Mittwoch, 13. März 2024

Reparaturkosten: Werkstattrisiko und Berufung darauf durch Kfz-Werkstatt als Zessionarin

Die Klägerin (die Kfz-Werkstatt, die aus abgetretenen Recht der Unfallgeschädigten klagte) verlangte restliche Reparaturkosten nach einem Verkehrsunfall (bei unstreitiger vollständiger Haftung der Beklagten). Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens hatte die Unfallgeschädigte die Klägerin mit der Reparatur gemäß Gutachten beauftragt. Die Kosten erstattete die Beklagte mit Ausnahme der Rechnungsposition „Arbeitsplatzwechsel“ in Höhe von € 227,31 (Klageforderung). Die Beklagte machte geltend, dieser Arbeitsplatzwechsel (Verbringung zum Lackieren zu einem Dritten) habe nicht stattgefunden; die Klägerin verwies auf das sogen. Werkstattrisiko, welches nicht zu Lasten des Geschädigten gehen würde. Während das Amtsgericht der Klage stattgab, wurde sie vom Landgericht unter Zulassung der Revision auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Die Revision hatte keinen Erfolg. 

Der Geschädigte könne gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB statt der Herstellung der beschädigten Sache den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Der Anspruch sei auf Befriedigung seines Finanzierungsbedarf in Form des zur Wiederherstellung objektiv erforderlichen Geldbetrages gerichtet. Allerdings könnten als erforderlicher Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangt werden, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Darüber hinaus würde für die Ersetzungsbefugnis des § 240 Abs. 2 S. 1 BGB das Verbot der Bereicherung durch den Schadensersatz gelten; der Geschädigte könne zwar eine Totalreparation verlangen, soll aber nicht an dem Schadensfall verdienen. 

Übergebe der Geschädigte das beschädigte Fahrzeug an eine Fachwerkstatt zur Instandsetzung, ohne dass ihn ein (insbes. Auswahl- oder Überwachungs-) Verschulden treffe, seien vom Schädiger die dadurch anfallenden Reparaturkosten im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger auch dann vollumfänglich zu ersetzen, wenn sie aufgrund unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt nicht iSv. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich seien; in einem solchen Fall gegebenenfalls bestehende Ansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt könne der Schädiger im Rahmen der Vorteilsausgleichung abgetreten verlangen. Das Werkstattrisiko verbliebe im Rahmen des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigten beim Schädiger (wie bei § 249 Abs. 1 BGB); so auch der Senat im Urteil vom gleichen Tag zu VI ZR 253/22 und bereits im Urteil vom 29.10.1974 – VI ZR 42/73 -). 

Dieser Grundsatz gelte für alle Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung, deren Entstehung dem Einflussbereich des Geschädigten entzogen sei und ihren Grund darin habe, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden müsse.  Ersatzfähig seien daher nicht nur Rechnungspositionen, die ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit, unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise unangemessen und nicht zur Herstellung erforderlich iSv. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB seien, sondern auch diejenigen Rechnungspositionen, die sich auf – für den Geschädigten nicht erkennbar – tatsächlich nicht durchgeführte Reparaturschritte und -maßnahmen beziehen würden (Senat vom gleichen Tag zu VI ZR 253/22 unter II.2.c). 

Die Grundsätze zum Werkstattrisiko würden nicht die Zahlung der Werkstattrechnung durch den Geschädigten voraussetzen. Hat er sie nicht beglichen, könne er – wenn er das Werkstattrisiko nicht tragen wolle, die Zahlung durch den Geschädigten an die Werkstatt fordern (Senat im Urteil vom gleichen Tag – VI ZR 253/22 unter II.2.e). Zu berücksichtigen sei nämlich, dass bei nicht (vollständiger) Bezahlung der Rechnung ein Vorteilsausgleich durch Abtretung etwaiger Gegenansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt an den Schädiger aus Rechtsgründen nicht gelingen könne, sehe der Geschädigte auch nach Erhalt der Schadensersatzleistung von der (Rest-) Zahlung an die Werkstatt ab. Der Geschädigte habe zwar einen Gegenanspruch gegen die Werkstatt nach § 280 Abs. 1 BGB  und diesbezüglich einen Freistellunganspruch, doch könne dieser Freistellungsanspruch nicht an den Schädiger abgetreten werden. Zugleich wäre der geschädigte bereichert, wenn er den vollen Schadensersatz erhalte, die Rechnung aber (teilweise) nicht ausgleiche, und der Schädiger schlechter gestellt, als wenn er die Reparatur selbst veranlasst hätte (da er dann einen direkten Anspruch gegen die Werkstatt hätte). Daher könne der Geschädigte, die Rechnung noch nicht (vollständig) gezahlt habe, nur Zahlung der Rechnung an die Werkstatt Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger (das Werkstattrisiko betreffender) Ansprüche des Geschädigten eggen die Werkstatt verlangen. 

Verlange der Geschädigte im Rahmen von § 308 Abs. 1 ZPO Freistellung von der Verbindlichkeit statt Zahlung, richte sich sein Anspruch grundsätzlich und bis zur Grenze des Auswahl- und Überwachungsverschuldens danach, ob und inwieweit er mit der Verbindlichkeit gegen die Werkstatt, beschwert sei; damit ist die werkvertragliche Beziehung zwischen dem Geschädigten und der Werkstatt maßgeblich. Damit trage auch in diesem Fall der Geschädigte das Werkstattrisiko. 

Vorliegend hatte der Geschädigte seinen Anspruch an die Werkstatt abgetreten. Diese könne sich als Zessionarin aber nicht auf das Werkstattrisiko berufen.   

§ 399 Alt. 1 BGB lasse die Abtretung einer Forderung nicht zu, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen könne. Eine Inhaltsänderung würde auch angenommen, wenn ein Gläubigerwechsel zwar vorstellbar, das Interesse des Schuldners an der Beibehaltung einer bestimmten Gläubigerposition aber besonders schutzwürdig sei.  Vorliegend würde dieser Rechtsgedanke greifen, insofern als sich der Geschädigte im Verhältnis zum Schädiger auch bei unbeglichener Rechnung auf das Werkstattrisiko berufen könne, wenn er Zahlung an die Werkstatt verlange. Insofern habe der Schädiger Interesse daran, dass der Geschädigte sein Gläubiger bleibe. Nur in dessen Verhältnis sei die Durchführung des Vorteilsausgleichs möglich, da der Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger und die im Wege der Vorteilsausgleichung abzutretenden etwaigen Ansprüche gegen die Werkstatt in einer and (beim Geschädigten) lägen. Dies sei nach der Abtretung an die Werkstatt nicht mehr der Fall. Der Schädiger verlöre das Recht seine Zahlung nur Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt zu erfüllen. Zudem wäre zu berücksichtigen. Dass das Werkstattrisiko dogmatisch dem Geschädigten, nicht der Werkstatt zugute kommen soll. 

Damit lasse sich die hier vom Geschädigten gewählte Option, sich auch bei unbeglichener Werkstattrechnung auf das Werkstattrisiko zu berufen, nicht im Wege der Abtretung auf Dritte übertragen. Im Ergebnis trage daher bei der Geltendmachung des Anspruchs aus abgetretenen Recht stets der Zessionar das Werkstattrisiko.  Im Schadensersatzprozess zwischen der Werkstatt (als Zessionar) und dem Schädiger habe mithin die klagende Werkstatt darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass die abgerechneten Reparaturmaßnahmen tatsächlich durchgeführt wurden und dass die geltend gemachten Reparaturkosten nicht etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt zur Herstellung nicht erforderlich wären. 

Da die klagende Werkstatt dem nicht entsprochen habe, sei die Klage abzuweisen. 

BGH, Urteil vom 16.01.2024 - VI ZR 239/22 -

Freitag, 8. März 2024

Selbstprotokollierung durch Sachverständigen bei seiner gerichtlichen Gutachtenerstattung

Nach § 159 ZPO ist über die mündliche Verhandlung bei Gericht ein Protokoll aufzunehmen, explizit auch gem. § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO über Zeugenvernehmungen und Sachverständigenanhörungen. Im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens erstattete ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger sein unfallanalytisches Gutachten in mündlicher Form, wobei diesem von der erkennenden Einzelrichterin auch die Protokollierung übertragen wurde. Es handelte sich hier um eine Prozedur, die an vielen Gerichten in Deutschland anzutreffen ist,  bei denen die beauftragten Sachverständigen ihre Gutachten im Termin vortragen (oder bei denen sie auch nur ergänzende Angaben zum schriftlichen Gutachten, ggf. auf Fragen der Beteiligten, machen),  um sie dann auch selbst zu protokollieren, wobei „protokollieren“ hier bedeutet, dass sie ihre Angaben selbst auf dem vom Gericht für die Protokollierung vorgegebenen Tonträger aufzeichnen (also Übernahme der Protokollführung). Das OLG Hamm sah dies als unzulässig an und hatte daher im Berufungsverfahren gegen ein auf dieser Grundlage ergangenes Urteil die Beweisaufnahme (in Bezug auf das Sachverständigengutachten) wiederholt. 

§ 159 Abs. 1 ZPO sehe vor, dass über die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht (§ 128 Abs. 1, § 279 ZPO) und jede Beweisaufnahme (§ 355 Abs. 1 ZPO) ein Protokoll aufzunehmen sei. Zuständig für die Protokollierung sei bei einer Entscheidung durch die Kammer der Vorsitzende (Anm.: entscheidet der Einzelrichter, dann dieser), es sei denn, er ziehe einen Urkundsbeamten gem. § 159 Abs. 1 S. 2 ZPO zur Protokollführung hinzu.  Die Beweisaufnahme, bei der das mündliche Gutachten durch den Sachverständigen erstattet würde, würde dem Protokollzwang gem. § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO unterliegen; in der ZPO sei nicht vorgesehen, dass diese Protokollierung durch den Sachverständigen selbst erfolgen könne, weshalb diese Eigenprotokollierung durch den Sachverständigen verfahrensfehlerhaft sei. 

Eine Verletzung der Protokollierung nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO durch Eigenprotokollierung durch den Sachverständigen könne nicht gem. § 295 ZPO geheilt werden, was im Falle einer Revision auch regelmäßig zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führe. Der Grund für die Aufhebung sei, dass es in Ermangelung einer ordnungsgemäßen Protokollierung an der für eine revisionsrechtliche Prüfung notwendigen Feststellung eines Teils der tatsächlichen Grundlagen fehle. Ausnahmsweise sei eine Aufhebung nur dann nicht veranlasst, wen sich der Inhalt der Beweisaufnahme klar aus dem Urteil ergäbe du keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die zeugen oder Sachverständigen weitere Erklärungen abgegeben haben, die erheblich sein könnten. In diesem Ausnahmefall müsste sich die Wiedergabe der Aussagen im Urteil deutlich von deren Würdigung abheben und den gesamten Inhalt von deren Angaben erkennen lassen (BGH, Urteil vom 12.02.2019 - VI ZR 141/18 -; BGH, Urteil vom 21.04.1993 - XII ZR 126/91 -). 

Damit würde sich der erstinstanzliche Protokollmangel in der Berufungsinstanz als wesentlich iSv. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO darstellen, da die eigene Protokollführung durch den Sachverständigen in 3inem Zuge mit der Gutachtenerstattung keine Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein könne (BGH, Urteil vom 15.02.2017 – VIII ZR 284/15 -).   

Anmerkung: 

Die Erwägungen des OLG sind in der Sache richtig, und von daher musste das OLG die Beweisaufnahme durch Erstattung des Sachverständigengutachtens (als entscheidungserheblich in dem Rechtsstreit) wiederholen. Es handelte sich hier, wie vom OLG dargelegt, um eine protokollpflichtige Verhandlung. Die mündliche Verhandlung wird mit dem Protokoll um ein schriftliches Element ergänzt und hat nach § 165 ZPO für die Einhaltung von Förmlichkeiten Beweiskraft. Die Aufzeichnung auf Tonträger ist eine vorläufige Aufzeichnung nach § 160a ZPO, aufgrund der dann das Protokoll „unverzüglich nach der Sitzung herzustellen“ (also ohne schuldhaftes zögern , § 121 BGB) ist, § 60a Abs. 2 S. 1 ZPO, wobei Verzögerungen in der Übertragung aber nicht zur  Erschütterung der Beweiskraft führt (Stadler in Musielak/Voit, ZPO 20. Aufl. 2023, § 160a Rn. 3). Lediglich nach § 161 ZPO bedarf es einer Aufnahme in den Fällen des § 160 Abs. 3 Nr. 4 und 5 ZPO nicht (also bei Aussagen von Sachverständigen, Zeugen und Parteien und bei einer Inaugenscheinnahme), was voraussetzt, dass die Klage zurückgenommen oder anerkannt pp. wurde. Die Voraussetzungen lagen vorliegend nicht vor, wie schon dadurch deutlich wurde, dass gegen das landgerichtliche Urteil Berufung eingelegt wurde.    

In dem „Merkblatt für Sachverständige im Zivilprozess“ des Instituts für Sachverständigenwesen e.V. (Stand 2019) wird u.a. ausgeführt: „Der Richter kann dem Sachverständigen auch gestatten, seine gutachterlichen Äußerungen selbst in das Protokoll zu diktieren…“. Dem folgt das OLG Hamm ersichtlich – und nach der Grundlage des § 159 ZPO richtig – nicht. Auch wenn hier der Sachverständige „nur“ auf den für die Protokollaufnahme vorgesehenen Tonträger sprach, handelt es sich gem. § 160a ZPO um die vorläufige und dann in das Protokoll aufzunehmende Aufzeichnung und steht daher als Vorstufe dem gleich in der Verhandlung mitgeschriebenen Protokoll letztlich gleich. Die Verantwortung für das Protokoll obliegt dem zuständigen Richter, weshalb dieser es selbst (oder durch einen Urkundsbeamten, dem dann die Verantwortung obläge) aufzunehmen hat. 

In der praktischen Anwendung ist allerdings die Aufnahme des mündlich erstatteten Sachverständigengutachtens durch den Sachverständigen selbst meist sinnvoller, als eine Wiedergabe durch den zuständigen Richter. Häufig stellt man bei der Aufnahme des vom Sachverständigen erklärten fest, dass wesentliche Details seiner Angaben nicht mit protokolliert werden. Hier besteht zwar die Möglichkeit zu intervenieren und eine Ergänzung zu beantragen, was aber eine erhebliche Konzentration erfordert, da die Angaben des Sachverständigen im Hinblick auf möglicherweise erforderliche Zusatzfragen ständig durch die Aufgabe, die Protokollierung des Richters im Hinblick auf die Übertragung des vom Sachverständigen Gesagten im Hinblick auf eine Lücke zu (zumindest zunächst als wesentlich angesehene) Umstände zusätzlich beansprucht wird. Es gibt einige Sachverständige, die ihr Gutachten diktatsicher vortragen, welches dann aber bei der Wiedergabe durch den Richter auf Tonträger nur verschwommen aufgenommen wird, da z.B. der Richter relevante Umstände falsch versteht.  Es wäre daher sinnvoll, die Zivilprozessordnung dahingehend zu ändern, dass es dem Richter, insbesondere wenn (und solange) die Parteien bzw. Parteivertreter damit einverstanden sind, dem vom Gericht bestellten Sachverständigen die Protokollierung seiner Angaben übertragen könnten. 

Problematisch ist vorliegend auch, dass das OLG nicht die Kosten des Sachverständigen für sein Gutachten in der Berufungsinstanz niedergeschlagen hat, sondern die Parteien (hier die nach erneuter Erstattung des Gutachtens neuerlich unterlegene Partei) mit diesen Kosten belastet ließ. Nach § 21 GKG können Kosten niedergeschlagen werden, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären. Hätte sich das Landgericht bereits an die ZPO gehalten, wäre es nicht zur erneuten Beweiserhebung durch Erstattung des Gutachtens durch den Sachverständigen gekommen. 

OLG Hamm, Urteil vom 19.12.2023 - 7 U 73/23 -

Donnerstag, 7. März 2024

6-Monatsfrist bei fiktiver / konkreter Abrechnung mit 130% vom Wiederbeschaffungswert

Im Kern ging es in dem Rechtsstreit um die Frage, ob die Weiternutzung eines unfallgeschädigten Fahrzeugs noch mindestens sechs Monate erfolgen muss, wenn eine fiktive Abrechnung des Unfallschadens erfolgen soll. Es stellt sich dann die Frage, ob die Frist von sechs Monaten als Indiz für ein Integritätsinteresse eine Fälligkeitsvoraussetzung ist. Das OLG sah darin keine Fälligkeitsvoraussetzung und machte die Fälligkeit des Schadensersatzanspruchs nicht von dem Ablauf der sechs Monate abhängig.

In seinem Urteil vom 23.05.2006 - VI ZR 192/05 - hat der BGH festgehalten, dass der Geschädigte den zum Ausgleich des durch einen Unfall verursachten Fahrzeugschaden, der den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigt, die von einem Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes ohne Abzug des Restwertes verlangen könne, wenn er das Fahrzeug (auch ggf. unrepariert) mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiter nutze. Da es um das Integritätsinteresse gehen würde, welches vorliegend die Höhe des (fiktiven) Schadensersatzanspruchs rechtfertigen würde, wurde vom BGH dieses über die Frist als objektiv feststellbar definiert.

Das OLG ging allerdings davon aus, bei der vom BGH benannten Frist handele es sich nicht um eine Fälligkeitsvoraussetzung. Entschieden habe der BGH dies insoweit lediglich für den Fall, dass der Geschädigte den Unfallschaden, dessen Höhe zwischen dem Wiederbeschaffungswert und 130% desselben läge, konkret abgerechnet habe; in diesem Fall negiere er die notwendige Weiternutzung von sechs Monaten als Fälligkeitsvoraussetzung (BGH, Beschluss vom 18.11.2008 - VI ZB 22/08 -). Zwar ließen sich die Gründe nicht „samt und sonders“ auf den vorliegenden Fall der fiktiven Abrechnung zu übertragen. Der Gesichtspunkt, dem Geschädigten sie nicht zumutbar, die Reparatur seines Fahrzeugs innerhalb des Sechsmonatszeitraums entschädigungslos vorzufinanzieren käme bei der fiktiven Abrechnung nur in Bezug auf eine evtl. Notwendige Teilreparatur in Betracht. Allerdings sei die Weiternutzung für sechs Monate nach der Entscheidung des BGH zum konkreten Schadensersatz nur ein Indiz für das fortbestehende Integritätsinteresse, was sich hier übertragen lasse. So seien vom BGH angedachte Fallgestaltungen denkbar, in denen es vor Ablauf der sechs Monate zu einer Nutzungsaufgabe käme, ohne dass die dem Schadenersatzanspruch entgegen stünde (z.B. zweiter Unfall), was auch bei einem fiktiven Schadensersatz ebenso denkbar wäre.

Dem würden auch nicht die Urteile des BGH vom 29.04.2008 - VI ZR 220/07 - und vom 23.11.2010 - VI ZR 35/10 - entgegen stehen, da in beiden Fällen der jeweilige Geschädigte aus freien Stücken das unfallgeschädigte Fahrzeug vor Ablauf der Frist von sechs Monaten verkauft habe, weshalb sich dort die Frage nicht gestellt habe, ob das Verstreichen der Sechsmonatsfrist eine Fälligkeitsvoraussetzung sei.

Damit sah das OLG in der Sechsmonatsfrist keine Fälligkeitsvoraussetzung im Hinblick auch auf den geltend gemachten fiktiven Schadensersatz.

Anmerkung: Liest man das Urteil des BGH vom 23.05.2006 - VI ZR 192/05 - kann man den Folgerungen des OLG nicht zustimmen. Die Unbeachtlichkeit der sechsmonatigen Frist bei durchgeführter Reparatur ergibt sich bereits aus dem dafür erforderlichen Aufwand. Verhindert werden soll, dass eine Bereicherung des Geschädigten erfolgt, indem er fiktiv innerhalb der 130%-Grenze abrechnet und dann das Fahrzeug veräußert, obwohl die Erhöhung auf 130% nur erfolgte, um ein Integritätsinteresse zu wahren (BGH aaO.).  In dem Urteil vom 23.05.2006 führte der BGH aus:

„Andererseits ist zu berücksichtigen, dass eine längere Frist für die Möglichkeit einer Abrechnung mit Abzug des Restwertes den Schädiger und seinen Versicherer begünstigen bzw. zur Verzögerung der Abrechnung veranlassen könnte und von daher dem Geschädigten nicht zumutbar wäre. Deshalb erscheint in der Regel ein Zeitraum von sechs Monaten als angemessen, wenn nicht besondere Umstände ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen.“

Damit wird aber die Frist als Fälligkeitsfrist benannt: Der Schädiger könne die Abwicklung bei fiktiver Abrechnung hinauszögern, weshalb es der Frist bedürfe, die zum Einen das Integritätsinteresse des Geschädigten an der weiteren Nutzung des Fahrzeugs sichert, zum anderen aber den Schädiger vor einer Abrechnung schützt, die in Wirklichkeit nicht diesem Integritätsinteresse entspricht. Mit der Entscheidung des OLG kann der Geschädigte versuchen, schnell den erhöhten Schaden fiktiv abzurechnen, um dass den Verkauf vorzunehmen. Natürlich wird man in diesem Fall daran denken können, dass der Schädiger, stellt er einen Verkauf nach fiktiver Abrechnung vor Ablauf der Frist von sechs Monaten fest, einen bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch des überzahlten Betrages geltend macht; allerdings müsste er mühsam (evtl. erfolglos) nachforschen, ob ein Verkauf vor dem Ablauf der Frist erfolgte. Hier wäre die Revision zuzulassen gewesen.

OLG München, Urteil vom 11.01.2024 - 24 U 3811/23 e -

Freitag, 1. März 2024

Überraschungsentscheidung bei Ausbleiben des Klägers im Termin beim Finanzgericht

Im Streit war die Zurechnung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Die Klägerin behauptete, der Beigeladene habe die Vermietung (in dem in ihrem Eigentum stehenden Haus) als Eigengeschäft behandelt, demgegenüber das Finanzamt (FA) die Einkünfte der Klägerin zurechnete. Zu dem vom Finanzgericht anberaumten Termin erschien die Klägerin nicht (was bei einem Verfahren vor dem Finanzgericht für die Beteiligten grundsätzlich nicht notwendig ist). Die Klage wurde vom Finanzgericht (FG)als unbegründet abgewiesen. Zwar habe der Beigeladene bei Abschluss und Durchführung der Mietverträge im eigenen Namen gehandelt, doch seien die Einkünfte ihr aus einem Treuhandverhältnis zuzurechnen. Diese Annahme sei gerechtfertigt, da die Klägerin die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung über Jahre erklärt habe und erstmals im Streitjahr in Abrede gestellt habe. 

Die gegen das Urteil eingelegte Beschwerde zum BFH hatte Erfolg und führte zur Zurückweisung an das Finanzgericht. Der BFH sah in dem Urteil eine Überraschungsentscheidung, weshalb der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt worden sei. 

 Eine Überraschungsentscheidung läge vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder bekannt rechtlichen Gesichtspunkt stütze und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gebe, mit der ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretener Auffassungen nicht rechnen müsse. Dies sei insbesondere der Fall, wenn der entscheidungserhebliche Umstand erst im Endurteil benannt würde (BFH, Beschluss vom 23.02.2017 - IX B 2/17 -). Zwar müsse ein (wie hier gar durch einen Steuerberater sachkundig vertretener) Verfahrensbeteiligter alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen, auch wenn die Rechtsalge umstritten oder problematisch sei (BVerfG, Beschluss vom 19.05.1992 –-1 BvR 986/91 -). Allerdings müsse er nicht damit rechnen, dass seine Klage aus einem Grund abgewiesen würde, der weder die Beteiligten noch das Gericht zuvor in das Verfahren eingeführt hätten. 

Zudem müsse das FG im Falle des Ausbleibens eines Beteiligten nach pflichtgemäßen Ermessen prüfen, ob es gleichwohl in der Sache entscheidet oder den Termin vertagt. Im Rahmen dessen sei es verpflichtet zu vertagen, wenn die Entscheidung aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher Gesichtspunkte erfolgen könnte, zu denen den Beteiligten bisher kein rechtliches Gehör gewährt wurde (BFH, Beschluss vom 19.05.2020 - VII B 114/19 -). 

Vorliegend habe das FG den Gesichtspunkt des Treuhandverhältnisses erstmals im Urteil in das Verfahren eingeführt. Vorher sei dies weder im Veranlagungs- noch im Einspruchsverfahren und auch nicht in wechselseitigen Schriftsätzen im Verfahren angesprochen worden. Ebenso lässt sich aus dem Protokoll der Verhandlung nicht ersehen, dass ein Hinweis erfolgt wäre. 

Da in der Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung kein Verzicht auf die Einhaltung von Verfahrensvorschriften iSv. § 295 ZPO iVm. § 155 FGO läge, habe die Klägerin ihr Rügerecht nicht durch Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge beim FG verloren. Denn auch wenn die Klägerin an der Verhandlung teilgenommen hätte, hätte sie erst aus dem Urteil erfahren, dass sich das FG auf einen bisher nicht erörterten Gesichtspunkt stützt. 

Das FG würde nun unter Berücksichtigung des Vortrags der Parteien zu prüfen haben, ob und in welchem Umfang das von ihm angenommene Treuhandverhältnis den Anforderungen der Rechtsprechung (so BFH, Urteil vom 12.07.2016 – IX R 21/15 -) sowie den Anforderungen an Verträgen zwischen Angehörigen (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 AO) entspreche. 

BFH, Beschluss vom 10.01.2024 - IX B 9/23 -

Dienstag, 27. Februar 2024

Muss ein Kostenfestsetzungsbeschluss begründet werden ?

Die Antwort lautet: Es kommt darauf an. Dies verdeutlicht auch der Beschluss des OLG Brandenburg, in dem ausgeführt wurde, was wann durch den Rechtspfleger begründet werden muss. Der der Entscheidung zugrunde liegende Kostenfestsetzungsbeschluss wurde vom Beschwerdeführer mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde angefochten und dies damit begründet, der Kostenfestsetzungsbeschluss leide an einem schwerwiegenden Begründungsmangel. 

Mit einem Kostenfestsetzungsbeschluss entscheidet das Gericht über den Antrag einer Partei (oder, wenn eine Kostenausgleichung zu erfolgen hat, beider Parteien) über die von einer Partei der anderen zu erstattenden Kosten. Das OLG wies darauf hin, dass derartige Beschlüsse (§ 104 Abs. 1 ZPO) aus sich heraus verständlich sein müssen und die Parteien in die Lage versetzen, die tragenden Erwägungen des Gerichts nachzuvollziehen. Sie müssten so substantiiert und ausführlich sein, dass dem Verfahrensbeteiligten und auch einem Rechtsmittelgericht auf ihrer Grundlage eine Überprüfung ist. Dieser Begründungszwang führe bei einer Verletzung einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) dar und stelle einen Verfahrensfehler dar (Saarl. OLG, Beschluss vom 21.01.2019 – 9 W 33/18 -). 

Welchen Umfang der Begründungszwang habe, könne nur nach den Umständen des Einzelfalles entschieden werden. Er erstrecke sich insbesondere auf Positionen, deren Festsetzung der Rechtspfleger verweigere und auf jene, die zwischen den Parteien streitig seien. Eine dezidierte Begründung könne entbehrlich sein, wenn der Kostenfestsetzungsbeschluss aus sich heraus in Verbindung mit der zeitgleich oder vorab überlassenen Kostenrechnung verständlich und überprüfbar sei (Anm.: Mit der „Kostenrechnung“ ist hier der Antrag auf Kostenfestsetzung gemeint ist, bei dem es sich nicht um eine Kostenrechnung handelt, weder im umsatzsteuerrechtlichen Sinn [weshalb auch § 14 UstG nicht einschlägig ist] noch materiellrechtlich, da der Empfänger (das Gericht) nicht Kostenschuldner ist, sondern der Kostenschuldner sich ebenso wie die zu zahlenden Kosten aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergeben, der als Titel vollstreckbar ist). 

Der vorliegend angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss würde den benannten Anforderungen entsprechen. Streitig zwischen den Parteien sei die geltend gemachte Aktenübersendungspauschale gewesen, zu deren Erstattungsfähigkeit eine Begründung aufgenommen worden sei. Im Übrigen werde in dem Kostenfestsetzungsbeschluss auf den Kostenfestsetzungsantrag der Klägerin Bezug genommen, der vorab den Beschwerdeführern (Beklagten) überlassen worden sei. Insoweit sei den Beklagten das Ergebnis mitgeteilt worden, dass die dortige Berechnung nicht zu beanstanden sei. Da sich die Beklagten auch vor Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses nur gegen die Festsetzung der geltend gemachten Aktenversendungspauschale gewandt hätten, sei eine weitere Begründung nicht erforderlich gewesen. 

Anmerkung: Der Entscheidung ist zuzustimmen. Wenn die Kostenberechnung im Antrag klar ist und der Rechtspfleger keine Änderungen vornimmt, kann der Kostenschuldner selbst prüfen, ob er der Ansicht des Rechtspflegers zur Erstattungsfähigkeit zustimmt oder nicht. Voraussetzung ist allerdings, dass er spätestens mit der Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses auch die Berechnung des Gläubigers (den Kostenfestsetzungsantrag) erhält; erhält er diesen nicht, wäre der Beschluss aus sich selbst heraus nicht verständlich und angreifbar. Wenn der Antrag auf Kostenfestsetzung dem Kostenschuldner vor dessen Verbescheidung (regelmäßig dann mit einer Frist zur Stellungnahme, fehlt diese, mit einer anzunehmenden üblichen Frist zur Reaktion, idR. zwei Wochen) zugeht, kann er sich bereits mit diesem auseinandersetzen und Einwendungen geltend machen. Macht er von dieser Möglichkeit Gebrauch, muss der Rechtspfleger darlegen, weshalb er diesen folgt (insoweit wäre der Kostengläubiger beschwert) bzw. nicht folgt (insoweit wäre der Kostenschuldner beschwert). Die Begründung ist entsprechend der Begründung eines Urteils erforderlich, damit die jeweils beschwerte Partei erkennt, dass der Rechtspfleger die Problematik erkannt hat und in Ansehung der Begründung entscheiden kann, ob er ein Rechtsmittel einlegt. 

Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 11.10.2023 - 6 W 98/23 -

Sonntag, 25. Februar 2024

Haftung für Kollision bei Abbiegen in mehrspurige Straße

Der Kläger wollte nach links in eine doppelspurige Straße einbiegen, der beklagte Fahrer (nachfolgend Beklagter), der aus der Gegenrichtung kam, nach rechts. Der Kläger wollte auf der linken der durch eine unterbrochene Linie getrennten Fahrspuren auffahren, allerdings der Beklagte auch, weshalb die Fahrzeuge kollidierten. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen.

Das OLG stimmte im Berufungsverfahren dem Landgericht zu, dass sowohl der Kläger als auch die Beklagtenseite grundsätzlich nach §§ 7, 17, 18 StVG für den Schadensfall einstandspflichtig seien, da der Unfall bei den Betrieb von Kraftfahrzeugen entstanden sei und weder auf höhere Gewalt zurückzuführen sie noch für einen der Beteiligten ein unabwendbares Ereignis iSv. § 17 Abs. 3 StVG darstelle. 

Der Kläger habe gegen § 9 Abs. 4 StVO verstoßen. Danach müsse ein Linksabbieger entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollten, durchfahren lassen. Es würden die gleichen Grundsätze gelten wie für die Begegnung mit einem auf einer bevorrechtigten Straße fahrenden Fahrzeug.  Damit habe der Kläger die ihm als Linksabbieger nach § 9 Abs. 4 StVO treffende Wartepflicht nicht beachtet. Er hätte zunächst den Abbiegevorgang des Beklagten abwarten müssen. Dabei käme es nicht darauf an, ob er von einer engen Bogenfahrt des Beklagtenfahrzeugs ausgegangen sei, welches auf der rechten Fahrspur weiterfahren wolle, denn diese Annahme sei nicht schutzwürdig. Wer nach links in eine Straße mit mehreren Fahrstreifen abbiege, dürfe grundsätzlich nicht darauf vertrauen, ei entgegenkommender Rechtsabbieger würde nur die rechte Fahrspur nutzen. 

Auch käme es nicht darauf an, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Kollision (nach den Feststellungen eines gerichtlich bestellten Sachverständigen) bereits eine gerade Fahrposition auf der linken Fahrspur eingenommen habe, während sich das Beklagtenfahrzeug noch in Schrägstellung befunden habe. Der Unfall habe sich nach sachverständiger Feststellung in Höhe des Fußgängerüberwegs, der den unmittelbaren Kreuzungsbereich aus Klägersicht nach links begrenzt habe, ereignet und das Klägerfahrzeug habe seine Kollisionsstellung erst kurz zuvor erreicht.  Der enge räumliche und zeitliche Zusammenhang zwischen dem Linksabbiegevorgang des Klägers und dem Unfall verdeutliche, dass eine Beeinträchtigung des bevorrechtigten Beklagten durch den Kläger gerade nicht auszuschließen gewesen sei; Unsicherheiten zur Einschätzung der Verkehrslage gingen zu seinen Lasten (LG Potsdam, Urteil vom 10.03.2008 - 7 S 120/07 -). 

Der Beklagte habe auch nicht gegen § 7 Abs. 5 StVO verstoßen. Dass er die rechte Fahrspur passieren musste, um auf die linke Fahrspur zu gelangen, stelle keinen Fahrstreifenwechsel im Sinne der Norm dar. Der Vorrang des Beklagten umfasse auch die Wahl zwischen den beiden Fahrspuren (LG Hamburg, Urteil vom 06.09.2021 - 306 S 85/19 -). Deshalb läge auch kein Verstoß gegen das Gebot, sich rechts einzuordnen (§ 9 Abs. 1 S. 2 StVO), oder das Rechtsfahrgebot (§ 2 Abs. 2 StVO)  vor. 

Allerdings läge bei dem Beklagten ein Sorgfaltsverstoß gem. § 1 Abs. 2 StVO vor. Für ihr sei ersichtlich gewesen, dass der Kläger seiner Wartepflicht nach § 9 Abs. 4 S. 1 StVO nicht genügen würde. Davon habe er spätestens auszugehen gehabt, als der Kläger, nachdem er bereits die für Linksabbieger vorgesehene Wartelinie ohne anzuhalten passiert habe, auch die gestrichelte Begrenzungslinie der linken Fahrspur im Bereich der Kreuzungsmitte überfahren habe. 

Das OLG musste daher eine Abwägung der gegenseitigen Verursachungsbeiträge  nach § 17 Abs. 1 StVG vornehmen. Die Nichtbeachtung der Wartepflicht des Linksabbiegers stelle regelmäßig einen Besonders schwerwiegenden Verkehrsverstoß dar. Dahinter würde aber die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs hier nicht zurücktreten. Der Beklagte sei zwar bevorrechtigt gewesen. Er habe aber eine Gefahr dadurch gesetzt, dass er nicht weiter auf das aus der Gegenrichtung abbiegende Kraftfahrzeug geachtet habe, obwohl dies bei dem von ihm beabsichtigten Wechsel unmittelbar auf die linke Fahrspur in höherem Maße geboten gewesen wäre, als bei einem Wechsel auf die rechte Fahrspur. Allerdings wiege dieser verstoß weniger schwer als die Verletzung der Wartepflicht (Vorfahrtsverstoß) des Klägers, weshalb sich eine Haftungsverteilung im Verhältnis 70% zu 30% zu Lasten des Klägers ergäbe. 

Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 20.10.2023 - 3 U 49/23 -

Samstag, 24. Februar 2024

Verjährungsfrist für Vergütungsanspruch des Bauträgers

Am 20.06.2014 führte die Bauträgerin (Klägerin) unter Beteiligung der Beklagten eine Begehung der gekauften Wohnung mit Unterzeichnung eines Abnahmeprotokolls durch, nach dessen Inhalt die Übernahme/Abnahme gemäß Kaufvertrag erfolgt sei. Am 06.11.2014 erklärten die Beklagten die Abnahme des Gemeinschaftseigentums. Mit Schreiben vom 24.11.2014 forderte die Klägerin die Beklagten zur Zahlung der letzten Kaufpreisrate auf. Am 28.12.2017 beantragte die Klägerin einen Mahnbescheid in Bezug auf diese Rate gegen die Beklagten. Die Beklagte hatten im Verfahren die Einrede der Verjährung erhoben und beriefen sich zudem auf ein Zurückbehaltungsrecht für von ihnen gerügte Mängel. Einen kleinen Betrag davon akzeptierte die Klägerin und reduzierte insoweit ihre klageweise geltend gemachte Forderung. Die Klage und die Berufung gegen das klageabweisende Urteil wurden zurückgewiesen. Von der Klägerin wurde die vom Berufungsgericht (OLG) zugelassene Revision eingelegt. Diese führte zur Aufhebung des Urteils des OLG und zur Zurückverwesung des Rechtstreits an dieses. 

Das OLG ging in seinem Urteil von der Regelverjährung des § 185 BGB aus (3 Jahre). Die Anwendung von § 196 BGB schloss es aus, da zwar die streitgegenständliche Forderung Teil des Entgelts dafür sei,, dass die Klägerin den Beklagten Eigentum an einem Grundstück übertragen habe und die errichtete Wohnung „lediglich“ wesentlicher Bestandteil des Miteigentumsanteils sei, sei § 196 BGB nicht anzuwenden. Es würde sich hier auch um die Gegenleistung für die Erbringung von Bauleistungen handeln. Der Vergütungsanspruch sei nicht aufteilbar zwischen Eigentum und Bauleistung, weshalb die Verjährung einheitlich nach der Leistung zu beurteilen sei, die bei weitem überwiegend das Vertragsverhältnis charakterisiere. Der Charakter über den Kauf würde durch den Bau der Wohnung geprägt, weshalb insoweit der Vergütungsanspruch teilwiese im Werkvertragsrecht (§ 631 BGB) geregelt sie. An der Übertragung des Miteigentumsanteils ohne Bauleistung hätten die Parteien kein Interesse gehabt.  Damit greife die 10-jährie Verjährungsfrist des § 196 BGB nicht. 

Dem folgte der BGH nicht, der vorliegend entgegen dem OLG § 196 BGB anwandte mit der Folge, dass die Forderung noch nicht verjährt sei. 

Richtig sei, dass sich die Bauträgervergütung nicht aufteilen ließe in einen Teil für den Kaufpreis des Grundstücksanteils und einen Teil für die Bauleistungen. Es läge ein einheitlicher Vertrag vor. Bei Bauträgerverträgen sei hinsichtlich der Errichtung des Bauwerks Werkvertragsrecht, hinsichtlich der Übertragung von Eigentum Kaufrecht anzuwenden. Eine Aufteilung der Bauträgervergütung käme aber nur bei einer entsprechenden Vereinbarung der Parteien in Betracht, die nicht vorläge. Für den einheitlichen Vergütungsanspruch gelte aber nicht die Verjährungsregelung des § 195 BGB, sondern jene des § 196 BGB.  Dies ergäbe eine Auslegung des § 196 BGB, der als speziellere Regelung § 195 BGB verdränge. 

Nach § 196 BGB würden Ansprüche auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück sowie auf Begründung, Übertragung oder Aufhebung eines Rechts an einem Grundstück oder auf Änderung des Inhalts eines solchen Rechts sowie die Ansprüche auf die Gegenleistung in 10 Jahren verjähren. Die Annahme, das § 106 BGB für den  Vergütungsanspruch des Bauträgers gelte, lasse sich allerdings nicht aus dem Wortlaut ableiten, das die Vergütung die Gegenleistung sowohl für die Übertragung des Eigentums als auch für die Errichtung des Bauwerks sei. Die Errichtung des Bauwerks sei aber von § 196 BGB im Wortlaut nicht erfasst. Aus systematischen und teleologischen Gesichtspunkten sei es aber gerechtfertigt, § 196 BGB als speziellere Regelung des Vergütungsanspruchs des Bauträgers anzuwenden. Da der Vergütungsanspruch einer einheitlichen Verjährung unterliege, könne er sich nur nach § 195 BGB oder § 196 BGB richten. Nach den Gesetzesmaterialien zu § 196 BGB (BT-Drs. 14/7052 S. 179) ergäbe sich, dass mit der Einbeziehung der Ansprüche auf die Gegenleistung in § 196 BGB über die dieser Vorschrift bereits unterfallenden Ansprüche auf Eigentumsübertragung an einem Grundstück hinaus ein in der Sache nicht gerechtfertigtes Ergebnis vermieden werden sollte, das bestehen könnte, wenn derartige Verträge bei Geltung der Regelverjährung nach § 195 BGB für die Ansprüche auf die Gegenleistung nicht beendet werden könnten. Dies greife auch bei Bauträgerverträgen. Da der einheitliche Vergütungsanspruch auch eine Gegenleistung für die von ihm – neben der Bauwerkserrichtung – geschuldete Übertragung des Eigentums an dem Grundstück und damit eine Gegenleistung iSv. § 196 BGB darstelle, sei es gerechtfertigt, insoweit einheitlich die speziellere Verjährungsregelung des § 196 BGB anzuwenden. 

Dem stünde das Urteil des BGH vom 12.10.1978 – VII ZR 288/77 – schon deswegen nicht entgegen, da es auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes vom 12.10.1978 beruhe. Im Übrigen würde der Senat an dieser Rechtsprechung nicht mehr festhalten. 

Damit musste der BGH das Urteil zurückweisen, da das OLG nunmehr neu im Hinblick auf das von den Beklagten geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht zu entscheiden hat. 

BGH, Urteil vom 07.12.2023 - VII ZR 231/22 -