Im Streit war die Zurechnung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Die Klägerin behauptete, der Beigeladene habe die Vermietung (in dem in ihrem Eigentum stehenden Haus) als Eigengeschäft behandelt, demgegenüber das Finanzamt (FA) die Einkünfte der Klägerin zurechnete. Zu dem vom Finanzgericht anberaumten Termin erschien die Klägerin nicht (was bei einem Verfahren vor dem Finanzgericht für die Beteiligten grundsätzlich nicht notwendig ist). Die Klage wurde vom Finanzgericht (FG)als unbegründet abgewiesen. Zwar habe der Beigeladene bei Abschluss und Durchführung der Mietverträge im eigenen Namen gehandelt, doch seien die Einkünfte ihr aus einem Treuhandverhältnis zuzurechnen. Diese Annahme sei gerechtfertigt, da die Klägerin die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung über Jahre erklärt habe und erstmals im Streitjahr in Abrede gestellt habe.
Die gegen das Urteil eingelegte Beschwerde zum BFH hatte Erfolg und führte zur Zurückweisung an das Finanzgericht. Der BFH sah in dem Urteil eine Überraschungsentscheidung, weshalb der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt worden sei.
Eine Überraschungsentscheidung läge vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder bekannt rechtlichen Gesichtspunkt stütze und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gebe, mit der ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretener Auffassungen nicht rechnen müsse. Dies sei insbesondere der Fall, wenn der entscheidungserhebliche Umstand erst im Endurteil benannt würde (BFH, Beschluss vom 23.02.2017 - IX B 2/17 -). Zwar müsse ein (wie hier gar durch einen Steuerberater sachkundig vertretener) Verfahrensbeteiligter alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen, auch wenn die Rechtsalge umstritten oder problematisch sei (BVerfG, Beschluss vom 19.05.1992 –-1 BvR 986/91 -). Allerdings müsse er nicht damit rechnen, dass seine Klage aus einem Grund abgewiesen würde, der weder die Beteiligten noch das Gericht zuvor in das Verfahren eingeführt hätten.
Zudem müsse das FG im Falle des Ausbleibens eines Beteiligten nach pflichtgemäßen Ermessen prüfen, ob es gleichwohl in der Sache entscheidet oder den Termin vertagt. Im Rahmen dessen sei es verpflichtet zu vertagen, wenn die Entscheidung aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher Gesichtspunkte erfolgen könnte, zu denen den Beteiligten bisher kein rechtliches Gehör gewährt wurde (BFH, Beschluss vom 19.05.2020 - VII B 114/19 -).
Vorliegend habe das FG den Gesichtspunkt des Treuhandverhältnisses erstmals im Urteil in das Verfahren eingeführt. Vorher sei dies weder im Veranlagungs- noch im Einspruchsverfahren und auch nicht in wechselseitigen Schriftsätzen im Verfahren angesprochen worden. Ebenso lässt sich aus dem Protokoll der Verhandlung nicht ersehen, dass ein Hinweis erfolgt wäre.
Da in der Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung kein Verzicht auf die Einhaltung von Verfahrensvorschriften iSv. § 295 ZPO iVm. § 155 FGO läge, habe die Klägerin ihr Rügerecht nicht durch Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge beim FG verloren. Denn auch wenn die Klägerin an der Verhandlung teilgenommen hätte, hätte sie erst aus dem Urteil erfahren, dass sich das FG auf einen bisher nicht erörterten Gesichtspunkt stützt.
Das FG würde nun unter Berücksichtigung des Vortrags der Parteien zu prüfen haben, ob und in welchem Umfang das von ihm angenommene Treuhandverhältnis den Anforderungen der Rechtsprechung (so BFH, Urteil vom 12.07.2016 – IX R 21/15 -) sowie den Anforderungen an Verträgen zwischen Angehörigen (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 AO) entspreche.
BFH, Beschluss vom
10.01.2024 - IX B 9/23 -
Aus den Gründen:
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wegen
Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom
10.01.2023 - 1 K 114/19 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht
Hamburg zurückverwiesen.
Diesem wird die
Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten
streiten um die Zurechnung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.
Die Klägerin
und Beschwerdeführerin (Klägerin) war im Streitjahr 2015 Eigentümerin des
Objekts A-Straße in Z-Stadt. Die Klägerin nutzte das Objekt nicht zu eigenen
Wohnzwecken. Auf einer Teilfläche des Objekts wohnte der geschiedene Ehemann
der Klägerin (Beigeladener). Die übrige Wohnfläche wurde vermietet. Bei den
Vermietungen handelte der Beigeladene selbst als Vermieter und vereinnahmte die
Mietzahlungen.
In ihrer
Steuererklärung für das Streitjahr erklärte die Klägerin --wie auch in den
Vorjahren-- Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für das Objekt A-Straße.
Im Rahmen der Veranlagung kam es zum Streit mit dem Beklagten und
Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) unter anderem darüber, ob die Mieteinkünfte
von der Klägerin oder dem Beigeladenen zu versteuern seien. Im
Einkommensteuerbescheid 2015 vom 06.04.2017 setzte das FA bei der Klägerin
Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 15.114 € an. Die
Klägerin legte dagegen Einspruch ein und wandte sich gegen die Zurechnung der
Vermietungseinkünfte. Das FA hielt im Einspruchsverfahren daran fest, dass der
Klägerin als Eigentümerin die Einkünfte aus dem Vermietungsobjekt zuzurechnen
seien. Dies gelte auch, wenn ihr die Einnahmen vom Beigeladenen vorenthalten
worden seien. Zudem kündigte das FA aufgrund nicht anzuerkennender
Werbungskosten eine Verböserung an. Der Einspruch wurde anschließend als
unbegründet zurückgewiesen. Die der Klägerin zugerechneten Einkünfte aus
Vermietung und Verpachtung wurden mit 26.041 € angesetzt.
Die Klägerin
erhob gegen die Einspruchsentscheidung Klage und hielt an ihrem bisherigen
Vorbringen fest. Der Beigeladene habe die Vermietung als Eigengeschäft
betrieben. Es sei keine Verwaltung in ihrem Auftrag durch den Beigeladenen
erfolgt.
Am 21.09.2022
wurde der Beigeladene vom Finanzgericht (FG) durch Beschluss beigeladen.
In der für den
10.01.2023 geladenen mündlichen Verhandlung erschien die Klägerin nicht. Die
Klage wurde mit Urteil vom 10.01.2023 - 1 K 114/19 als
unbegründet abgewiesen. Das FG führte aus, die Einkünfte aus Vermietung und
Verpachtung in Höhe von 26.041 € seien zu Recht der Klägerin zugerechnet
worden. Einkünfte seien demjenigen zuzurechnen, der sie "erziele".
Der Beigeladene habe zwar bei Abschluss und Durchführung der Mietverträge im
eigenen Namen gehandelt. Allerdings seien die Einkünfte aus Vermietung und
Verpachtung der Klägerin aufgrund eines Treuhandverhältnisses zwischen ihr und
dem Beigeladenen zuzurechnen. Nach umfassender Würdigung der Umstände des
Einzelfalls sei das FG davon überzeugt, dass im Hinblick auf das
Vermietungsobjekt A-Straße ein Treuhandverhältnis bestanden habe. Diese Annahme
werde dadurch unterstützt, dass die Klägerin über Jahre hinweg die Einnahmen
aus Vermietung und Verpachtung aus diesem Objekt erklärt habe und dies nunmehr
erstmals für das Streitjahr in Abrede stelle. Diese Änderung des jahrelangen
Erklärungsverhaltens überzeuge nicht.
Mit ihrer
Beschwerde begehrt die Klägerin unter anderem die Zulassung der Revision wegen
Verfahrensmängeln. Es liege mit der Annahme eines Treuhandverhältnisses eine
Überraschungsentscheidung vor. Bei einem rechtzeitigen Hinweis hätte sie neben
weiteren Äußerungen auf die Darlegungs- und Beweislast hingewiesen und zudem
einen Antrag auf Vernehmung eines Zeugen gestellt. Auch bei der
Berücksichtigung der Werbungskosten sei es zu einem überraschenden Ergebnis
gekommen. Weiter sei die Pflicht zur Sachaufklärung vom FG verletzt und die
Entscheidung nicht am Schluss der Sitzung verkündet worden.
Das FA ist der
Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde
ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung
der Sache an das FG gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung
(FGO). Das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensmangel (§ 115
Abs. 2 Nr. 3 FGO).
1. Das
FG hat ein Überraschungsurteil erlassen und damit den Anspruch der Klägerin auf
rechtliches Gehör verletzt.
a) Eine
Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis
dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen
Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch
ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter
Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen
Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Dies kann insbesondere der Fall
sein, wenn ein entscheidungserheblicher Umstand vom FG erst mit dem Endurteil
in das Verfahren eingebracht wird (z.B. Senatsbeschlüsse vom 23.02.2017 -
IX B 2/17, Rz 15 und vom 12.01.2023 - IX B 29/22,
Rz 2). Zwar muss ein --zumal durch einen Steuerberater sachkundig vertretener--
Verfahrensbeteiligter, auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch
ist, alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht
ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen (Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 19.05.1992 - 1 BvR 986/91, BVerfGE
86, 133, unter C.III.1.a; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung,
9. Aufl., § 119 Rz 15, m.w.N.). Er muss aber nicht damit
rechnen, dass seine Klage aus einem Grund abgewiesen wird, den weder die
Beteiligten noch das Gericht zuvor in das Verfahren eingeführt haben.
Im Falle des
Ausbleibens eines Beteiligten hat das FG nach pflichtgemäßem Ermessen zudem
darüber zu befinden, ob es gleichwohl in der Sache entscheidet oder den Termin
vertagt. Es ist im Rahmen seiner Ermessensentscheidung insbesondere dann zur
Vertagung verpflichtet, wenn die Entscheidung aufgrund tatsächlicher oder
rechtlicher Gesichtspunkte erfolgen könnte, zu denen den Beteiligten bisher
kein rechtliches Gehör gewährt worden war (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs
--BFH-- vom 19.05.2020 - VIII B 114/19, Rz 6).
b) So
liegt der Streitfall. Zwischen den Beteiligten war zwar bis zur Entscheidung
des FG streitig, ob der Klägerin die Vermietungseinkünfte aus dem Objekt
A-Straße zuzurechnen sind. Den Gesichtspunkt, dass die Zurechnung aufgrund
eines steuerlich anzuerkennenden Treuhandverhältnisses erfolgt, hat das FG
jedoch erstmals im Urteil vom 10.01.2023 - 1 K 114/19 in das
Verfahren eingeführt. Weder im Veranlagungs- und Einspruchsverfahren noch im
Rahmen des Schriftsatzaustauschs während des finanzgerichtlichen Verfahrens ist
dieser Gesichtspunkt angesprochen worden. Ein wegen des Anspruchs auf Gewährung
rechtlichen Gehörs und der prozessualen Fürsorgepflicht gebotener Hinweis des
FG dazu war nicht erfolgt. Auch dem Protokoll der Sitzung vom 10.01.2023 lässt
sich kein Hinweis entnehmen, dass dieser Punkt in der mündlichen Verhandlung
angesprochen worden ist.
Die Klägerin
hat ihr Rügerecht nicht durch Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge (in der
Vorinstanz) verloren, da in der bloßen Nichtteilnahme an der mündlichen
Verhandlung kein Verzicht auf die Einhaltung der Verfahrensvorschriften im
Sinne von § 295 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO liegt (vgl.
u.a. BFH-Beschlüsse vom 28.07.1998 - VI B 76/98, BFH/NV 1999,
200, unter 1.a, m.w.N. und vom 10.02.2015 - V B 87/14,
Rz 13). Denn auch wenn die Klägerin an der mündlichen Verhandlung
teilgenommen hätte, hätte sie erst aus dem Urteil erfahren, dass das FG seine
Entscheidung auf einen bisher nicht erörterten Umstand gestützt hat.
Stattdessen war das FG zur Vertagung der mündlichen Verhandlung verpflichtet,
da es die Entscheidung auf rechtliche Gesichtspunkte gestützt hat, zu denen der
Klägerin zuvor kein rechtliches Gehör gewährt worden war (vgl. BFH-Beschluss
vom 19.05.2020 - VIII B 114/19, Rz 12).
2. Auf
die übrigen, von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2
Nr. 3 FGO) kommt es daher nicht mehr entscheidungserheblich an. Von einer
weiteren Begründung wird nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO, der auch
für den Beschluss nach § 116 Abs. 6 FGO gilt, abgesehen.
3. Der
Senat hält es für sachgerecht, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und der Rechtsstreit insoweit zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Dabei wird das FG
unter Berücksichtigung des Vortrags der Beteiligten zu prüfen haben, ob und in
welchem Umfang das von ihm angenommene Treuhandverhältnis den Anforderungen der
Rechtsprechung (vgl. u.a. Senatsurteile vom 12.07.2016 -
IX R 21/15, Rz 23; vom 08.11.2017 - IX R 25/16,
Rz 16 und vom 15.11.2022 - IX R 4/20, BFHE 278, 519, BStBl
II 2023, 389, Rz 22, jeweils m.w.N.) sowie den Anforderungen an Verträge
zwischen Angehörigen (vgl. § 15 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung)
genügt.
4. Die
Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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