Für die Betroffene bestand Betreuung. Der Beteiligte zu 2. war als Betreuer berufen. Er regte im September 2022 an, den Aufgabenbereich des Betreuers um den Aufgabenbereich Gesundheitssorge zu erweitern, nachdem die Betroffene in einem sozialgerichtlichen Verfahren die Befreiung von Ärzten von ihrer Verschwiegenheitsverpflichtung auf Anraten ihrer Mutter verweigerte; Folge war, dass das Sozialamt bisher geleistete Beitragszahlungen in die Krankenkasse einstellte. Das Amtsgericht erweiterte den Aufgabenbereich der Betrauung entsprechend und bestellte insoweit auch den Beteiligten zu 2. als Betreuer. Die von der Betroffenen und ihrer Mutter dagegen eingelegte Beschwerde wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde war erfolgreich.
Auch das Beschwerdegericht sei davon ausgegangen, dass gem. § 1814 Abs. 2 BGB ein Betreuer nicht gegen den freien Willen eines Volljährigen bestellt werden könne. Allerdings würde zutreffend beanstandet, dass das Beschwerdegericht angenommen habe, die Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung um jenen der Gesundheitssorge entspreche dem Willen der Betroffenen.
In ihrer Anhörung vor dem Amtsgericht als auch gegenüber dem vom Amtsgericht bestellten Sachverständigen habe die Betroffene erklärt, ohne Unterstützung bei ihren Angelegenheiten der Gesundheitssorge diese nicht bewältigen zu können und grundsätzlich diesbezüglich mit einer Erweiterung der Betreuung einverstanden zu sein. Gleichzeitig aber habe sie ihre Unzufriedenheit mit dem Beteiligten zu 2. als Betreuer geäußert und mit dessen Bestellung für die Gesundheitssorge nicht einverstanden zu sein. Sie würde ihre gesundheitlichen Angelegenheiten gemeinsam mit ihrer Mutter, der sie Vollmacht erteilt habe, regeln und wünsche sich daher bei einer entsprechenden Erweiterung der Betreuung zur Gesundheitssorge ihre Mutter als Betreuerin dafür. Damit habe die Betroffene ihr Einverständnis mit der Erweiterung der Betreuung an die Bedingung geknüpft, dass ihre Mutter zur Betreuerin im Hinblick auf den Gegenstand der Betretungserweiterung als Betreuerin bestellt würde.
Die Erweiterung der Betreuung mit einem anderen als dem gewünschten Betreuer widerspreche damit dem nach § 1814 Abs. 2 BGB beachtlichen freien Willen der Betroffenen. Dieser freie Wille müsse auch dann respektiert werden, wenn die Fortführung der bestehenden Betreuung für den betroffenen objektiv vorteilhaft wäre. In einem solchen Fall sei trotz Betreuungsbedürftigkeit die Einrichtung oder Erweiterung der Betreuung ausgeschlossen (BGH, Beschluss vom 21.06.2017 -XII ZB 237/17 -).
Das Beschwerdegericht (Landgericht) müsse nun Feststellungen zur Frage eines freien Willens iSv. § 1814 Abs. 2 BGB treffen. Entscheidend dafür seien Einsichtsfähigkeit der Betroffenen und deren Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen (BGH, Beschluss vom 07.12.2022 - XII ZB 158/22 -).
BGH, Beschluss vom 10.01.2024
- XII ZB 217/23 -
Aus den Gründen:
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerden der Betroffenen
und der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der
2. Zivilkammer des Landgerichts Ravensburg vom 8. Mai 2023
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung
und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des
Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei.
Eine Festsetzung des Beschwerdewerts (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
Die Betroffene
und ihre Mutter, die Beteiligte zu 1, wenden sich gegen die Erweiterung
des Aufgabenkreises der für die Betroffene eingerichteten Betreuung um den
Aufgabenbereich der Gesundheitssorge sowie gegen die Betreuerauswahl für diesen
Bereich.
Die im Jahr
1985 geborene Betroffene leidet am Asperger-Syndrom. Für sie ist seit dem Jahr
2014 eine rechtliche Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge, Vertretung
gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialversicherungsträgern,
Wohnungsangelegenheiten sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten von Post
eingerichtet und ein Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge
angeordnet. Der Beteiligte zu 2 ist als ihr Berufsbetreuer bestellt.
Der Betreuer
hat im September 2022 die Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung um den
Aufgabenbereich der Gesundheitssorge angeregt, nachdem die Betroffene in einem
sozialgerichtlichen Verfahren zur Durchsetzung ihrer Aufnahme in die
Familienversicherung eine Entbindung ihrer Ärzte von der Schweigepflicht auf
Anraten ihrer Mutter verweigert hatte, das sozialgerichtliche Verfahren deshalb
zum Stillstand gekommen war und das Sozialamt die bisher geleisteten
Beitragszahlungen in die Krankenkasse wegen fehlender Mitwirkung der
Betroffenen eingestellt hatte.
Das Amtsgericht
hat den Aufgabenkreis der eingerichteten Betreuung um den Aufgabenbereich der
Gesundheitssorge erweitert und auch insoweit den Beteiligten zu 2 als
Betreuer bestellt. Die dagegen von der Mutter der Betroffenen eingelegte
Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich die
Betroffene und ihre Mutter mit ihren Rechtsbeschwerden.
II.
Die
Rechtsbeschwerden haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Die
Rechtsbeschwerden sind zulässig, insbesondere ist die Betroffene ungeachtet der
Frage, ob auch sie selbst, vertreten durch ihre Mutter, gegen den
amtsgerichtlichen Beschluss Beschwerde eingelegt hat, gemäß § 59
Abs. 1 FamFG beschwerdebefugt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 5. Juli 2023
- XII ZB 139/23 - FamRZ 2023, 1904 Rn. 5 mwN und
BGHZ 227, 161 = FamRZ 2021, 138 Rn. 15 f. mwN). Die
Beschwerdebefugnis der Mutter der Betroffenen für das Verfahren der
Rechtsbeschwerde ergibt sich daraus, dass ihre Erstbeschwerde zurückgewiesen
worden ist (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 8. März 2023 - XII ZB
283/22 - FamRZ 2023, 1154 Rn. 7 mwN).
2. Die
Rechtsbeschwerden sind auch begründet.
a) Das
Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die
Betroffene sei nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen
aufgrund ihrer krankheitsbedingten Einschränkungen nicht in der Lage,
eigenständig sachgerechte Entscheidungen über notwendige Maßnahmen im Hinblick
auf die Krankenversicherung beziehungsweise in einem laufenden
Gerichtsverfahren zu treffen. Die Betreuung sei mit dem Willen der Betroffenen
einzurichten, weil die Betroffene, die nach dem eingeholten Sachverständigengutachten
grundsätzlich in der Lage sei, einen Willen hinsichtlich der Erforderlichkeit
der Betreuung zu bilden, eine Betreuung auch hinsichtlich des Aufgabenbereichs
der Gesundheitssorge wünsche. Die Betreuung sei auch erforderlich, weil die
Betroffene nach der Einschätzung des Sachverständigen mit dem Verstehen
komplexer Sachverhalte überfordert sei und auch für Entscheidungen im Bereich
der Gesundheitssorge der Unterstützung bedürfe. Zu Recht habe das Amtsgericht
den Beteiligten zu 2 als Berufsbetreuer bestellt. Zwar seien die Wünsche
des Betroffenen auch bei der Auswahl des Betreuers beachtlich. Die Mutter der
Betroffenen, deren Bestellung als Betreuerin die Betroffene wünsche, sei aber
für die Besorgung der Angelegenheiten der Betroffenen im Bereich der
Gesundheitssorge ungeeignet, weil deren bisheriges Verhalten gezeigt habe, dass
eine interessengerechte Vertretung der Betroffenen - gerade in dem
laufenden sozialgerichtlichen Verfahren - durch sie nicht gewährleistet
sei.
b) Diese
Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
aa)
Zutreffend ist das Beschwerdegericht allerdings davon ausgegangen, dass gemäß
§ 1814 Abs. 2 BGB ein Betreuer gegen den freien Willen eines
Volljährigen nicht bestellt werden darf. Die Rechtsbeschwerde beanstandet indes
zu Recht, dass das Beschwerdegericht rechtsfehlerhaft angenommen hat, die
Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung um den Aufgabenbereich der
Gesundheitssorge entspreche dem Willen der Betroffenen.
Die Betroffene
hat zwar sowohl gegenüber dem Sachverständigen als auch in ihrer Anhörung vor
dem Amtsgericht erklärt, ihre Angelegenheiten der Gesundheitssorge nicht in
jeder Hinsicht ohne Unterstützung bewältigen zu können, und sich mit der
Erweiterung der Betreuung um den Aufgabenbereich der Gesundheitssorge
grundsätzlich einverstanden erklärt. Sie hat aber gleichzeitig zu verstehen
gegeben, dass sie mit der Betreuung durch den Beteiligten zu 2 unzufrieden
und daher nicht mit dessen Bestellung für die Gesundheitssorge einverstanden
sei. Weiter hat sie mitgeteilt, dass sie ihre gesundheitlichen Angelegenheiten
gemeinsam mit ihrer Mutter, der sie eine diesbezügliche Vollmacht erteilt habe,
regeln wolle und sich diese für den Fall einer Erweiterung der Betreuung um den
Bereich der Gesundheitssorge als Betreuerin wünsche. Sie hat damit die
Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung um den Bereich der
Gesundheitssorge an die Bedingung geknüpft, dass insoweit ihre Mutter als
Betreuerin bestellt wird.
Das Landgericht
hat verkannt, dass in einem solchen Fall die Erweiterung der Betreuung mit
einem anderen als dem gewünschten Betreuer dem nach § 1814 Abs. 2 BGB
beachtlichen freien Willen des Betroffenen widerspricht. Beruht nämlich die
Entscheidung des Betroffenen gegen die Bestellung eines anderen als des von ihm
gewünschten Betreuers auf einer freien Willensbildung, muss diese Entscheidung
auch dann respektiert werden, wenn die Fortführung der bestehenden Betreuung
für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre. In einem solchen Fall ist trotz
Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen und fortbestehendem Betreuungsbedarf
die Einrichtung oder Erweiterung der Betreuung ausgeschlossen (vgl.
Senatsbeschluss vom 21. Juni 2017 - XII ZB 237/17 - FamRZ
2017, 1612 Rn. 8 mwN).
bb)
Tragfähige Feststellungen zum Fehlen eines freien Willens der Betroffenen hat
das Landgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig -
bislang nicht getroffen.
3. Die
angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache ist an das
Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG). Dieses
wird die erforderlichen Feststellungen zur Frage eines freien Willens iSd
§ 1814 Abs. 2 BGB zu treffen haben. Die beiden entscheidenden Kriterien
hierfür sind zum einen die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und zum anderen
dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln und sich dabei von den
Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen (vgl. Senatsbeschluss
vom 7. Dezember 2022 - XII ZB 158/21 - FamRZ 2023, 467
Rn. 7 mwN).
Von einer
weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet
wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung
des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen
(§ 74 Abs. 7 FamFG).
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