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