Freitag, 24. Januar 2020

Muffiger Kellergeruch bei Altbau kann offenbarungspflichtiger Mangel sein


Die Kläger erwarben unter Ausschluss der Haftung für Sachmängel von der Beklagten ein Grundstück mit Einfamilienhaus. In dem Exposé des von dem Beklagten eingeschalteten Maklers wurde von einem aufwendig sanierten Einfamilienhaus und einer vollständigen Renovierung gesprochen. Die Kläger hatten die Immobilie vor Abschluss des notariellen Kaufvertrages besichtigt; Feuchtigkeitsschäden im Keller waren hierbei nicht ersichtlich. Nach ihrem Einzug stellten die Kläger Feuchtigkeit an den Kellerwänden fest; nach einem Gutachten im Rahmen eines von ihnen eingeleiteten selbständigen Beweisverfahrens waren die Kellerwände bereits zum Zeitpunkt der Übergabe des Hauses an die Kläger durchfeuchtet. Ursächlich sei ein für das Baujahr 1914 typischer technischer Standard.

Der BGH verwies darauf, dass bei Häusern, die zu einer Zeit errichtet worden seien, als Kellerabdichtungen noch nicht üblich waren, nicht jede Feuchtigkeit im Keller einen Mangel darstellen könne. Es käme auf die Umstände des Einzelfalls an, also z.B. darauf, ob das Haus in einem sanierten Zustand verkauft wurde, der Keller Wohnzwecken diente, welcher Zustand bei der Besichtigung erkennbar war und wie stark die Feuchtigkeitserscheinungen sind. Zur Sollbeschaffenheit würden auch die Eigenschaften zählen, die der Käufer nach öffentlichen Äußerungen (wie in einem Exposé) des Verkäufers erwarten dürfe.

Vorliegend sei nicht zu beanstanden, dass das OLG im Berufungsrechtszug auch unter Berücksichtigung des Exposés davon ausgegangen sei, dass weder ein sanierter noch ein zu Wohnzwecken geeigneter Keller geschuldet sei, sondern nur ein der Bauzeit geschuldeter Zustand.  Allerdings sei ein Mangel dann anzunehmen, wenn, wie klägerseits behauptet, ein muffiger oder modrig-feuchter Geruch durch die übrigen Bereiche des Hauses ziehe, der bei Öffnen der Tür sofort wahrnehmbar sei.

BGH, Beschluss vom 10.10.2019 - V ZR 4/19 -

Mittwoch, 22. Januar 2020

Zuschlagsbeschluss und Suizidgefahr bei der Schuldnerin


Immer wieder müssen sich die Gerichte mit der Frage der Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen Suizidgefahr bei den jeweiligen Schuldnern  im Zusammenhang mit Räumungs- und Zwangsversteigerungsmaßnahmen auseinandersetzen. Vorliegend betrieben die Gläubiger die Zwangsversteigerung einer Immobilie der Schuldnerin und erhielt am 24.08.2017 der Ersteher den Zuschlag. Die Schuldnerin legte gegen den Zuschlagsbeschluss unter Verweis auf eine Suizidgefahr bei ihr Beschwerde ein. Nach Gutachteneinholung vertrat das Landgericht (LG) als Beschwerdegericht die Auffassung, der Suizideinwand habe nicht das für eine Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses und Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens  notwendige Gewicht; die Schuldnerin habe während des Beschwerdeverfahrens therapeutische Hilfe erhalten, weshalb sie Interventions- und Hilfemöglichkeiten selbst formulieren könne und ein Suizid eher unwahrscheinlich sei. Es bestünde für den Fall der Bestätigung des Zuschlagsbeschlusses (Anm: Auf Grund desselben kann der Ersteher die zwangsweise Räumung betreiben) keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen Suizid.

Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hob der BGH den Beschluss auf und verwies das Verfahren an das Beschwerdegericht zurück.

Richtig habe zwar das LG erkannt, dass einer Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss nach § 100 Abs. 3 iVm. 83 Nr. 6 ZVG stattzugeben sei, wenn wegen eines Vollstreckungsschutzantrages des Schuldners nach § 765a ZPO der Zuschlag wegen einer bereits mit dem Eigentumsverlust verbundenen konkreten Gefahr für das Leben des Schuldners (oder eines nahen Angehörigen) nicht erteilt werden dürfe oder wenn die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung des Schuldners während des Beschwerdeverfahrens zu Tage trete. Zwar sei  deshalb die Zwangsversteigerung nicht ohne Weiteres einzustellen bzw. aufzuheben. Im Hinblick auf die Wahrung der ebenfalls grundrechtlich geschützten Interessen des Gläubigers als auch des Erstehers sei zu prüfen, ob der Gefährdung von Leben und Gesundheit des Schuldners auch anders als durch Einstellung oder Aufhebung der Zwangsersteigerung wirksam begegnet werden könne.

Dies setze aber voraus, dass das Gericht die Geeignetheit der in Betracht gezogenen Maßnahmen sorgfältig prüfe und deren Vornahme sicherstelle. Daran fehle es vorliegend jedenfalls in Bezug auf die Sicherstellung der geeigneten Maßnahmen.

Auch wenn das LG nur von einer „geringen Suizidgefahr“ ausgehen würde, nehme es aber weder ein Vorspiegeln derselben durch die Schuldnerin an noch sähe diese als so vage an, dass von einer Verwirklichung ernsthaft nicht ausgegangen werden könne. Es weise vielmehr darauf hin, dass einer erneuten Aktualisierung der Suizidgefahr durch ein bestehendes „Setting“ aus Anbindung an den Therapeuten und medikamentöser Behandlung begegnet werden könne. Damit sei eine ernsthafte Gefahr der Selbsttötung nicht ausgeschlossen, weshalb das LG ungeachtet der schutzwürdigen Interessen der Gläubiger an einer Fortsetzung des Verfahrens dafür hätte Sorge tragen müssen, dass sich die mit der Fortsetzung des Verfahrens verbundene Lebens- und Gesundheitsgefahr nicht realisiere. Durch das bestehende „Setting“ sei das LG davon nicht entbunden, da offen sei, b dies im Ernstfall funktioniert hätte. So sei auch ein Verweis auf die für den Lebensschutz primär zuständigen Behörden und Gerichte verfassungsrechtlich nur tragfähig, wenn das Vollstreckungsgericht dafür Sorge trage, dass diese Stellen rechtzeitig tätig werden.  Daher dürfe das Vollstreckungsgericht die Einstellung des Verfahrens nur ablehnen, wenn im Hinblick auf ambulante Maßnahmen zur Bewältigung der Suizidgefahr auch diese Maßnahmen sichergestellt würden.

Dieser Anforderung habe das LG nicht genügt. Weder habe es sichergestellt noch dafür Sorge getragen, dass die therapeutische und medikamentöse Behandlung der Schuldnerin im Zeitpunkt der endgültigen Entscheidung über den Zuschlag gesichert sei. Es habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass das „Setting“ bei einer akuten Krisensituation besteht und wirksam wird. Dies hätte hier einer freiwilligen Mitwirkung der Schuldnerin bedurft, ohne dass berücksichtigt worden sei, dass bei einer Zuspitzung, wie sie vom LG nicht ausgeschlossen worden sei, ein Suizidgefährdeter nicht mehr in der Lage sei, sich selbst Hilfe zu organisieren. Von daher hätte das LG für diesen Fall die vom LG für geeignet gehaltenen ambulanten Maßnahmen zur Begegnung der konkreten Suizidgefahr auch für den Fall, dass die Schuldnerin die Konfliktsituation nicht mehr selbst beherrschen kann, sicherstellen müssen.

Vor diesem Hintergrund wurde der Beschluss des LG aufgehoben. Das LG habe nun neue Feststellungen zur aktuellen Situation der Schuldnerin zu treffen und dürfe unveränderter Sachlage die Einstellung des Verfahrens nur ablehnen, wenn es sicherstelle, dass das „Setting“ aus ambulanter und medikamentöser Behandlung besteht und funktioniert.

BGH, Beschluss vom 19.09.2019 - V ZB 16/19 -

Montag, 20. Januar 2020

Verkehrssicherungspflicht bei Spargelstand auf einem Parkplatz eines Einkaufsmarktes


Der Beklagte betrieb auf dem Parkplatz eines Einkaufsmarktes einen Spargelstand. Dieser stand auf einer der Parkbuchten, die seitlich mit Randsteinen zu einem dem Fußverkehr (einschl. Einkaufswagen) auf dem Parkplatz vorbehalten Weg versehen waren. Die Klägerin, die am Spargelstand einkaufte, verließ diesen seitlich und stolperte dabei über den Randstein. Mit ihrer bei dem Landgericht erhobenen Klage machte sie Schadensersatzansprüche und Schmerzensgeld gegen den  Beklagten geltend. Die Klage wurde vom LG Darmstadt mit Urteil vom 08.05.2019 abgewiesen. Auf die Berufung wies das OLG die Klägerin  darauf hin, dass die Zurückweisung derselben beabsichtigt sei.

Das OLG wies darauf hin, dass eine haftungsrelevante Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht nur angenommen werden könne, wo auch für den aufmerksamen Verkehrsteilnehmer eine Gefahrenlage überraschend eintrete und nicht rechtzeitig erkenn- und beherrschbar sei. Im Übrigen seien sowohl öffentliche Wege und Plätze wie auch privat betriebene Parkplätze in den für den Benutzer erkennbaren Zustand hinzunehmen, da eine absolute Gefahrlosigkeit unter Einsatz zumutbarer Mittel nicht erreichbar sei (BGH, Urteil vom 13.07.1989 – III ZR 122/88 -). Könne ein Verkehrsteilnehmer bei zweckgerichteter Nutzung und gebotener Sorgfalt selbst etwaige Schäden abwenden, bestehen keine weitergehende Pflicht des an sich Verkehrssicherungspflichtigen. Vorsorgemaßnahmen durch diesen seien nur geboten, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung ergäbe, was dann der Fall sei, wenn der Verkehrsteilnehmer die zu erwartende Gefahr nicht rechtzeitig erkennen und sich nicht rechtzeitig auf diese einstellen könne (OLG Hamm, Urteil vom 01.01.2012 – 9 U 143/11 -).

Bei einem Verkaufsstand auf dem Parkplatz eines Supermarktes wie hier würden die Sicherheitserwartungen nicht dahin gehen, dass die Fläche überall stets flach und ohne jegliche Absätze sei. Der Fußgänger müsse sogar mit Randsteinen und Abgrenzungen rechnen. Entsprechende Einfassungen seien sinnvoll und auch üblich und ließen sich vom Fußgänger bei gebotener Sorgfalt leicht bewältigen. Deshalb bedürfe es keines besonderen Hinweises, wenn sie wie hier durch ihre markante Höhe (15 – 17 cm gemäß dem Urteil des Landgerichts) und einer unterschiedlichen Pflasterung beidseits der Abgrenzung klar erkennbar sei.

Auch könne sich der Besucher des Spargelstandes nicht darauf berufen, dass sich die Einfassung unmittelbar neben dem Spargelstand befinde und der Kunde sein Augenmerk auf den Stand und nicht den Boden richte. Denn auch in diesem Fall liege es im Verantwortungsbereich des Fußgängers, bei Annäherung an bzw. Entfernung vom Stand den Boden mit im Blick zu haben. Dass sich der Stand auch in einer tieferliegenden Parktasche befände sei ausweislich der Lichtbilder bei Anwendung gebotener Sorgfalt klar erkennbar, weshalb es dem sorgfältigen Verkehrsteilnehmer auch bei Verlassen des Standes trotz eines geringen Abstandes der Einfassung zum Stand zumutbar sei, sich vor einem seitlichen Weggehen über die Bodenverhältnisse zu vergewissern.

Hinzu käme, dass es sich bei dem Spargelstand ersichtlich nur um einen vorrübergehenden bzw. provisorischen Verkaufsstand handele, weshalb erst recht kein Vertrauensschutz auf eine ebene Fläche angenommen werden könne.

Aus dem Verhalten des Beklagten nach dem Vorfall (zusätzliche Absicherung zum Randstein durch Spargelkisten und Aufstellen eines Schildes, rechtfertige auch nicht die Annahme einer vorherigen Verkehrssicherungspflichtverletzung.

Die Berufung der Klägerin wurde schließlich durch das OLG mit Beschluss vom 21.10.2019 zurückgewiesen.

OLG Frankfurt, Hinweisbeschluss vom 03.09.2019 - 12 U 117/19 -

Freitag, 17. Januar 2020

Fiktiver Schadensersatz und Beilackierungskosten bei Unfallschaden


Die Entscheidung betrifft seit langem in Rechtsprechung und Schrifttum streitige Fragen: Können im Rahmen der Geltendmachung von fiktiven Schadensersatzansprüchen für Schäden am Fahrzeug auch Beilackierungskosten gelten gemacht werden, oder können diese nur nach Durchführung einer Reparatur, wenn es zur Beilackierung kommen musste und kam, als Schadensersatz geltend gemacht werden ? Nach welchem Beweismaß ist festzustellen, ob Beilackierungskosten bei fiktiver Schadensberechnung erstattungsfähig sind  ?

Das „phantomschwarz Perleffekt“ lackierte Fahrzeug des Klägers wurde bei einem Unfall beschädigt. Er rechnete mit der gegnerischen Haftpflichtversicherung den Schaden auf der Grundlage eines Gutachtens fiktiv ab. Diese regulierte auch, strich allerdings den im Gutachten mit netto € 643,39 benannten Betrag für Beilackierungskosten. Das Landgericht hatte, nachdem ihr das Amtsgericht noch stattgegeben hatte, die Klage diesbezüglich abgewiesen. Es vertrat die Auffassung,  bei Karosserieschäden  würden die zur Vermeidung möglicher Farbtonabweichungen erforderlichen Kosten einer Beilackierung angrenzender, nicht unmittelbar unfallgeschädigter Teile nicht zu dem im Rahmen fiktiver Schadensberechnung erstattungsfähigen Herstellungskosten. Kosten würden nur anfallen, wenn sich nach Reparatur und Lackierung des beschädigten Teils eine Farbabweichung ergebe und daher die Beilackierung der angrenzenden Teile notwendig mache. Ob etwas anders gelten würde, wenn nach den Umständen zwingend davon ausgegangen werden müsse, dass bei Durchführung einer Reparatur eine Beilackierung erforderlich sei, ließ das Berufungsgericht offen.

Dem folgt der BGH nicht. Grundsätzlich habe der Geschädigte einen Anspruch auf dem zur Wiederherstellung des vorherigen Zustandes erforderlichen Geldbetrag. Ziel sei die Herstellung des Zustandes, der (wirtschaftlich) dem entspräche, der ohne das Schadensereignis bestehen würde.

Der Geschädigte sei in der Disposition (Verwendung) des vom Schädiger zu zahlenden Schadensersatzes frei. Daher sei er nicht verpflichtet, dieses reparieren zu lassen, sondern könne auch fiktiv (wie hier auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens) abrechnen. Eine Verbindlichkeit der Angaben des Sachverständigen bestünde nicht; zu erstatten sei der zu ermittelnde, zur Herstellung objektiv erforderliche Betrag. Das Gericht habe diesen nach § 287 Abs. 1 ZPO nach freier Überzeugung zu ermitteln. Revisionsrechtlich könne die dem Tatrichter obliegende Ermittlung nur dahingehend geprüft werden, ob Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt wurden, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen wurden oder der Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt wurden. Vorliegend habe das Landgericht (Berufungsgericht) die Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt und wesentlichen Vortrag des Klägers nicht berücksichtigt.

Richtig sei, dass den Kläger die Darlegungs- und Beweislast für die Erforderlichkeit der Beilackierungskosten träfe. Allerdings sei vom Landgericht das Beweismaß des § 287 Abs. 1 ZPO, welches geringere Anforderungen als § 286 ZPO stelle, verkannt. Während nach § 286 ZPO eine Gewissheit erreicht sein müsse, die Zweifeln Schweigen gebietet, sei im Rahmen des § 287 ZPO ein Ermessen ausreichend, bei dem auch in Kauf genommen würde, dass dieses mit der Wirklichkeit nicht in Überstimmung stünde (BGH, Urteil vom 06.12.2012 - VII ZR 84/10 -). Von daher könne das Landgericht hier nicht eine (selbst im Rahmen des § 286 ZPO überspannte) absolute Gewissheit für die Erforderlichkeit der Beilackierungskosten für den Fall tatsächlicher Durchführung der Schadensbeseitigung fordern. Bei fiktiver Abrechnung verbleibe immer eine gewisse Unsicherheit, ob der objektiv erforderliche (ex ante zu bemessende) Betrag demjenigen entspräche, der bei tatsächlicher Durchführung der Reparatur auch anfällt. E käme auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit an.

Die Auffassung des Landgerichts sei unzutreffend, dass die Beilackierung mit der Beseitigung des Unfallschadens nichts zu tun habe. Wenn eine solche als notwendig angesehen würde, um einen Zustand widerherzustellen, der vor dem Unfall bestand, so sei sie ebenso Teil der Beseitigung des durch den Unfall verursachten Schadens.

Ferner habe das Landgericht ein wesentliches Beweisangebot des Klägers übergangen (Verletzung rechtlichen Gehörs, Art. 103 GG). So habe er unter Beweis gestellt, dass die Beilackierung auf Grund des Farbtons des Fahrzeugs technisch zwingend erforderlich sei. Diese Darlegung sei auch entgegen der Annahme des Landgerichts ausreichend (substantiiert) gewesen, da eine Partei nur insoweit Tatsachen vortragen müsse, als diese in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet seien, das geltend gemachte Recht in seiner Person als entstanden erscheinen zu lassen.

Vor diesem Hintergrund hob der BGH die Entscheidung des Landgerichts auf und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht zurück.

BGH, Urteil vom 17.09.2019 - VI ZR 396/18 -

Mittwoch, 15. Januar 2020

Private Haftpflichtversicherung: Kein Versicherungsschutz für Schäden beim Entladen eines Fahrzeuges


Mit der vom Amtsgericht zurückgewiesenen Klage des Versicherungsnehmers (VN) negierte das Amtsgericht den Versicherungsschutz aus einer privaten Haftpflichtversicherung bei der Beklagten aus Anlass eines von der VN verursachten Schadens, der dadurch von der VN verursacht wurde, dass sie auf einer Hebebühne des von ihr angemieteten Transporters stehend beim Entladen einer Leiter ein in den Luftraum ragendes Reklameschild beschädigte. Ihre Berufung wurde vom Landgericht zurückgewiesen.

Das Amtsgericht hatte sich auf Ziffer 6.1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AHB) bezogen. Nach dieser Klausel sei die Haftpflicht des Besitzers eines Kraftfahrzeuges (auch wenn er dieses wie vorliegend nur angemietet habe) wegen Schäden, die durch den Gebrauch des Fahrzeuges verursacht werden, nicht versichert. Es habe sich hier das Gebrauchsrisiko verwirklicht.

Das Landgericht sah keine Veranlassung, von der rechtlichen Würdigung des Amtsgerichts abzuweichen. Es handele sich bei der Klausel um die sogen. Benzinklausel, derzufolge die Haftpflicht u.a. des Führers eines Kraftfahrzeuges für Schäden, die durch den Gebrauch des Fahrzeuges verursacht würden, nicht über die private Haftpflichtversicherung gedeckt sei. Der Umstand, dass das Fahrzeug zum Schadenszeitpunkt stand, ändere daran nichts. Weiterhin sei der Klägerin (VN) Führer des Fahrzeuges, welches sich in der Entladung befunden habe, gewesen.

Der Ausschluss des Versicherungsschutzes durch die „Benzinklausel“ sei aus sich heraus und eng auszulegen. Er würde nur dann greifen, wenn sich eine Gefahr verwirklicht habe, die gerade dem Fahrzeuggebrauch eigen ist und diesem selbst und unmittelbar zuzurechnen sei. Deshalb müsse der Schaden dem Kraftfahrzeugrisiko näher stehen als dem Privat-/Betriebs-/Tierhalterrisiko, mithin dem Kraftfahrzeugrisiko bei natürlicher Betrachtung zuzuordnen sein. Das sei bei Be- und Entladevorgängen dann der Fall, wenn und solange das Kraftfahrzeug in innerem Zusammenhang mit seiner Funktion als Verkehrs- und Transportmittel be- bzw. entladen würde. Dieser Zusammenhang bestünde jedenfalls dann, wenn das Be- oder Entladen mit Hilfe einer speziellen Vorrichtung des Fahrzeuges selbst erfolge (OLG Köln, Urteil vom 06.12.2018 - 3 U 49/18 - zum Betrieb iSv. § 7 StVG). Der BGH würde in dem Entladevorgang einen Gebrauch des Fahrzeuges sehen, solange das Kraftfahrzeug selbst oder eine an oder auf ihm befindliche Vorrichtung daran beteiligt sei. Daher sei ein Schaden beim Hantieren mit dem Ladegut dann “durch den Gebrauch“ des Kraftfahrzeuges entstanden und diesem zuzurechnen, d.h. der Gebrauch für die schadensstiftende Verrichtung aktuell, unmittelbar, zeitlich und örtlich nahe eingesetzt würde (BGH, Urteil vom 26.06.1979 - VI ZR 122/78 -).

Hier käme hinzu, dass der Schaden beim Einsatz der Hebebühne als Vorrichtung des Fahrzeuges entstanden sei. Es habe sich nicht das allgemeine Lebensrisiko der Klägerin (VN) verwirklicht, sondern dem Fahrzeuggebrauch eigene Gefahr, da die Klägerin die Reklameeinrichtung nur deshalb habe beschädigen können, da sie auf der Hebebühne stand. Die Entscheidung des OLG Hamm vom 09.08.2017 - 20 U 30/17 - würde dem nicht entgegenstehen, da zum Einen die benannten Grundsätze durch auch benannt worden seien, zum Anderen der Schaden dort deshalb entstand, da durch Ungeschicklichkeit Flaschen heruntergefallen und explodiert seien und sich daher nicht das typische Risiko des Fahrzeuges verwirklicht habe.

LG Wuppertal, Urteil vom 14.11.2019 - 9 S 125/19 -

Samstag, 11. Januar 2020

Nutzungsrisiko und Mangel der Miet-/Pachtsache bei fehlender behördlicher Genehmigung


Mit einem Pachtvertrag hatte der Pächter das Objekt „zur Betreibung von Paint-Ball-Spielen“ gepachtet. Nach einer behördlichen Nutzungsverfügung war der Betrieb einer Paint-Ball-Anlage auf dem Pachtgrundstück unzulässig. Im Pachtvertrag (§§ 1 und 7 Ziffer 2) wurde das Risiko der auch vollständigen Versagung einer Genehmigung zum Betrieb einer Paint-Ball-Anlage dem Pächter auferlegt. Der Kläger (Pächter) machte aus § 536a BGB, § 252 BGB Schadensersatzansprüche wegen entgangenen Gewinns geltend und beantragte Prozesskostenhilfe für die Klage. Das Landgericht wies den Antrag zurück, da es der Klage keine Erfolgsaussichten beimaß. Auf die Beschwerde gab das OLG dem Antrag statt.

Das OLG ging in seiner Entscheidung davon aus, dass aufgrund der behördlichen Nutztungsuntersagungsverfügung der Betrieb einer Paint-Ball-Anlage auf dem Pachtgrundstück unzulässig sei. Daher kam es darauf an, ob eine solche Anlage zum vertragsgemäßen Gebrauch gehörte. Dieser richte sich nach Vertragsinhalt und Vertragszweck. Dies würde in gewerblichen Miet-/Pachtverträgen regelmäßig im Vertrag näher dargelegt. Hier sei der Betrieb dieser Anlage ausdrücklich im Vertrag vorgesehen gewesen. Der Verpächter (Vermieter) schulde damit die Eignung des Miet-/Pachtobjekts zu einem entsprechenden Gebrauch.

Das Fehlen der behördlichen Genehmigung stelle sich als Mangel da, da die Nutzung im Hinblick auf die fehlende Genehmigung nicht mehr möglich sei. Es würde sich um durch die baulichen Gegebenheiten bedingte Nutzungseinschränkungen handeln, die, da Gebäudebezogen, grundsätzlich in den Verantwortungs- und Risikobereich des Vermieters fallen würden (BGH, Urteil vom 13.07.2011 - XII ZR 189/09 -).

Zwar hätten hier die Parteien in dem Vertrag das Risiko der Versagung der Genehmigung abweichend von der gesetzlichen Reglung dem Pächter/Mieter (Beklagten) auferlegt. Danach habe sich der Beklagte verpflichtet, alle notwendigen Genehmigungen zum Betrieb von Paint-Ball-Spielen vorzulegen und für sämtliche Genehmigungen und Auflagen zu sorgen. Es sei auch bestimmt worden, dass dem Verpächter/Vermieter für die Einhaltung der Voraussetzungen für den Betrieb keine Haftung übernehme. Derartige Klauseln seien allerdings unwirksam, wenn es sich bei ihnen um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. § 305 BGB handele (also um Klauseln, die vom Verwender für mehrere Fälle genutzt würden oder werden sollen).  Nicht nur würden die Klauseln sowohl Gewährleistungsrechte ausschließen, sondern auch das Recht zur (fristlosen) Kündigung wegen des im Fahlen der Genehmigung liegenden Mangels der Miet-/Pachtsache gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 BGB, auch wenn (wie hier) das Risiko in die Sphäre des Vermieters/Verpächters fällt, es sei denn, es läge Arglist des Vermieters/Verpächters vor. Im Rahmen einer AGB-Prüfung würde ein derart weitreichender Haftungsausschluss den Pächter/Mieter entgegen Trau und Glauben unangemessen benachteiligen und sei daher unwirksam.

Die Unwirksamkeit würde dazu führen, dass der Mieter/Pächter wegen des im Fehlen der Genehmigung liegenden Mangels der Miet-/Pachtsache Schadensersatz verlangen können (wozu auch der entgangene Gewinn nach § 252 BGB gehöre); er müsse nicht kündigen, sondern könne am Vertrag festhalten und für die Laufzeit Schadensersatz begehren (BGH, Urteil vom 18.01.1995 - XII ZR 30/93 -); lediglich im Hinblick auf den entgangenen Gewinn würde dieser Anspruch nur bis zu dem Zeitpunkt geltend gemacht werden können, zu dem der Vermieter ordentlich hätte kündigen können.

Dies würde allerdings dann nicht gelten, wenn es sich um individualvertragliche Vereinbarungen handeln würde (OLG Frankfurt, Urteil vom 22.07.2016 - 2 U 144/15 -). Ob es sich um einen formularmäßigen Haftungsausschluss oder eine Individualvereinbarung handelt sei zwischen den Parteien streitig. Da die Möglichkeit besteht, dass es sich um Formularklauseln handelt, sei Prozesskostenhilfe zu gewähren (das Landgericht wird dies im streitigen Verfahren, ggf. nach Beweisaufnahme) zu klären haben.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.04.2019 - 3 W 95/18 -

Montag, 16. Dezember 2019

Überbau durch Fassadendämmung versus Veränderungen am Nachbargebäude


Die Parteien sind Eigentümer aneinandergrenzender, in versetzter Bauweise errichteter Reihenhäuser in Hessen. Der Kläger ließ an seinem Reihenhaus eine Fassadendämmung anbringen. Ein Teil der Wand des klägerischen Reihenhauses einschließlich eines schmalen Streifens im Dachbereich blieb allerdings infolge der versetzten Bauweise ungedämmt. Die Außendämmung nebst Putz würde hier  die Grenze des Grundstücks des Beklagten um 11cm überschreiten. Zur Anbringung müssten ein Holzunterstand nebst Verkleidung, die Entlüftung des Außentanks und der Küchenabluft und ein Stromkabel verlegt und der Dachbereich des Hauses des Beklagten geöffnet werden. Der Klage auf Durchführung der erforderlichen Arbeiten durch den Kläger (auf seine Kosten) wurde vom Amtsgericht stattgegeben; die hiergegen vom Beklagten erhobene Berufung zum Landgericht (LG) war erfolgreich und führte zur Abweisung der Klage. Die vom LG zugelassene Revision wurde vom BGH zurückgewiesen.

Der Anspruch des Klägers sei, so der BGH, zutreffend auf der Grundlage des § 10a Abs. 1 NachbG HE verneint worden. Die Norm lautet:

„Der Eigentümer und die Nutzungsberechtigten eines Grundstücks haben Bauteile, die auf ihr Grundstück übergreifen, zu dulden, wenn
1. es sich bei den übergreifenden Bauteilen um eine Wärmedämmung handelt, die über die Bauteilanforderungen der Energieeinsparverordnung vom 24. Juli 2007 (BGBl. I S. 1519), geändert durch Verordnung vom 29. April 2009 (BGBl. I S. 954), in der jeweils geltenden Fassung für bestehende Gebäude nicht hinausgeht,
2. eine vergleichbare Wärmedämmung auf andere Weise mit vertretbarem Aufwand nicht vorgenommen werden kann und
3. die übergreifenden Bauteile
a) an einer vorhandenen einseitigen Grenzwand auf dem Nachbargrundstück angebracht werden,
b) die Benutzung des betroffenen Grundstücks nicht oder nur geringfügig beeinträchtigen und
c) öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht widersprechen.
Die Duldungspflicht nach Satz 1 erstreckt sich auch auf die mit der Wärmedämmung zusammenhängenden notwendigen Änderungen von Bauteilen.“

Danach erstreckt sich die Duldungspflicht auch auf die mit der Wärmedämmung zusammenhängenden notwendigen Änderungen von Bauteilen.

Unzutreffend sei das LG ohne Überprüfung davon ausgegangen, es habe sich hier um eine Grenzwand (vgl. § 8 Abs. 1 NachbG HE)  gehandelt. Das sei aber unschädlich. Läge nur eine Nachbarwand vor, an die die Reihenhäuser in beiden Richtungen angebaut worden seien, fehle es an dem Vorliegen einer Grenzwand, weshalb sich die Duldungspflicht nicht aus § 10 Abs. 1 S. 1 NachbG HE ergeben könne. Aber auch bei Annahme einer Grenzwand käme eine Duldungspflicht nicht in Betracht, da er durch die Norm nicht zur Hinnahme von baulichen Veränderungen an dem auf seinem Grundstück stehenden Gebäude verpflichtet sei. Dabei könne dahinstehen, ob eine „einseitige“ Grenzwand auch dann besteht, wenn wie hier die Häuser in versetzter Bauweise errichtet worden seien. Selbst wenn die versetzte Bauweise von § 10 Abs. 1 Nr. 3a NachbG HE erfasst worden sein sollte, hätte der Beklagte nur den Überbau durch Bauteile zu dulden, die durch das Anbringen der Wärmedämmung an der Grenzwand auf sein Grundstück hinüberragen; er müsse also notwendige Veränderungen an seinem Gebäude infolge der Wärmedämmung nicht dulden. Dies folge aus S. 1 der Norm. Auch S. 2 erstrecke sich nur auf die Duldungspflicht auf die mir der Wärmedämmung zusammenhängenden erforderlichen Änderung von Bauteilen der (einseitigen) Grenzwand, an der die Wärmedämmung angebracht werden soll. Darunter würden z.B. die Erweiterung des Dachs einer Giebelwand, die Verlängerung der Fensterbänke oder die Verlegung von Fallrohren um die Dämmstoffstärke zählen (Hess. Landtag, Drucks. 18/855 S. 6). S. 2 würde also nur die Duldungspflicht von S. 1 insoweit erweitern, die durch Veränderungen an Bauteilen der Grenzwand erforderlich würden.

Die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 10a Abs. 1 NachbG HE hebe hervor, dass ein Eingriff in das Eigentumsrecht des Nachbarn auf ein Mindestmaß beschränkt und die Nutzung seines Grundstücks nicht oder allenfalls geringfügig beeinträchtigt werden soll. Auch ginge der Gesetzgeber davon aus, dass keine geringfüge Beeinträchtigung bei einer grenzübergreifenden Wärmedämmung dann vorliege, wenn der Nachbar zulässig bis zur gemeinsamen Grundstücksgrenze bauen darf. Auch in diesem Fall sei ein mit der Aufbringung der Wärmedämmung verbundener Überbau nicht oder allenfalls bis zur Realisierung einer zulässigen Grenzbebauung zu dulden. Folgerichtig sei es daher, bereits vorhandene Gebäudeteile vor Eingriffen in deren Substanz zu schützen.

Selbst sollte es sich bei der streitgegenständlichen Wand um eine gemeinsame Grenzeinrichtung handeln, wäre der Anspruch des Klägers nicht begründet. Bei dieser würde sich nach § 921 BGB - mangels abweichender Regelungen in §§ 921, 922 S. 1 bis 3 BGB – die Rechtslage gem. § 924 S. 4 BGB nach den Vorschriften über die Gemeinschaft bestimmen. Nach § 745 Abs. 2 BGB würde sich mangels einer Verwaltung und Nutzung durch Vereinbarung oder Mehrheitsbeschluss nach dem Interesse aller Teilhaber an einer billigem Ermessen entsprechenden Verwaltung und Benutzung orientieren. Die Anbringung der Wärmedämmung auf einer gemeinsamen Grenzeinrichtung stelle eine Verwaltungsmaßnahme in diesem Sinne dar. Der Teilhaber einer gemeinsamen Giebelwand (Nachbarwand) könne nach § 745 Abs. 2 BGB aber nicht die Duldung des anderen Teilhabers zur Duldung  baulicher Eingriffe in nicht der gemeinsamen Verwaltung unterliegende Gebäudeteile verlangen, wie es hier z.B. in Bezug auf die Abzüge für die Öltankanlage und die Küche der Fall sei.

BGH, Urteil vom  14.06.2019 - V ZR 144/18 -