Der gesetzliche Unfallversicherungsträger (UT) im Falle eines Personenschadens des (pflicht-) versicherten Arbeitnehmers anlässlich eines Arbeits- oder Wegeunfalls eintrittspflichtig. Die Ansprüche, für die der UUT aufkommen muss, gehen bereits mit dem Unfallereignis auf den UT über, die dieser gegen den verantwortlichen Schädiger (unter Berücksichtigung eines evtl. Mitverschuldens des Arbeitnehmers) regressieren kann, § 110 SGB X. In Betracht kommen können dabei auch Ansprüche gegen den Arbeitgeber („Unternehmer“ nach dem Gesetzeswortlaut im SGB VII). Allerdings sind hier Besonderheiten zu berücksichtigen. So haftet der bei einem Arbeitsunfall gegenüber dem Arbeitnehmer nach § 104 Abs. 1 SGB VII nur bei Vorsatz; ein Forderungsübergang nach § 116 SGB X findet, soweit eine Haftung nicht besteht, nach § 116 SGB X nicht statt. Allerdings sieht § 107 Abs. 1 SGB VII vor, dass der Arbeitgeber dem UT dessen entstandene Aufwendungen (bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs) zu erstatten hat, wenn der als Versicherungsfall nach dem SGB VII einzustufende Unfall vom Arbeitgeber vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht wurde.
In dem dem BGH zur Entscheidung über eine Revision vorliegenden Rechtsstreit hatte die Arbeitgeberin (Beklagte) zwei Personen (die ehemaligen Beklagten zu 3. und 5., tätig als Nachunternehmer) im Rahmen eines ihr erteilten Auftrags zur Dacheindeckung mit der Errichtung des benötigten Gerüsts beauftragt, welches fehlerhaft ohne Fangnetz und Bordbretter erstellt wurde. Der geschädigte Arbeitnehmer (ein Auszubildender der Beklagten) stürzte bei der Ausführung von Dachdeckerarbeiten vom Dach und zog sich schwere Verletzungen zu. Das Oberlandesgericht (OLG) hat unter Abänderung des klageabweisenden Urteils des Landgerichts (LG) die Klage des UT gegen die Arbeitgeberin (Beklagte) (haftend neben den ehemaligen Beklagten zu 3. und 5.) dem Grunde für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision der Beklagten wurde das Urteil gegen sie aufgehoben und der Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen.
Soweit das OLG als Anspruchsgrundlage § 116 SGB X nannte, verneinte der BGH diesen zutreffend unter Verweis auf § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII, da es sich weder um einen vorsätzlich begangenen Arbeitsunfall noch um einen Wegeunfall handelte.
Damit käme als Rückgriffsanspruch des klagenden UT lediglich nach §§ 110 Abs. 1, § 11 S. 1 SGB VII in Betracht. Die hierzu getroffenen Feststellungen des OLG hielt der BGH für eine Bejahung des Anspruchs nicht für ausreichend.
Die Haftung nach § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII für Personen, deren Haftung wie hier nach §§ 104 bis 107 SGB VII beschränkt sei, gehe bis zur Höhe des zivilrechtlichen Haftungsanspruchs nur auf den UT über, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hätten. Gleiches gelte nach § 111 S. 1 SGB VII, wenn der Arbeitgeber durch ein Organ (z.B. den Geschäftsführer), Abwickler oder Liquidator einer juristischen Person, vertretungsberechtigten Gesellschafter (so bei einer OHG oder dem Komplementär einer KG) oder Liquidatoren einer Personengesellschaft des Handelsrechts oder gesetzliche Vertreter des Unternehmers in Ausführung ihnen zustehender Verrichtungen vorsätzlich oder grob fahrlässig den Versicherungsfall verursacht hätten.
Es würde sich bei §§ 110, 111 SGB VII nicht um einen (wie in § 116 SGB X) übergeleiteten Schadensersatzanspruch, sondern um einen originären selbständigen Anspruch des UT privatrechtlicher Natur handeln. Er fordere Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Unternehmers (Arbeitgebers) oder qua gesetzlicher Zurechnung der in § 111 SGB VII benannten Personen. Offen ließ der BGH in diesem Zusammenhang, ob die (vergleichbar zu der zu § 31 BGB entwickelte Repräsentantenhaftung) Haftungszurechnung auch Personen umfasse, denen der Unternehmer bedeutsame wesensmäßige Funktionen zugewiesen hat und die in Ausführung der ihnen zustehenden Verrichtungen den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführten (bejahend OLG Düsseldorf, Urteil vom 04.03.2010 - 12 U 91/09 -). Jedenfalls würde § 111 S. 1 SGB VII nicht eine Zurechnung des Verschuldens von Personen begründen, die als Nachunternehmer von der juristischen Person (dem Arbeitgeber des Geschädigten) beauftragt seien.
Ein über § 111 S. 1 SGB VII hinausgehender Rückgriffsanspruch auf Dritte käme im Rahmen der Haftung nach § 110 Abs. 1 SGB VII nicht in Betracht. Der Gesetzgeber habe den Rückgriffsanspruch nach § 110 ff SGB VII besonders ausgestaltet und dabei von einer weitergehenden Zurechnungsnorm abgesehen, weshalb es sich verbiete, eine Zurechnung des Verschuldens sonstiger Personen nach anderen Vorschriften vorzunehmen. Dies begründe sich auch aus dem Regelungszweck der Normen, die präventive und erzieherische Ziele verfolgen würden (BGH, Urteil vom 15.07.2008 - VI ZR 212/07 -) und am besonders zu missbilligendes Verhalten der durch die Haftungsbeschränkung gem. § §§ 104 ff SGB VII Begünstigte selbst oder (bei juristischen Personen) ihrer Organe anknüpfen würden.
Zudem sei auch § 278 BGB im Hinblick auf die Voraussetzung der Verschuldenszurechnung nicht erfüllt. Dies setze ein bereits bestehendes Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner voraus, aus dem sich die Verbindlichkeit ergebe (BGH, Urteil vom 07.03.1972 - VI ZR 158/70 -). Ein derartiges Schuldverhältnis würde aber zwischen dem gesetzlichen Unfallversicherer und dem Unternehmer vor dem Eintritt des Versicherungsfalls nicht bestehen. Die maßgebliche, eigenständige Rechtsbeziehung würde erst durch den Versicherungsfall entstehen.
Zu einer abschließenden Entscheidung gem. § 563 Abs. 3 ZPO sah sich der BGH gehindert. Das OLG müsse prüfen, ob der Beklagte zu 2 (Geschäftsführer der Beklagten zu 1.) in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen den Arbeitsunfall grob fahrlässig verursacht habe. Dies könne in einer verursachenden Handlung oder Unterlassung verursacht habe, ohne dass es sich um eine spezifische Tätigkeit im Rahmen der Vertretungsberechtigung handeln müsste. Entscheidend sei, ob er im Rahmen der Bauleitung (die er nach den Feststellungen des OLG erbracht habe) grob fahrlässig gegenüber dem verletzten Arbeitnehmer bestehende vertragliche Schutzpflichten und Verkehrssicherungspflichten verletzte und hierdurch den Arbeitsunfall verursachte bzw. mitverursachte.
BGH, Urteil vom 09.12.2021
- VII ZR 170/19 -