Samstag, 15. Mai 2021

Tierhalterhaftung und Mitverschulden des verletzten Hufschmieds

Immer wieder kommt es bei dem Hufbeschlag dazu, dass ein Pferd austritt und den Hufschmied verletzt. Ein Ausschluss oder eine Kürzung des Anspruchs des Hufschmieds aus § 833 S. 1 BGB erfolgt in einem solchen Fall nicht wegen Handelns auf eigene Gefahr oder unter dem Gesichtspunkt eines konkludenten Haftungsausschlusses (BGH, Urteil vom 28.05.1968 - VI ZR 35/67 -).  Allerdings kann eine Kürzung unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens (§ 254 BGB) erfolgen (vgl. BGH aaO.; BGH, Urteil vom 17.03.2009 - VI ZR 166/08 - für einen Tierarzt).

Mit einem solchen Fall hatte sich das OLG Hamm auseinanderzusetzen. Das Landgericht hatte ein Mitverschulden des Hufschmieds angenommen und ihm eine Quote von 50% zugesprochen. Nach dem Hinweisbeschluss beabsichtigte das OLG die vom Kläger eingelegte Berufung zurückzuweisen, da es ein Mitverschulden darin sah, dass der Hufschmied (Kläger) die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen habe (Maßstab des § 276 Abs. 2 BGB).

Für die maßgeblichen Tatsachen des Mietverschuldens sei der Tierhalter darlegungs- und beweisbelastet, wobei allerdings dem Geschädigten (hier Kläger) eine sekundäre Darlegungslast zukäme.

Als wahr könne der Vortrag des Klägers unterstellt werden, dass es in Pferdekreisen üblich sei und als ungefährlich angesehen würde, bei einer 3,30m breiten Stallgasse an einem parallel zur Boxenwand stehenden Pferd auf der gegenüberliegenden Seite von hinten vorbeizugehen. Die im Verkehr übliche Sorgfalt entspräche nicht stets der im Verkehr üblichen Sorgfalt (BGH, Urteil vom11.02.1957 - VII ZR 256/56 -). Abzustellen sei auf die Umstände des Einzelfalls. Dabei sei im Umgang mit Pferden allgemein anerkannt, dass man sich nicht von hinten in Schlagdistanz eines (fremden) Pferdes begeben dürfe, auch wenn dies in der Praxis häufig vorkommen mag. Nach dem nicht widerlegten Vortrag des Klägers habe er sich zwar nicht unmittelbar in Schlagdistanz zum Pferd begeben, sondern sei dem Gang auf der anderen Seite entlang gelaufen um das Pferd zu passieren. Aber er sei von hinten gekommen. Aufgrund der Geschehnisse zuvor habe er mit Bewegungen und auch einem Ausschlagen des Pferds in seine Richtung auf der anderen Seite der Stallgasse rechnen müssen.

Er selbst habe vor dem Landgericht erklärt, vor Beginn der Hufschnittarbeiten darauf hingewiesen worden zu sein, dass das erstmals von ihm betreute Pferd ein „bisschen kribbelig“ sei, was er auch bestätigt fand und auch angab, es sei etwas bange gewesen. Zudem hatte er nach seinen schriftsätzlichen Ausführungen erkannt, dass die Hufe in einem „katastrophalem Zustand“ waren und deshalb Beschwerden oder Schmerzen sowie eine „unfreundliche Reaktion“ des Pferdes nicht auszuschließen sei. Im Rahmend er Berufungsbegründung habe er sogar ausgeführt, er habe deshalb mit einem oralem Sedativum gearbeitet, um die Reizschwelle des Pferdes herabzusetzen. Er habe kein Beruhigungsmittel eingesetzt. Nachdem der linke Vorderhuf unproblematisch habe ausgeschnitten werden können, habe das Pferd aber bei einer Standkorrektur zweimal nach hinten ausgetreten und seinen Mitarbeiter am Arm und Hüfte getroffen.

Angesichts dessen habe der Kläger mit einem unberechenbaren Verhalten des Pferdes rechnen müssen. Für ihn als Hufschmied sei ersichtlich gewesen, dass durch das Festzurren des Pferdes am Kopf dieses an einer Flucht nach vorne gehindert war und mit einem Schlag seine Laufseite der Gasse habe erreichen können. Hinzu käme auch, dass der Kläger in der Stallgasse vor dem Erreichen des Pferdes einen Telefonanruf erhielt (es habe geklingelt), das Gespräch annahm und im Weitergehen telefoniert habe. Es habe ihm klar sein müssen, dass das Pferd weiter oder erneut verunsichert würde und wiederum unvermittelt, aber jetzt vorhersehbar, reagieren könnte.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 04.01.2021 - I-7 U 9/20 -

Freitag, 14. Mai 2021

Notwegerecht: Ausnahme vom Anspruch auf Zufahrtsmöglichkeit mit Kraftfahrzeugen

Die Kläger waren seit 1998 Eigentümer eines in einem Wochenendhausgebiet (bis 2013) liegenden Grundstücks, bebaut mit einem als Wochenendhaus genehmigten und ab Anbeginn an zum dauerhaften Wohne genutzten Haus, für welches sie letztlich 2018 die entsprechende bauaufsichtsrechtliche Genehmigung erhielten. Von einer öffentlichen Straße zweigen Fußwege zu den einzelnen Grundstücken ab, die (wie mit einer Länge von 80m zum Grundstück der Kläger hin) nicht mit Kraftfahrzeugen befahren werden dürfen (Verbotsschilder). Auf einem Privatgrundstück am Eingang der Siedlung befindet sich ein Parkplatz. Der Beklagte erwarb in 2017 ein an die Sedlung und das Grundstück der Kläger grenzendes Grundstück, auf dem der „Sandweg“ verläuft, der an dem hinteren Teil des Grundstücks der Kläger vorbeiführt und nah Angaben der Kläger von diesen seit 1998 als Zufahrt zu ihrem Grundstück genutzt wurde. Der Beklagte wollte für die Nutzung des Weges ein Entgelt und errichtete, nachdem die Kläger nicht bereit waren ein solche zu zahlen, einen Zaun, der die Durchfahrt verhinderte. Mit ihrer Klage begehrten die Kläger die Duldung der Benutzung des Sandweges zwecks Zugang und Zufahrt zu ihrem Grundstück. Klage und Berufung gegen das Urteil wurden zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgten die Kläger - nunmehr Zug um Zug gegen Zahlung einer angemessenen Notwegrente - das Klageziel weiter.

Der BGH wies die Revision zurück.

Ein Wegerecht könne nur durch schuldrechtliche Vereinbarung oder als Notwegerecht nach § 917 BGB entstehen. Eine schuldrechtliche Vereinbarung sei nicht zustandegekommen. Die Gestattung des früheren Eigentümers des Grundstücks des Beklagten binde diesen als Einzelrechtsnachfolger nicht.

Die Voraussetzungen für ein Notwegerecht nach § 917 Abs. 1 S. 1 BGB lägen nicht vor. Voraussetzung dafür sei, einem Grundstück die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehle. Diese Voraussetzung läge nicht vor. Zwar sei das Grundstück nur über einen (öffentlichen) Fußweg von einer öffentlichen Straße aus zu erreichen, was aber in Ansehung der besonderen Struktur der Wohnsiedlung ausnahmsweise eine ausreichende Verbindung iSv. § 917 Abs. 1 BGB darstelle.

Auch wenn grundsätzlich für die ordnungsgemäße Benutzung eines Wohngrundstücks die Erreichbarkeit auch mit Kraftfahrzeugen Voraussetzung sei, würde dieser Grundsatz nicht ausnahmslos gelten. Dort, wo Grundstücke aufgrund ihrer besonderen Lage nicht mit Kraftfahrzeugen angefahren werden können oder sollen, würde die Erreichbarkeit mit diesen nicht zur ordnungsgemäßem Benutzung gehören. Dies könne bei von alters her überkommenen beengten Verhältnissen in städtischen Kerngebieten liegen, die eine Zufahrt nicht erlauben würden, oder deshalb ausscheiden, da das Grundstück nach der Planungs- oder Nutzungskonzeption bewusst von Fahrzeugverkehr freigehalten werden soll (wie z.B. bei Fußgängerzonen). Gleiches würde gelten, wenn eine Wohnanlage bewusst so geplant und geschaffen worden sei, dass der Fahrverkehr von den unmittelbar zu den Wohngrundstücken führenden Wegen ferngehalten würde. Dieses Planungs- und Nutzungskonzept würde auf die ordnungsmäßige Nutzung des in diesem Gebiet liegenden Grundstücks einwirken mit der Folge, dass die Erreichbarkeit des Grundstücks mit dem Kraftfahrzeug nicht Bestandteil der ordnungsmäßigen Nutzung würde.

Vorliegend sei das Berufungsgericht zutreffend von einem Planungskonzept ausgegangen, nach dem die Grundstücke in dem Gebiet nicht mit Kraftfahrzeugen angefahren werden könnten. Es sei nach den Feststellungen des Berufungsgerichts als reine Wochenendhaussiedlung konzipiert worden, bei dem das zeitweilige Wohnen im Grünen und die Erholung in der Natur im Vordergrund gestanden hätten. Nach diesem Konzept könnten Kraftfahrzeuge nur die mittig durch die Siedlung führende Straße (an der auch geparkt werden kann) benutzen, von der dann Fußwege zu den einzelnen Grundstücken abzweigen würden.

Das Planungskonzept sei auch nicht durch die Aufhebungssatzung der Gemeinde (zur Widmung des Gebietes als Wochenendhausgebiet) von 2013 aufgegeben worden. Die Zulässigkeit von Bauvorhaben in dem Gebiet würde sich danach nunmehr nach § 34 BauGB orientieren.  Das Fehlen positiver gesetzlicher oder gemeindlicher Planungsvorstellungen würde in § 34 BauGB durch die Zugrundelegung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten ersetzt. Das Grundstück würde durch die Einbettung in die vorhandene Siedlungsstruktur, wie sie durch den aufgehobenen Bebauungsplan (Wochenendgrundstücke) geprägt wurde, eingebettet. Zwar mögen die die allgemeinen Abforderungen an die Erreichbarkeit bei Grundstücken zum dauerhaften Wohnen andere sein als bei einer bloßen Nutzungsmöglichkeit als Wochenendhausgrundstück. Dem würde aber gegenüberstehen, dass die tatsächlich realisierte Gestaltung als weitgehend autofreie Zone auch nach den neu geschaffenen bauplanungsrechtlichen Rahmenbedingungen aufrechterhalten bleiben sollte, was sich auch darin zeige, dass die Gemeinde die Fußwege zwischenzeitlich saniert habe, aber nicht zu Fahrwegen ausgebaut (oder zugelassen) habe.  

Alleine die bestandskräftige Baugenehmigung der Kläger aus 2018, wonach das Haus als Wohnhaus (zur dauerhaften Nutzung) genehmigt worden sei, ändere daran nichts. Zwar würde auch zivilrechtlich im Rahmen des § 917 Abs. 1 BGB die öffentlich-rechtliche Erlaubnis den zulässigen Nutzungsrahmen bestimmen (unabhängig davon, ob die Baugenehmigung rechtswidrig war [z.B. wegen fehlender Erschließung] oder nicht). Hätte mithin die Baugenehmigung den Klägern wegen fehlender Erschließung nicht erteilt werden dürfen, würde dies zwar grundsätzlich ein Notwegerecht begründen können. Allerdings stelle die bestandskräftige Baugenehmigung zur Wohnnutzung nur eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung für eine Notwegerecht dar. Dies erschließe sich schon daraus, dass das öffentliche Baurecht die Erschließung von Wohngrundstücken in der Weise vorgebe, dass diese mit Kraftfahrzeugen unmittelbar angefahren werden könnten. Entscheidend sei die planerische Konzeption der Wohnanlage, die hier keine Erreichbarkeit der einzelnen Wohngrundstücke mit Kraftfahrzeugen vorsehe.

BGH, Urteil vom 11.12.2020 - V ZR 268/19 -

Dienstag, 11. Mai 2021

Rückstauschaden durch Mangel der Kanalisation und (verneinte) Amtshaftung

Deliktische Ansprüche gegen den öffentlich-rechtlichen Wasserwirtschaftsverband gemäß § 839 Abs. 1 S. 1 BGB iVm Art 34 S. 1 GG scheitern nach Auffassung des BGH auch denn, wenn bei umbaubedingter Verjüngung der Abwasserleitung infolge einer objektiven und vorwerfbaren Pflichtverletzung des Verbandes zu einem Rückstauschaden bei einem Anlieger kommt. Auch die Haftung des beauftragten Tiefbauunternehmers scheide in diesem Fall aus. Der Schaden läge außerhalb des Schutzbereichs der im Zusammenhang mit der Durchführung der Bauarbeiten möglicherweise verletzten Pflichten. Der betroffene Anlieger habe  nicht in schutzwürdiger Weise darauf vertrauen dürfen, vor Rückstauschäden bewahrt zu bleiben, die durch übliche, vom Anlieger selbst vorzunehmende Sicherungsvorrichtungen hätten verhindert werden können.

Der Schutzzweck der verletzten Amtspflicht diene der inhaltlichen Bestimmung und sachlichen Begrenzung der Amtshaftung. Deshalb sei eine Pflichtverletzung als solche noch nicht geeignet, einen Ersatzanspruch zu begründen, da noch hinzukommen müsse, dass das im Einzelfall berührte Interesse nach dem Zweck der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt sein soll.

Unabhängig davon, ob ein Kanalnetz zum Schadenszeitpunkt unterdimensioniert sei, bestünde zur Vermeidung von Rückstauschäden die Besonderheit, dass der Grundstückeigentümer selbst verpflichtet sei, geeignete Vorkehrungen gegen einen Rückstau bis zur Rückstauebene (also die Straßenoberkante) zu treffen. Zur Begründung verwies der BGH darauf, dass es selbst ordnungsgemäß geplanten und ausgeführten Kanalsystemen immer wieder (so aufgrund selten auftretender heftiger Regenfälle) zu einem Rückstau käme und der Anlieger deshalb damit rechnen müsse, dass zeitweise auf seine Leitungen ein Druck einwirken könne, der bis zur Straßenoberkante reiche. Der Anlieger dürfe nicht darauf vertrauen, dass er vor Rückstauschäden bewahrt würde, die bei normalen, durch die üblichen Sicherungsvorkehrungen auszugleichenden Druckverhältnisse entstehen würden.

Es käme auch nicht darauf an, ob der Rückstau durch dauerhafte Unterdimensionierung (so durch fehlerhafte Planung) der Kanalisation oder durch zeitlich begrenzte Arbeiten (evtl. dort bei einer ungenügenden Absicherung einer provisorischen Wasserableitung) an dem Kanalsystem verursacht würde. Es sei ein Wertungswiderspruch bei dauerhaft auswirkender Falschplanung das Fehlen einer anschlussseitigen Sicherung vom Schutzzweck der Pflicht zur ausreichenden Dimensionierung der Kanalisation auszunehmen, dies aber bei einer vorrübergehenden Maßnahme zu verneinen.

Einschränkend führte der BGH aus, dass jedenfalls dann, wenn die einschlägige Satzung eine Verpflichtung zur Rückstausicherung versehe, der Träger des Kanalnetzes (und auch der beauftragte Tiefbauunternehmer) darauf vertrauen dürfe, dass sich der Anlieger vor einem in verschiedenen Konstellationen möglichen Rückstau sichert. Im zu entscheidenen Fall sah dies die kommunale Satzung vor, indem diese den Anlieger verpflichtete Ablaufstellen unterhalt der Rückstauebene durch Rückstausicherungen einzubauen und dies auch zum Zeitpunkt des Baus des Hauses des Klägers  bereits geregelt war. Mit dieser Satzungsnorm soll der Anlieger vor Schädigungen durch Rückstau bewahrt werden. Sowohl der Wasserwirtschaftsverband als auch der Tiefbauunternehmer hätten darauf vertrauen dürfen, dass die notwendige Rückstausicherung eingebaut sei und funktioniere.

Es gäbe auch keine kostenmäßige Begrenzung für die vom Anlieger vorzunehmende Sicherung. Vielmehr läge die konkrete Entwässerungssituation ebenso wie die Auswahl der Rückstausicherung in der Risikosphäre des Anliegers.

BGH, Urteil vom 19.11.2020 - III ZR 134/19 -

Freitag, 7. Mai 2021

Pflichtwidrige Versagung einer Einberufung einer Eigentümerversammlung wegen Corona-Pandemie

Die Verwalterbestellung der Antragstellerin bei einer Wohnungseigentümergemeinschaft mit mehr als 50 Eigentümern endete am 31.12.2020. Der Beiratsvorsitzende forderte die Verwalterin im August 2020 (nachdem noch keine Jahresversammlung in 2020 stattfand) zur Einberufung der Eigentümerversammlung zwecks Verwalterwahl auf. Diese weigerte sich unter Verweis auf die Corona-Pandemie und die Regelung in § 6 Abs. 1 COVMG. Hierauf lud der Beiratsvorsitzende zu der Eigentümerversammlung ein. Die Antragsteller begehrte durch einstweilige Verfügung, ihm dies zu untersagen. Das Amtsgericht wies dies zurück. Die von der Antragstellerin eingelegte Beschwerde war nicht erfolgreich.

Das Landgericht hielt zunächst fest, dass der Beiratsvorsitzende gem. § 24 Abs. Abs. 3 WEG a.F. zur Einberufung berechtigt gewesen sei. § 24 Abs. 3 WEG a.F. lautete:

Fehlt ein Verwalter oder weigert er sich pflichtwidrig, die Versammlung der Wohnungseigentümer einzuberufen, so kann die Versammlung auch, falls ein Verwaltungsbeirat bestellt ist, von dessen Vorsitzenden oder seinem Vertreter einberufen werden.

§ 24 Abs. 3 WEG a.F. entspricht im Kern auch der heutigen Fassung des § 24 Abs. 3 WEG. Das Landgericht verwies darauf, dass die Corona-Pandemie nicht generell von der Einberufung einer Eigentümerversammlung entbinde. Es verbliebe dabei, dass vom Grundsatz her einmal im Jahr eine Versammlung durchzuführen sei. Da die Eigentümerversammlung der zentrale Ort für Entscheidungen der Wohnungseigentümers ei (auch nach neuem Recht), bestünde bei Durchführbarkeit ein Anspruch auf Durchführung. Die Pflicht des Verwalters zur Einberufung wie auch die Pflicht des Beirats nach Ablauf der Jahresfrist zur Einberufung richte sich nach der Möglichkeit von deren Durchführung.

Das Landgericht berücksichtigte, dass die Gemeinschaft aus 50 Eigentümern bestünde und erwog auch, dass nach Vortrag der Antragstellerin regelmäßig ca. 20 Eigentümer teilnehmen würden, wobei es davon ausging, dass im Hinblick auf die Wahl auch mit mehr Teilnehmern gerechnet werden könne; allerdings sei nach den coronabedingten Umständen auch davon auszugehen, dass in erheblichen Umfang von Eigentümern von der Möglichkeit der Vollmachtserteilung Gebrauch machen würden. Da zum Zeitpunkt der durch den Beirat vorgesehenen Versammlung nach der Allgemeinverfügung der Stadt W. Zusammenkünfte von bis zu 50 Personen zulässig waren, hätte also öffentlich-rechtliche Beschränkungen nicht dagegengestanden und die Pandemielage als solche hätte, da auch alle Geschäfte und Schulen zu dieser Zeit geöffnet waren, die Verweigerung der Einberufung nicht begründen können. Ob dies zu den Hochzeiten der Pandemie im Frühjahr 2020 und im Winter 2020/21 anders zu beurteilen gewesen wäre, ließ das Landgericht offen. Zwar müssten die Versammlungen den Rahmenbedingungen der Pandemie entsprechen (womit wohl die Hygienemaßnahmen pp. gemeint sein dürften) entsprechen, was zur Erschwerung der Versammlung, nicht aber zu deren Unmöglichkeit führe.

Wesentlich ist in diesem Zusammenhang der Verweis des Landgerichts darauf, dass die Versammlung nicht in Ansehung von Art. 2 § 6 Abs. 1 COVFAG entbehrlich gewesen sei, da es nur um die Wahl des Verwalters gegangen sei. Das Gegenteil sei zutreffend. Die vom Gesetzgeber in Art. 2 § 6 Abs. 1 COVFAG greife erheblich in das Verhältnis der WEG zum Verwalter ein und das Bestellungsverhältnis würde unabhängig vom Willen der WEG verlängert. Dieser Eingriff sei in Vorsorge für den Zeitraum geschaffen worden, indem eine Versammlung nicht durchführbar sei (BT-Drs. 19/18110, S. 31). Dieser Verweis des Landgerichts ist zutreffend: Es sollte nicht während der Pandemie ein wesentliches Element der selbstbestimmenden Eigentümergemeinschaft ausgeschaltet werden, sondern nur für einen unabdingbaren Notfall Vorsorge getroffen werden [wobei verwunderlich ist, weshalb nicht für diesen Notfall der Gesetzgeber eine schriftliche Abstimmung resp. eine rein digitale Versammlung ipso jure und (wie im neuen WEG geregelt) nur bei Zustimmung oder bei Beschluss bzw. Aufnahme in die Gemeinschaftsordnung) zugelassen hat]. Wenn wie vorliegend eine Versammlung stattfinden könne, käme die Regelung der automatischen Verlängerung nach  § 6 Abs. 1 COVMG nicht in Betracht. Bedeutsam ist zudem der Zusatz des Landgerichts, dass es selbst bei Vorliegen der Voraussetzung des § 6 COVMG in Ansehung des erheblichen Unterschieds der Rechtsstellung des nach § 6 Abs. 1 COVMG tätigen Verwalters von dem „normalen Verwalter“ erforderlich sei, im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung (vgl. § 18 Abs. 2 WEG n.F.) sobald es möglich sei, einen Beschluss über die Verwalterbestellung zu fassen.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat damit (als Berufungsinstanz in WEG-Verfahren in Hessen) deutlich Kriterien für die Einberufung von Eigentümerversammlungen, insbesondere in Bezug auf die Bestellung von Verwaltern, benannt, die auch in Zeiten der Corona-Pandemie zu beachten sind und nicht durch Hilfsmaßnahmen des Gesetzgebers, wie in § 6 Abs. 1 COVMG, nach Gutdünken des Verwalters  außer Kraft gesetzt werden könne.

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16.02.2021 - 2-13 T 97/20 -

Sonntag, 2. Mai 2021

Wahrung der Schriftform durch eine Nachtragsurkunde oder (nachträgliche) Anlage zum Mietvertrag

Die Klägerin (die aus abgetretenen Recht klagte) nahm die Beklagte auf Räumung und Herausgabe einer zur Aufstellung einer zum Betrieb eines Geldautomaten vermieten Gewerbefläche in Anspruch. Der Mietvertrag wurde am 31.07.2015 auf die Dauer von fünf Jahren (mit Verlängerungsklausel) geschlossen. Auf der Vorderseite des Vertragsformulars der Beklagten waren u.a. Angaben zu den Vertragsparteien, dem Standort der Gewerbefläche und zur Höhe der Miete; die Unterschrift erfolgte durch die Mietparteien auf der Vorderseite im Anschluss an die o.g. Angaben. Auf der Rückseite befanden sich allgemeine Vertragsbedingungen, in denen unter § 1 Abs. 1 auf eine Anlage verwiesen wurde, einem Lageplan, in dem die konkrete Mietfläche in einem „Lageplan/Fotomontage“ für den Geldautomaten markiert sein sollten. Die Vertragsdauer nebst der Verlängerungsklausel wurden dort unter § 2 benannt.  Später unterzeichneten die Vertragsparteien eine mit „Anlage 1“ bezeichnete Urkunde, in der in der Überschrift diese als Anlage 1 „zum Mietvertrag zwischen … und …“ und ausgeführt wurden „Das eingezeichnete Objekt kennzeichnet die Mietfläche nach § 1.1 des Vertrags“. Eine Fotomontage zeigte den von außen bedienbaren Geldautomaten in einer Ansicht der Hausfassade. Der Gelautomat wurde am 29.11.2016 in Betrieb genommen.

Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis mit Schreiben vom 14.08.2017 ordentlich zu, 31.03.2018.

Das Landgericht wies die Räumungsklage ab. Auf die Berufung der Klägerin verurteilte das OLG die Beklagte antragsgemäß zur Räumung und Herausgabe. Die Revision der Beklagten führte zur Wiederherstellung der landgerichtliche Entscheidung.

Ein Mietvertrag von einer Mietdauer von über einem Jahr bedarf der Schriftform, § 550 BGB. Dies gilt auch für Räume, die keine Wohnräume sind, § 578 Abs. 2 BGB. Der BGH führte aus, dass ein Vertrag, bei dem sich der Vermieter verpflichtet, dem Mieter gegen ein monatliches Entgelt eine Teilfläche zur Aufstellung eines Geldautomaten zur Verfügung zu stellen, rechtlich als Mietvertrag zu qualifizieren sei, da dieser Vertrag durch die typischen mietvertraglichen Hauptleistungspflichten der Überlassung des Mietobjekts zur vertragsgemäßen Nutzung gegen Zahlung eines Entgelts (§ 535 Abs. 1 und 2 BGB) geprägt sei. Damit sei auf ihn auch § 550 BGB anwendbar, wenn der Vertrag auf die Dauer von mehr al einem Jahr geschlossen wird.

Anders als das OLG sah der BGH das Schriftformerfordernis als erfüllt an.

Die Schriftform des § 550 BGB sei nur gewahrt, wenn sich die für den Abschluss des Vertrages notwendige Einigung über alle wesentlichen Vertragsbedingungen aus der von beiden Parteien unterzeichneten Urkunde ergäbe. Zu diesen notwendigen Angaben gehören Benennung der Vertragsparteien, der konkrete Mietgegenstand, der Mietzins und die Vertragsdauer. Da auch formbedürftige Vertragsklauseln der Auslegung unterfallen würden, reiche es aus, wenn der Inhalt der Vertragsbedingungen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestimmbar sei. Würden wesentliche vertragliche Vereinbarungen in Anlagen zum Vertrag ausgelagert, müssten die Parteien zur Wahrung der Urkundeneinheit die Zusammengehörigkeit in geeigneter Weise zweifelsfrei kenntlich machen. Diese Kenntlichmachung müsse nicht durch körperliche Verbindung erfolgen; ausreichend sei eine bloß gedankliche Verbindung, die allerdings in einer zweifelsfreien Bezugnahme zum Ausdruck gebracht werden müsse (BGH, Urteil vom 26.02.2020 - XII ZR 51/19 -).  Weiterhin würde zur Schriftform die Unterschrift der Vertragsparteien gehören, die den gesamten Vertragsinhalt decken müsse und den Vertragstext räumlich abschließen, also unterhalb des Textes stehen und damit die urkundliche Erklärung abschließen müsse (BGH, Urteil vom 04.11.2020 - XII ZR 104/19 -).

Diese Voraussetzungen erfüllte der Mietvertrag vom 31.07.2015 nicht. Der BGH verwies darauf, dass dieser nur auf der Vorderseite unterschrieben worden sei und damit nicht den vollständigen Vertragsinhalt, der auch aus den rückseitig abgedruckten Allgemeinen Vertragsbedingungen bestünde, abdecken würde. Auf der Vorderseite sei auch kein verweis auf die rückseitigen Allgemeinen Vertragsbedingungen aufgenommen worden, aus dem sich entnehmen ließe, dass diese von den Unterschriften mitumfasst wären.

Allerdings sei es für die Einhaltung der Schriftform nicht erforderlich, dass schon die erste Vertragsurkunde (hier der Mietvertrag vom 31.07.2015) selbst alle Schriftformerfordernisse erfülle. Es genüge vielmehr, wenn diese Voraussetzungen durch eine nachfolgende Änderungsvereinbarung gemeinsam mit der in Bezug genommenen ersten Vertragsurkunde erfüllt würde. Dabei könne es nach den Umständen des Einzelfalls auch genügen, wenn lediglich eine dem Vertrag beigefügte Anlage von den Parteien unterschrieben würde, wenn in dieser Anlage hinreichend deutlich würde, auf welchen vertrag sie sich beziehe. Auch hier sei eine körperliche Verbindung zwischen dem Mietvertrag und der Anlage nicht erforderlich, vielmehr genüge es wie bei einer Nachtragsvereinbarung zur Einhaltung der Schriftform, dass zwischen der Anlage und dem Mietvertrag eine gedankliche Verbindung bestünde, die erkennen ließe, dass beide Schriftstücke in ihrer Gesamtheit den Vertrag bilden. Es sei daher ausreichend, wenn die Anlage die Mietvertragsparteien bezeichne, hinreichend deutlich auf den ursprünglichen Vertrag Bezug nähme und ersichtlich sei, dass es im Übrigen bei den Bestimmungen des ursprünglichen Vertrages verbleibe (BGH, Urteil vom 04.11.2020 - XII ZR 104/19 -).

Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Die nach Abschluss des Mietvertrages gefertigte Anlage nenne die Vertragsparteien und würde den streitgegenständlichen Vertrag sowie den Mietgegenstand benennen. Weiterhin würde Bezug genommen auf § 1 der auf der Rückseite des Mietvertrags vom 31.07.2015 abgedruckten Allgemeinen Vertragsbedingungen. Aus dieser Bezugnahme würde die gesamte Vertragsurkunde des Mietvertrages vom 31.07.2015 und die nachträgliche Anlage zu einer gedanklichen Einheit verbunden, aus der sich der Inhalt des Vertrages ergäbe. Es sei deshalb nicht erforderlich, dass in der nachträglichen Anlage die weiteren Vertragsbedingungen nicht mehr ausdrücklich aufgeführt worden seien und auch kein klarstellender Hinweis auf die Fortgeltung der in der Vertragsurkunde abgedruckten Allgemeinen Vertragsbedingungen aufgenommen worden sei. Mithin sei die Schriftform nach § 126 Abs. 1 und 2 S. 1 BGB gewahrt.

BGH, Urteil vom 10.02.2021  - XII ZR 26/20 -

Samstag, 1. Mai 2021

Behandlung der bei Tod des Steuerpflichtigen noch nicht berücksichtigten Erhaltungsaufwendungen iSv. § 82b EStDV

 

Der Ehemann der Klägerin verstarb am 12.01.2016. Die Klägerin wurde in 2016 mit ihrem verstorbenen Ehemann zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Verstorbene, der Eigentümer eines mit einem Zweifamilienhaus bebauten Grundstücks war, hatte in 2012 Erhaltungsaufwendungen in Höhe von € 14.865,99, in 2014 in Höhe von € 36.430,89 und in 2015 in Höhe von € 11.603,93. Für diese Erhaltungsaufwendungen hatte er nach § 82b EStDV eine Verteilung von fünf Jahren gewählt. Der in 2016 noch berücksichtigungsfähige Erhaltungsaufwand belief sich auf € 29.852,88. Das Grundstück ging nach dem Tod des Ehemanns der Klägerin auf die Erbengemeinschaft über, an der die Klägerin beteiligt war. Bei der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte der Erbengemeinschaft für 2016 wurden keine Abzugsbeträge nach § 82b EStDV berücksichtigt. Die Klägerin hatte allerdings in ihrer Einkommensteuererklärung für 2016 für sich und ihrem verstorbenen Ehemann für den Zeitraum bis zum Ableben Ihres Ehemanns (12.01.2016) Einkünfte in von Minus € 32.829,00 erklärt; als Werbungskosten gab sie den zum Zeitpunkt des Todes ihres Ehemanns noch nicht berücksichtigten Teil der Erhaltungsaufwendungen an. Das beklagte Finanzamt (FA) berücksichtigte allerdings insoweit als Werbungskosten nur den auf den Monat Januar 2016 entfallenden Anteil mit € 981,92; nach Ansicht des FA sei der Restbetrag bei der Erbengemeinschaft im Rahmen deren gesonderter und einheitlicher Feststellung unter Fortführung der Verteilung nach § 82b EStDV zu berücksichtigen.

Nach erfolglosen Einspruch erhob die Klägerin Klage, der das Finanzgericht stattgab. Die dagegen von dem FA eingelegte Revision wurde vom BFH zurückgewiesen.

Werbungskosten seien nach § 9 Abs. 1 S. 1 EstG Aufwendungen zum Erwerb, zur Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Sie seien gem. § 9 Abs. 1 1 S. 2 EstG bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen seien. Grundsätzlich seien die Werbungskosten in dem Veranlagungszeitraum abzuziehen, in dem sie entstanden seien, § 11 Abs. 2 S. 1 EstG, Allerdings könne der Steuerpflichtige größere Aufwendungen für die Erhaltung von Gebäuden, die nicht zum Betriebsvermögen gehören würden und überwiegend Wohnzwecken dienen würden, gemäß §§ 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. r) aa) EstG iVm. 82b Abs. 1 S. 1 EStDV  abweichend davon auf zwei bis fünf Jahre gleichmäßig verteilen. Käme es während des Verteilungszeitraums zur Veräußerung, könne der noch nicht berücksichtigte Teil des Erhaltungsaufwandes im Jahr der Veräußerung als Werbungskosten abgesetzt werden, § 82 Abs. 2 S. 1 EStDV; dies gelte auch in den Fällen, in denen das Gebäude in ein Betriebsvermögen eingebracht würde oder nicht mehr zur Einkuntserzielung genutzt würde, § 82b Abs. 2 S. 2 EStDV.

Der Zweck des § 82b Abs. 1 EStDV sei, dem Steuerpflichtigen eine bessere Ausnutzung seiner Tarifprogression zu ermöglichen, indem er seine Erhaltungsaufwendungen interperiodisch besser verteilen kann (BTDrs. 3/1811, S. 13). Dieser Zweck würde aber dann ins Leere gehen, wenn dies dem Steuerpflichtigen infolge Versterbens nicht mehr möglich sei. Mit seinem Tod ende die auf ihn als natürliche Person und Steuersubjekt bezogene Einkünfteerzielung. Eine weitere Berücksichtigung der nach § 82b Abs. 1 EStDV verteilten und noch nicht berücksichtigten Aufwendungen sei daher bei ihm nicht mehr möglich. Da nur der Steuerpflichtige, der die Aufwendungen getragen habe, nach § 2 Abs. 1 EstG Zurechnungsobjekt der von ihm erzielten Einkünfte sei, könnten die bisher nicht berücksichtigten Teile der Aufwendungen nur im Veranlagungszeitraum des Versterbens berücksichtigt werden. Von daher seien der bisher nicht berücksichtigten Teil der Erhaltungsaufwendungen im Veranlagungszeitraum seines Versterbens als Werbungskosten abzusetzen.

Die steuerliche Situation im Todesfall sei vergleichbar mit den übrigen ausdrücklich in § 82b Abs. 2 EStDV genannten Fällen. § 82b Abs. 2 EStDV ginge davon aus, dass vom Veranlagungszeitraum der Veräußerung, der Einbringung in ein Betriebsvermögen oder des Wegfalls der Nutzung des Gebäudes zur Einkunftserzielung (z.B. wegen Selbstnutzung) an die weitere Berücksichtigung der verteilten und noch nicht berücksichtigten Aufwendungen nicht mehr möglich sei. Allen benannten Fällen sei gemeinsam, dass eine Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung anschließend in der Person des Steuerpflichtigen nicht mehr möglich sei.

Für einen vom FA geltend gemachten Übergang von Erhaltungsaufwendungen iSv. § 82b Abs. 1 EStDV nach dem Tod des Erblassers auf den Eigentümer (hier die Erbengemeinschaft) fehle eine ausdrückliche Regelung. Eine analoge Anwendung anderer Vorschriften (wie z.B. § 11s EStDV) scheide aus (so bereits BFH im Urteil vom 13.03.2018 – IX R 22/17 – zum Vorbehaltsnießbrauch). Daran würde auch für den vorliegenden Fall der gesamtrechtsnachfolge durch Erbfall festgehalten.

Ebenfalls käme nicht R 21.1 Abs. 6 S. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien zur Anwendung. Danach könne im Fall der unentgeltlichen Übertragung der des Gebäudeeigentums der Rechtsnachfolger den bei dem Rechtsvorgänger noch nicht berücksichtigten Teil der Erhaltungsaufwendungen in dem vom Rechtsvorgänger gewählten restlichen Veranlagungszeiträumen nach § 82b Abs. 1 S. 1 EStDV geltend machen. Die Richtlinie als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift habe keine Normqualität und binde daher die Gerichte nicht. Auch fehle es an einer gesetzlichen Grundlage für eine Verwaltungsvorschrift, die einen solchen Übergang de vom Verstorbenen getragenen Aufwendungen auf die Erben ermögliche. Im Wege von Verwaltungserlassen dürften die Finanzbehörden keine Ausnahmen von der gesetzlich vorgesehenen Besteuerung zulassen. Zudem dürfte die Richtlinie überholt sein. Sue habe ihren Sinn in Veranlagungszeiträumen gehabt, in denen nach der Rechtsprechung des BFH die Fortführung eines steuerlichen Verlustvortrags des Erblassers bei den Erben für möglich gehalten wurde. Diese Rechtsprechung wurde vom BFH durch den Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17.12.2007 - GrS 2/04 - aufgegeben. Damit sei seither der Rechtsgrund für die Regelung in der Richtlinie entfallen.

BFH, Urteil vom 10.11.2020 - IX R 31/19 -

Donnerstag, 29. April 2021

Kostenvorschussanspruch für Mängelbeseitigung und Berücksichtigung von Mehrkosten durch Änderung der technischen Regeln

Die Klägerin begehrte einen Kostenvorschuss in Höhe von € 151.709,14 für eine Dachsanierung. Nach einem vom Landgericht eingeholten Gutachten, dem das Landgericht folgte, sollen die von der Klägerin behaupteten Mängel und Schäden an dem Dach vorliegen und sich die Kosten der Beseitigung auf den geforderten Betrag belaufen. Mehrkosten in Höhe von € 21.839,32 für die Ausbildung des Daches gemäß der Vorgaben der EnEV 2014, die in den Kosten enthalten seien, seien deshalb zuzusprechen, da eine Mängelbeseitigung die zum Zeitpunkt ihrer Durchführung geltenden anerkannten Regeln der Technik einhalten müssten.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts legten die Streithelfer der Beklagten Berufung ein. Sie wandten u.a. unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BGH vom 14.11.2017 - VII ZR 45/14 - ein, dass der Mehraufwand in Ansehung der EnEV 2014 nicht vorhersehbar gewesen sei (die Errichtung des mangelbehafteten Daches erfolgte unter der Geltung der EnEV 2012) und der Vorschuss nicht den Mehraufwand auf Grund der Änderung der technischen Regeln umfasse, der mithin in Anzug zu bringen sei.

In seinem Hinweisbeschluss wies das OLG darauf hin, dass es der Berufung keine Aussichten auf Erfolg beimessen würde und beabsichtige, die Berufung zurückzuweisen.  

Die Mängelbeseitigung müsse nach den aktuellen Regeln der Technik durchgeführt werden, mithin hier nach den Anforderungen der EnEV 2014. Die Ansicht der Berufungsführer, die entsprechenden Mehrkosten könnten von der Klägerin nicht begehrt werden, sei verfehlt. Das insoweit von den Berufungsführern benannte Urteil des BGH vom 14.11.2017 sei nicht einschlägig, da sich dort der BGH nur damit auseinandergesetzt habe, welche Auswirkungen eine Änderung anerkannter technischer Regeln zwischen Vertragsabschluss und Abnahme auf die geschuldete Leistung und den Vergütungsanspruch sowie die Abnahme nach dem vertraglich geschuldeten Leistungssoll hätten. Er habe entschieden, dass grundsätzlich die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik schulde, die zwischen dem Vertragsabschluss und der Abnahme gelten würden. Hier könne der Auftragnehmer, ändern sich die anerkannten Regeln der Technik und führen diese zu Mehraufwand, entweder eine Anpassung der Vergütung begehren oder aber der Auftraggeber auf die Einhaltung der neuen Regeln verzichten. Zur Frage der Auswirkung auf den Fall einer Mängelbeseitigung habe der BGH in der Entscheidung nicht Stellung bezogen. Allerdings habe sich der BGH in seinem Urteil vom 17.05.1984 - VII ZR 169/82 - zur Frage der Vorteilsausgleichung im werkvertraglichen Gewährleistungsrecht geäußert. Dort führte der BGH aus, dass eine Anrechnung des Vorteils dann nicht in Betracht käme, „wenn diese Vorteile ausschließlich auf einer Verzögerung der Mängelbeseitigung beruhen und sich der Auftraggeber jahrelang mit einem fehlerhaften Werk begnügen musste. Der Auftragnehmer darf dadurch, dass der vertragszweck nicht sogleich, sondern erst später im Rahmen der Gewährleistung erreicht wird, keine Besserstellung erfahren. Ein solches Ergebnis widerspräche dem Gesetzeszweck der Gewährleistung im Werkvertragsrecht.

Dies zugrunde legend vertrat das OLG die Auffassung, dass sich die Klägerin die Mehrkosten, welche durch die jetzt notwendige Ausführung der Sanierung nach den Vorgaben der EnEV 2014 gegenüber derjenigen nach der vorher anzuwenden EnEV 2012 ergäben, nicht von dem Kostenvorschuss abziehen lassen müsse und der Grund dafür alleine darin läge, dass die beklagte ihrer Verpflichtung zur Herstellung eines mängelfreien Daches und zur umgehenden Beseitigung von Mängeln nicht nachgekommen sei. Die Verteuerung läge damit alleine in der Risikosphäre des Beklagten. Selbst wenn die Klägerin durch die Einhaltung der EnEV 2014 gegenüber der EnEV 2012 eine wirtschaftlich merkbare Ersparnis bei den Heizkosten erzielen würde, wäre es unbillig, sie an den Mehrkosten zu beteiligen.

Die Berufung wurde vom OLG mit Beschluss vom 22.10.2020 zurückgewiesen. In diesem wies das OLG darauf hin, dass es sich bei den Mehrkosten nicht um sogenannte Sowieso-Kosten handeln würde, da sie bei einem mängelfreien Dach nicht angefallen wären, da die EnEV 2014 noch nicht galt. Sowieso-Kosten lägen nur vor, wenn das Werk bei ordnungsgemäßer Ausführung von vornherein entsprechend teurer geworden wäre (BGH, Urteil vom 29.10.1970 - VII ZR 14/69 -).

OLG München, Hinweisbeschluss vom 01.09.2020 - 28 U 1686/20 Bau -