Dienstag, 6. Juli 2021

Die Veränderungssperre nach § 14 BauGB als Verhinderung nicht gewünschter Bebauung

Eine Veränderungssperre des § 114 BauGB kann beschlossen werden, wenn ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplanes (BPlan) gefasst ist und mit dem Beschluss verhindert werden soll, dass im Plangebiet Vorhaben iSd. § 29 BauGB nicht durchgeführt und bauliche Anlagen nicht beseitigt werden dürfen (§ 114 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) und erhebliche oder wesentliche Veränderungen von baulichen Anlagen, die nicht genehmigungs- zustimmungs- oder anzeigepflichtig sind, nicht durchgeführt werden dürfen (§ 114 Abs. 1 Nr. 2 BauGB).

Das Bundesveraltungsgericht (BVerwG) hatte über eine Beschwerde gegen einen Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes (Hess. VGH), in dem dieses die Normenkontrollklage gegen eine Veränderungssperre abwies, zu entscheiden. Die Antragstellerin hatte sich bei ihrer Normenkontrollklage darauf berufen, Entscheidungsträger der Antragsgegnerin hätten in einer Bürgerversammlung erklärt, dass es der Stadt mit der intendierten Planung und der Veränderungssperre alleine um die Verhinderung des Vorhabens der Antragstellerin, eine Hochzeits- und Eventhalle zu errichten, gegangen sei und es an einer ausreichenden Planungsvorstellung im Übrigen gefehlt habe und entsprechende planerische Gründe nachgeschoben worden seien. Der Hess. VGH hat demgegenüber angenommen, dass im Zeitpunkt der Aufstellung des BPlans und der in der gleichen Sitzung beschlossenen Veränderungssperre die Antragsgegnerin positive planerische Ziele verfolgt habe und die Veränderungssperre nicht lediglich der Verhinderung der Hochzeits- und Eventhalle gedient habe.

Das BVerwG bekräftigte, dass eine sogen. Negativplanung, sich darin erschöpfe, einzelne Vorhaben auszuschließen, für eine Veränderungssperre nicht genüge. Die daraus erwachsenden nachteiligen Wirkungen einer Veränderungssperre seien vor dem Hintergrund der Eigentumsgarantie des Art, 14 Abs. 1 S. 2 GG nicht erträglich, wenn sie nur zu einer Sicherung einer Planung dienen sollten, die sich in ihrem Inhalt noch in keiner Weise absehen ließe. Allerdings liege eine unzulässige Negativplanung nicht bereits deshalb vor, da ggf. das Ziel verfolgt würde, bestimmte bisher zulässige Nutzungen zu verhindern, auch wenn dies der Hauptzweck der Planung sei. Ein detailliertes und ausgewogenes Planungskonzept sei nicht erforderlich; ausreichend sei ein Mindestmaß an planerischen Vorstellungen, die geeignet sein müssten, die Entscheidung der Genehmigungsbehörde (Bauamt) nach § 14 Abs. 2 S. 1 BauGB zu steuern, wenn diese über die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der beabsichtigten Planung zu befinden habe (BVerwG, Urteil vom 30.08.2012 - 4 C 1.11 -).

Auch wenn vorliegend der Hess. VGH in den Entscheidungsgründen nichts zu den Einzelheiten des Vortrags der Parteien ausgeführt habe, ließe sich daraus nicht herleiten, dass es den Vortrag nicht zur Kenntnis genommen habe. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs (hier durch Übergehen von Vortrag) könne nur angenommen werden, wenn sich dies aus besonderen Umständen des Falls ergäbe. Indem hier der Hess. VGH ausgeführt habe, nicht von einer unzulässigen Negativplanung auszugehen, sich greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die von der Antragsgegnerin in der Begründung des BPlan-Aufstellungsbeschlusses genannten Gründe nur vorgeschoben worden seien, seien nach der Darlegung des Hess. VGH nicht ersichtlich. Auch der zeitliche und inhaltliche Zusammenhang zwischen dem Antrag der Antragstellerin zur Nutzungsänderung als Hochzeits- und Eventhalle und mit der Aufstellung des BPlan und der Veränderungssperre, würde diese Annahme nicht rechtfertigen, da der Nutzungsänderungsantrag der Antragstellerin, die verhindert werden sollte, bei Vorlage von positiven Vorstellungen über den Inhalt eines BPlans, wie er hier vorgelegen habe, zulässig sei.

BVerwG, Beschluss vom 05.03.2021 - 4 BN 66.20 -


Aus den Gründen:

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. September 2020 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.

1. Die Sache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.

Grundsätzlich bedeutsam i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Daran fehlt es.

Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob es für die Frage des Vorliegens einer im Einzelfall festzustellenden unzulässigen sogenannten "Verhinderungsplanung" zumindest auch auf die subjektive Motivationslage des bloßen "Verhindernwollens" der Entscheidungsträger im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre ankommt, auch wenn später gegebenenfalls planerische Gründe nachgeschoben werden.

Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, denn sie ist auf einen Sachverhalt zugeschnitten, den der Verwaltungsgerichtshof so nicht festgestellt hat. Die Beschwerde geht davon aus, dass es der Antragsgegnerin bei Erlass der Veränderungssperre allein um die Verhinderung des Vorhabens der Antragstellerin gegangen ist und dass erst später planerische Gründe nachgeschoben worden sind. Das Normenkontrollgericht hat indessen angenommen, dass im Zeitpunkt der Aufstellung des Bebauungsplans und der in der gleichen Sitzung beschlossenen Veränderungssperre die Antragsgegnerin positive planerische Ziele verfolgte und die Planung nicht allein auf die Verhinderung der Hochzeits- und Eventhalle ausgelegt war.

Unabhängig hiervon sind die Anforderungen an eine durch Veränderungssperre zu sichernde Planung geklärt. Wesentlich ist, dass die Gemeinde bereits positive Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplanes entwickelt hat. Eine Negativplanung, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen, genügt nicht. Die nachteiligen Wirkungen der Veränderungssperre wären - auch vor dem Hintergrund des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG - nicht erträglich, wenn sie zur Sicherung einer Planung dienen sollte, die sich in ihrem Inhalt noch in keiner Weise absehen lässt. Eine unzulässige Negativplanung liegt nicht schon deswegen vor, weil die Gemeinde die Planung aus Anlass eines konkreten, bisher zulässigen Vorhabens betreibt, das sie verhindern will, oder weil sie das Ziel verfolgt, eine Ausweitung bestimmter bisher zulässiger Nutzungen zu verhindern, selbst wenn dies jeweils den Hauptzweck einer konkreten Planung darstellt. Ein detailliertes und abgewogenes Planungskonzept ist nicht erforderlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 - 4 C 5.15 - BVerwGE 156, 1 Rn. 19 sowie Beschlüsse vom 10. Oktober 2007 - 4 BN 36.07 - ZfBR 2008, 70 = juris Rn. 3 und vom 8. September 2016 - 4 BN 22.16 - BRS 84 Nr. 52 = juris Rn. 5). Das Mindestmaß an planerischen Vorstellungen, die vorliegen müssen, um eine Veränderungssperre zu rechtfertigen, muss zugleich geeignet sein, die Entscheidung der Genehmigungsbehörde nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB zu steuern, wenn sie über die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der beabsichtigten Planung zu befinden hat (BVerwG, Urteil vom 30. August 2012 - 4 C 1.11 - BVerwGE 144, 82 Rn. 11). Ob die planerischen Vorstellungen diesen Anforderungen genügen, ist Gegenstand der tatrichterlichen Würdigung des Einzelfalls (BVerwG, Beschluss vom 19. Mai 2020 - 4 BN 45.19 - juris Rn. 5).

2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Das Normenkontrollgericht hat den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) nicht verletzt.

Die Antragstellerin trägt vor, sie habe in der Antragsbegründung unter Bezugnahme auf Äußerungen von Entscheidungsträgern der Antragsgegnerin in einer Bürgerversammlung im Einzelnen dargelegt, dass es der Stadt mit der intendierten Planung und der angefochtenen Veränderungssperre allein um die Verhinderung des Vorhabens der Antragstellerin gegangen sei und es im Übrigen an ausreichenden objektiven Planungsvorstellungen gefehlt habe. Sie habe deutlich gemacht, dass nach ihrer Auffassung die subjektive Komponente der Verhinderung bei dem vorliegenden Verfahren im Vordergrund gestanden habe. Der Verwaltungsgerichtshof habe sich in der angefochtenen Entscheidung nicht einmal ansatzweise mit diesem Vortrag auseinandergesetzt. Ein Verfahrensfehler wird hiermit nicht aufgezeigt.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt, dass ein Gericht den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht. Daraus folgt jedoch nicht die Pflicht des Gerichts, jedes Vorbringen der Beteiligten zu bescheiden (stRspr, z.B. BVerwG, Beschluss vom 5. August 1998 - 11 B 23.98 - juris Rn. 9 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschlüsse vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.> und vom 17. November 1992 - 1 BvR 168, 1509/89 und 638, 639/90 - BVerfGE 87, 363 <392 f.>). Allein aus dem Schweigen der Entscheidungsgründe zu Einzelheiten des Vortrags eines Beteiligten kann deshalb noch nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe das Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs kann vielmehr nur festgestellt werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt (stRspr, z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 5. Februar 1999 - 9 B 797.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4 und vom 10. Januar 2017 - 4 BN 18.16 - juris <insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 406.11 § 215 BauGB Nr. 19>). Gemessen hieran hat der Verwaltungsgerichtshof den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör nicht verletzt.

Ausweislich des Tatbestandes der angefochtenen Entscheidung (UA S. 3) hat das Normenkontrollgericht den Vortrag der Antragstellerin, wonach es das Ziel aller Bemühungen der Antragsgegnerin gewesen sei, die Hochzeits- und Eventhalle zu verhindern, was vom Bürgermeister und führenden Politikern in einer Bürgerversammlung explizit geäußert worden sei, zur Kenntnis genommen. In den Entscheidungsgründen legt der Verwaltungsgerichtshof dar, dass er - anders als die Antragstellerin - nicht von einer unzulässigen Negativplanung ausgehe, deren einziges Anliegen es sei, ein Vorhaben der Antragstellerin bzw. ihres potenziellen Mieters zu verhindern (UA S. 6). Denn greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die von der Antragsgegnerin in der Begründung zum Bebauungsplan-Aufstellungsbeschluss genannten Gründe nur vorgeschoben seien, seien nicht gegeben. Vielmehr ließen sich sowohl der Sitzungsvorlage als auch dem Beschluss über die Aufstellung des Bebauungsplans "Pfarrer-Neubig-Straße" mit hinreichender Deutlichkeit positive planerische Ziele der Antragsgegnerin entnehmen (UA S. 6). Aus dem Umstand, dass die Aufstellung des Bebauungsplans und der Erlass der Veränderungssperre sowohl zeitlich als auch inhaltlich in engem Zusammenhang mit dem Antrag auf Nutzungsänderung zum Betrieb einer Hochzeits- und Eventhalle für 400 Personen erfolgt sei, könnten keine Schlüsse auf die Rechtswidrigkeit der Planung hergeleitet werden. Auch wenn Vertreter der Antragsgegnerin explizit geäußert haben sollten, den Betrieb der Hochzeits- und Eventhalle verhindern zu wollen, lasse dies nicht auf eine unzulässige Verhinderungsplanung schließen, denn die Gemeinde dürfe grundsätzlich ein konkretes Vorhaben, dessen Verwirklichung sie verhindern wolle, zum Anlass für eine Veränderungssperre nehmen (UA S. 7). Der Verwaltungsgerichtshof ist also von einer durch Veränderungssperre zu sichernden Planung ausgegangen, weil die Antragsgegnerin bereits positive Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplanes entwickelt hat. Inwiefern von diesem materiell-rechtlichen Standpunkt aus ein weiteres Eingehen auf den Vortrag der Antragstellerin erforderlich gewesen sein könnte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.


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