Freitag, 8. März 2024

Selbstprotokollierung durch Sachverständigen bei seiner gerichtlichen Gutachtenerstattung

Nach § 159 ZPO ist über die mündliche Verhandlung bei Gericht ein Protokoll aufzunehmen, explizit auch gem. § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO über Zeugenvernehmungen und Sachverständigenanhörungen. Im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens erstattete ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger sein unfallanalytisches Gutachten in mündlicher Form, wobei diesem von der erkennenden Einzelrichterin auch die Protokollierung übertragen wurde. Es handelte sich hier um eine Prozedur, die an vielen Gerichten in Deutschland anzutreffen ist,  bei denen die beauftragten Sachverständigen ihre Gutachten im Termin vortragen (oder bei denen sie auch nur ergänzende Angaben zum schriftlichen Gutachten, ggf. auf Fragen der Beteiligten, machen),  um sie dann auch selbst zu protokollieren, wobei „protokollieren“ hier bedeutet, dass sie ihre Angaben selbst auf dem vom Gericht für die Protokollierung vorgegebenen Tonträger aufzeichnen (also Übernahme der Protokollführung). Das OLG Hamm sah dies als unzulässig an und hatte daher im Berufungsverfahren gegen ein auf dieser Grundlage ergangenes Urteil die Beweisaufnahme (in Bezug auf das Sachverständigengutachten) wiederholt. 

§ 159 Abs. 1 ZPO sehe vor, dass über die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht (§ 128 Abs. 1, § 279 ZPO) und jede Beweisaufnahme (§ 355 Abs. 1 ZPO) ein Protokoll aufzunehmen sei. Zuständig für die Protokollierung sei bei einer Entscheidung durch die Kammer der Vorsitzende (Anm.: entscheidet der Einzelrichter, dann dieser), es sei denn, er ziehe einen Urkundsbeamten gem. § 159 Abs. 1 S. 2 ZPO zur Protokollführung hinzu.  Die Beweisaufnahme, bei der das mündliche Gutachten durch den Sachverständigen erstattet würde, würde dem Protokollzwang gem. § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO unterliegen; in der ZPO sei nicht vorgesehen, dass diese Protokollierung durch den Sachverständigen selbst erfolgen könne, weshalb diese Eigenprotokollierung durch den Sachverständigen verfahrensfehlerhaft sei. 

Eine Verletzung der Protokollierung nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO durch Eigenprotokollierung durch den Sachverständigen könne nicht gem. § 295 ZPO geheilt werden, was im Falle einer Revision auch regelmäßig zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führe. Der Grund für die Aufhebung sei, dass es in Ermangelung einer ordnungsgemäßen Protokollierung an der für eine revisionsrechtliche Prüfung notwendigen Feststellung eines Teils der tatsächlichen Grundlagen fehle. Ausnahmsweise sei eine Aufhebung nur dann nicht veranlasst, wen sich der Inhalt der Beweisaufnahme klar aus dem Urteil ergäbe du keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die zeugen oder Sachverständigen weitere Erklärungen abgegeben haben, die erheblich sein könnten. In diesem Ausnahmefall müsste sich die Wiedergabe der Aussagen im Urteil deutlich von deren Würdigung abheben und den gesamten Inhalt von deren Angaben erkennen lassen (BGH, Urteil vom 12.02.2019 - VI ZR 141/18 -; BGH, Urteil vom 21.04.1993 - XII ZR 126/91 -). 

Damit würde sich der erstinstanzliche Protokollmangel in der Berufungsinstanz als wesentlich iSv. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO darstellen, da die eigene Protokollführung durch den Sachverständigen in 3inem Zuge mit der Gutachtenerstattung keine Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein könne (BGH, Urteil vom 15.02.2017 – VIII ZR 284/15 -).   

Anmerkung: 

Die Erwägungen des OLG sind in der Sache richtig, und von daher musste das OLG die Beweisaufnahme durch Erstattung des Sachverständigengutachtens (als entscheidungserheblich in dem Rechtsstreit) wiederholen. Es handelte sich hier, wie vom OLG dargelegt, um eine protokollpflichtige Verhandlung. Die mündliche Verhandlung wird mit dem Protokoll um ein schriftliches Element ergänzt und hat nach § 165 ZPO für die Einhaltung von Förmlichkeiten Beweiskraft. Die Aufzeichnung auf Tonträger ist eine vorläufige Aufzeichnung nach § 160a ZPO, aufgrund der dann das Protokoll „unverzüglich nach der Sitzung herzustellen“ (also ohne schuldhaftes zögern , § 121 BGB) ist, § 60a Abs. 2 S. 1 ZPO, wobei Verzögerungen in der Übertragung aber nicht zur  Erschütterung der Beweiskraft führt (Stadler in Musielak/Voit, ZPO 20. Aufl. 2023, § 160a Rn. 3). Lediglich nach § 161 ZPO bedarf es einer Aufnahme in den Fällen des § 160 Abs. 3 Nr. 4 und 5 ZPO nicht (also bei Aussagen von Sachverständigen, Zeugen und Parteien und bei einer Inaugenscheinnahme), was voraussetzt, dass die Klage zurückgenommen oder anerkannt pp. wurde. Die Voraussetzungen lagen vorliegend nicht vor, wie schon dadurch deutlich wurde, dass gegen das landgerichtliche Urteil Berufung eingelegt wurde.    

In dem „Merkblatt für Sachverständige im Zivilprozess“ des Instituts für Sachverständigenwesen e.V. (Stand 2019) wird u.a. ausgeführt: „Der Richter kann dem Sachverständigen auch gestatten, seine gutachterlichen Äußerungen selbst in das Protokoll zu diktieren…“. Dem folgt das OLG Hamm ersichtlich – und nach der Grundlage des § 159 ZPO richtig – nicht. Auch wenn hier der Sachverständige „nur“ auf den für die Protokollaufnahme vorgesehenen Tonträger sprach, handelt es sich gem. § 160a ZPO um die vorläufige und dann in das Protokoll aufzunehmende Aufzeichnung und steht daher als Vorstufe dem gleich in der Verhandlung mitgeschriebenen Protokoll letztlich gleich. Die Verantwortung für das Protokoll obliegt dem zuständigen Richter, weshalb dieser es selbst (oder durch einen Urkundsbeamten, dem dann die Verantwortung obläge) aufzunehmen hat. 

In der praktischen Anwendung ist allerdings die Aufnahme des mündlich erstatteten Sachverständigengutachtens durch den Sachverständigen selbst meist sinnvoller, als eine Wiedergabe durch den zuständigen Richter. Häufig stellt man bei der Aufnahme des vom Sachverständigen erklärten fest, dass wesentliche Details seiner Angaben nicht mit protokolliert werden. Hier besteht zwar die Möglichkeit zu intervenieren und eine Ergänzung zu beantragen, was aber eine erhebliche Konzentration erfordert, da die Angaben des Sachverständigen im Hinblick auf möglicherweise erforderliche Zusatzfragen ständig durch die Aufgabe, die Protokollierung des Richters im Hinblick auf die Übertragung des vom Sachverständigen Gesagten im Hinblick auf eine Lücke zu (zumindest zunächst als wesentlich angesehene) Umstände zusätzlich beansprucht wird. Es gibt einige Sachverständige, die ihr Gutachten diktatsicher vortragen, welches dann aber bei der Wiedergabe durch den Richter auf Tonträger nur verschwommen aufgenommen wird, da z.B. der Richter relevante Umstände falsch versteht.  Es wäre daher sinnvoll, die Zivilprozessordnung dahingehend zu ändern, dass es dem Richter, insbesondere wenn (und solange) die Parteien bzw. Parteivertreter damit einverstanden sind, dem vom Gericht bestellten Sachverständigen die Protokollierung seiner Angaben übertragen könnten. 

Problematisch ist vorliegend auch, dass das OLG nicht die Kosten des Sachverständigen für sein Gutachten in der Berufungsinstanz niedergeschlagen hat, sondern die Parteien (hier die nach erneuter Erstattung des Gutachtens neuerlich unterlegene Partei) mit diesen Kosten belastet ließ. Nach § 21 GKG können Kosten niedergeschlagen werden, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären. Hätte sich das Landgericht bereits an die ZPO gehalten, wäre es nicht zur erneuten Beweiserhebung durch Erstattung des Gutachtens durch den Sachverständigen gekommen. 

OLG Hamm, Urteil vom 19.12.2023 - 7 U 73/23 -


Aus den Gründen:

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 10.05.2023 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn (8 O 243/22) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.860,45 EUR festgesetzt.

Gründe

(abgekürzt gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1, § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO)

I.

Der Senat war gehalten, die erstinstanzliche Beweisaufnahme in Form des mündlich erstatteten unfallanalytischen Sachverständigengutachtens zu wiederholen, weil die Protokollierung desselben in erster Instanz entgegen § 159 ZPO unzulässigerweise dem Sachverständigen übertragen wurde. Infolgedessen war die Beweisaufnahme verfahrensfehlerhaft nicht ordnungsgemäß protokolliert.

Nach § 159 Abs. 1 ZPO ist über die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht (§ 128 Abs. 1, § 279 ZPO) und jede Beweisaufnahme (§ 355 Abs. 1 ZPO) ein Protokoll aufzunehmen. Die mündliche Verhandlung erster Instanz unterlag somit unzweifelhaft dem Protokollzwang. Zuständig für die Protokollführung ist, wenn die Kammer entscheidet, der Vorsitzende, es sei denn, er zieht gemäß § 159 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen Urkundsbeamten hinzu (vgl. hierzu Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024 § 159 ZPO, Rn. 5; Stadler in Musielak/Voit, 20. Aufl. 2023, ZPO § 159 Rn. 7; Fritsche in MüKoZPO, 6. Auflage 2020, § 159 Rn. 5; Saenger, ZPO, § 159 Rn. 3; Wendtland in BeckOK-ZPO, 50. Ed., 1.9.2023, § 159 ZPO Rn. 6). Die Übernahme der Protokollführung über die Beweisaufnahme, die gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO dem Protokollzwang unterliegt, konkret die Protokollierung des mündlichen Gutachtens durch den Sachverständigen selbst ist somit in der ZPO nicht vorgesehen und daher verfahrensfehlerhaft.

Nach gefestigter höchstrichterlichen Rechtsprechung kann eine Verletzung von § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO auch nicht gemäß § 295 ZPO geheilt werden. Sie führt in der Revision daher regelmäßig zur Aufhebung des angefochtenen Urteils; denn ohne ordnungsgemäße Protokollierung fehlt es an der für eine revisionsrechtliche Prüfung notwendigen Feststellung eines Teils der tatsächlichen Grundlagen. Eine Aufhebung des Urteils ist danach nur ausnahmsweise dann nicht veranlasst, wenn sich der Inhalt der Beweisaufnahme aus dem Urteil selbst klar ergibt und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Zeugen / der Sachverständige weitere Erklärungen abgegeben haben, die erheblich sein könnten. Allerdings muss sich die Wiedergabe der Aussagen im Urteil dann deutlich von deren Würdigung abheben und den gesamten Inhalt der Bekundungen erkennen lassen (so BGH Urt. v. 12.2.2019 - VI ZR 141/18, NZV 2019, 524 Rn. 18 m. w. N.; siehe auch BGH Urt. v. 21.4.1993 - XII ZR 126/91, NJW-RR 1993, 1034 = juris Rn. 15), was hier nicht der Fall ist.

Vor diesem Hintergrund stellt sich der erstinstanzliche Protokollmangel in der Berufungsinstanz unzweifelhaft als wesentlich i.S.d. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO dar, eben weil die Protokollführung durch den Sachverständigen in einem Zuge mit der Gutachtenerstattung keine Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein kann (vgl. BGH Urt. v. 15.2.2017 - VIII ZR 284/15, BeckRS 2017, 103968 Rn. 14).

II.

Die allein aufgrund formeller Mängel durch den Senat neu durchzuführende Beweisaufnahme hat indes - im Hinblick auf die Schadenskompatibilität - nicht zu einem anderen Ergebnis als die erstinstanzliche Beweisaufnahme geführt. Insoweit kann deshalb vollumfänglich auf die Ausführungen im Senatshinweis vom 26.09.2023 (Bl. 111 ff. der zweitinstanzlichen elektronischen Gerichtsakte, im Folgenden eGA II) Bezug genommen werden.

Auch zweitinstanzlich hat der Sachverständige in überzeugender Art und Weise keinen Zweifel daran gelassen, dass die Beschädigung am keinesfalls durch das Beklagtenfahrzeug verursacht worden sein kann (Berichterstattervermerk vom 19.12.2023 Seite 2 f., eGA II-196 f.).

Ebenso hat er keine Zweifel daran gelassen, dass die möglicherweise dem Beklagtenfahrzeug zuzuordnenden Beschädigungen links vom Radkasten einen vorgeschädigten Bereich betreffen und damit kein wirtschaftlicher Nachteil des Klägers Felgenhorn feststellbar ist (Berichterstattervermerk vom 19.12.2023 Seite 2 vorletzter Abs., eGA II-196, und Seite 3 Abs. 4, eGA II-197).

Ob die Beschädigungen im Bereich rechts vom Radkasten dem Beklagtenfahrzeug zuzuordnen sind, lässt sich nach den Ausführungen des Sachverständigen ebenso wenig feststellen. Bereits die Farbzuordnung zum Beklagtenfahrzeug kann nicht sicher erfolgen (Berichterstattervermerk vom 19.12.2023 Seite 4 a. E., eGA II-198). Vor allem aber können diese Beschädigungen nicht in einem Zug mit den Beschädigungen links vom Radkasten entstanden sein (Berichterstattervermerk vom 19.12.2023 Seite 3 Abs. 2, eGA II-197, und Seite 3 Abs. 7 f., eGA II-197).

Dass der Beklagte zu 1 tatsächlich mehrfach (vgl. dazu die Ausführungen des Sachverständigen im Berichterstattervermerk vom 19.12.2023 Seite 3 letzter Abs., eGA II-197), also - um sämtliche Beschädigungen zu begründen - gar dreimal, in das Klägerfahrzeug gefahren wäre, lässt sich aufgrund der Angaben des Beklagten zu 1 im Rahmen seiner persönlichen Anhörung (Bericht-erstattervermerk vom 19.12.2023 Seite 2 Abs. 3, eGA II-196, und Seite 4 Abs. 2, eGA II-198) und mangels sonstiger Anhaltspunkte dafür ebenfalls nicht feststellen.

Es besteht - nicht zuletzt auch im Hinblick auf vom Kläger nicht als unüblich bezeichnete Parkplatzunfälle auf dem streitgegenständlichen Parkplatz (Berichterstattervermerk vom 19.12.2023 Seite 1 viertletzter Abs., eGA II-195) - die ernsthafte Möglichkeit, dass im Rahmen eines im wesentlichen Kern schon nicht feststellbaren Zusammenstoßes mit dem Beklagtenfahrzeug keine oder jedenfalls keine wirtschaftlich relevanten weiteren Schäden entstanden sind, so dass die Klage abzuweisen ist.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 Satz 1 und Satz 2, § 713 ZPO i. V. m. § 542 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Von einer Niederschlagung der zusätzlichen Sachverständigenkosten in zweiter Instanz gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG hat der Senat abgesehen, da im Hinblick auf die jahrelange Praxis von mehreren Kammern zweier Landgerichte im Oberlandesgerichtsbezirk Hamm, die bislang nicht zu Beanstandungen geführt haben, derzeit nicht von einem offensichtlichen und schweren

Verfahrensfehler ausgegangen werden kann (vgl. dazu nur m. w. N. Dörndor- fer in BeckOK Kostenrecht, Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, 43. Ed., Stand: 01.10.2023, § 21 Rn. 3).

IV.

Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO).


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