Sonntag, 18. August 2019

Städtebaulicher Vertrag über den Kauf eines Grundstücks und Dauer des Wiederkaufsrechts der Gemeinde


Der Kläger kaufte am 17.09.1996 von der beklagten Stadt  ein in einer ehemaligen Kleingartenanlage, die von der Stadt in 1959 in ein Siedlungsgebiet umgewandelt wurde, zum Preis von DM 101.790,00 ein 552qm großes  Grundstück, wobei zwischen den Parteien Streit bestand, ob dies einen Preisnachlass von 20% oder 29% vom Wert darstellt. Im Gegenzug zu dem Preisnachlass erhielt die Beklagte ein Wiederkaufsrecht von 30 Jahren, beginnend mit dem Eigentumserwerb, u.a. für den Fall, dass der Kläger das Grundstück Dritten ganz oder teilweise verkauft oder zur eigentumsähnlichen Nutzung überlässt. Die Wahrung des Eigentums an dem Grundstück erfolgte am 06.05.1999 im Grundbuch. Nachdem der Kläger die Beklagte 2013 darüber informierte, dass er das Grundstück verkaufen wolle, bot ihm diese an, gegen Zahlung von € 47.078,78 auf das Wiederkaufsrecht, welches nach ihrer Ansicht am 16.03.2017 ende, zu verzichten. Der Kläger zahlte den Betrag unter Vorbehalt der Klärung der Wirksamkeit des Wiederkaufsrechts und verkaufte mit Vertrag vom 01.02.2016 das Grundstück zu € 335.000,00.

Die Klage auf Rückzahlung der € 47.078,78 war erfolgreich. Das OLG wies die Berufung der Beklagten zurück. Auf die Revision der Beklagten änderte das Landgericht das Urteil unter Abweisung der Klage ab.

Nach Auffassung des BGH stünde dem Kläger kein Anspruch gem. § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt auf Rückzahlung des unter Vorbehalt gezahlten Ablösebetrages zu.

Zutreffend sei allerdings die Auffassung des OLG, dass die Regelung zum Wiederkaufsrecht im Hinblick auf die Dauer von 30 Jahren nichtig sei, § 134 BGB. Sie stelle sich sowohl nach § 6 Abs. 3 S. 4 BauGB-MaßnahmenG idF. Vom 22.04.1993 (jetzt: § 11 Abs. 2 S. 1 BauGB) als auch nach § 9 Abs. 1 AGBG (iVm. Art. 229 § 5 S. 1 EBGB) als eine unangemessene Vertragsbestimmung dar (dabei ließ es dahingestellt ob, Klauseln eines privatrechtlichen städtebaulichen Vertrages nach dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen zum 31.12.1994 alleine an den Vorgaben des § 11 Abs. 2 S. 1 BauGB oder auch an §§ 307ff BGB zu messen seien, da der Vertrag vorher geschlossen wurde). Nach § 6 Abs. 2 BauGB-MaßnahmenG 1993 müssten in Ansehung des Ziels der Bauleitplanung, die Nutzung entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplanes oder die Deckung des Wohnbedarfs,  die in dem städtebaulichen Vertrag vereinbarten Leistungen insgesamt angemessen sein. Das bedeute, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung des Gesamtvorgangs die Gegenleistung nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung und dem Wert der von der Behörde erbrachten / zu erbringenden Leistung stünde und auch ansonsten die Übernahme von Pflichten zu keiner unzumutbaren Belastung für den Vertragspartner der Behörde führen würfe. Dieser Prüfungsmaßstab gelte auch im Rahmen von § 9 AGBG. Danach sei die an sich zulässige Bindungswirkung im Hinblick auf deren Dauer von 30 Jahren unwirksam. Dies würde auch bei einem von der Beklagten behaupteten Nachlass von 29% gelten. Es handele sich um eine Beschränkung im Rahmen einer Subventionierung durch die öffentliche Hand, bei der die den Käufer auferlegten Bedingungen nicht zu einer unzumutbaren Belastung führen dürften. Es bedürfe also einer zeitlichen Begrenzung zur Ausübung des Wiederkaufsrechts im Verhältnis zu Höhe des Nachlasses. Besondere Umstände, die hier diese Bindungsdauer rechtfertigen könnten lägen nicht vor. Weder habe die Subventionierung über dem üblichen Rahmen (bei Einheimischenmodellen idR. 30%) gelegen, noch seien andere diese Dauer rechtfertigende Umstände erkennbar.

Die Nichtigkeit der zeitlichen Komponente führe aber nicht auch zur Nichtigkeit des vereinbarten Wiederkaufs als solchem. Die Lücke sei durch §§ 157, 133 BGB zu schließen. Das Verbot der geltungserhaltendem Reduktion von Klauseln nach §§ 9ff AGBG (heute: §§ 307ff BGB)  gelte nichts ausnahmslos. Bei Fehlen gesetzlicher Regelungen, die an die Stelle der unwirksamen Klausel treten (vgl. § 306 Abs. 2 BGB) würde die ersatzlose Streichung der Klausel zu einem Ergebnis, dass den beiderseitigen Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trage, sondern das gesamte Vertragsgefüge einseitig zugunsten des Vertragspartners des Verwenders verschiebe, so dass diesem ein Festhalten an dem Vertrag nicht mehr zumutbar wäre, käme keine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht (BGH, Urteil vom 16.04.2010 - V ZR 175/90 - zu § 306 Abs. 3 BGB; BGH, Urteil vom 06.07.2016 - IV ZR 44/15 -). Nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG würde die nach dem Vertrag bestehende formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragspartner unter Berücksichtigung ihrer beiderseitigen Interessen durch eine materielle Ausgewogenheit ersetzt und so ihre Gleichheit wiederhergestellt (BGH, Urteil vom 06.04.2013 - VIII ZR 80/12 -).

Die Beklagte habe dem Kläger das Grundstück zu einem unter dem Verkehrswert liegenden Preis verlauft, was ihr in Ansehung des Gebots der sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel nur gestattet sei, wenn dies der Erfüllung legitimer öffentlicher Aufgaben diene und die zweckentsprechende Mittelverwendung sichergestellt sei (§ 90 GO NRW). Das zeitlich befristete Wiederkaufsrecht würde mithin erst die Grundlage für den Verkauf begründen können. Die ersatzlose Streichung der Klausel würde dazu führen, dass der Vertrag insgesamt keinen Bestand mehr haben könnte, käme es nicht zu einer ergänzenden Vertragsauslegung gem. § 6 Abs. 3 AGBG (jetzt: § 306 Abs. 3 BGB) (dazu EuGH, Urteil vom 07.08.2018  C-96/16 und C-94/17; BGH vom 16.04.2016 - VIII ZR 79/15 -). Durch die Nichtigkeit der Klausel insgesamt und damit dem fehlenden Bestand für den Vertrag  würde der Kläger entgegen der Zielsetzung des Unionsgesetzgebers eines bestmöglichen Verbraucherschutzes schlechter gestellt als durch eine ergänzende Vertragsauslegung.

Die ergänzende Vertragsauslegung habe nach dem objektivierten hypothetischen Parteiwillen so zu erfolgen, dass ein Gleichgewicht der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien wiederhergestellt  und die materielle Ausgewogenheit gewahrt würde. Ausgehend von einem vom Kläger behaupteten Preisnachlass von 20% würde dies bei einer Dauer des Wiederkaufsrechts von 20 Jahren der Fall sein. Eine solche Frist diene dem von der Gemeinde verfolgten Zweck der Verhinderung einer Grundstücksspekulation und stelle zugleich eine adäquate Gegenleistung des Käufers für den verbilligten Erwerb dar.

Da die Weiterveräußerung rund 17 Jahre nach der grundbuchlichen Wahrung bzw. 19,5 Jahre nach Abschluss des Kaufvertrages erfolgte, könne der Kläger den Ablösebetrag nicht zurückverlangen.

BGH, Urteil vom 15.02.2019 - V ZR 77/18 -

Freitag, 16. August 2019

Erledigung der Hauptsache, § 91a ZPO: Zu frühe Schadensersatzklage kann zur Kostentragung führen


Immer wieder geht es dem Anspruchsteller nicht schnell genug. Ereignet sich ein Verkehrsunfall, so will er möglichst umgehend nach Mitteilung des Schadensfalls dem ihm zustehenden Schadensersatz vom gegnerischen Haftpflichtversicherer haben. Häufig lassen sich Anwälte dazu drängen, schnell eine Klage zu erheben. Dies mit der ebenfalls immer wieder auftretenden Konsequenz, dass der Versicherer nach Zustellung der Klage zahle, sich damit die Hauptsache erledigt – und der geschädigte Kläger gleichwohl die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.

Der hier zugrunde liegende Verkehrsunfall ereignete sich am 29.08.2018. Am 29.08.2018 gab der Kläger ein Schadensgutachten in Auftrag, welches am 13.09.2018 erstellt wurde. Mit E-Mail vom 24.09.2018, deren Zugang zwischen den Parteien streitig war, forderte der spätere Prozessbevollmächtigte des Klägers die beklagte Haftpflichtversicherung auf, den  näher bezifferten Schadensbetrag binnen 14 Tagen auf sein Fremdgeldkonto zu überweisen. Mit Schreiben vom 11.10.2018 forderte er den Versicherer auf, nunmehr sein Schreiben vom 24.09.2018 innerhalb von sieben Tagen ab Datum dieses Schreibens zu erledigen, andernfalls er klagen werde. Mit E-Mail vom 30.10.2018 teilte die Beklagte dem Klägervertreter mit, sie werde für den Schaden dem Grunde nach aufkommen, sein Schreiben (Mail) vom 24.09.2018 läge aber nicht vor und bat ihn, den Schaden zu beziffern und zu belegen.  Der Kläger ließ am 05.11.2018 eine auf den 24.10.2018 datierende Klage einreichen. Mit Schreiben vom 09.11.2018 teilte die Beklagte mit, von einer Prozessführung absehen zu wollen. Der Klagebetrag sei am gleichen Tag überwiesen worden und sie ginge von einer Klagerücknahme aus. Im Falle einer Hauptsacheerledigungserklärung durch den Kläger würde sie dieser unter Verwahrung gegen die Kosten zustimmen, wobei sie auf ihr ohne Reaktion gebliebenes Schreiben vom 30.10.2018 verwies. Der Kläger erklärte die Hauptsache in der Folge als erledigt. Das Landgericht erlegte der Beklagten gem. § 91a ZPO die Kosten mit Beschluss vom 10.01.2019 auf. Das Landgericht führte aus, dass § 93 ZPO (Regelung zur Kostentragung bei sofortigem Anerkenntnis) nicht anzuwenden sei, da der Sachvortrag des Klägers zu einem vorprozessualen Verzug von der Beklagten nicht wirksam bestritten worden sei. Dagegen wandte sich die Beklagte mit ihrer rechtzeitigen und nach Auffassung des OLG begründeten Beschwerde, auf Grund der das OLG den Beschluss des Landgerichts abänderte und die Kosten dem Kläger auferlegte.

Die Beklagte machte im wesentlichen geltend, das Sachreiben (die Mail) vom 24.09.2018 nicht bekommen zu haben. Lediglich aus dem weiteren Schreiben vom 30.10.2018 habe sie von der Existenz erfahren. Aug ihre entsprechende Mitteilung an den Klägervertreter vom 30.10.2018 sei keine Reaktion erfolgt. Eine Regulierung sei mangels einer Information über den Schadensumfang nicht möglich gewesen. Deshalb sei die Klage verfrüht erhoben worden. Zudem beginne die Prüfungs- und Reaktionsfrist erst mit Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens und betrage je nach den Umständen des Einzelfalls in der Regel vier bis sechs Wochen. Zum Zeitpunkt der Datierung der Klageschrift seien erst vier Wochen seit dem Anspruchsschreiben verstrichen gewesen.

Das OLG folgte der Ansicht der Beklagten, dass diese keine Veranlassung der Klage gegeben habe und unmittelbar nach Zustellung der Klage reguliert habe. Nach dem Grundsatz des § 93 ZPO seien daher die Kosten dem Kläger aufzuerlegen. Im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 91a ZPO würden die allgemeinen Kostengrundsätze der §§ 91ff ZPO, und damit auch § 93 ZPO gelten; nach § 93 ZPO seien die Kosten einer ohne Veranlassung erhobenen Klage dem Kläger aufzuerlegen, wenn der Beklagte unmittelbar nach Kenntnis einer spezifizierten Anspruchsbegründung (hier in der Klageschrift) zahle.

Zwar sei dem Kläger bei Abfassung der auf den 24.10.2018 datierenden Klageschrift das Schreiben vom 30.10.2018 noch nicht bekannt gewesen, aber bei Klageeinreichung am 05.11.2018 als auch bei Zahlung des Gerichtskostenvorschusses am 02.11.2018. Anlass zur Klageerhebung gebe nur derjenige, der durch sein Verhalten vernünftigerweise den Schluss auf die Notwendigkeit einer Klage zulasse (BGH, Beschluss vom 08.03.2015 - VIII ZB 3/04 -). Dabei sei hier zu berücksichtigen, dass einem Kraftfahrt-Pflichtversicherer, wie der Beklagten, eine Prüfungszeit zuzubilligen sei, die erst mit einem spezifizierten Anspruchsschreiben (welches die Angabe zum Haftungsgrund und zur Haftungshöhe enthalten muss) zu laufen beginne und vor deren Ablauf auch keinen Verzug eintreten lasse und auch keine Klage veranlasse (wenn nicht zuvor der Anspruch abgelehnt wird). Würde vor Ablauf der Prüfungsfrist Klage erhoben, könne der Versicherer noch ein Anerkenntnis unter Verwahrung gegen die Kostenlast abgeben (§ 93 ZPO) oder bei fristgerechter Regulierung und anschließender Klagerücknahme oder übereinstimmender Erledigungserklärung auf eine ihn günstige Kostenentscheidung vertrauen. Die Prüffrist betrage regelmäßig vier bis sechs Wochen, wobei es, auch wenn der Versicherer seine Prüfung möglichst beschleunigen müsse, keine starren Fristen gebe und maßgebend die Umstände des Einzelfalls seien. Auch danach sei hier nicht von einer Veranlassung zur Klageerhebung auszugehen. Für den Zugang des Anspruchsschreibens vom 24.09.2018 sei (anders als vom Landgericht angenommen) der Kläger darlegungs- und beweisbelastet, ohne einen Beweis für den Zugang zu erbringen. Zudem habe er nicht mehr auf das Schreiben der Beklagten vom 30.10.2018 reagiert. Es bedürfe daher hier keiner Entscheidung darüber, welche Prüffrist im Rahmen von vier bis sechs Wochen angemessen wäre, da ein spezifiziertes Anspruchsschreiben überhaupt nicht festzustellen sei. Es sei zu erwarten gewesen, dass die Beklagte bei einer Bezifferung des Schadens entsprechend ihrer Ankündigung reguliert hätte, wie sie es auch unmittelbar nach Zustellung der Klage getan habe.

Das Vorbringen der Beklagten im Beschwerdeverfahren sei auch nicht verspätet. Im Beschwerdeverfahren sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zulässig, da die Beschwerdeinstanz grundsätzlich eine volle zweite Tatsacheninstanz darstelle, für die die Einschränkungen des § 529 Abs. 1 ZPO für das Berufungsverfahren nicht gelten würden.

Anmerkung: Es ist mithin anzuraten, dem Kfz-Versicherer ausreichend Zeit für eine Prüfung zu belassen und sicherzustellen, dass die den Anspruch dem Grunde und der Höhe nach rechtfertigen Umstände auch dem Versicherer zugehen.

Saarländisches OLG, Beschluss vom 17.05.2019 - 4 W 4/19 -

Donnerstag, 15. August 2019

Steuerrecht: Bindungswirkung der vom unzuständigen Finanzamt erteilten verbindlichen Auskunft


Die Klägerin war Kommanditistin der Beigeladenen (einer GmbH & Co. KG). Nachdem die Beigeladene hatte nach Veräußerung eines Grundstücks eine Rücklage nach § 6b EStG gebildet. Da die Beigeladene über kein Ersatzwirtschaftsgut verfügte, plante die Klägerin im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft den Bau von Tiefgaragenplätzen und wollte zum Zwecke der Übertragung der Rücklage die Fristverlängerung auf sechs Jahre gem. § 6b Abs. 3 S. 3 EStG in Anspruch nehmen. Sie stellte deshalb im Juni 2008 bei dem für sie betreffend der einheitlichen und gesonderten Feststellung zuständige Finanzamt (FA) S. einen Antrag auf verbindliche Auskunft unter Darlegung der Umstände. Das FA S. erteilte unter Bezugnahme auf die Darstellung der Klägerin die gebührenpflichtige verbindliche Auskunft, dass die Rücklage, soweit sie auf die Klägerin entfällt, in deren Gesamthandsvermögen übertragen werden könne. Auch die vorgesehene buchhalterische Abwicklung entspräche den Richtlinien. Sofern die „formalen Voraussetzungen des § 6b Abs. 4 EStG eingehalten werden, werde die Übertragung anerkannt“. Die Beigeladene löste die Rücklage auf und buchte den auf die Klägerin entfallenden Betrag ertragsneutral unter Zuschreibung zum Gesellschafterdarlehen aus und führte die Rücklage in ihren Bilanzen fort.

Im Rahmen einer bei der Beigeladenen durchgeführten steuerlichen Außenprüfung wurde die steuerneutrale Übertragung der anteiligen Rücklage nicht anerkannt. Die Auskunft des örtlich unzuständigen FA S. entfalte keine Bindungswirkung, da die Umstellung des Wirtschaftsjahres bei der Beigeladenen nicht mitgeteilt worden sei und das zuständige FA, der Beklagte des Verfahrens, nicht beteiligt worden sei. Der Auflösungsbetrag sei daher steuerpflichtiger Gewinn der Klägerin. Der Beklagte daher seinen unter Nachprüfungsvorbehalt stehenden Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen den Gewinn der Beigeladenen hinsichtlich des Gewinnanteils der Klägerin, indem es die Rücklage nach § 6b EStG auch für die Klägerin zinswirksam auflöste. Der Einspruch der Klägerin wurde zurückgewiesen. Hiergegen erhob die Klägerin Klage.

Das Finanzgericht (FG) stellte zunächst die Zulässigkeit der Klage fest und machte sodann Ausführungen zu einer Rücklage nach § 6b EStG. Im Hinblick auf den Zeitraum sei zwar die Rücklage, wenn sie am Schluss des vierten bzw. sechsten Jahres nach ihrer Bildung noch vorhanden sei, grundsätzlich gewinnerhöhend aufzulösen. Hier hätten die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Reinvestitionsfrist von vier auf sechs Jahre (bei der Klägerin) vorgelegen. Einzig kontrovers sei, ob die Rücklage bei der Beigeladenen gewinnneutral hätte aufgelöst werden und auf die Klägerin als Mitunternehmerin übertragen werden dürfen, bevor die Herstellung des Reinvestitionsgutes abgeschlossen war  und ohne auf Seiten der Beigeladenen eine Ergänzungsbilanz für die Klägerin zu bilden. Dies ergäbe sich, unbeschadet der materiell-rechtlichen Richtigkeit (BFH, Urteil vom 22.11.2018 - VI R 50/16 -) aus der verbindlichen Auskunft des FA S.

§ 89 Abs. 2 S. 1 AO sehe vor, dass Finanzämter auf Antrag verbindliche Auskünfte über eine steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilen, wenn in Ansehung der steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse bestünde. Diese Auskünfte seien für die Besteuerung des Antragstellers verbindliche (§ 2 Abs. 1 S. 1 StAuskV) Verwaltungsakte, die nach § 133 BGB zu beurteilen seien. Sie würden mit Bekanntgabe wirksam, §§ 124 Abs. 1 S. 1 AO iVm. 122 AO) und eine Rechtswidrigkeit sei grundsätzlich ohne Bedeutung. Nur eine Nichtigkeit käme in Betracht (§§ 124 Abs. 3, 125 Abs. 1 AO), der einen besonders schwerwiegenden Fehler voraussetze und offenkundig sein müsse (BFH, Urteil vom 12.08.2015 - I R 45/14 -). Eine verbindliche Auskunft durch das FA S. in diesem Sinne sei zu bejahen.

Die Nichtangabe des Wirtschaftsjahres bei der Beigeladenen sei ohne Bedeutung, da lediglich die Verlängerung der Reinvestitionsfrist von vier auf sechs Jahre entscheidend gewesen sei, bei der hier datumsmäßig die Umstellung des Wirtschaftsjahres ohne Belang gewesen sei.

§ 2 Abs. 1 S. 1 StAuskV entfalte auch Bindungswirkung für die Klägerin in personeller Hinsicht. Es könne dahinstehen ob in Fällen eines mehrstufigen Feststellungsverfahrens der Antrag von der Beigeladenen als auch der Klägerin zu stellen gewesen sei (§§ 1 Abs. 3, 2 Abs. 3 StAuskV, § 178 Abs. 2 S. 2 AO), wobei das FG von einer alleinigen Antragsbefugnis der Klägerin in Ansehung einer mitunternehmerbezogenen Sichtweise des § 6b EStG ausgeht, da die formelle Rechtmäßigkeit nicht die Bindungswirkung bzw. Wirksamkeit ausschließen würde (BFH, Urteil vom 12.08.2015 - I R 45/14 -).

Selbst wenn (was nicht unzweifelhaft sei) das FA S. örtlich nicht zuständig gewesen sein sollte, würde dies die Bindungswirkung nicht betreffen. Die Bindungswirkung würde nur im Falle der Nichtigkeit entfallen. Soweit in § 2 Abs. 1 S. 1 StAuskV und dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 89 ausdrücklich ausgeführt wird, dass Auskünfte unzuständiger Behörden keine Bindungswirkung entfalten würden, würde es schon in Ansehung von Art 80 Abs. 1 GG an einer tragfähigen Ermächtigungsgrundlage ermangeln. Es handele sich um einen solch fundamentalen Eingriff in die gesetzliche Regelung betreffend der Wirksamkeit von Verwaltungsakten, dass diese entweder im Gesetz selbst (§ 89 Abs. 2 AO) oder deutlich in die Ermächtigungsgrundlage hätte aufgenommen werden müssen. Auch würde die Bindungswirkung nicht deshalb entfallen, da das FA S. und nicht die Beklagte die verbindliche Auskunft erteilt habe; auch bei Steuerbescheiden, die von einer unzuständigen Behörde erlassen worden seien, könne eine Durchbrechung ihrer Bestandskraft nur bei Vorliegen entsprechender Rechtsgrundlagen erfolgen. Maßgebend sei alleine, dass sich die Verwaltungsakte auf sämtliche Steuerfestsetzungen beziehen würden. Dem entspräche auch § 2 Abs. 1 S. 1 StAuskV, da dort von der Bindung „für die Besteuerung des Antragstellers gesprochen würde.

Auch sei die verbindliche Auskunft nicht wieder aufgehoben worden. Auch eine konkludente Aufhebung sei nicht erfolgt, da das Verhalten der Betriebsprüfung dahin gegangen sei, dass die Auskunft von vornherein keine Wirksamkeit entfalte.

FG Münster, Urteil vom 17.06.2019 - 4 K 3539/16 F -

Dienstag, 13. August 2019

Darlegungslast des Patienten im Arzthaftungsprozess bei vorliegenden negativen Schlichtungsgutachten


Die Erblasserin war bei der Beklagten wegen Beschwerden an der Lendenwirbelsäule  in stationärer Behandlung, in deren Verlauf sie auch am 27.01.2012 operiert wurde. Postoperativ klagte sie über Übelkeit und Bauchschmerzen. Sie verstarb am 02.02.2012. Im Autopsiebericht wird als Todesursache eine akute Koronarinsuffizienz u.a. nach vorausgegangenem Darmverschluss angegeben. Die Klägerin, die materielle und immaterielle Ansprüche aus eigenem und ererbten Recht geltend machte, führt den Tod der Erblasserin auf einen unerkannt und unbehandelt gebliebenen Darmverschluss zurück.

Vorgerichtlich wurde ein Schlichtungsverfahren vor der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der zuständigen Ärztekammer durchgeführt. In diesem Rahmen wurde ein neurochirugisches Gutachten erstellt, demzufolge ein Behandlungsfehler nicht festzustellen sei. Die nachfolgende Klage wurde von Land- und Oberlandesgericht zurückgewiesen. Die gegen die Entscheidung des OLG eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH führte zur Aufhebung des Urteils des OLG und Zurückverweisung.

Der BGH folgte nicht der Auffassung des OLG, ein möglicher Behandlungsfehler sei von der Klägerin nicht hinreichend substantiiert dargelegt worden. Dabei stützte sich das OLG auf das im Schlichtungsverfahren eingeholte Gutachten; da dagegen seitens der Klägerin keine substantiierten Einwendungen erhoben worden seien, sei es nicht erforderlich gewesen, ihrem Antrag auf Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens (auch unter Berücksichtigung der im Arzthaftpflichtprozess geltenden geringeren Anforderungen an die Darlegungslast des Patienten)  nachzugehen.

Der BGH sah in seiner Entscheidung die Substantiierungsanforderung des OLG als überspannt an. Vom Patienten (und damit auch des Erben) könne keine genaue Kenntnis medizinischer Vorgänge erwartet oder gefordert werden; ihm fehle die genaue Einsicht in das Behandlungsgeschehen sowie das Fachwissen zur Erfassung und Darlegung des Konfliktstoffs. Vom BGH wurde darauf verwiesen, dass sich der Patient zur Prozessführung nicht medizinisches Fachwissen aneignen müsse. Das aber bedeutet auch, dass er nicht verpflichtet ist, sich einen Rechtsanwalt zu suchen, der über dieses Wissen verfügt oder zur Prozessbegleitung einen Mediziner zu beauftragen. Deshalb, so der BGH, könne sich der Patient auf Vortrag beschränken, der alleine die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens des Behandlers aufgrund der Folgen für den Patienten gestatte (so bereits u.a. Urteile des BGH vom 19.02.2019 - VI ZR 505/17 - und vom 24.02.2015 - VI ZR 106/13 -). Diese eingeschränkte primäre Darlegungslast des Patienten ginge zur Gewährleistung einer Waffengleichheit der Parteien regelmäßig mit einer gesteigerten Verpflichtung des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung (§ 139 ZPO) bis hin zur Einholung eines Sachverständigengutachtens (§ 144 Abs. 1 S. 1 ZPO) von Amts wegen einher, soweit der Patient auf eine entsprechende Aufbereitung des Sachverhalts angewiesen sei (BGH, Urteil vom 19.02.2019 aaO.; BGH, Urteil vom 08.01.1991 - VI ZR 102/90 -).  

Vorliegend lag allerdings ein medizinisches Gutachten aus dem vorangegangenen Schlichtungsverfahren vor. Dieses könne, so der BGH, mittels des Urkundenbeweises auch vom Gericht gewürdigt werden (BGH, Beschluss vom 13.12.2016 - VI ZB 1/16 -). Das aber dürfe nicht zu einer Erhöhung der Darlegungslast des Patienten führen, da dieser für den Prozess ansonsten doch gezwungen wäre, sich medizinisches Fachwissen für einen schlüssigen Klagevortrag anzueignen. Auch sei ein Schlichtungsgutachten auf Beweisebene nicht geeignet, den prozessualen Sachverständigenbeweis zu ersetzen; eine Verwertung gem. § 411a ZPO sei mangels gerichtlicher oder staatsanwaltschaftlicher Veranlassung nicht möglich. Als Urkunde würde aber das Gutachten nur bezeugen, dass der Schlichtungsgutachter dieses erstattet hat, nicht aber die Richtigkeit des Inhalts. Ob die im Schlichtungsgutachten enthaltene Einschätzung inhaltlich richtig ist, unterliege der freien richterlichen Würdigung. Hier müsse der Tatrichter einen (vom Gericht beauftragten) Sachverständigen hinzuziehen, unabhängig davon, ob die Behauptung der Partei in dem urkundsbeweislich herangezogen Gutachten eine Stütze findet oder nicht. Der Urkundsbeweis dürfe nie dazu führen, dass den Parteien zustehende Recht, einen Sachverständigenbeweis zu führen, zu verkürzen (BGH, Urteil vom 06.06.2000 - VI ZR 98/99 -).

Diese Grundsätze seien vom OLG nicht beachtet worden, indem das OLG die Auffassung vertrat, der mit dem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachten versehene Vortrag der Klägerin zu einem angeblichen Behandlungsfehler der Beklagten sei nicht hinreichend substantiiert, was die die Klägerin in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) verletzt habe. Indem die Klägerin unter Bezugnahme auf die Autopsiebericht behauptete, die Erblasserin habe einen von der Beklagte schuldhaft verkannten postoperativen Darmverschluss, an dem sie verstorben sei, gehabt, hätte sie alle Voraussetzungen für den Schadensersatzanspruch vorgetragen. Nach den benannten Grundsätzen hätte es eines weitergehenden Vortrages nicht bedurft. Dass der Klägerin ungünstige Gutachten aus dem Schlichtungsverfahren habe die Substantiierungsanforderungen nicht erhöht, sondern lediglich dazu geführt, dass sich ein gerichtlich zu bestellender Sachverständiger und das Gericht selbst auf Beweisebene mit dem Schlichtungsgutachten auseinandersetzen müsse, § 286 ZPO.

BGH, Beschluss vom 12.03.2019 - VI ZR 278/18 -

Donnerstag, 8. August 2019

Schwarzgeldabrede – Gründe für die Annahme einer solchen und die rechtlichen Folgen beim Werkvertrag


Die Kläger machten einen Vorschussanspruch zur Mängelbeseitigung gem. §§ 63Nr. 2, 637 BGB geltend. Das Landgericht wies die Klage ab, da der Werkvertrag nach § 134 BGB iVm. § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG nichtig sei. Im Rahmen der Berufung wies das OLG die Kläger darauf hin, dass es gedenke, die Berufung wegen offensichtlicher Unbegründetheit zurückzuweisen, da eine Nichtigkeit vorläge du diese zum Ausschluss von Gewährleistungsrechten führe (BGH, Urteil vom 01.08.2013 – VII ZR 6/13 -).


§ 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG lautet

„Schwarzarbeit leistet, wer Dienst- oder Werkleistungen erbringt oder ausführen lässt und dabei
                ...
                2. als Steuerpflichtiger seine sich auf Grund der Dienst- oder Werkleistungen ergebenden steuerlichen Pflichten nicht erfüllt,
                ..."

und enthalte das Verbot, einen Werkvertrag abzuschließen, wenn die steuerpflichtige Vertragspartei ihre steuerlichen Pflichten nicht erfülle. Dieses Verbot würde („jedenfalls“) dann die Nichtigkeit des Werkvertrages begründen, wenn der steuerpflichtige Unternehmer vorsätzliche gegen die Pflicht verstößt, und der Besteller den Verstoß des Unternehmers kenne und bewusst für sich als Vorteil nutze. Ein solcher Fall sei vorliegend im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO durch das Landgericht angenommen, ohne dass ein Verstoß gegen Denk- und Naturgesetze sowie allgemeine Erfahrungssätze erkennbar wäre.   

Die Kläger hatten eine Barzahlung in Höhe von € 3.860,00 zu Beginn der Arbeiten erbracht. Es sei unglaubhaft, dass es sich um eine Vorschusszahlung gehandelt habe. Zwar sei rechtlich die Barzahlung zulässig, allerdings in dieser Größenordnung  und im Hinblick auf die Gefahr beim Transport eines solchen Betrages eher ungewöhnlich, wobei hinzu komme, dass der Betrag extra bei der Bank abgehoben worden sei und unverständlich sei, weshalb nicht bei diesem ohnehin erfolgten Bankbesuch gleich eine Überweisung getätigt wurde. Hinzu käme, dass zwar über den Betrag eine Quittung ausgestellt worden sei, aber ohne Angabe des betreff und ohne Ausweisung der Mehrwertsteuer. Allerdings würde die Unredlichkeit der Kläger spätestens in Ansehung auf ihre fehlende Reaktion auf die Abrechnung vom 09.06.2015 deutlich, da dort nicht (wie ansonsten üblich) der Vorschuss vermerkt und abgezogen worden sei und darüber hinaus auch die berechnete Umsatzsteuer nicht den Betrag erfasse, der nach Quittung in bar gezahlt worden sei, der Rechnungsbetrag aber nur unter Berücksichtigung der Barzahlung überhaupt plausibel sei. Da die Quittung die Mehrwertsteuer nicht auswies, sei es eindeutig, dass die Umsatzsteuer verkürzt werden sollte. Ein redlicher Besteller, so das OLG, hätte die Rechnung bemängelt und die Aufnahme der Vorauszahlung sowie eines Umsatzsteuerausweises verlangt.  

Es könne auf sich beruhen, ob der Beklagte zwischenzeitlich die Barzahlung ordentlich verbucht habe. Zur steuerlichen Pflicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG gehöre auch die Vorauszahlungspflicht zur Umsatzsteuer nach § 18 UStG, der hier der Beklagte nicht rechtzeitig nachgekommen gewesen sei wäre.

OLG Schleswig, Hinweisbeschluss vom 07.01.2019 - 7 U 103/18 -

Montag, 5. August 2019

Befangenheit: Private anwaltliche Vertretung des Richters durch einen der Prozessbevollmächtigten


Der Fall tritt nicht häufig, aber immer wieder ein. Auch ein Richter benötigt (insbesondere bei Verfahren vor dem Land- und Oberlandesgericht) anwaltlichen Beistand. Was aber passiert in einem solchen Fall, wenn dieser Richter nun in einem Verfahren zu entscheiden (oder mitzuentscheiden) hat, in dem „sein“ Anwalt eine der Verfahrensparteien vertritt ?

Vorliegend hat der Richter diese Umstände der Kammer des Landgerichts und den Prozessbeteiligten mitgeteilt, und zwar „gemäß § 48 ZPO“. Nach § 48 ZPO muss das Gericht,  auch wenn kein Befangenheitsantrag gestellt wurde, über eine eventuelle Befangenheit eines Richters entscheiden, wenn dieser eine Mitteilung über Umstände macht, die möglicherweise seine Befangenheit begründen können. Die Kammer hat die Mitteilung als Selbstablehnung nach § 48 ZPO gewertet und diese mit Beschluss vom 19.07.2018 zurückgewiesen. Dagegen legte die Klägerin sodann sofortige Beschwerde ein, der die Kammer nicht abhalf. Das OLG gab der Beschwerde statt und erklärte die Selbstablehnung des Richters als begründet.

Ohne dass das OLG darauf einging (oder eingehen musste) ist hier anzumerken, dass eine Selbstablehnung eines Richters nicht automatisch zum Ausschluss des Richters wegen Befangenheit führt. Es findet hier wie bei einem Befangenheitsantrag einer Partei die übliche Prüfung statt, ob, gem. § 42 Abs. 2 ZPO ein Grund vorliegt, Mistrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen, unabhängig davon, ob sich der Richter subjektiv selbst für befangen hält. Hintergrund ist, dass ein Richter nicht mit der Begründung einer nicht vorliegenden Befangenheit ein Verfahren „abgeben“ kann, was dann gegen das Erfordernis des gesetzlichen Richters spräche.

Deshalb war vorliegend vom OLG zu prüfen, ob die Vertretung des Richters durch einen der anwaltlichen Prozessbevollmächtigten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Das OLG verwies darauf, dass derartige Zweifel in der Rechtsprechung z.B. dann angenommen würden, wenn der Ehegatte des Richters in einer Kanzlei als Rechtsanwalt tätig ist, die eine Partei vor diesem Richter vertritt (BGH, Beschluss vom 15.03.2012 - V ZB 102/11 -). Es würden Umstände genügen, die geeignet seien, der Partei Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben, da es hier darum ginge, den „bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden“ (BGH aaO. mit Verweis auf BVerfGE 186, 122, 126).  Das OLG führt aus, dass zwar davon auszugehen sei, dass Richter über die notwendige innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen würden, gleichwohl unvoreingenommen und  objektiv zu entscheiden, doch könne dem Prozessgegner nicht ein Vertrauen darauf zugemutet werden und erst bei einer (festgestellten) unzulässigen Einflussnahme den Richter abzulehnen (BGH aaO.).  Nichts anders könne nach Auffassung des OLG dann gelten, wenn sich der Richter - wie hier - privat von einem der Verfahrensbevollmächtigten vertreten lassen würde, da durch die Beauftragung dieses Anwalts durch den Richter ein notwendiges Vertrauen zu diesem und seinen Fähigkeiten bekundet würde (zumal, wenn es sich wie hier um ein spezielles Fachgebiet [Bausachen, §§ 72a Abs. 1 Nr. 2, 119a Abs. 1 Nr. 2 ZPO] in beiden Verfahren handele). Vom Standpunkt einer ruhig und vernünftig denkenden Partei ließe sich damit nicht ausschließen, dass der Richter „seinem“ Anwalt nicht unvoreingenommen und unbefangen gegenübertreten würde (wobei vorliegend noch hinzukommen würde, dass dieser Anwalt vom Richter erst im Berufungsrechtszug mandatiert worden sei, was auf besonderes Vertrauen auf seine Fähigkeit rückschließen ließe).

OLG Köln, Beschluss vom 12.12.2018 - 17 W 134/18 -

Sonntag, 4. August 2019

Zurückbehaltungsrecht des Mieters und Behauptung der Mängelbeseitigung durch Vermieter


Die Beklagten (Mieter) hatten in den Monaten ab April 2015 bis Oktober 2015 die Miete um 40% gemindert und weiterhin von April bis August 2017 ein Zurückbehaltungsrecht in Höhe von 60% wegen von ihnen behaupteter Mängel geltend gemacht; ab Oktober 2015 beschränkten sich die Beklagten auf eine Minderung von 20%. Von der Klägerin (Vermieterin) wurde daraufhin das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs unter Verweis auf die benannten Monate das Mietverhältnis fristlos gekündigt. Im Rahmen des Räumungsprozesses sprach die Vermieterin am 01.07.2017 eine weitere fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs im Berufungsverfahren aus; mit bereits erstinstanzlichen Schriftsatz vom 16.03.2017 hatte sie geltend gemacht, sie habe den von den Beklagten gerügten, allerdings auf deren Wohnverhalten zurückzuführenden Schimmelbefall im Juni 2016 beseitigen lassen. Das Amtsgericht hatte unter Abweisung der Räumungsklage der Zahlungsklage teilweise stattgegeben; auf die Berufung der Klägerin wurde dem Zahlungs- und Räumungsantrag umfassend stattgegeben. Mit ihrer zugelassenen Revision begehren die Beklagten die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Revision führte zur Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung und Rückverweisung.

Der BGH folgt dem Landgericht, dass ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB vorliegt, wenn der Mieter über einen Zeitraum von mehr als zwei Terminen mit der Entrichtung des Mietzinses in Höhe eines Betrages in Verzug sei, der zwei Monatsmieten entspräche.

Für den relevanten Kündigungszeitpunkt 01.07.2017 ergäbe sich daraus und aus dem Umstand, dass die Beklagten ihre Anschlussberufung gegen die amtsgerichtliche Entscheidung zurückgenommen hätten, nicht, dass sie sich mit der Zahlung eines kündigungsrelevanten Betrages in Verzug befunden hätten.  Die durch die Rücknahme der Anschlussberufung erfolgte Rechtskraftwirkung erstrecke sich hier nicht gem. § 322 ZPO auf die Frage eines kündigungsrelevanten Verzugs. Dann, wenn es Gericht in einem Vorprozess bereits über einen Streitgegenstand rechtskräftig entschieden habe und dies Vorfrage für einen aktuellen Prozess sei, trete die Bindungswirkung ein, die sich aber ausschließlich auf die im Vorprozess ausgesprochene Rechtsfolge beziehe. Diese Präjudizialität nahm der BGH aber für das rechtskräftige Zahlungsurteil des Amtsgerichts (durch Rücknahme der Berufung der Beklagten bewirkt) nicht an. Die Rechtskraft des Zahlungsurteils würde das Gericht nicht davon entbinden, im Rahme des Streitgegenstandes Kündigung das Vorliegen eines kündigungsrelevanten Zahlungsverzugs am 01.07.2017 zu prüfen. Diese Vorfrage sei durch die Rechtskraft des Zahlungsurteils noch nicht bindend festgestellt. Festgestellt wurde lediglich, dass ein bestimmter Betrag an Mieten offen sei, der der Klägerin zugesprochen worden sei. Hieraus ließe sich für die mit entscheidende Vorfrage für den Räumungsprozess nicht schließen, dass zu den jeweiligen Kündigungszeitpunkten eine fristlose Kündigung gem. § 543 Abs. 2 Nr. 3 b) BGB gerechtfertigt sei.

Ob ein verzugsausschließendes Leistungsverweigerungsrecht des Mieters nach § 320 Abs. 1 S. 1 BGB bestünde liegt nach Darlegung des BGH im Beurteilungsermessen aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung von Trau und Glauben durch den Tatrichter. Insoweit bestünde nur eine eingeschränkte Prüfungsmöglichkeit durch den BGH im Rahmen der Revision, der allerdings das Urteil des Landgerichts nicht standhalten würde.  

Die Würdigung des Landgerichts zum Zurückbehaltungsrecht sei verfehlt. Die Angabe der Klägerin über eine Mängelbeseitigung im Juni 2016 ließe nach Auffassung des Landgerichts nicht erwarten, dass die Klägerin weitere Mängelbeseitigungsmaßnahmen vornehmen würde, weshalb der Zweck des Zurückbehaltungsrechts nicht erfüllt sei. Zwar diene das Zurückbehaltungsrecht dazu, Druck zur Mängelbeseitigung auf den Vermieter auszuüben, was dann nicht möglich sei, wenn der Zweck verfehlt würde oder nicht mehr erreicht werden könne. Es ende bei Beseitigung des Mangels und bei Beendigung des Mietverhältnisses sowie dann, wenn der Mieter seine Mitwirkung (so Zutrittsgewährung zur Wohnung) verweigere. Ein solcher Fall läge aber hier nicht vor. Alleine die klägerische Behauptung zur Mängelbeseitigung würde das Recht nicht ausschließen können; andernfalls könnte der Vermieter dieses Recht alleine dadurch hindern, dass er den Mangel bestreitet oder Beseitigung behaupte. Auch würde die Behauptung der Mängelbeseitigung im Prozess nicht bedeuten, dass der Vermieter, sollte der Bestand des Mangels festgestellt werden, nicht doch noch den Mangel beseitigt. Entscheidend sei daher, ob die Behauptung der Mängelbeseitigung zutreffe oder sonstige Gründe den Schluss zulassen würden, dass das Zurückbehaltungsrecht dazu dient, Druck auf den Vermieter auszuüben. Feststellungen dazu, ob der Mangel tatsächlich beseitigt wurde, habe das Landgericht nicht getroffen. Sonstige Umstände, die gegen die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts sprechen könnten, lägen nicht vor. Sie lägen weder in Bezug auf die Höhe des in 2015 zurückbehaltenen Betrages (€ 2.301,00) noch im Hinblick auf den seitherigen Zeitablauf vor. Zwar unterliege das Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 Abs. 1 S. 1 BGB in Ansehung des Umstandes, dass das Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung durch Minderung wiederhergestellt sei, einer zeitlichen und  betragsmäßigen Begrenzung, wobei der zurückbehaltene Betrag in einer angemessenen Relation zur Bedeutung des Mangels stehen müsse.

Bei hier zugunsten der Beklagten im Revisionsverfahren (mangels nachzuholender Feststellungen nach der Rückverweisung) anzunehmender zumindest auch bauseitiger Ursachen von Schimmelbefall in Küche und Schlafzimmer sei der Betrag noch als angemessen anzusehen. Die Zeitdauer (bis zur Kündigung am 01.07.2017) könne auch nicht die Annahme rechtfertigen, das Leistungsverweigerungsrecht habe seinen Zweck verfehlt. De Mieter könne zwar von dem Leistungsverweigerungsrecht nicht unbegrenzt Gebrauch machen sondern ist nach einem gewissen Zeitraum verpflichtet, seine sonstigen Rechte (BGH, Urteil vom 17.06.2015 - VII ZR 19/14 -) neben der Minderung) geltend zu machen. Vorliegend sei aber zu berücksichtigen, dass die Klägerin noch während der Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts im August 20915 bei Bestreiten des Mangels Klage auf Zahlung und wegen Kündigung wegen Zahlungsverzugs Räumungsklage erhoben.  Das Amtsgericht habe ein Gutachten eines Bausachverständigen eingeholt und die Klägerin habe sich dann auf eine Mängelbeseitigung berufen, wobei sie Fehler des Gutachtens rügte. Aus diesem Bestreiten der Klägerin ließe sich angesichts des laufenden Prozesses gerade nicht folgern, das Zurückbehaltungsrecht verfehle jetzt seinen Zweck. Auch von der Klägerin wurde selbst im Berufungsverfahren ausgeführt, das Leistungsverweigerungsrecht verfehle deshalb hier seien Zweck, da der Mangel, soweit er vorhanden gewesen sei, beseitigt worden sei.

BGH, Urteil vom 10.04.2019 - VIII ZR 39/18 -