Das Urteil des OLG Koblenz stellt
sich als Lehrbeispiel zu den Zustellungsvorschriften der Zivilprozessordnung
(ZPO) dar. Streitig war, ob ein Einspruch gegen ein Versäumnisurteil
rechtzeitig erfolgte. Das Landgericht hatte dies negiert und von daher diesen
mit dem von der Beklagten mit der Berufung angegriffenen Urteil als unzulässig
verworfen. Das Berufungsgericht (OLG Koblenz) musste sich damit
auseinandersetzen, ob (und gegebenenfalls wann) das Versäumnisurteil
prozessordnungsgemäß zugestellt wurde. Grundlage der Entscheidung des
Landgerichts war, dass – nach vergeblichen Versuch der elektronischen
Zustellung bei dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten – dieses schließlich
in Papierform bei diesem zugestellt wurde, aber das Datum insoweit unleserlich
war, als es „12.12. 2022“ oder „17.12.2022“ bedeuten konnte; der
Prozessbevollmächtigte der Beklagten gab an, er habe erst am 27.12.2022 von dem
Urteil Kenntnis genommen. Letztlich hat das OLG das den Einspruch der Beklagten
verwerfende Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landgericht
zurückverwiesen.
1. Das Landgericht ging von einer
Zustellung am 12.12.2022 aus. Der Einspruch erfolgte am 02.01.2023, wäre mithin
verfristet gewesen (die Einspruchsfrist beträgt zwei Wochen, § 339 Abs. 1 ZPO).
Ausgehend von diesen Daten wäre die Entscheidung des Landgerichts nicht zu
beanstanden gewesen (bei einer Zustellung am 17.12.2022 wäre die Frist gewahrt
gewesen, da Fristablauf der 31.12.2022 wäre und, da die Frist auf einen Samstag
fiel, mithin der nächste Werktag, der 01.01.2023, § 193 BGB). Wiedereinsetzung
wurde der Beklagten nicht gewährt, da diese sich bei Unleserlichkeit bei Gerich
hätte über das korrekte Zustelldatum informieren müssen. Das sah das OLG
(zutreffend) anders.
Abgestellt wurde vom OLG auf §
180 ZPO (Zustellung mit Postzustellungsurkunde per Einlegen in den Briefkasten,
da niemand zur Entgegennahme angetroffen wurde). Diese Zustellung (am
12.12.2022) sei, so das Landgericht, von dem Postzusteller eindeutig auf der
Postzustellungsurkunde vermerkt worden. Das reiche aber nicht, so das OLG. Denn
nach § 180 S. 3 ZPO sei vom Zusteller das Datum der Zustellung ebenfalls auf
dem zuzustellenden Umschlag zu vermerken. Der BGH habe mit Urteil vom
15.03.2023 - VII ZR 99/22 - zu einem Fall, bei dem sich kein Datum auf dem
Umschlag befand (ein übrigens nicht seltener Fall) bereits entschieden, dass es
sich bei hier um eine zwingende Zustellungsvorschrift iSv. § 189 ZPO handele
und bei Verletzung dieser Vorschrift die Zustellung
erst als mit dem Tag des tatsächlichen Zugangs als bewirkt gelte (die
Gründe des BGH wurden vom OLG angeführt, u.a. die Schutzbedürftigkeit des
Zustellungsempfängers). Die Schutzbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass die
(förmliche) Zustellung der Sicherung des Nachweises von Zeit und Art der
Übergabe des Schriftstücks diene, da sich die die Zustellung (wie ersichtlich)
wichtige prozessuale Wirkungen (wie hier z.B. Fristen) knüpfen würden.
Die Grundform der Zustellung ist
die körperliche Übergabe des Schriftstücks (§ 116 Abs. 1, § 177 ZPO); bei der
Einlegung in den Briefkasten handelt es sich um eine Ersatzzustellung, die (an
sich) nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des
§ 189 ZPO erfolgen darf (wenn sie auch von Zustellern häufig trotz
Anwesenheit des Empfängers vorgenommen wird, wie wir in unserer Kanzlei bei
Zustelllungen an und selbst häufig feststellen). § 180 S. 2 ZPO, so das OLG in Bezug auf die
Entscheidung des BGH, knüpfe an das Einlegen in den Briefkasten die Fiktion der
Bekanntgabe. Die Angabe des Datum der Einlegung auf dem Umschlag solle dem
Empfänger eine Ungewissheit über den genauen Zeitpunkt des mit dieser
Bekanntgabe genauen Zustellungszeitpunkts und damit gegebenenfalls Beginn einer
Frist ausgleichen.
Auch wenn vorliegend anders als
in dem vom BGH entschiedenen Fall hier ein Datum vermerkt wurde, doch sei dort
(wie der Senat des OLG bei Inaugenscheinnahme des Umschlags festgestellt habe)
das Datum nicht eindeutig zu lesen gewesen (entweder 12.12.22 oder 17.12.22).
Das unleserliche Datum sei wie der Fall des fehlenden Datums zu behandeln.
Letztlich sei der Empfänger bei einem unlesbaren Datum in der gleichen
Situation wie jener, bei dem kein Datum angegeben worden ist. Er könne nicht
feststellen, wann eine Frist zu laufen beginne. Zwar lag hier ein Zeitfenster
vor, insoweit lediglich der Tag (der 12. oder der 17) undeutlich war.
Gleichwohl sei die Frist, so das OLG, nicht sicher zu berechnen. Nach § 180 ZPO
könne nur ein konkretes (leserliches) Datum gemeint sein, welches auf dem
Umschlag aufzunehmen ist. Da das Zustellungsverfahren dazu diene, als
förmliches Verfahren für Rechtssicherheit zu sorgen und Daten nachweisen zu
können, könne ein unleserliches Datum dienen Zweck ebenso wenig erfüllen wie
ein fehlendes Zustelldatum.
Damit sei die Zustellung (gemäß
Postzustellungsurkunde am 22.12.2022) unwirksam. Nach der vom Kläger nicht
widerlegten Angabe des Prozessbevollmächtigten der Beklagten habe dieser
erstmals von dem Versäumnisurteil am 27.12.2022 Kenntnis genommen, weshalb mit
diesem Datum der Lauf der Einspruchsfrist iSv. § 189 ZPO beginne. Diese Rechtsansicht des OLG wird durch § 189
ZPO (Heilung von Zustellungsmängeln) gestützt, wonach bei Nichtnachweis einer
formgerechten Zustellung das Datum gilt, zu dem das Dokument der betroffenen
Person tatsächlich zugegangen ist.
2. Die Klägerseite hatte eine
Zustellungsvereitelung durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin
eingewandt, da dieser im Rahmen der (zulässigen) elektronischen Übermittlung
(über beA = besonderes elektronisches Anwaltspostfach) das (elektronische)
Empfangsbekenntnis , trotz dreifacher Erinnerung, nicht abgegeben habe. Dem
folgte das OLG aus zutreffenden Erwägungen nicht.
Das OLG konstatiert, dass die
Zustellung mittels elektronischen Empfangsbekenntnis dem Gericht eine
kostengünstige und schnelle Zustellung bewirken kann. Allerdings erfordere dies
die Mitwirkung des Empfängers. § 175 ZPO enthalte allerdings keine Verpflichtung
zur Entgegennahme (allgemeine Ansicht, z.B. Vogt-Beheim in Anders/Gehle, ZPO 92
Aufl. 1024 zu § 175 Rn. 12); standesrechtliche Pflichten des Anwalts seien nicht
entscheidend. Es genüge nicht, dass der Adressat das Schriftstück zur Kenntnis
oder auch in Gewahrsam nähme (anders als bei Zustellung durch
Gerichtsvollzieher oder Post), sondern er müsse auch den Willen haben, das
Schriftstück zugestellt zu bekommen (also empfangsbereit sein). Dies geschehe
in der Regel durch Unterschrift des Empfangsbekenntnisses (oder elektronische
Bestätigung). Damit müsse der Anwalt zunächst Kenntnis von dem Schriftstück
haben, bevor er entscheiden könne, ob er es als zugestellt ansehe. Er könne auch
konkludent, so z.B. durch Überlassung an den Mandanten, den Annahmewillen zum
Ausdruck bringen (Anm.: was allerdings dem Gericht in der Regel nicht bekannt
ist). Das OLG weist auch darauf hin, dass die für eine Zustellung nach § 174
ZPO erforderliche Empfangsbereitschaft nicht alleine durch den Nachweis des
bloßen Zugangs iSv. § 189 ZPO erfolgen könne, da zumindest eine konkludente
Äußerung vorliegen müsse, das zur Empfangnahme angebotene Schriftstück als
zugestellt entgegenzunehmen. Eine Verweigerung der Empfangnahme im Sinne einer
Zustellung könne bei Nichtrücksendung des Empfangsbekenntnisses nicht
ausgegangen werden, wenn die Gesamtumstände auf das Gegenteil hinweisen würden.
Ein hierbei abweichender oder genteiliger Wille des Adressaten sei
unbeachtlich, wenn er nach Außen keinen Ausdruck gefunden habe (BGH, Beschluss
vom 13.01.2015 - VIII ZB 55/14 -).
Vorliegend wurde das
Empfangsbekenntnis vom Beklagtenvertreter nicht mit Datum und Unterschrift
versehen an das Landgericht zurückgesandt. Anhaltspunkte für eine konkludente
Empfangsbereitschaft gäbe es nicht.
Damit sei gemäß § 189 ZPO von
einer Zustellung am 27.12.2022 auszugehen und der Einspruch gegen das Versäumnisurteil
rechtzeitig gewesen.
OLG
Koblenz, Urteil vom 13.12.2023 - 10 U 472/23 -