Mittwoch, 5. Februar 2025

Überholer stößt mit zu schnell fahrenden Gegenverkehr zusammen

Nach der Überzeugung des Senats, die er in seinem Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO näher darlegte, war die vom Kläger gegen das landgerichtliche Urteil eingelegte Berufung in der Sache unbegründet. Er habe mit seinem Pkw einen in seiner Fahrtrichtung fahrenden Lkw beschleunigend von 88 auf 96 km/h überholt und sei dabei mit einem entgegenkommenden Pkw, der die hier zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 lit. c) StVO um 12 km/h überschritten habe, kollidiert. Dieser Unfall sei für die beklagte entgegenkommende Fahrerin (Beklagte zu 2) unabwendbar gewesen, § 17 Abs. 3 StVG, unabhängig von der Geschwindigkeitsüberschreitung um 12 km/h. Aber auch im Übrigen hätte der Kläger einen kausalen schuldhaften Verursachungsbeitrag der Beklagten zu 2 nicht bewiesen und träte hier die Betriebsgefahr von deren Pkw vollständig hinter dem schuldhaften Verkehrsverstoß des Klägers und der von seinem Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr zurück.

So damit, ob eine Geschwindigkeitsüberschreitung nicht alleine deshalb der Fahrerin des entgegenkommenden Fahrzeugs zugerechnet werden könne, da das Fahrzeug bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit erst später an die Unfallstelle gelangt wäre. Das verneinte er mit Hinweis darauf, dass erforderlich sei, dass sich in dem Unfall eine auf das zu schnelle Fahren zurückzuführende Gefahrenlage aktualisiere. Damit sei der erforderliche rechtliche Ursachenzusammenhang zwischen Geschwindigkeitsüberschreitung und Unfall zu bejahen, wenn bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrssituation der Unfall zwar nicht räumlich, aber zeitlich vermeidbar gewesen wäre. Das wäre der Fall, gelänge dem Fahrer bei einer verkehrsordnungsgemäßen Fahrweise zwar nicht das Anhalten des Fahrzeugs vor der späteren Unfallstelle, aber hätte er zumindest den Wagen so stark abbremsen können, dass dem Verletzten Zeit zum rechtzeitigen Verlassen des Gefahrenbereichs verblieben wäre. Das aber würde auch gelten, wenn es dabei nur zu einer deutlichen Abmilderung des Unfallverlaufs und der erlittenen Verletzungen käme (BGH, Urteil vom 06.09.2017 – 7 U 18/27 -).

Hierzu setzte sich der Senat mit der kritischen Verkehrslage auseinander. Diese beginne mit dem Zeitpunkt, wenn die erkennbare Situation konkreten Anhalt dafür biete, dass eine Gefahrensituation unmittelbar bevorstünde. Für einen vorfahrtsberechtigten Fahrzeugführer würde dies in Bezug auf seinen Vorrang nicht bei abstrakten Gefahren bestehen, sondern erst bei erkennbaren Umständen für eine  bevorstehende Vorfahrtverletzung, wofür es neben der Fahrweise des Wartepflichtigen auf alle Umstände ankäme, die sich auf seine Fahrweise auswirken könnten, also auch die Fahrweise des Wartepflichtigen selbst. Gäbe der Vorfahrtsberechtigte dem Wartepflichtigen durch einen Verkehrsverstoß Veranlassung die Wartepflicht (insbesondere wegen Fehleinschätzung des Verkehrslage) zu verletzen, so könne die kritische Verkehrslage bereits vor der eigentlichen Vorfahrtverletzung eintreten (BGH, Urteil vom 22.11.2016 – VI ZR 533/15 -).

Daraus würde sich hier erschließen, dass die Unfall für die Beklagte zu 2 weder räumlich noch zeitlich vermeidbar war noch sich die Personen- und Sachschäden erheblich anders dargestellt hätten.

Die kritische Verkehrssituation habe sich für die Beklagte erst dargestellt, als die Beklagte zu 2das überholende Klägerfahrzeug erstmals gesehen habe.  Außer durch ein hochrisikoreiches und nicht zumutbares Ausweichen in den Straßengraben sei der Unfall weder räumlich noch zeitlich vermeidbar gewesen. Nach dem Gutachten wer die Beklagte zu 2 zwar bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit noch vor dem vorliegenden konkreten Unfallort zum Stehen gekommen, der Zusammenstoß hätte sich allerdings an einer „unerheblich anderen Stelle“, rund 8 m weiter nördlich in Fahrtrichtung des Klägers / gegen die Fahrtrichtung der Beklagten zu 2 mit einer zeitlichen Verzögerung von nur 0,3 Sekunden ereignet.  Der Unfall wäre damit weder zeitlich und örtlich zu vermeiden gewesen und zudem wäre der Kläger auch in diesem Fall mit dem überholten Lkw kollidiert, die Personen- und Sachschäden hätten sich auch nur unwesentlich anders dargestellt.

Die Berufung wurde nach dem Hinweisbeschluss zurückgenommen.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 05.08.2024 - I-7 U 57/24 -

Mittwoch, 29. Januar 2025

Bemessung des Stundensatzes bei Haushaltsführungsschaden

Infolge eines Schadensfalls machte die Klägerin auch einen Haushaltsführungsschaden geltend, bei dem es zuletzt um die Höhe des zugrunde zu legenden Stundensatzes ging. Während die Klägerin einen Stundensatz von € 14,00 ansetzte, nahm das Amtsgericht einen solchen von € 12,00 an, demgegenüber das Landgericht im Berufungsverfahren € 8,00 (entsprechend § 21 Abs. 1 JVEG) zugrunde legte. Auf die zugelassene Revision der Klägerin musste sich nun der BGH mit der Bemessung des Stundensatzes für einen Haushaltsführungsschaden auseinandersetzen. Der BGH hob das Berufungsurteil auf und verwies den Rechtsstreit zurück an das Landgericht.

Der BGH stellte in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung fest, dass der Verlust der Fähigkeit, weiterhin Haushaltsarbeiten zu verrichten, einen ersatzfähigen Schaden darstelle, unabhängig davon, ob der Geschädigte Vermögensaufwendungen für eine Ersatzkraft aufgewandt habe. Entweder läge in der Hausarbeit ein Beitrag zum Familienunterhalt und würde daher einen Erwerbsschaden (iSv. § 843 Abs. 1 Alt. 1 BGB) darstellen, oder sie würde den eigenen Bedürfnissen dienen und damit eine Vermehrung der Bedürfnisse (iSv. § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB) darstellen. Es handele sich jeweils um messbaren Schaden der auch fiktiv berechnet werden könne. Im Falle der fiktiven Berechnung erfolge dies auf Nettolohnbasis (BGH, Urteil vom 18.02.1992 - VI ZR 367/90 -).

Richtig habe das Berufungsgericht zunächst im Rahmen einer Schätzung der Höhe des Schadens (§ 287 ZPO) die Anzahl der Arbeitsstunden ermittelt, mit der die Klägerin unfallbedingt ausgefallen sei. Streitig sei nur die darauf erfolget Bemessung der Höhe des Stundensatzes.

Der BGH verwies darauf, dass die Bemessung der Höhe Sah des Tatrichters sei. Dies sei vom BGH nur darauf überprüfbar, ob wesentliche Bemessungsfaktoren au0er Acht gelassen oder der Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt worden seien. Zur Überprüfung müssten die tatsächlichen Grundlagen der Schätzung dargelegt werden. Das sei hier bei der Bemessung der fiktiven Vergütung einer Ersatzkraft mit netto € 8,00/Stunde nicht erfolgt.

Mögliche Schwierigkeiten bei der Feststellung, in welchem Umfang eine Ersatzkraft hätte eingestellt werden müssen, würden einen Verzicht auf eine nachvollziehbare Darlegung der Schätzungsgrundlagen nicht rechtfertigen. Auch sei ein pauschaler Verweis auf in 2014 und 2021 veröffentlichte Entscheidungen des OLG München im Hinblick auf Unfälle in 2009 und 2016 nicht geeignet den Ansatz von € 8,00/Stunde zu rechtfertigen, da das Lohnniveau sich nicht ohne weiteres auf den Streitfall übertragen ließe. Rechtlich bedenklich sei auch die Auffassung des Berufungsgerichts, der gesetzliche Mindestlohn könne bei der fiktiven Bemessung des Schadens keine Rolle spielen. Zwar handele es sich bei dem in § 1 MiLoG festgesetzten Mindestlohn um einen Bruttostundenlohn, während der bei der hier fiktiven Geltendmachung der Nettolohn entscheidend sei; doch bilde der in dem maßgeblichen Zeitraum geltende Mindestlohn die Untergrenze des Bruttolohnes, auf dessen Grundlage die Ermittlung des für die Schätzung maßgeblichen Nettolohns erfolgen könne. Will der Tatrichter auf der Grundlage des gesetzlichen Mindestlohnes den Schaden ermitteln, müsse er nachvollziehbar angeben, warum dieser auf der Grundlage des Einzelfalles (z.B. Anforderungen an konkret anfallende Haushaltstätigkeiten) – bei einer möglichen „Orientierung an durchschnittlichen Maßstäben“ (BGH, Urteil vom 08.03.1983 - VI ZR 201/83 -) – als fiktive Vergütung einer Ersatzkraft angesehen werden könne.

Es sei nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, dem Tatrichter eine bestimmte Berechnungs- oder Ermittlungsmethode vorzuschreiben. Der in § 21 S. 1 JVEG bestimmte Stundensatz von Zeugen für Nachteile bei der Haushaltsführung erscheine jedoch aus Rechtsgründen als alleinige Schätzgrundlage unzureichend, insoweit die Stundensätze nach dem JVEG nicht wie die Schadensschätzung nach § 287 ZPO dazu diene, einen konkreten Schaden vollständig aber nicht übermäßig zu kompensieren. Zudem seien die tatsächlichen Grundlagen, auf denen die Festsetzung der Höhe der Zeugenentschädigung beruhe, nicht so offengelegt, dass sie eine Beurteilung durch den Tatrichter nicht zulassen würden, ob diese Grundlagen auch unter den Umständen des Schadensfalls als Ausgangspunkt für eine Schadensschätzung geeignet sind.  Hier läge bereits ein Unterschied des 21 S. 1 JVEG gegenüber der nach dem im JVEG benannten Orientierungshilfen für Nebenkosten der Sachverständigen, die im Rahmen der Schadenschätzung nach § 287 ZPO herangezogen werden könnten.

BGH, Urteil vom 05.11.2024 - VI ZR 12/24 -

Montag, 27. Januar 2025

Gewinnfeststellungsbescheid bei nicht mehr existenter Personengesellschaft

Der Kläger hatte seine Kommanditbeteiligung an der B KG sowie seinen Geschäftsanteil an der Komplementärgesellschaft, der B GmbH, mit Vertrag in 2016 gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten auf die O GmbH & Co. KG (nachfolgend O KG) übertragen. Anschließend schied die B GmbH aus und die O KG als einzige verbliebene Gesellschafterin übernahm das Vermögen der B KG im Wege der Anwachsung  mit allen Aktiven und Passiven ohne Liquidation zum 31.12.2016; die B KG wurde im Januar 2017 im Handelsregister gelöscht. Das Finanzamt (FA) erließ infolge einer Außenprüfung am 26.01.2018 einen geänderten Gewinnfeststellungsbescheid betreffen der B KG, der dem Kläger bekanntgegeben wurde; unterhalb des Adressfeldes wurde die B KG benannt.  Adresse des Klägers. Im Bescheid erfolget der Hinweis, dass dieser an den Kläger als Empfangsbevollmächtigten mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten ergehe. Der Kläger begehrte die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides. Diesen Antrag wies das FA zurück. Einspruch blieb erfolglos; das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt, da sich der Bescheid gegen eine vollbeendete Personengesellschaft richte. Auf die Revision des FA hob der Bundesfinanzhof (BFH) das finanzgerichtliche Urteil auf und wies die Klage ab.

Die Nichtigkeitsfeststellungsklage iSv. § 41 Abs. 1 Alt. 2 FGO sah der BFH als zulässig an, die Annahme des FG, ein Gewinnfeststellungsbescheid sei nichtig, der sich an eine vollbeendete Personengesellschaft richte, sei nichtig, als rechtsfehlerhaft.

Der Verwaltungsakt müsse inhaltlich hinreichend bestimmt sein, § 119 Abs. 1 AO; leide er an einem besonders schwerwiegenden Fehler und sie die offenkundig, sei er nichtig, § 125 Abs. 1 AO, und damit unwirksam, § 124 Abs. 3 AO. Ein solcher Fall läge vor, wenn sich aus dem Veraltungsakt nicht der Inhaltsadressat, also desjenigen, dem gegenüber etwas geregelt werden soll, ergebe. Der Feststellungsbescheid richte sich gegen den Steuerpflichtigen, § 179 Abs. 2 S. 1 AO. Die gesonderte Feststellung werde gegenüber mehreren Beteiligten einheitlich vorgenommen, wenn dies gesetzlich bestimmt ist oder der Gegenstand mehreren Personen zuzurechnen sei. Diese Zurechnung habe hier nicht § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO stattzufinden, da die Einkünfte und mit ihnen im Zusammenhang stehende andere Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt würden, da mehrere Personen beteiligt seien, bei denen eine Zurechnung stattfände.

Ein Gewinnfeststellungsbescheid richte sich stets gegen die Gesellschafter (Mitunternehmer), unabhängig davon, ob zum Zeitpunkt des Erlasses die Personengesellschaft noch bestünde oder erloschen sei. Es müsse sich aus ihm ergeben, für welche Peron der Gewinn festgestellt würde und wie hoch der Gewinnanteil der einzelnen Gesellschafter sei. Die Aufnahme der erloschenen Personengesellschaft in das Adressfeld sei unschädlich, wenn sich aus dem Bescheid die Angaben über die Gesellschafter ergäben. Die Benennung der Gesellschaft stelle sich nur als „Sammelbezeichnung“ dar. (Dazu z.B. BFH, Urteile vom 12.08.1976 - IV R 105/75 - und 25.07.2019 - IV R 61/16 -, sowie Beschluss vom 01.09.2008 - IV B 12/08 -).

Zum Unterschied dazu könne die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages nicht gegenüber der nicht mehr existenten Personengesellschaft erfolgen, da Steuerschuldner (§ 5 Abs. 1 S. 3 GewStG) und Inhaltsadressat hier die Personengesellschaft sei und nur bei einer Gesamtrechtsnachfolge die Steuerschuldnerschaft auf den Rechtnachfolger übergehe.

BFH, Urteil vom 30.10.2024 - IV R 4/23 -

Freitag, 24. Januar 2025

Videoüberwachung bei gestörten Nachbarschaftsverhältnis

Die Einbrüche in Wohnungen und Einfamilienhäuser häufen sich, weshalb auch immer mehr Eigentümer dazu übergehen, ihre Wohnung oder ihr Haus durch Videoanlagen überwachen zu lassen. Allerdings ist dies problematisch, wie das Urteil des AG Gelnhausen – unter Bezugnahme auf anderweitige Entscheidungen – belegt. Der Verfügungskläger hatte beantragt, dass eine  Videoüberwachungskamera am Nachbarhaus so betrieben werden müsse, dass Geschehnisse auf dem Grundstück des Verfügungsklägers nicht erfasst und entsprechende Aufnahmen künftighin unterlassen würden.

Das Amtsgericht (AG) sah den Antrag als nach §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB begründet an. Dabei sei unerheblich, ob das Haus des Verfügungsklägers bereits bewohnt würde. Da diese Eigentümer seien, läge der Anspruchsgrund bereits in ihrer Person. Es läge eine nicht gerechtfertigte Verletzung deren allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor, welches über §§ 1004 Abs. 1, 823 BGB geschützt sei und den Antrag begründe. Es käme auch nicht darauf an, ob die Kamera das Grundstück der Verfügungskläger erfassen könne oder nicht.

Ausreichend für den Unterlassungsanspruch sei, dass ein sogenannter Überwachungsdruck erzeugt würde (z.B. LG Hamburg, Urteil vom 18.01.2018 - - 304 O 69/17 -; OLG Köln, Urteil vom 22.09.2016 - - I-15 U 33/16 -; für Nachbarrecht AG Brandenburg, Urteil vom 22.01.2016  - 31 C 118/14 -; für Mietrecht LG Berlin, Urteil vom 28.10.2015 - 67 S 82/15 -; für Wohnungseigentum AG Bergisch Gladbach, Urteil vom 03.09.2015 - 70 C 17/15 -). Erforderlich sei, dass dritte Personen eine Überwachung ernsthaft befürchten müssten, was dann der Fall sei, wenn eine Überwachung aufgrund konkreter Umstände nachvollziehbar und verständlich wäre. Dafür sei bereits ein angespanntes Nachbarschaftsverhältnis ausreichend und dass die Kamera mittels eines nach außen nicht wahrnehmbaren elektronischen Steuerungsmechanismus auf das Nachbargrundstück ausgerichtet werden könne. Der Überwachungsdruck könne nur dann ausscheiden, wenn der Winkel der Kamera nur mit erheblichen und sichtbaren Aufwand auf das Nachbargrundstück gerichtet werden könne (BGH, Urteil vom 16.03.2010 - VI ZR 176/09 -). Der elektronische Sicherungsmechanismus sei hier unstreitig.

Das AG nahm eine Interessensabwägung vor und negierte ein überwiegendes Interesse des Verfügungsbeklagten an solchen Videoaufnahmen. Es sei zwar ein legitimes Interesse der Verfügungsklägers, sein Eigentum zu schützen. Dieser Schutzzweck gehe aber mit einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Verfügungsklägers einher. Es müsse in Ansehung des bereits deutlich angespannten Nachbarschaftsverhältnisses eine weitere Eskalation verhindert werden. Die Verfügungskläger hätten die Möglichkeit, Videoaufzeichnungen ihres Eigentums nach den Grundsätzen des Urteils des BGH aaO. durchzuführen.

Anmerkung: Der Verweis auf das Urteil des BGH zur möglichen Durchführung einer Installation ist nicht weitergehend als die Ausführungen in dem Urteil des BGH. Es müsse sichergestellt werden, dass weder der angrenzende öffentliche Bereich noch benachbarte Privatgrundstücke oder der gemeinsame Zugang zu diesen von der Kamera erfasst wird.

AG Gelnhausen, Urteil vom 04.03.2024 - 52 C 76/14 -

Dienstag, 21. Januar 2025

Bauvorschriften der Landesbauordnungen als Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB

Der Kläger verlangte Sicherungsmaßnahmen zugunsten seines Grundstücks nach Abriss eines Gebäudes auf dem Grundstück seines Nachbarn (des Beklagten). Das Landgericht wies die Klage mit der Begründung ab, der Kläger habe weder nach § 1004 Abs. 1 Sl1 GB iVm. nachbarrechtlichen Vorschriften einen Beseitigungsanspruch noch einen Ausgleichsanspruch nach § 1004 BGB iVm. § 922 S. 2 BGB, da die mit dem Gebäude abgerissene Außenmauer keine Grenzmauer sei. Auch § 1004 BGB iVm. § 906 BGB scheide aus, da es an einer notwendigen Einwirkung fehle. Auch sie kein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 12 Abs. 1 S. 2 BauO LSA gegeben, da hier der Abriss weder die Standsicherheit des Gebäudes des Klägers noch die Tragfähigkeit des klägerischen Grundstücks gefährde.

Das OLG hob auf die Berufung des Klägers das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit zurück an das Landgericht. Offen sei nämlich, ob ein Anspruch aus § 1004 BGB analog iVm. § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 12 Abs. 1 S. 1 BauO LSA bestünde. Es sei anerkannt, dass § 1004 BGB analog als sogen. quasi-negatorischer Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch für alle deliktisch geschützten Rechtsgüter (mithin auch jenen in § 823 Abs. 1 BGB genannten) und für die durch ein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB abgesicherten Interessenssphären gelte (vgl. BGH, Urteil vom 27.09.1996 - V ZR 335/95 -).

§ 12 Abs. 1 S. 1 BauO LSA verlange die Standsicherheit jeder Anlage im Ganzen wie auch in Teilen. Im Zusammenhang kit § 3 BauO LSA ergebe sich, dass Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten seien, dass insbesondere Leben und Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden dürften. § 12  Abs. 1 S. 2 BauO LSA bestimme auch, dass die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrundes des Nachbargrundstücks nicht gefährdet werden dürften, die Norm habe nachbarschützende Wirkung (OVG Magdeburg, Urteil vom 18.02.2015 - 2 L 22/13 -). Bauvorschriften mit nachbarschützender Wirkung würden gleichzeitig Schutzgesetze iSv. § 823 Abs. 2 BGB darstellen (vgl. BayObLG, Urteil vom 15.11.1000 - 1Z RR 187/98 -).

§ 12 Abs. 1 S. 2 BauO LSA sei nicht nur bei der Errichtung , sondern auch – wie vorliegend in Betracht kommend – sondern auch bei dem Abriss eines Gebäudes anzuwenden, was sich aus der Systematik der Regelungen in der BauO LSA ergäbe. Denn für die Beseitigung baulicher Anlagen gelte nach § 2 Abs. 4 BauO LSA (in der im Zeitpunkt des  Abrisses Herbst 2013 geltenden Fassung), wonach der Zustand nach dem Abbruch eines Gebäudes gegen die Anforderungen des § 3 Abs. 1 S. 1 BauO LSA verstoßen könne, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen gefährdet würden. Sei aber bei einem Abriss einer baulichen Anlage die Generalklausel des § 3 Abs. 1 BauO LSA einzuhalten, gelte für den  Abriss einer baulichen Anlage – nicht anders als für deren Errichtung- ebenfalls die Konkretisierung dieser Generalklausel in der Vorschrift über die Standsicherheit in § 12 Abs. 1 BauO LSA.

Das OLG führte sodann aus, dass vom Landgericht bisher nicht aufgeklärt worden sei, ob die Standsicherheit des Gebäudes des Klägers bzw. die Tragfähigkeit seines Grundstücks durch den Abriss des Gebäudes des Beklagten gefährdet sei.

OLG Naumburg, Urteil vom 29.01.2024 - 12 U 75/23 -

Freitag, 17. Januar 2025

Zuständiges Gericht für Hinterbliebenengeld nach Arztfehler verschiedener Krankenhäuser

Der Kläger beantragte bei dem OLG eine Gerichtsstandsbestimmung, § 36 Nr. 3 ZPO, bei sachlicher Zuständigkeit eines Landgerichts, § 1 ZPO, 71 Abs. 1, 23 GVG. Seine Lebensgefährtin befand sich zunächst im Krankenhaus 1 der Stadt 1, sodann im Krankenhaus 2 der Stadt 2, um dann wieder zurückverlegt zu werden in das Krankenhaus 1, wo sie verstarb. Der Kläger machte mit der Begründung eines Arztfehlers ein Hinterbliebenengeld geltend.  Das eine Krankenhaus lag im Landgerichtsbezirk Limburg, das andere im Landgerichtsbezirk Koblenz.

Das OLG wies den Antrag zurück, da ein einheitlicher Gerichtsstand ohne gerichtliche Bestimmung vorläge. Für eine mögliche Gerichtsstandsbestimmung sei das angerufen OLG zuständig, auch wenn beide möglichen Gerichtstände in unterschiedlichen OLG-Bezirken lägen, bisher noch kein Gericht mit dem Streitfall befasst sei, ein möglicher Gerichtsstand (Limburg) im Bereich des OLG-Bezirks des ersuchen OLG läge. Allerdings negieret das OLG die Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO beruhe auf Zweckmäßigkeitserwägungen (BGH, Beschluss vom 16.02.1984 - I AZR 395/83 -), weshalb dann ein zuständiges Gericht zu bestimmen sei, wenn mehrere Personen mit allgemeinen Gerichtsständen bei unterschiedlichen Gerichten als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand nicht begründet sei. Grundlage sei der Sachvortrag des Antragstellers und es fände im Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung keine Prüfung der Zulässigkeit oder Schlüssigkeit der Klage statt.

Vorliegend gäbe es einen gemeinsamen besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO, nämlich den Sterbeort. Der Kläger wolle Hinterbliebenengeld geltend machen, also eine angemessene Entschädigung des Hinterbliebenen für das ihm entstandene seelische Leid. Der Gesetzgeber habe den Anspruch in Titel 27 „Unerlaubte Handlung“ (§ 84 Abs. 3 BGB) als deliktischen Anspruch ausgestaltet, weshalb der Gerichtsstand nach § 32 ZPO eröffnet sei. Für diesen Gerichtsstand sie ausreichend, dass nur ein wesentliches Tatbestandsmerkmal an dem Ort verwirklicht wurde. Neben dem Handlungsort käme daher auch der Ort in Betracht, in dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen worden sei (sogen. Erfolgsort).  § 844 Abs. 3 BGB knüpfe auch an eine eingetretene Verletzung des Rechtsguts Leben an, also an den Tod des Getöteten. In Arzthaftungsfällen sei Begehungsort iSv. § 32 ZPO neben den Orten, an denen der Behandlungsfehler begangen oder pflichtwidrig die Behandlung unterlassen worden sei, auch der Ort , an dem der Tod eintrat; damit sei bei mehreren Tätern stets ein gemeinsamer Gerichtsstand gegeben.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.07.2024 - 11 UH 18/24 -

Mittwoch, 15. Januar 2025

Unfallversicherung: Mitwirkungsanteil einer Vorerkrankung nach Bagatellunfall

Der Kläger litt zum Unfallzeitpunkt an Erkrankungen des arteriellen Systems. Durch den Bagatellunfall, auf dessen Grundlage er Ansprüche gegen seine private Unfallversicherung geltend machte, erlitt der Kläger eine Prellung mit Bluterguss  (Bagatelltrauma). Der Sachverständige habe ausgeführt, dass in der weiteren Folge der zweite Zeh rechts amputiert werden musste.

Offen blieb, ob die bestehende Erkrankung des Klägers mitursächlich (oder alleine ursächlich) für doe Amputation war. Darauf würde es so das OLG -  nicht ankommen. Der Sachverständige habe ausgeführt, dass bei einem normal gesunden Menschen die Unfallverletzung kein hinreichender Grund für einen Zehenverlust sei.  Auf dieser Beurteilungsgrundlage habe das Landgericht bei seiner Entscheidung nach § 287 ZPO den Mitwirkungsanteil der Vorerkrankung mit 100% geschätzt, was nach Auffassung des OLG nicht zu beanstanden sei. Zwar könne es sein, dass der Unfall der Auslöser für den zur Amputation führenden Verlauf war, nicht aber die eigentliche Ursache. Damit sie von einer Vorerkrankung mit einem unfallfremden Mitwirkungsanteil von 100% auszugehen (LG Heilbronn, Urteil vom 24.09.2015 – 4 O 181/14 -; LG Dortmund, Urteil vom 13.09.2013 – 2 O 213/22 betreffend Vorerkrankung Diabetis mellitus).

Vor diesem Hintergrund wies das OLG den Kläger darauf hin, dass es beabsichtige seine Berufung gegen das klageabweisende Urteil im Beschlussweg zurückzuweisen, § 522 ZPO, woraufhin der Kläger die Berufung zurücknahm.

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 02.07.2024 - 1 U 19/24e -