Freitag, 19. August 2022

Beweiswirkung der schriftlichen Einlassung am Unfallort

Im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall musste sich das OLG mit dem widersprüchlichen Vortrag der Parteien auseinandersetzen. In diesem Fall lag ein am Unfalltag gefertigter und von dem beklagten Fahrer, dessen Mitfahrerin und einem Zeugen des Unfalls (dem Fahrer des gegnerischen Lkw) gefertigter Unfallbericht vor, in dem ausgeführt wurde, dass an dem klägerischen Lkw der linke Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt war, als der beklagte Fahrer diesen überholte.  Das OLG wies darauf hin, dass im Rahmen der Beweiswürdigung dies Unfallprotokoll zu berücksichtigen sei.

Die schriftliche Einlassung würde sich nicht rechtsgeschäftliches Anerkenntnis darstellen. Rücke der Anerkennende später von seiner schriftlichen Erklärung ab, käme dann der schriftlichen Erklärung keine besondere Bedeutung zu, wenn auch das übrige Beweisergebnis gegen seine Schuld spreche. Sei dies aber nicht der Fall, müsste er plausibel erklären, weshalb er sich zu dem objektiv falschen Anerkenntnis habe bewegen lassen. Je konkreter die schriftliche Erklärung sei, umso schwerer würde es ihm fallen. Ferner sei im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen, ob das Anerkenntnis zu einer Beeinträchtigung der Beweismöglichkeiten des Gegners geführt habe, da dieser evtl. wegen der schriftlichen Erklärung auf die Hinzuziehung der Polizei verzichtet habe. 

Der BGH hatte bereits in seinem Urteil vom 10.01.1984 - VI ZR 64/82 -, auf welches sich das OLG bezog, ausgeführt, dass die Alleinschulderklärung grundsätzlich mangels rechtsgeschäftlichen Charakters kein deklaratorisches Schuldanerkenntnis sei. Anderes könne nur angenommen werden, wenn der erklärte Wille der Beteiligten die mit einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis verbundenen Rechtsfolgen tragen. Das setze voraus, dass die gewollte Rechtsfolge der Interessenslage der Beteiligten, dem mit der Erklärung erkennbar verfolgten Zweck und der allgemeinen Verkehrsauffassung über die Bedeutung eines solchen Anerkenntnisses entspricht. Eine generelle Vermutung für einen bestätigenden Schuldanerkenntnisvertrag gäbe es nicht und die Vermutung für einen solchen Vertrag fordere, dass die Beteiligten und den konkreten Umständen einen besonderen Anlass für diesen Anschluss hatten, wie z.B. Streit oder (subjektive) Ungewissheit über das Bestehen der Schuld. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Versicherungsnehmer im Verhältnis zu seinem Versicherer nach den zugrundeliegenden AKB grundsätzlich nicht berechtigt sei, einen Anspruch ganz oder zum Teil anzuerkennen. Im Hinblick darauf seien besondere Anforderungen notwendig, die eine solche Wertung zuließen, z.B. dass der Erklärung ein Gespräch über Haftpflichtansprüche vorausging. Das Absehen von einer polizeilichen Unfallaufnahme sei nicht ausreichend. Aber auch wenn danach das Schuldanerkenntnis nicht als deklaratorisches Schuldanerkenntnis mit den entsprechenden Rechtsfolgen gewertet werden könne, käme dem Schuldanerkenntnis Bedeutung im Schadensersatzprozess zu, was Äquivalent dafür sei, dass der Erklärungsempfänger von Aufklärungsmöglichkeiten absehe. Folge sei, dass der Erklärungsempfänger zunächst nicht den ansonsten gegebenen Beweisanforderungen unterläge; diese träfe ihn erst dann, wenn dem Erklärenden der Nachweis der Unrichtigkeit des Anerkenntnisses gelingt. 

Dem folgte das OLG. Zwar liegt kein Schuldanerkenntnis vor, aber eine Erklärung zum Geschehensablauf. Während sich das Schuldanerkenntnis lediglich auf die Verschuldensfrage bezieht, sei in dem Unfallbericht auch der Unfallhergang (detailliert) dargelegt worden. Dieser (anerkannte) Sachverhalt wäre damit von dem Erklärenden selbst zu widerlegen. Darauf verwies das OLG, welches darauf verwies, dass in der handschriftlichen Erklärung nicht nur ein Verschulden vom beklagten Fahrer bestätigt worden sei, sondern darüber hinaus detaillierte Ausführungen zum Unfallhergang gemacht worden seien. Dem beklagten Fahrer sei es nicht gelungen, den Gegenbeweis zu führen. Seine allgemeine Erklärung im Rahmen der informatorischen Anhörung (§ 141 ZPO), er habe nach dem Unfall neben sich gestanden, reiche nicht aus. 

OLG Nürnberg, Urteil vom 29.03.2022 - 3 U 4188/ 21 -


Aus den Gründen:

 Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 25.10.2021, Az. 2 O 86/20, wie folgt abgeändert:

1.1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, über den bereits vom Landgericht ausgeurteilten Betrag an die Klägerin weitere 3.376,91 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.02.2019 sowie weitere 612,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.05.2020 zu zahlen.

1.2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, über den bereits vom Landgericht ausgeurteilten Betrag die Klägerin von angefallenen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von weiteren 342,80 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit 07.05.2020 freizustellen.

1.3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz haben die Klägerin 20 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 80 % zu tragen. Von den Kosten des Rechtsstreits der zweiten Instanz haben die Klägerin 30 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 70 % zu tragen.

4. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts Ansbach sind vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird für die erste Instanz auf 8.403,33 € und für das Berufungsverfahren auf 5.704,16 € festgesetzt.

Gründe

A.

Ausweislich des unstreitigen Tatbestands des erstinstanzlichen Urteils ist folgender Sachverhalt zwischen den Parteien unstreitig:

Die Klägerin ist Eigentümerin des LKWs Arocs L-FHS, amtliches Kennzeichen […]. Am 17.10.2018 gegen 14:40 Uhr fuhr der Zeuge H. mit dem klägerischen Fahrzeug und dem daran angeschlossenen Auflieger, amtliches Kennzeichen […], auf der Ortsverbindungsstraße St 2384 zwischen Polsingen und Ursheim (Frankenstraße) in Richtung Ursheim. Der Zeuge H. wollte in die auf die Ortsverbindungsstraße einmündende Abfahrt nach Trendel einfahren. Diese Abfahrt mündet in die gegenüberliegende Fahrbahnhälfte ein. Als er den Abbiegevorgang begann, wurde er von dem aus rückwärtigen Verkehr kommenden PKW, amtliches Kennzeichen […], welches vom Beklagten zu 1) gesteuert wurde, überholt. In der Folge kam es zu einem Zusammenstoß des Beklagtenfahrzeugs mit dem vorderen linken Fahrzeugeck des klägerischen Gespanns. Der Pkw des Beklagten zu 1) ist bei der Beklagten zu 2) pflichtversichert.

Unstreitig ist darüber hinaus, dass der Beklagte zu 1) am Unfalltag den in Anlage K 1 enthaltenen handschriftlichen Unfallbericht fertigte, den er, der Zeuge H. und die Mitfahrerin des Beklagten zu 1) unterschrieben.

Das Landgericht Ansbach hat den Beklagten zu 1) informatorisch angehört sowie Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen H., Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen R. vom 27.01.2021 und mündliche Erläuterung des Gutachtens.

Am 25.10.2021 hat das Landgericht Ansbach das nachfolgende Endurteil erlassen:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.824,17 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.02.2019 sowie weitere 875,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.05.2020 zu zahlen.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner weiter verurteilt, die Klägerin von angefallenen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 402,60 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit 07.05.2020 freizustellen.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass die Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 2 StVG im vorliegenden Fall eine Haftungsquote von jeweils 50 % ergebe.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin in ihrer Berufung. Sie beantragt:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin weitere 4.829,16 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 27.02.2019 sowie weitere 875,00 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 07.05.2020 zu bezahlen.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner weiter verurteilt, die Klägerin von angefallenen vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 402,60 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über den jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 07.05.2020 freizustellen.

Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung.

Wegen des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

B.

Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg. Die Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner gemäß den §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 StVG, § 115 VVG auf der Grundlage einer Haftungsverteilung von 15 % zu 85 % einen Anspruch auf Ersatz des ihr durch den Unfall entstandenen Schadens in Höhe von weiteren 3.989,41 € sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von weiteren 342,80 €.

I.

Das Landgericht kam zutreffend zu dem Ergebnis, dass für keine der Parteien die Ersatzpflicht gemäß § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen ist, da der streitgegenständliche Verkehrsunfall für keinen Beteiligten ein unabwendbares Ereignis darstellte. Einwände dagegen bringt die Berufung nicht vor.

II.

Das Erstgericht kam in Abwägung der Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG zu einer Haftungsquote in Höhe von jeweils 50 %. Dies kann jedoch nach Maßgabe der bindenden erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen keinen Bestand haben. Vielmehr entspricht eine Verteilung von 15 % zu 85 % zugunsten der Klagepartei dem Gewicht der jeweiligen Verursachungsbeiträge und der einzustellenden Betriebsgefahr.

1. Nach § 17 Abs. 1 StVG hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Dabei ist zunächst das Gewicht des Verursachungsbeitrags des einen und des anderen Fahrzeugs zu bestimmen (vgl. BGH, NZV 2007, 190, Rn. 15). Sodann sind die beiden Verursachungsanteile gegeneinander abzuwägen. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, das heißt unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (BGH, NJW 2017, 1177 Rn. 8).

2. Auf Seiten der Beklagten ist ein erheblicher Verstoß des Beklagten zu 1) gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO in die Abwägung einzustellen, da er aufgrund mehrerer Umstände bei unklarer Verkehrslage überholte.

a) Eine unklare Verkehrslage liegt vor, wenn der Überholende nach den gegebenen Umständen mit einem ungefährlichen Überholvorgang nicht rechnen darf, wenn also die Verkehrslage unübersichtlich bzw. ihre Entwicklung nach objektiven Umständen nicht zu beurteilen ist (OLG München, NJOZ 2021, 684 Rn. 12). Dies kann beispielsweise angenommen werden bei Sichtbehinderung durch ein vorausfahrendes Fahrzeug, durch Witterungsumstände wie Blendung durch Sonne oder durch Straßenführung. Gleiches gilt, wenn die Verlangsamung der Geschwindigkeit des Vorausfahrenden in Verbindung mit der Verkehrssituation und -örtlichkeit – wie Annäherung an eine links abzweigende Straße – geeignet ist, Zweifel über die beabsichtigte Fahrweise des Vorausfahrenden aufkommen zu lassen. Dies ist erst recht anzunehmen, wenn das vorausfahrende Fahrzeug den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt hat (Heß, in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. 2022, § 5 StVO Rn. 26).

b) Eine derartige unklare Verkehrslage ergibt sich im vorliegenden Fall zum einen daraus, dass nach den Feststellungen des Sachverständigen an dieser Stelle ein vollständig gefahrloser Überholvorgang aufgrund der Rechtskurve, der vorhandenen erheblichen Sichteinschränkungen durch die Randbepflanzung und des konkreten Sonnenstands sowie dem vorausfahrenden klägerischen Sattelzug mit Anhänger in dieser Situation aus technischer Sicht nicht möglich war. Dies ergibt sich gleichermaßen aus den vorgelegten Lichtbildern mit Aufnahmen der Unfallstelle.

Zum anderen konnte der Beklagte zu 1) aufgrund des Fahrverhaltens des vorausfahrenden Sattelzugs nicht sicher beurteilen, wie sich der Vorausfahrende verhält. Der Zeuge H. gab glaubhaft an, dass er bereits vor dem Abbiegevorgang seine Geschwindigkeit erheblich reduziert habe. Damit korrespondieren die Feststellungen des Sachverständigen, wonach die Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs im Zeitpunkt der Kollision mit ca. 7 - 10 km/h deutlich unter der Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs mit mindestens 55 - 60 km/h lag.

c) Schließlich kann im Rahmen der Beweiswürdigung der am Unfalltag vom Beklagten zu 1) gefertigte und von ihm, dem Zeugen H. und der Mitfahrerin des Beklagten zu 1) unterschriebene Unfallbericht – wonach am Sattelzug der linke Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt war – nicht außer Acht gelassen werden.

Einer schriftlichen Einlassung am Unfallort kommt als nicht rechtsgeschäftliches Anerkenntnis im Rahmen der Beweiswürdigung Bedeutung zu (BGH, NJW 1976, 1259; BGH, NJW 1984, 799; OLG Bamberg, VersR 1987, 1246; OLG Saarbrücken, NJW 2011, 1820). Rückt der Anerkennende später von seiner Erklärung ab, so wird er, falls nicht auch das übrige Beweisergebnis gegen seine Schuld spricht, dem Richter plausibel machen müssen, weshalb er sich zu dem objektiv falschen Anerkenntnis hat bewegen lassen. Dies wird ihm umso schwerer fallen, je konkreter seine Erklärung war (Greger, in Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 6. Aufl. 2021, § 16 Rn. 16.56). Im Rahmen der Beweiswürdigung ist auch zu berücksichtigen, ob das Anerkenntnis zu einer Beeinträchtigung der Beweismöglichkeiten des Gegners geführt hat, z.B. weil er im Hinblick hierauf auf die Zuziehung der Polizei verzichtete (Greger, a.a.O. § 16 Rn. 16.56).

Im vorliegenden Fall führt das handschriftliche Schreiben nicht nur allgemein aus, dass der Unfall vom Beklagten zu 1) verschuldet sei, sondern macht darüber hinaus detaillierte Ausführungen zum Unfallhergang. Insbesondere wird darin geschildert, dass der Beklagte zu 1) aufgrund des Sonnenstandes den eingeschalteten Blinker erst am Zugfahrzeug habe erkennen können, obwohl der Blinker einwandfrei funktioniert habe und auch betätigt gewesen sei. Die Angaben in diesem Anerkenntnis decken sich mit der Aussage des Zeugen H., der ausführte, den Blinker gesetzt zu haben. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Zeuge angab, dass er ohne dieses vom Beklagten zu 1 aufgesetzte und unterschriebene Schriftstück auf Aufnahme des Unfalls durch die Polizei bestanden habe. Vor diesem Hintergrund ist die Klagepartei als Erklärungsempfängerin dieses Schreibens der Beweisanforderungen, denen sie ohne die Erklärung zur Erreichung ihres Prozesszieles genügen müsste, enthoben, da dem Beklagten zu 1) als Erklärenden der Nachweis der Unrichtigkeit des Anerkannten nicht gelingt (vgl. BGH, NJW 1984, 799). Die pauschale Erklärung des Beklagten zu 1) im Rahmen seiner informatorischen Anhörung, dass er nach dem Unfall neben sich gestanden habe, reicht dafür nicht aus.

3. Auf Seiten der Klagepartei sind keine kausalen Verursachungsbeiträge i.S.v. § 17 Abs. 1 StVG in die Abwägung einzustellen.

a) Ein Verstoß des Zeugen H. gegen die doppelte Rückschaupflicht nach § 9 Abs. 1 S. 4 StVO steht nicht fest und kann damit nicht in die Abwägung eingestellt werden.

aa) In rechtlicher Hinsicht normiert die Vorschrift § 9 Abs. 1 S. 4 StVO zwar den Vorrang des entgegenkommenden und gleichgerichteten Verkehrs gegenüber dem Abbieger, wobei sich dessen Sorgfaltspflichten je nach Abbiegeziel von erhöhter Vorsicht bis zur höchsten Sorgfalt, die eine Gefährdung anderer ausschließt, steigert. Je weniger erkennbar das Abbiegeziel im Fahrverkehr ist, umso sorgfältiger muss sich der Abbiegende verhalten.

bb) Im vorliegenden Fall ergibt jedoch die durchgeführte Beweisaufnahme, dass ein entsprechender Verstoß des Zeugen H gegen die doppelte Rückschaupflicht weder unstreitig noch nach § 286 ZPO bewiesenen ist.

Der grundsätzlich bestehende Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Linksabbiegers, wenn es in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Linksabbiegen zu einer Kollision mit einem links überholenden Fahrzeug kommt, greift vorliegend nicht. Denn es handelt sich auf Grund der örtlichen Gegebenheiten und der Feststellungen des Sachverständigen nicht um einen derart typischen Vorgang, dass allein auf Grund des Zusammenstoßes mit der notwendigen Sicherheit auf einen Verstoß des Abbiegenden gegen die zweite Rückschaupflicht geschlossen werden kann (vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 2015, 796 Rn. 18 f.).

Der Zeuge H. führte aus, dass er, bevor er den Abbiegevorgang eingeleitet habe, nach rechts und nach links in den Spiegel geschaut und hierbei niemanden gesehen habe. Er führte wörtlich aus „ich habe immer wieder nach links und rechts geschaut, da ich infolge der Kurve auch den rückwärtigen Verkehr nur mit dem rechten Spiegel beobachten konnte […]".

Diese Aussage lässt sich durch das gerichtliche Sachverständigengutachten nicht widerlegen. Der Sachverständige führte aus, dass zum Zeitpunkt des spätesten abbiegen Entschlusses des Zeugen H. sich das Beklagtenfahrzeug je nach Fahrlinie mit hoher Wahrscheinlichkeit vollständig oder größtenteils im verdeckten Bereich hinter dem Sattelanhänger befunden habe. Eine länger andauernde Erkennbarkeitsmöglichkeit des Beklagten Fahrzeugs für den Zeugen H. sei vollständig auszuschließen, insbesondere sei hier der Fahrbahnverlauf von wesentlicher Bedeutung. Zwar könne sachverständigenseits nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass, je nach Geschwindigkeitsverhalten der Fahrzeuge zum Zeitpunkt des Abbiegenbeginns des Klägerfahrzeugs, der Pkw der Beklagtenseite zumindest teilweise im möglichen einsehbaren Bereich der linken Außenspiegel gewesen sei. Damit hat der Sachverständige jedoch lediglich ausgeführt, dass eine Unfallkonstellation denkbar sei, in welcher der Zeuge H. im Rahmen der 2. Rückschau das überholende Beklagtenfahrzeug hätte wahrnehmen können. Als technisch möglich hat der Sachverständige jedoch auch eine Situation angesehen, in der ein Verstoß gegen die doppelte Rückschauverpflichtung nicht vorlag.

b) In der Entscheidung des Zeugen H., den Linksabbiegevorgang zu beginnen, obwohl er aus technischer Sicht noch mindestens 6 m hätte weiterfahren können, um einen technisch ordnungsgemäßen Abbiegevorgang einzuleiten, ist kein verkehrsrechtlich relevanter Verstoß zu sehen, der im Verhältnis zur Klagepartei in die Abwägung der Verursachungsbeiträge einzustellen ist. Denn das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO gilt nicht beim Linksabbiegen. Vielmehr muss derjenige, der nach links abbiegen will, sich nach § 9 Abs. 1 S. 2 StVO rechtzeitig bis zur Mitte der Fahrbahn einordnen. Und auf die Vorgabe, wonach der Vorfahrtsberechtigte beim Abbiegen in die untergeordnete Straße grundsätzlich die Mitte der Trichterbreite rechts zu umfahren hat (OLG Saarbrücken, SVR 2018, 255), können sich die Beklagten nicht berufen. Denn der Schutzbereich dieser Regelung bezieht sich nur auf den Wartepflichtigen im Einmündungstrichter der untergeordneten Straße, nicht dagegen auf überholende Verkehrsteilnehmer im Längsverkehr der Vorfahrtsstraße.

4. Die Haftungsverteilung wird in den Fällen der Kollision des Linksabbiegers mit dem Linksüberholer in der Rechtsprechung nicht einheitlich behandelt (Übersicht in OLG Frankfurt, NJW-RR 2015, 796 Rn. 21 ff.). Der Senat hält nach einer Gesamtabwägung der oben dargestellten Verursachungsbeiträge und der Betriebsgefahren der Fahrzeuge im vorliegenden Fall eine Haftungsverteilung von 15 % zu 85 % zugunsten der Klagepartei für angemessen. Dabei hat er unter Berücksichtigung der obengenannten Umstände auf Klägerseite zwar keine eindeutigen Verkehrsverstöße in die Abwägung eingestellt. Angesichts der konkreten Situation kann jedoch die Betriebsgefahr des vom Zeugen H. gelenkten Sattelzugs mit Anhänger nicht vollständig zurücktreten, da von diesem unter Berücksichtigung von dessen Größe und Gewicht, des generell gefährlichen Fahrmanövers des Linksabbiegens sowie des zu zeitig eingeleiteten Abbiegevorgangs eine erhöhte Gefahr ausging. Der Senat hält eine Einstellung von insgesamt 15 % für angemessen.

III.

Das Landgericht hat den Schaden mit 9.648,33 € als unstreitig festgestellt. Einwendungen dagegen bringt die Berufung nicht vor. Unter Berücksichtigung einer Haftungsquote von 15 % zu 85 % zugunsten der Klagepartei sowie der Tatsache, dass die Beklagte zu 2) zur Ausgleichung des entstandenen Schadens vorgerichtlich 3.000,00 € an die Klägerin zahlte, ergibt sich ein zu erstattender Betrag in Höhe von insgesamt 5.201,08 €. Abzüglich des bereits vom Landgericht ausgeurteilten Betrags von 1.824,17 € beträgt der noch zu zahlende Schadensersatz 3.376,91 €.

Das Landgericht hat die mit der Klageerweiterung geltend gemachten Mietaufwendungen in Höhe von 1.750,00 € netto als ortsüblich und angemessen angesehen. Auch dagegen werden in der Berufung keine Einwendungen vorgebracht. Der erstattungsfähige Betrag beträgt daher insgesamt 1.487,50 €. Abzüglich des bereits vom Landgericht ausgeurteilten Betrags von 875,00 € ergibt sich der noch zu zahlende Schadensersatz in Höhe von 612,50 €.

Der Kläger hat Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Die Voraussetzung, wonach ein Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch übergeht, wenn der Schuldner die Freistellung ernsthaft und endgültig verweigert (vgl. BGH, NJW 2012, 1573 Rn. 25), ist vorliegend weder dargetan noch ersichtlich. Insgesamt besteht ein Freistellungsanspruch in Höhe von 745,40 € (1,3 aus 9.688,58 € zuzüglich 20,00 €). Abzüglich des bereits vom Landgericht ausgeurteilten Betrags von 402,60 € ergibt sich ein darüber hinaus bestehender Freistellungsanspruch in Höhe von 342,80 €.

C.

Die Entscheidung bezüglich der Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.


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