Montag, 30. September 2024

Verzögerung und Substantiierungsanforderung im selbständigen Beweisverfahren

Im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens erließ das zuständige Landgericht (LG) am 22.01.2024 einen Beschluss, mit dessen Ziffer 1 sie den Antrag der Antragstellerin (AS), in Ansehung ihrer Einwendungen gegen dessen Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen einen Ortstermin anzuordnen, zurückwies; es hatte statt dessen die Anhörung des Sachverständigen gem. §§ 492 Abs. 1 iVm. 411 Abs. 3 ZPO angeordnet. Die dagegen von der AS eingelegte sofortige Beschwerde sah das das Beschwerdegericht (OLG) als unstatthaft und damit unzulässig an. Es habe sich um eine verfahrensleitende Entscheidung und damit Zwischenentscheidung des LG nach §§ 492 Abs. 1m 411 Abs. 3 ZPO gehandelt, welche grundsätzlich nicht isoliert anfechtbar sei. Nur wenn diese Zwischenentscheidung bleibend einen rechtlichen Nachteil der Partei zur Folge habe, der sich im weiteren Verfahren nicht oder nicht mehr vollständig beheben lassen würde, sei die Beschwerde zulässig. Dafür sei hier nichts ersichtlich. Zudem sei der Antrag auf Anberaumung eines Ortstermins anstelle der Anhörung des Sachverständigen auch in der Sache nicht begründet, da es im Ermessen des Tatrichters läge, in welcher geeigneten Weise er seiner Pflicht zur Sachaufklärung nachkommen würde § 411 Abs. 3 ZPO; BGH, Urteil vom 16.04.2013 - VI ZR 44/12 -). Das Landgericht habe überzeugend seine Ermessungserwägungen dargelegt, ohne dass Ermessensfehler erkennbar wären.

Statthaft sei die sofortige Beschwerde zu Ziffer 2 des Beschlusses, mit der das LG den Sachverständigen angewiesen hatte, Fenster (die Gegenstand des ursprünglichen Antrages waren) nunmehr doch nicht zu begutachten. Der Sache nach habe es sich hier um eine Entscheidung über die nicht vollständige Ausführung des ursprünglichen Beweisbeschlusses gehandelt, gegen den die sofortige Beschwerde nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 490 Abs. 1 ZPO statthaft sei. Hintergrund war, dass zunächst der Zugang zu der streitbefangenen Wohnung nicht zugänglich war, was in die Risikosphäre der AS falle. Auch könne ein Beweismittel nur benutzt werden, wann nach der freien Überzeugung des Gerichts das Verfahren nicht verzögere, wobei der Verzögerungsbegriff des § 296 ZPO gelte. Damit sei zu bedenken, ob durch zumutbare prozessleitende Maßnahmen eine Verzögerung noch aufgefangen werden könne. Alleine die abstrakte Überlegung des LG, die Beweisaufnahme sie bereits weit fortgeschritten, sei nicht ausreichend, von einer entsprechenden Beweisaufnahme abzusehen. Der Termin zur mündlichen Anhörung des Sachverständigen sei erst im April 2024, weshalb es geboten gewesen wäre darauf hinzuwirken, dass noch vor diesem Termin einen Ortstermin zum Fenster abhalten könne.

Ferner hatte es das LG unter Ziffer 3 des Beschlusses abgelehnt, eine sachverständige Begutachtung weiterer Wohnungen der AS durchzuführen. Dabei würde es sich um eine teilweise Zurückweisung des Antrages auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens handeln, weshalb eine sofortige Beschwerde dagegen statthaft sei. Gleichwohl habe das LG zu Recht den Antrag der AS als unzulässig behandelt. Ein selbständiges Beweisverfahren sei nach § 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO u.a. im Hinblick auf den Zustand einer Sache möglich. Allerdings dürften nicht pauschal Mängel an einem Bauteil eines Gebäudes behauptet werden. Auch nach der sogen. Symptomtheorie genüge es nicht, ohne jegliche Qualifizierung von Mängeln der Sache zu sprechen. Ein Ausforschungsbeweis im Sinne einer erstmaligen Bestandsaufnahme sei im selbständigen Beweisverfahren nicht zu erheben. Den, wenn auch minimalen Anforderungen an die Substantiierung im selbständigen Beweisverfahren nach § 487 Nr. 2 ZPO würde dann nicht genügt, wenn der Antragsteller in lediglich formelhafter und pauschaler Weise Tatsachenbehauptungen aufstelle, ohne diese zu dem zu Grunde liegenden Sachverhalt in Beziehung zu setzen (BGH, Beschluss vom 10.11.2015 - VI ZB 11/15 -). Auch in der Beschwerdeschrift habe die AS lediglich die Individualisierung der Wohnungen vorgenommen, aber keine näheren Angaben zu den angeblichen Mängeln der Fenster in der Wohnung gemacht.

Hansetisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 15.02.2024 - 4 W 15/24 -


Aus den Gründen:

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird Ziffer 2 des Beschlusses vom 22.01.2024 aufgehoben. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 22.01.2024, Az. 335 OH 13/22, zurückgewiesen.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Gründe

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist hinsichtlich der Ziffer 1 des angefochtenen Beschlusses unzulässig (dazu 1.), im Übrigen ist die zulässige Beschwerde in der Sache hinsichtlich der Ziffer 2 des Beschlusses begründet (dazu 2), hinsichtlich der Ziffer 3 hingegen nicht begründet (dazu 3.).

1. Soweit die Antragstellerin sich gegen die in Ziffer 1 des Beschlusses vom 22.01.2024 getroffene Entscheidung des Landgerichts wendet, den Einwendungen der Antragstellerin gegen das schriftliche Gutachten des Sachverständigen K vom 23.11.2023 durch Anordnung der mündlichen Anhörung des Sachverständigen nachzugehen, ist das Rechtsmittel der Antragstellerin bereits unstatthaft und damit unzulässig. Bei der verfahrensleitenden Entscheidung des Landgerichts nach §§ 492 Abs.1, 411 Abs.3 ZPO handelt es sich um eine Zwischenentscheidung, die nicht isoliert anfechtbar ist. Zwar kann auch bei derartigen das Verfahren betreffenden Zwischenentscheidungen das Gebot effektiven Rechtsschutzes dazu zwingen, eine isolierte Anfechtung zu ermöglichen, wenn die Zwischenentscheidung für eine Partei einen bleibenden rechtlichen Nachteil zur Folge hat, der sich im weiteren Verfahren nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr vollständig beheben lässt (BGH, Beschluss vom 18.12.2008, Az.: I ZB 118/07, NJW-RR 2009, 995, für Anordnungen des Prozessgerichts nach § 404a Abs.4 ZPO). Derartige Nachteile stehen hier indessen nicht in Rede. Insbesondere erfüllen die Erschwernisse für die Mieter der betroffenen Wohnung nicht die Anforderungen an einen nicht behebbaren Nachteil im Sinne der vorstehenden Rechtsprechung. Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass das Rechtsmittel der Antragstellerin im Hinblick auf die unterlassene Anberaumung eines Ortstermins auch in der Sache nicht begründet wäre. Dem Tatrichter steht im Rahmen des § 411 Abs.3 ZPO ein Ermessen zu, in welcher geeigneten Weise er seiner Pflicht zur Sachaufklärung nachkommt (BGH, Urteil vom 16.04.2013, Az. VI ZR 44/12, NJW 2014, 71). Das Landgericht hat ausführlich, auf den konkreten Fall bezogen und inhaltlich überzeugend dargelegt, welche Ermessenserwägungen Anlass zur Anberaumung eines Termins zur mündlichen Anhörung nach §§ 492 Abs.1, 411 Abs.3 Satz 1 ZPO durch das Gericht gegeben haben. Ermessensfehler irgendwelcher Art sind insoweit nicht zu erkennen.

2. Soweit sich die Antragstellerin gegen die Entscheidung des Landgerichts wendet, den Sachverständigen K nicht anzuweisen, die Fenster in der Wohnung in der G-Straße [...], die Gegenstand des ursprünglichen Antrags zu 2) gewesen sind, nunmehr doch zu begutachten, handelt es sich der Sache nach um eine Entscheidung über die nicht vollständige Ausführung des ursprünglichen Beweisbeschlusses, gegen welche eine sofortige Beschwerde nach §§ 567 Abs.1 Nr.2, 490 Abs.1 ZPO statthaft ist (Kratz, in: Vorwerk/Wolf, 51. Ed., 2023, § 490 ZPO, Rn. 6).

Die vor diesem Hintergrund zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat auch in der Sache Erfolg. Das Landgericht ist allerdings im Ansatz völlig zu Recht hinsichtlich des zunächst nicht möglichen Zugangs zu der Wohnung G-Straße [...], nach § 356 ZPO vorgegangen, da es sich bei dem nicht möglichen Zugang um ein der Beweisaufnahme entgegenstehenden Umstand handelt, der in die Risikosphäre der Antragstellerin fällt. Zu Recht ist das Landgericht auch davon ausgegangen, dass das Beweismittel nur benutzt werden kann, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts das Verfahren nicht verzögert wird, wobei das Gericht über die Verzögerung nach freier Überzeugung zu entscheiden hat und der Verzögerungsbegriff des § 296 ZPO gilt. Es ist dann aber wie in allen Fällen des § 296 ZPO auch zu bedenken, ob die Verzögerung noch durch zumutbare prozessleitende Maßnahmen aufgefangen werden kann (vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, 20. Aufl., 2023, § 356 ZPO, Rn. 8). Das Landgericht durfte es daher nicht bei der abstrakten Überlegung (Seite 8 oben des Beschlusses vom 22.01.2024) belassen, dass die Beweisaufnahme hinsichtlich der Wohnung in der S-Straße bereits weit fortgeschritten war. Vielmehr wäre es hier im Hinblick auf den noch ausstehenden Termin zur mündlichen Anhörung im April 2024 geboten gewesen, dass das Landgericht darauf hinwirkt, dass noch vor diesem Termin zur mündlichen Anhörung ein Ortstermin in der Wohnung in der S-Straße vom Sachverständigen abgehalten wird. Auch wenn in der Vergangenheit die Terminabstimmung schwierig gewesen ist und sowohl das Landgericht als auch der Sachverständige K sich vorbildlich um die Durchführung des Verfahrens bemüht haben, wäre im Sinne der Gewährung effektiven Rechtsschutzes die zusätzliche Mühe erforderlich gewesen. Das Landgericht wird einen entsprechenden Versuch der Begutachtung der Wohnung in der G-Straße noch unternehmen müssen.

3. Soweit sich die Antragstellerin gegen die Ablehnung der sachverständigen Begutachtung weiterer Wohnungen der Antragstellerin durch den Sachverständigen K wendet, handelt es sich um eine teilweise Zurückweisung des Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens, so dass eine sofortige Beschwerde nach §§ 567 Abs.1 Nr.2, 490 Abs.1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig ist. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist indessen in der Sache nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht den entsprechenden Antrag der Antragstellerin aus dem Schriftsatz vom 27.11.2023 als unzulässig behandelt.

Die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens ist nach § 485 Abs.2 Satz 1 Nr.1 ZPO u.a. möglich im Hinblick auf den Zustand einer Sache. Zum Zustand einer Sache gehört u.a. das Vorhandensein von Sachmängeln. Allerdings darf der Antragsteller es nicht dabei belassen, lediglich pauschal das Vorhandensein von Mängeln an einem Bauteil des Gebäudes zu behaupten. Auch unter Beachtung der insoweit zugunsten des Bestellers unter dem Schlagwort der „Symptomtheorie“ eingreifenden Erleichterungen genügt es nicht, wenn der Antragsteller ohne jede weitere Qualifizierung von Mängeln der Sache spricht. Ein Ausforschungsbeweis im Sinne der erstmaligen Bestandsaufnahme ist im selbständigen Beweisverfahren nämlich nicht zu erheben (Schreiber, in: Münchener Kommentar, 6. Aufl., 2020, § 485 ZPO, Rn. 18). Das geforderte minimale Maß an Substantiierung hinsichtlich der gem. § 487 Nr. 2 ZPO zu bezeichnenden Beweistatsachen ist jedenfalls dann nicht erreicht, wenn der Antragsteller in lediglich formelhafter und pauschaler Weise Tatsachenbehauptungen aufstellt, ohne diese zu dem zu Grunde liegenden Sachverhalt in Beziehung zu setzen (BGH, Beschluss vom 10.11.2015, Az. VI ZB 11/15, NJW-RR 2016, 63). Nach diesen Maßstäben ist der Vortrag der Antragstellerin für die weiteren Wohnungen in den Straßen E, S-Straße und H-Straße nicht ausreichend. Auch in der Beschwerdeschrift hat die Antragstellerin lediglich die Individualisierung und Zuordnung der Wohnungen in der H-Straße nachgeholt, aber keinerlei nähere Angaben zu den angeblichen Mängeln der Fenster der Wohnungen gemacht.

4. Die Entscheidung über die Gerichtskosten ergeht nach Ziffer 1812 der Anlage 1 GKG. Ist - wie hier - die Beschwerde nach §§ 567 Abs.1 Nr.2, 490 Abs.1 ZPO teilweise erfolgreich, bedarf es auch im Übrigen keiner Kostenentscheidung und keiner Streitwertfestsetzung, denn die Kosten des erfolgreichen Beschwerdeverfahrens sind Kosten der Hauptsache und werden von deren Kostenentscheidung erfasst (OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2017, 138271, zitiert nach Kratz, a.a.O., Rn. 6)


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