Im Rahmen einer Anfechtungsklage
von Beschlüssen einer Wohnungseigentümer-versammlung gab das Amtsgericht der
Klage mit der Begründung statt, die Einladung habe Wohnungseigentümer nicht
rechtzeitig) erreicht. Im Kern ging es damit darum, ob die aus 1990 stammende
Regelung der Gemeinschaftsordnung „Für die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung
genügt die Absendung an die Anschrift, die dem Verwalter von dem
Wohnungseigentümer zuletzt mitgeteilt wurde.“ Auszulegen und ggf. wie auszulegen ist und ob
die Klausel wirksam ist, nachdem das Landgericht im Berufungsverfahren dem
Amtsgericht folgte und der BGH im Rahmen der Revision entscheiden musste.
Amts- und Landgericht haben die Regelung
dahingehend ausgelegt, dass sie zwar die Ordnungsgemäßheit der Absendung
regele, es aber darauf ankäme, dass die Ladung auch tatsächlich bei dem
Adressaten ankommt (im Anschluss an OLG Hamburg 21.06.2006 - 2 Wx 33/05 -). Dem
folgt der BGH nicht. Die Klausel beziehe sich nicht lediglich auf Eigentümer,
die einen Wohnsitzwechsel nicht ordnungsgemäß angezeigt hätten (und von daher
bei fehlender Ladung daraus kein Anfechtungsanspruch hergeleitet werden könne).
Allerdings sei im Übrigen gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB, der entsprechend
anwendbar sei, nicht die fristwahrende Absendung sondern der Zugang bei den
Wohnungseigentümern maßgeblich. Davon abweichende Regelungen in
Gemeinschaftsordnungen seien aber weit verbreitet, wobei die hier verwandte
Formulierung in der Literatur als „Zugangsfiktion“ bezeichnet werde, obwohl sie
dem Wortlaut nach nicht den Zugang regele. Teilweise würde angenommen, dass die
Klausel allgemein als Nachweis der rechtzeitigen Absendung ausrechend und wirksam
sei, teilwiese nur einschränkend dahingehend ausgelegt, sie gelte nur in Bezug
auf diejenigen Eigentümer, die ihre neue Anschrift nicht mitgeteilt hätten. Zutreffend
sei die erstgenannte Ansicht, da sich für die einschränkende Klausel aus dem
maßgeblichen Wortlaut nichts ergäbe. Aus ihr sei zu entnehmen, dass allgemein die
rechtzeitige Absendung ausreichend sei und nicht auf den Zugang abgestellt
werde.
Damit musste sich der BGH der
Frage zuwenden, ob die so verstandene Regelung in der Gemeinschaftsordnung wirksam
ist. Die Eigentümer könnten gem. § 10 Abs. 2 S. 2 WEG von den Vorschriften des
Wohnungseigentumsgesetzes abweichende Regelungen treffen, soweit dort nichts
anderes bestimmt sei. Im Weiteren unterlägen die Regelungen einer
Inhaltskontrolle. Bisher sei höchstrichterlich nicht entschieden, ob die §§
307ff BGB auch auf die Gemeinschaftsordnung einer Wohnungseigentümergemeinschaft
Anwendung finde oder ob unter Berücksichtigung der Besonderheiten des
Einzelfalls die Inhaltskontrolle am Maßstab des § 242 BGB (Treu und Glauben)
auszurichten sei.
Bei Anwendung der §§ 307ff BGB
könnte die Klausel § 308 Nr. 6 BGB unterfallen, wonach Klauseln in Allgemeinen
Geschäftsbedingungen unzulässig seien, die vorsähen, dass Erklärungen des Verwenders
von besonderer Bedeutung dem anderen Vertragsteil als zugegangen gelten würden.
Eine direkte Anwendung der §§ 307ff BGB scheide aus, da es sich bei der
einseitig vorgegebenen Gemeinschaftsordnung nicht um Vertragsbedingungen
handele wie bei dem Abschluss eines Vertrages iSv. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB. Sie
stünde einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer gleich. Eine analoge Anwendung
scheide hier aber auch aus, da es an einer Vergleichbarkeit der Gemeinschaftsordnung
mit einem schuldrechtlichen Vertrag als auch an einer planwidrigen
Regelungslücke ermangele. An der planwidrigen Regelungslücke würde es bereits
deshalb ermangeln, da die Wohnungseigentümer die ursprünglich einseitig
vorgegebene Gemeinschaftsordnung jederzeit einstimmig (bei Öffnungsklauseln
auch mit Mehrheitsbeschluss) ändern könnten, zudem unter den Voraussetzungen
des § 10 Abs. 2 S. 3 WEG jeder Eigentümer eine Änderung unbilliger Klauseln
verlangen (und einklagen) könne.
Auch wenn der teilende Eigentümer
die Gemeinschaftsordnung vorgeben könne (und er sich so einseitig begünstigen
könne) würde die nicht die Heranziehung des AGB-Rechts rechtfertigen können. Diese
Regelungen ließen sich mit der auf einen Missbrauch der einseitigen
Gestaltungsmacht durch den teilenden Eigentümer bezogenen Inhaltskontrolle des
§ 242 BGB bewältigen
Vereinbarungen der
Wohnungseigentümer (und damit die Regelungen in der Gemeinschaftsordnung)
dürften nicht treuwidrig sein. Abgesehen von den Fällen einseitiger Aufteilung sei
wegen des weiten Gestaltungsspielraums der Wohnungseigentümer und des möglichen
Anpassungsanspruch nach § 10 Abs. 2 S. 3 WEG allenfalls in Ausnahmefällen
denkbar, Regelungen der Gemeinschaftsordnung, die sich in den Grenzen der §§
134, 138 BGB hielten, wegen Verstoßes gegen § 242 BGB als unwirksam anzusehen. Das
zugrunde legend sei die Regelung wirksam. Es würde kein spezifischer
Zusammenhang mit einer einseitigen Aufteilung erkennbar, wie sich auch daraus
ergäbe, dass es sich um eine gebräuchliche Regelung handele und keinen
inhaltlichen Bezug zu dem teilenden Eigentümer aufweise. Weiterhin sei das aus
§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB abgeleitete Zugangserfordernis abdingbar, weshalb es
darauf ankomme, ob mit der Klausel in schwerwiegender Weise in das Teilnahme-
und Mitwirkungsrecht als unverzichtbares Mitgliedschaftsrecht eingegriffen
würde und damit iSv. § 134 BGB gegen ein gesetzliches Verbot verstoße. Erforderlich
sei hier eine Abwägung zwischen den Folgen für die Teilnahmerechte einerseits
und die Interessen der Gesamtheit der Wohnungseigentümer. Ein gravierender
Eingriff in das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht eines Eigentümers läge nicht schon
vor, wenn dieses infolge eines Fehlers der Post nicht ausgeübt werden könne,
zumal die Beschlussmängelklage auch noch möglich sei. Andererseits müsse en
Verwalter darauf vertrauen dürfen, dass ein rechtzeitiger Postversand
ausreichend ist, wobei ein Nachweis nicht möglich sei, es sei denn, die
Ladungen würden per Einschreiben oder Boten zugestellt, was aber mit
erheblichen Verwaltungs- und Kostenaufwand verbunden wäre, was dem Gesamtinteresse
der Wohnungseigentümer widerspräche (unabhängig davon, dass bei dieser Vorgehensweise
auch der Inhalt des jeweiligen Schreibens nicht nachgewiesen würde). Die Fassung
rechtssicherer Beschlüsse sei aber ein elementares Interesse der Wohnungseigentümergemeinschaft,
weshalb die als Zugangsfiktion anzusehende Klausel nicht treuwidrig sei.
BGH, Urteil vom 20.11.2020 -
V ZR 196/19 -