Samstag, 30. April 2022

Selbständiges Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO und Schiedsgutachterabrede

Der Streit der Parteien ging in der Sache um behauptete Mängel an einer neuerrichteten Autobahnbrücke. Die Antragstellerin beantragte die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO zur Feststellung von Mängeln bestimmten Stahlbauteilen, dessen Zulässigkeit sich aus § 485 Abs. 1 Fall 2 ZPO wie auch aus € 485 Abs. 2 ZPO ergebe. Von der Antragsgegnerin wurde auf die vereinbarten VOB/B verwiesen, weshalb dem selbständigen Beweisverfahren die Schiedsgutachterabrede nach § 18 Abs. 4 VOB/B und Ziffer 2.3.6. ZTV-ING, Teil 1, Abschnitt 1 entgegenstünde. Das Landgericht wies den Antrag zurück. Auch die sofortige Beschwerde war nicht erfolgreich, weshalb die Antragstellerin die zugelassene Rechtsbeschwerde einlegte. Aber auch diese führte nicht zum Erfolg. Der BGH vertrat die Ansicht, dass die Schiedsgutachterabrede nach § 18 Abs. 4 VOB/B Vorrang habe und es von daher der Antragstellerin an einem rechtlichen Interesse an einem selbständigen Beweisverfahren ermangele.

Nach § 18 Abs. 4 S. 1 VOB/B könne jeder Vertragspartei bei Meinungsverschiedenheiten unter anderem über die Eigenschaft von Stoffen oder Bauteilen, für die allgemein gültige Prüfverfahren bestünden, die materialtechnische Untersuchung durch eine staatliche oder staatlich geprüfte Materialprüfungsstelle vornehmen lassen, deren Feststellungen nach § 18 Abs. 4 VOB/B verbindlich seien. Die Regelung in § 18 Abs. 4 VOB/B stelle eine Schiedsgutachterabrede dar, soweit der gegenständliche Anwendungsbereich reiche.

Im Einzelnen zeigte der BGH den unterschiedlichen Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur zum Verhältnis eines selbständigen Beweisverfahrens im Verhältnis zu einer Schiedsgutachterabrede der Parteien auf. Teilweise würde für ein selbständiges Beweisverfahren das rechtliche Interesse negiert, wenn die Parteien eine Schiedsgutachterabrede getroffen hätten. Nach anderer Ansicht bliebe die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens trotz Schiedsgutachtervereinbarung zulässig. Eine vermittelnde Ansicht nehme eine Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens an, solange ein Schiedsgutachterverfahren noch nicht eingeleitet worden sei bzw. ein Schiedsgutachten noch nicht eingeholt worden sei.  Der BGH folgte der ersten Auffassung zur Unzulässigkeit wegen fehlenden rechtlichen Interesses.

Mit der Schiedsgutachterabrede würden die Parteien die Abrede treffen, dass die gegenständlich in der Vereinbarung (hier § 18 Abs. 4 ZPO) erfassten Tatsachenfragen grundsätzlich bindend durch den Schiedsgutachter festgestellt werden sollen, dessen Feststellungen dann nur noch bedingt nach Maßgabe von §§ 317 ff BGB gerichtlich überprüfbar seien (BGH, Urteil vom 11.03.2021 - VII ZR 196/18 -). Der Wille der Parteien sei mit der Schiedsgutachterabrede darauf gerichtet, dass bei einer Auseinandersetzung ein Schiedsgutachten eingeholt werden solle und über das Beweisthema gerade keine gerichtliche Beweiserhebung vorgenommen werden solle.

Es entspräche den Grundsätzen der Privatautonomie zu entscheiden, ob bei Auseinandersetzungen über tatsächliche Fragen ein Gericht selbständiges Beweisverfahren angestrengt werden soll/kann oder nicht. Ein entsprechender Vertrag, mit dem sich eine Partei zu einem bestimmten prozessualen Verpflichtet oder sich verpflichtet ein solches zu unterlassen, sei wirksam, wenn die Handlung oder Unterlassung möglich sei und weder gegen ein gesetzliches Verbot noch gegen die guten Sitten verstoße (BGH, Urteil vom 21.12.2005 - VIII ZR 108/04 -). Haben die Parteien eine Vereinbarung dahingehend getroffen, dass Feststellungen auf andere Weise als durch ein selbständiges Beweisverfahren getroffen werden sollen, fehle es daher an einem rechtlichen Interesse für eine vorherige oder parallele Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens. Dies gelte auch für § 18 Abs. 4 VOB/B. Die sich daraus ergebende Sperrwirkung trage auch dem Umstand Rechnung, eine doppelte Begutachtung in derselben Angelegenheit zu vermeiden.

Auch der Umstand, dass im Rahmen des Schiedsgutachterabrede keine Streitverkündung nach §§ 72 ff ZPO möglich sei und von daher in einem Folgeprozess mit einem Dritten eventuell doch ein gerichtliches Gutachten einzuholen ist, ändert im Hinblick auf die Zulässigkeit der privatautonomen Vereinbarung der Parteien nichts.

Zudem läge auch kein Fall des § 485 Abs. 1 Fall 2 ZPO vor vor dem Hintergrund, dass sich die Stahlbauteile an einem Ort im Ausland befänden. Dies begründe ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht die Besorgnis eines Beweismittelverlusts (wobei für Gegenstände, die ins Ausland verbracht werden sollen, anders gelten könnte).

BGH, Beschluss vom 26.01.2022 - VII ZB 19/21 -


Aus den Gründen:

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 15. März 2021 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Antragstellerin erstrebt im selbständigen Beweisverfahren die Feststellung von Mängeln an seitens der Antragsgegnerin zur Verwendung bei der Neuerrichtung einer Autobahnbrücke vorgesehenen Stahlbauteilen.

Die Antragstellerin erteilte der Antragsgegnerin im Jahre 2017 den Zuschlag für ein Bauvorhaben, das unter anderem die Neuerrichtung einer Autobahnbrücke umfasst. In den Bauvertrag wurden unter anderem die VOB/B sowie die Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING) einbezogen. Die Antragstellerin erhob in der Folgezeit zahlreiche Rügen insbesondere in Bezug auf die von einem Nachunternehmer der Antragsgegnerin gefertigten Stahlbauteile sowie den Fertigungsprozess; hierüber entstand zwischen den Parteien Streit. Mit Schreiben vom 16. April 2020 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, sie mache von ihren vertraglichen Rechten aus § 18 Abs. 4 VOB/B und Ziff. 2.3.6. ZTV-ING, Teil 1, Abschnitt 1 Gebrauch und verlange eine Schiedsuntersuchung mittels einer Prüfung durch eine staatlich anerkannte Prüfstelle; den Antrag richte sie an eine - von ihr näher bezeichnete - Versuchsanstalt in K. unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. U.

Mit Schriftsatz vom 27. April 2020 beantragte die Antragstellerin bei dem Landgericht die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens und zugleich den Erlass von Anordnungen gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO in Bezug auf bestimmte Stahlbauteile. Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens ergebe sich sowohl aus § 485 Abs. 1 Fall 2 als auch aus § 485 Abs. 2 ZPO. Die Antragsgegnerin meint dagegen, der Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens stehe eine vorgreifliche Schiedsgutachtervereinbarung nach § 18 Abs. 4 VOB/B und Ziff. 2.3.6. ZTV-ING, Teil 1, Abschnitt 1 entgegen.

Prof. Dr.-Ing. U. ließ am 27. Juli 2020 mitteilen, seine Versuchsanstalt könne die Untersuchung nicht in der gewünschten Form durchführen, dies sei lediglich einer von ihm benannten anderen Einrichtung möglich, die als solche aber keine Materialprüfungsstelle sei. Die Antragsgegnerin unterrichtete daraufhin mit Schreiben vom 27. August 2020 die Antragstellerin, sie werde die mit Schreiben vom 16. April 2020 beantragte Schiedsuntersuchung nunmehr durch ein - gleichfalls von ihr näher bezeichnetes - Materialprüfungsamt in M. unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. M., vornehmen lassen. In der Folgezeit fanden Untersuchungen der Stahlbauteile durch Prof. Dr.-Ing. M. statt. Die Begutachtung ist noch nicht abgeschlossen.

Das Landgericht hat den auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gerichteten Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter.

II.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2, § 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

1. Das Beschwerdegericht hat im Wesentlichen ausgeführt, es fehle dem Antrag auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Hätten die Parteien - so wie hier - eine Schiedsgutachtenklausel in den Vertrag aufgenommen, sei die vorherige oder parallele Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens grundsätzlich unzulässig. Es komme nicht darauf an, ob zeitlich früher eine der Parteien das Schiedsgutachterverfahren eingeleitet oder die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens beantragt habe. Erst dann, wenn das Schiedsgutachterverfahren ohne Erfolg geblieben sei, sei der Gang zu den ordentlichen Gerichten zulässig. Der Grund hierfür liege darin, dass sich die Parteien kraft ausdrücklicher Vereinbarung im Rahmen der Vertragsfreiheit für eine entsprechende Vorgehensweise entschieden hätten. Das selbständige Beweisverfahren sei auch nicht zur Vermeidung eines Rechtsstreits geeignet, weil eine hierauf gestützte Klage selbst bei für die Antragstellerin positivem Beweisergebnis als derzeit unbegründet abgewiesen werden müsse, wenn die Antragsgegnerin - so wie hier - die Einrede des Schiedsgutachterverfahrens erhebe. Ein rechtliches Interesse auf Einholung eines Beweisgutachtens trotz des Vorhandenseins einer Schiedsgutachterabrede sei daher nicht erkennbar. Das gelte erst recht, wenn bereits ein Schiedsgutachten vorliege.

Das selbständige Beweisverfahren sei ferner nicht nach § 485 Abs. 1 ZPO zulässig. Es sei nicht ausreichend ersichtlich, dass ein Beweismittel verlorengehen könnte oder seine Benutzung erschwert würde. Mangels Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens sei auch kein Raum für Anordnungen nach § 144 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO.

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

a) Zu Recht hat das Beschwerdegericht den Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO für unzulässig erachtet, weil aufgrund einer vorrangigen Schiedsgutachtervereinbarung der Parteien nach § 18 Abs. 4 VOB/B kein rechtliches Interesse der Antragstellerin an den Feststellungen besteht, die Gegenstand der beantragten Begutachtung durch einen Sachverständigen sein sollen.

aa) Nach § 18 Abs. 4 Satz 1 VOB/B kann bei Meinungsverschiedenheiten unter anderem über die Eigenschaft von Stoffen oder Bauteilen, für die allgemein gültige Prüfungsverfahren bestehen, jede Vertragspartei die materialtechnische Untersuchung durch eine staatliche oder staatlich anerkannte Materialprüfungsstelle vornehmen lassen, deren Feststellungen verbindlich sind. § 18 Abs. 4 VOB/B stellt, soweit sein gegenständlicher Anwendungsbereich reicht, eine Schiedsgutachtenabrede dar, welche durch Einbeziehung der VOB/B - wie sie im vorliegenden Fall erfolgt ist - Bestandteil des Bauvertrages wird (allg. Auffassung, vgl. nur Ingenstau/Korbion/Joussen, VOB Teile A und B, 21. Aufl., § 18 Abs. 4 VOB/B Rn. 16 m.w.N.).

bb) Im Ergebnis zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass eine Schiedsgutachtenabrede nach § 18 Abs. 4 VOB/B jedenfalls einer vorherigen oder parallelen Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens, soweit dieses auf § 485 Abs. 2 ZPO gestützt wird, grundsätzlich entgegensteht, soweit das Beweisthema des beabsichtigen Beweisverfahrens sich mit dem gegenständlichen Anwendungsbereich der Schiedsgutachtenabrede deckt.

(1) In welchem Verhältnis das auf § 485 Abs. 2 ZPO gestützte selbständige Beweisverfahren einerseits und eine von den Parteien getroffene Schiedsgutachtenvereinbarung andererseits zueinanderstehen, ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten.

Nach einer Auffassung fehlt es für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO grundsätzlich am notwendigen rechtlichen Interesse, soweit die Parteien eine Schiedsgutachtenabrede getroffen haben. Danach ist die vorherige oder parallele Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens unzulässig, soweit der Gegenstand der Schiedsgutachtenabrede reicht (OLG Bremen, Beschluss vom 30. März 2009 - 1 W 10/09, NZBau 2009, 599, juris Rn. 9; LG Berlin, Beschluss vom 8. Juni 2011 - 94 OH 2/10, juris Rn. 7 ff.; Musielak/Voit/Huber, ZPO, 18. Aufl., § 485 Rn. 14; MünchKommZPO/Schreiber, 6. Aufl., § 485 Rn. 16; Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23. Aufl., § 486 Rn. 37; Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl., § 485 Rn. 7a; Weise, Selbständiges Beweisverfahren im Baurecht, 2. Aufl., Rn. 249; ders., NJW-Spezial 2015, 684 f.; Cuypers, NJW 1994, 1985, 1992; Zanner, BauR 1998, 1154, 1156 ff.), jedenfalls sofern sich der Gegner - wie hier die Antragsgegnerin - auf die Schiedsgutachtenabrede beruft (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. April 1998 - 23 W 25/98, BauR 1998, 1111; Ingenstau/Korbion/Joussen, VOB Teile A und B, 21. Aufl., § 18 Abs. 4 VOB/B Rn. 13, Anhang 2 Rn. 58; Heinzerling/Pastor in Werner/Pastor, Der Bauprozess, 17. Aufl., Rn. 501).

Nach der Gegenansicht bleibt das selbständige Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO trotz entsprechender Schiedsgutachtenabrede uneingeschränkt zulässig (von Bernuth, ZIP 1998, 2081, 2084; ders., EWiR 1999, 235, 236; vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 19. Oktober 1998 - 20 W 48/98, juris Rn. 3; LG Hanau, Beschluss vom 28. Mai 1991 - 4 OH 6/91, MDR 1991, 989; im Ergebnis ebenso Musielak/Voit/Voit, ZPO, 18. Aufl., § 1042 Rn. 28; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 42. Aufl., § 485 Rn. 10; Koeble in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., 14. Teil Rn. 99).

Eine vermittelnde Auffassung wiederum nimmt ein rechtliches Interesse im Sinne von § 485 Abs. 2 ZPO trotz Schiedsgutachtenabrede an, solange das Schiedsgutachterverfahren noch nicht in Gang gebracht (OLG Köln, Beschluss vom 24. April 2008 - 15 W 15/08, BauR 2008, 1488 = NZBau 2009, 252, juris Rn. 16) beziehungsweise das Schiedsgutachten noch nicht eingeholt worden ist (OLG Koblenz, Beschluss vom 15. Juli 1998 - 5 W 464/98, BauR 1999, 1055, juris Rn. 2). Teilweise wird das rechtliche Interesse nach § 485 Abs. 2 ZPO auch davon abhängig gemacht, dass mit der Einholung eines Schiedsgutachtens nicht zu rechnen sein darf (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. August 2015 - 9 W 30/15, BauR 2016, 1962 = NZBau 2015, 775, juris Rn. 16; ähnlich auch Messerschmidt/Voit/Boldt, Privates Baurecht, 3. Aufl., T. Rn. 81 f.).

(2) Der erstgenannten Auffassung gebührt der Vorzug. Schließen die Parteien eine Schiedsgutachtervereinbarung, treffen sie damit gleichzeitig die Abrede, dass die gegenständlich erfassten Tatsachenfragen grundsätzlich bindend durch den Schiedsgutachter festgestellt werden sollen. Dessen Feststellungen sind dann nur noch eingeschränkt nach Maßgabe der §§ 317 ff. BGB gerichtlich überprüfbar (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2021 - VII ZR 196/18 Rn. 25, BauR 2021, 1183 = NZBau 2021, 316). Durch die Schiedsgutachtenabrede bringen die Parteien ihren Willen zum Ausdruck, dass sie bei entstehenden Auseinandersetzungen ein Schiedsgutachten wünschen, und stellen damit gleichzeitig klar, dass daneben über das gleiche Beweisthema im Allgemeinen gerade keine gerichtliche Beweiserhebung in Angriff genommen werden soll (Zanner, BauR 1998, 1154, 1156; Weise, NJW-Spezial 2015, 684; vgl. auch schon RGZ 96, 57, 61).

Das entspricht dem Grundsatz der Privatautonomie. Ob die Parteien bei Auseinandersetzungen über tatsächliche Fragen ein gerichtliches selbständiges Beweisverfahren anstrengen wollen oder nicht, steht grundsätzlich zu ihrer privatautonomen vertraglichen Disposition. Denn ein Vertrag, in dem sich eine Partei zu einem bestimmten prozessualen Verhalten verpflichtet oder dazu, ein solches zu unterlassen, ist wirksam, wenn die Handlung oder Unterlassung möglich ist und weder gegen ein gesetzliches Verbot noch gegen die guten Sitten verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2005 - VIII ZR 108/04, NJW-RR 2006, 632, juris Rn. 19 m.w.N.). Haben die Parteien die Vereinbarung getroffen, dass Feststellungen gerade auf andere Weise als durch ein gerichtliches selbständiges Beweisverfahren getroffen werden sollen, fehlt es daher am rechtlichen Interesse für die vorherige oder parallele Durchführung eines streitschlichtenden Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO. Dies gilt auch im Falle einer Schiedsgutachtervereinbarung nach § 18 Abs. 4 VOB/B. Die grundsätzliche Sperrwirkung der Schiedsgutachtenabrede trägt außerdem dem Rechtsgedanken der Vermeidung doppelter Begutachtung in derselben Angelegenheit (vgl. § 485 Abs. 3 ZPO) Rechnung; denn es wäre nicht nachvollziehbar, wenn staatliche Gerichte bemüht werden sollen, obwohl die Vertragspartner sich bereits auf ein außergerichtliches Verfahren über den gleichen Beweisgegenstand geeignet haben (Weise, NJW-Spezial 2015, 684, 684 f.).

Ob das auf § 485 Abs. 2 ZPO gestützte selbständige Beweisverfahren gleichwohl zulässig bleibt, wenn sich der Gegner nicht auf die Schiedsgutachtervereinbarung beruft, kann dahinstehen, da die Antragsgegnerin die Einrede der Schiedsgutachtenabrede erhoben hat.

(3) Die weiteren Einwände, welche die Rechtsbeschwerde gegen die Annahme einer Sperrwirkung der Schiedsgutachtenabrede vorbringt, greifen nicht durch.

(a) Ob ein gerichtliches selbständiges Beweisverfahren, wie die Rechtsbeschwerde geltend macht, etwa aufgrund der Möglichkeit zur Streitverkündung nach §§ 72 ff. ZPO oder eines Erörterungstermins mit dem Ziel eines Vergleichsabschlusses nach § 492 Abs. 3 ZPO in größerem Maße geeignet sein mag, die Zahl möglicher Folgeprozesse zu minimieren, kann letztlich auf sich beruhen. Haben sich die Parteien - so wie hier - verbindlich darauf geeinigt, die Feststellungen von Tatsachen einem sachkundigen Dritten zu übertragen und ist damit von ihnen ein weniger an staatlichem Verfahren gewollt, so haben sie zugleich etwaige Nachteile, die daraus entstehen, in ihren Willen mit aufgenommen und müssen diese daher hinnehmen (Zanner, BauR 1998, 1154, 1158). Es gilt der Vorrang der vertraglichen Vereinbarung, unabhängig davon, ob die rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen der Antragsgegnerin durch ein selbständiges Beweisverfahren gleichermaßen gewahrt wären.

(b) Soweit die Rechtsbeschwerde die Notwendigkeit betont, anhand des Ergebnisses eines selbständigen Beweisverfahrens das Schiedsgutachten auf offenbare Unbilligkeit analog § 319 Abs. 1 BGB überprüfen können zu müssen, und für den Streitfall bereits Gesichtspunkte aufzeigt, die ihrer Auffassung nach gegen ein "billiges" Ergebnis der laufenden Schiedsbegutachtung sprechen, führt dies jedenfalls nicht zur Zulässigkeit eines auf § 485 Abs. 2 ZPO gestützten selbständigen Beweisverfahrens, solange - wie hier - das Schiedsgutachten, dessen "Unbilligkeit" zu überprüfen ist, noch gar nicht vorliegt (so auch Zanner, BauR 1998, 1154, 1157).

(c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde lassen sich auch der Gesetzesbegründung zum Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I 1990, S. 2847), mit welchem die Regelung des § 485 Abs. 2 ZPO zum streitschlichtenden Beweisverfahren eingeführt wurde, keine Anhaltspunkte gegen die Sperrwirkung der Schiedsgutachtenabrede entnehmen. Nach der Gesetzesbegründung soll das Verfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO spätere Hauptsacheprozesse gerade in Bausachen vermeiden helfen (vgl. BT-Drucks. 11/3621, S. 23). Eine privatautonom getroffene Schieds-gutachterabrede dient indes ebenfalls dieser Vermeidung (zutreffend Weise, NJW-Spezial 2015, 684). Dass den Parteien das Verfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO daneben zwingend offenstehen muss und insoweit keiner Parteidisposition zugänglich sein darf, findet in den Gesetzesmotiven keine Stütze.

(d) Die Rechtsbeschwerde dringt auch nicht mit dem Einwand durch, es bestehe zwischen den Parteien Streit über die Reichweite der Schiedsgutachtenabrede, so dass es der Antragstellerin, welche meint, es handele sich bei den Stahlbrückenteilen nicht um untersuchungsfähige Bauteile im Sinne von § 18 Abs. 4 VOB/B, möglich sein müsse, ein selbständiges Beweisverfahren parallel zu dem aus ihrer Sicht unzulässigen Schiedsgutachterverfahren einzuleiten. Denn ob die Sichtweise der Antragstellerin zutrifft, also eine gegenständlich vorrangige Schiedsgutachtenabrede nicht besteht, ist bei der Prüfung der Zulässigkeit des Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gerade zu entscheiden, und zwar - so wie im vorliegenden Fall geschehen, wenn auch mit negativem Ausgang für die Antragstellerin - bei der Prüfung des rechtlichen Interesses nach § 485 Abs. 2 ZPO.

(e) Soweit die Rechtsbeschwerde schließlich eine Vielzahl ungeklärter verjährungsrechtlicher Fragen ins Feld führt und die Antragstellerin großer Rechtsunsicherheit ausgesetzt sieht, sollte diese gehalten sein, zunächst den Ausgang des Schiedsgutachterverfahrens abzuwarten, spricht dies ebenfalls nicht gegen den Vorrang des schiedsgutachterlichen Verfahrens nach § 18 Abs. 4 VOB/B. Bei der Schiedsgutachtenabrede nach § 18 Abs. 4 VOB/B handelt es sich um ein "vereinbartes Begutachtungsverfahren" im Sinne von § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB (Beck'scher VOB/B-Kommentar/Kölbl, 3. Aufl., § 18 Abs. 4 Rn. 29; Ingenstau/Korbion/Joussen, VOB Teile A und B, 21. Aufl., § 18 Abs. 4 VOB/B Rn. 14; im Ergebnis ebenso OLG Celle, Urteil vom 26. Januar 1995 - 14 U 48/94, BauR 1995, 556, juris Rn. 4 zu § 202 BGB a.F.; a.A. Leinemann/Franz, VOB/B, 7. Aufl., § 18 Rn. 70; Kapellmann/Messerschmidt/Merkens, VOB Teile A und B, 7. Aufl., § 18 VOB/B Rn. 38). Andernfalls hätte es der Gegner in der Hand, die Verjährungshemmung durch Nichtbeteiligung am Verfahren nach § 18 Abs. 4 VOB/B zu vereiteln, was nicht gewollt sein kann. Durch die Einleitung des Begutachtungsverfahrens wird daher die Verjährung von Ansprüchen, die mit dem Prüfungsauftrag der Materialprüfungsstelle in Verbindung stehen, beziehungsweise zu deren Durchsetzung es auf die Begutachtung ankommt, gehemmt (vgl. Schmidt-Räntsch in Erman, BGB, 16. Aufl., § 204 Rn. 22).

(f) Der Rechtsbeschwerde muss der Erfolg auch insofern versagt bleiben, als sie darauf abhebt, durch die Mitteilung des Prof. Dr.-Ing. U. vom 27. Juli 2020 habe die Schiedsbegutachtung geendet und bei dem nunmehr von der Antragsgegnerin betriebenen Schiedsgutachtenverfahren mit Prof. Dr.-Ing. M. handele es sich um ein neues, selbständiges Verfahren nach § 18 Abs. 4 VOB/B beziehungsweise ZTV-ING. Denn unabhängig davon, ob dieser Rechtsstandpunkt zutrifft oder stattdessen nur ein Gutachterwechsel innerhalb eines einheitlichen - fortdauernden - Schiedsgutachtenverfahrens vorliegt, vermag auch die Auffassung der Rechtsbeschwerde die Zulässigkeit des auf § 485 Abs. 2 ZPO gestützten selbständigen Beweisverfahrens nicht zu begründen. Allein der Beauftragung eines neuen Gutachters kann hier nicht der Wille der Antragsgegnerin entnommen werden, die von ihr bereits erhobene Einrede der Schiedsgutachtenabrede wieder fallen zu lassen.

cc) Rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht schließlich auch die Voraussetzungen von § 18 Abs. 4 VOB/B im konkreten Fall als Bedingung für die Sperrwirkung gegenüber dem selbständigen Beweisverfahren bejaht. Soweit die Rechtsbeschwerde meint, dass es sich bei den zu untersuchenden Stahlbrückenteilen nicht um "Bauteile" im Sinne von § 18 Abs. 4 VOB/B handele, ist das Beschwerdegericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragstellerin dieser Einwand jedenfalls versperrt ist, nachdem sie entsprechende Fragen zum Zustand der Stahlbauteile mittlerweile selbst in das Schiedsgutachterverfahren eingeführt hat. Dagegen sowie gegen das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen von § 18 Abs. 4 VOB/B werden von der Rechtsbeschwerde auch keine Einwendungen erhoben.

dd) Nach alledem kann offenbleiben, ob die das rechtliche Interesse nach § 485 Abs. 2 ZPO ausschließende Schiedsgutachtervereinbarung - so wie die Antragsgegnerin meint - auch auf Ziff. 2.3.6. ZTV-ING, Teil 1, Abschnitt 1 gestützt werden kann. Denn sie ergibt sich bereits aus § 18 Abs. 4 VOB/B. Die von der Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang sinngemäß erhobene Gehörsrüge, das Beschwerdegericht habe das Parteivorbringen zu den Grundlagen der Schiedsgutachtenabrede nicht hinreichend erfasst und dabei rechtsirrig Ziff. 2.3.6. ZTV-ING, Teil 1, Abschnitt 1 als "Schiedsgutachtervereinbarung gemäß § 18 Abs. 4 VOB/B" bezeichnet, hat der Senat geprüft, aber für nicht durchgreifend erachtet; von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 577 Abs. 6 Satz 2 ZPO i.V.m. § 564 Satz 1 ZPO).

b) Die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens ergibt sich auch nicht aus § 485 Abs. 1 ZPO. Das Rechtsbeschwerdegericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass bereits die Voraussetzungen von § 485 Abs. 1 Fall 2 ZPO nicht vorliegen, also die Besorgnis des Verlusts des Beweismittels oder der Erschwernis seiner Benutzung nicht besteht.

aa) Soweit die Rechtsbeschwerde meint, es bestehe die Gefahr von Veränderungen der zu begutachtenden Brückenteile durch Verwitterung und durch von der Nachunternehmerin der Antragsgegnerin angekündigte Antikorrosionsmaßnahmen, hat das Beschwerdegericht keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen. Die in diesem Zusammenhang von der Rechtsbeschwerde sinngemäß erhobene Gehörsrüge hat der Senat geprüft, aber für nicht durchgreifend erachtet; von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 577 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. § 564 Satz 1 ZPO).

bb) Die Zulässigkeit eines auf § 485 Abs. 1 Fall 2 ZPO gestützten selbständigen Beweisverfahrens ergibt sich entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch nicht daraus, dass die Stahlbauteile an einem anderen Ort im Ausland liegen. Ohne Hinzutreten besonderer Umstände begründet dies für sich gesehen noch keine Besorgnis eines Beweismittelverlusts (anders etwa für den Fall der bevorstehenden Veräußerung der Sache ins Ausland Praun in Klein-Möller/Merl/Glöckner, Handbuch Baurecht, 6. Aufl., § 19 Rn. 24).

cc) Da schon die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 485 Abs. 1 Fall 2 ZPO nicht vorliegen, kann offenbleiben, ob der Antrag worauf das Beschwerdegericht ebenfalls abgestellt hat - auch deshalb unzulässig ist, weil der Schiedsgutachter Prof. Dr.-Ing. M.

bereits in die Thematik eingearbeitet sei und ein selbständiges Beweisverfahren daher keinen zeitlichen Vorteil gegenüber dem Schiedsgutachtenverfahren hätte.

c) Zu Recht hat das Beschwerdegericht schließlich den Antrag auf Anordnungen nach § 144 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO zurückgewiesen, nachdem es bereits die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens zutreffend verneint hat. Außerhalb eines anhängigen Verfahrens ist für eine Anordnung nach § 144 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO kein Raum, wobei offenbleiben kann, ob § 144 Abs. 1 ZPO überhaupt im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens Anwendung finden kann (dies offenlassend BGH, Beschluss vom 16. Mai 2013 - VII ZB 61/12 Rn. 9, BauR 2013, 1307 = NZBau 2013, 634).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.


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