Die Erblasserin war bei der Beklagten
wegen Beschwerden an der Lendenwirbelsäule in stationärer Behandlung, in deren Verlauf
sie auch am 27.01.2012 operiert wurde. Postoperativ klagte sie über Übelkeit
und Bauchschmerzen. Sie verstarb am 02.02.2012. Im Autopsiebericht wird als
Todesursache eine akute Koronarinsuffizienz u.a. nach vorausgegangenem
Darmverschluss angegeben. Die Klägerin, die materielle und immaterielle
Ansprüche aus eigenem und ererbten Recht geltend machte, führt den Tod der
Erblasserin auf einen unerkannt und unbehandelt gebliebenen Darmverschluss
zurück.
Vorgerichtlich wurde ein
Schlichtungsverfahren vor der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der
zuständigen Ärztekammer durchgeführt. In diesem Rahmen wurde ein
neurochirugisches Gutachten erstellt, demzufolge ein Behandlungsfehler nicht
festzustellen sei. Die nachfolgende Klage wurde von Land- und Oberlandesgericht
zurückgewiesen. Die gegen die Entscheidung des OLG eingelegte
Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH führte zur Aufhebung des Urteils des OLG und
Zurückverweisung.
Der BGH folgte nicht der
Auffassung des OLG, ein möglicher Behandlungsfehler sei von der Klägerin nicht
hinreichend substantiiert dargelegt worden. Dabei stützte sich das OLG auf das
im Schlichtungsverfahren eingeholte Gutachten; da dagegen seitens der Klägerin
keine substantiierten Einwendungen erhoben worden seien, sei es nicht
erforderlich gewesen, ihrem Antrag auf Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens
(auch unter Berücksichtigung der im Arzthaftpflichtprozess geltenden geringeren
Anforderungen an die Darlegungslast des Patienten) nachzugehen.
Der BGH sah in seiner
Entscheidung die Substantiierungsanforderung des OLG als überspannt an. Vom
Patienten (und damit auch des Erben) könne keine genaue Kenntnis medizinischer
Vorgänge erwartet oder gefordert werden; ihm fehle die genaue Einsicht in das
Behandlungsgeschehen sowie das Fachwissen zur Erfassung und Darlegung des Konfliktstoffs.
Vom BGH wurde darauf verwiesen, dass sich der Patient zur Prozessführung nicht
medizinisches Fachwissen aneignen müsse. Das aber bedeutet auch, dass er nicht
verpflichtet ist, sich einen Rechtsanwalt zu suchen, der über dieses Wissen
verfügt oder zur Prozessbegleitung einen Mediziner zu beauftragen. Deshalb, so
der BGH, könne sich der Patient auf Vortrag beschränken, der alleine die
Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens des Behandlers aufgrund der Folgen für
den Patienten gestatte (so bereits u.a. Urteile des BGH vom 19.02.2019 - VI ZR
505/17 - und vom 24.02.2015 - VI ZR 106/13 -). Diese eingeschränkte primäre Darlegungslast
des Patienten ginge zur Gewährleistung einer Waffengleichheit der Parteien
regelmäßig mit einer gesteigerten Verpflichtung des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung
(§ 139 ZPO) bis hin zur Einholung eines Sachverständigengutachtens (§ 144 Abs.
1 S. 1 ZPO) von Amts wegen einher, soweit der Patient auf eine entsprechende
Aufbereitung des Sachverhalts angewiesen sei (BGH, Urteil vom 19.02.2019 aaO.;
BGH, Urteil vom 08.01.1991 - VI ZR 102/90 -).
Vorliegend lag allerdings ein
medizinisches Gutachten aus dem vorangegangenen Schlichtungsverfahren vor. Dieses
könne, so der BGH, mittels des Urkundenbeweises auch vom Gericht gewürdigt
werden (BGH, Beschluss vom 13.12.2016 - VI ZB 1/16 -). Das aber dürfe nicht zu
einer Erhöhung der Darlegungslast des Patienten führen, da dieser für den
Prozess ansonsten doch gezwungen wäre, sich medizinisches Fachwissen für einen
schlüssigen Klagevortrag anzueignen. Auch sei ein Schlichtungsgutachten auf
Beweisebene nicht geeignet, den prozessualen Sachverständigenbeweis zu ersetzen;
eine Verwertung gem. § 411a ZPO sei mangels gerichtlicher oder
staatsanwaltschaftlicher Veranlassung nicht möglich. Als Urkunde würde aber das
Gutachten nur bezeugen, dass der Schlichtungsgutachter dieses erstattet hat, nicht
aber die Richtigkeit des Inhalts. Ob die im Schlichtungsgutachten enthaltene
Einschätzung inhaltlich richtig ist, unterliege der freien richterlichen
Würdigung. Hier müsse der Tatrichter einen (vom Gericht beauftragten) Sachverständigen
hinzuziehen, unabhängig davon, ob die Behauptung der Partei in dem
urkundsbeweislich herangezogen Gutachten eine Stütze findet oder nicht. Der
Urkundsbeweis dürfe nie dazu führen, dass den Parteien zustehende Recht, einen
Sachverständigenbeweis zu führen, zu verkürzen (BGH, Urteil vom 06.06.2000 - VI
ZR 98/99 -).
Diese Grundsätze seien vom OLG
nicht beachtet worden, indem das OLG die Auffassung vertrat, der mit dem Antrag
auf Einholung eines Sachverständigengutachten versehene Vortrag der Klägerin zu
einem angeblichen Behandlungsfehler der Beklagten sei nicht hinreichend substantiiert,
was die die Klägerin in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art.
103 GG) verletzt habe. Indem die Klägerin unter Bezugnahme auf die
Autopsiebericht behauptete, die Erblasserin habe einen von der Beklagte
schuldhaft verkannten postoperativen Darmverschluss, an dem sie verstorben sei,
gehabt, hätte sie alle Voraussetzungen für den Schadensersatzanspruch
vorgetragen. Nach den benannten Grundsätzen hätte es eines weitergehenden Vortrages
nicht bedurft. Dass der Klägerin ungünstige Gutachten aus dem
Schlichtungsverfahren habe die Substantiierungsanforderungen nicht erhöht,
sondern lediglich dazu geführt, dass sich ein gerichtlich zu bestellender
Sachverständiger und das Gericht selbst auf Beweisebene mit dem Schlichtungsgutachten
auseinandersetzen müsse, § 286 ZPO.
BGH, Beschluss vom 12.03.2019 - VI ZR 278/18 -