Dienstag, 11. Mai 2021

Rückstauschaden durch Mangel der Kanalisation und (verneinte) Amtshaftung

Deliktische Ansprüche gegen den öffentlich-rechtlichen Wasserwirtschaftsverband gemäß § 839 Abs. 1 S. 1 BGB iVm Art 34 S. 1 GG scheitern nach Auffassung des BGH auch denn, wenn bei umbaubedingter Verjüngung der Abwasserleitung infolge einer objektiven und vorwerfbaren Pflichtverletzung des Verbandes zu einem Rückstauschaden bei einem Anlieger kommt. Auch die Haftung des beauftragten Tiefbauunternehmers scheide in diesem Fall aus. Der Schaden läge außerhalb des Schutzbereichs der im Zusammenhang mit der Durchführung der Bauarbeiten möglicherweise verletzten Pflichten. Der betroffene Anlieger habe  nicht in schutzwürdiger Weise darauf vertrauen dürfen, vor Rückstauschäden bewahrt zu bleiben, die durch übliche, vom Anlieger selbst vorzunehmende Sicherungsvorrichtungen hätten verhindert werden können.

Der Schutzzweck der verletzten Amtspflicht diene der inhaltlichen Bestimmung und sachlichen Begrenzung der Amtshaftung. Deshalb sei eine Pflichtverletzung als solche noch nicht geeignet, einen Ersatzanspruch zu begründen, da noch hinzukommen müsse, dass das im Einzelfall berührte Interesse nach dem Zweck der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt sein soll.

Unabhängig davon, ob ein Kanalnetz zum Schadenszeitpunkt unterdimensioniert sei, bestünde zur Vermeidung von Rückstauschäden die Besonderheit, dass der Grundstückeigentümer selbst verpflichtet sei, geeignete Vorkehrungen gegen einen Rückstau bis zur Rückstauebene (also die Straßenoberkante) zu treffen. Zur Begründung verwies der BGH darauf, dass es selbst ordnungsgemäß geplanten und ausgeführten Kanalsystemen immer wieder (so aufgrund selten auftretender heftiger Regenfälle) zu einem Rückstau käme und der Anlieger deshalb damit rechnen müsse, dass zeitweise auf seine Leitungen ein Druck einwirken könne, der bis zur Straßenoberkante reiche. Der Anlieger dürfe nicht darauf vertrauen, dass er vor Rückstauschäden bewahrt würde, die bei normalen, durch die üblichen Sicherungsvorkehrungen auszugleichenden Druckverhältnisse entstehen würden.

Es käme auch nicht darauf an, ob der Rückstau durch dauerhafte Unterdimensionierung (so durch fehlerhafte Planung) der Kanalisation oder durch zeitlich begrenzte Arbeiten (evtl. dort bei einer ungenügenden Absicherung einer provisorischen Wasserableitung) an dem Kanalsystem verursacht würde. Es sei ein Wertungswiderspruch bei dauerhaft auswirkender Falschplanung das Fehlen einer anschlussseitigen Sicherung vom Schutzzweck der Pflicht zur ausreichenden Dimensionierung der Kanalisation auszunehmen, dies aber bei einer vorrübergehenden Maßnahme zu verneinen.

Einschränkend führte der BGH aus, dass jedenfalls dann, wenn die einschlägige Satzung eine Verpflichtung zur Rückstausicherung versehe, der Träger des Kanalnetzes (und auch der beauftragte Tiefbauunternehmer) darauf vertrauen dürfe, dass sich der Anlieger vor einem in verschiedenen Konstellationen möglichen Rückstau sichert. Im zu entscheidenen Fall sah dies die kommunale Satzung vor, indem diese den Anlieger verpflichtete Ablaufstellen unterhalt der Rückstauebene durch Rückstausicherungen einzubauen und dies auch zum Zeitpunkt des Baus des Hauses des Klägers  bereits geregelt war. Mit dieser Satzungsnorm soll der Anlieger vor Schädigungen durch Rückstau bewahrt werden. Sowohl der Wasserwirtschaftsverband als auch der Tiefbauunternehmer hätten darauf vertrauen dürfen, dass die notwendige Rückstausicherung eingebaut sei und funktioniere.

Es gäbe auch keine kostenmäßige Begrenzung für die vom Anlieger vorzunehmende Sicherung. Vielmehr läge die konkrete Entwässerungssituation ebenso wie die Auswahl der Rückstausicherung in der Risikosphäre des Anliegers.

BGH, Urteil vom 19.11.2020 - III ZR 134/19 -

Freitag, 7. Mai 2021

Pflichtwidrige Versagung einer Einberufung einer Eigentümerversammlung wegen Corona-Pandemie

Die Verwalterbestellung der Antragstellerin bei einer Wohnungseigentümergemeinschaft mit mehr als 50 Eigentümern endete am 31.12.2020. Der Beiratsvorsitzende forderte die Verwalterin im August 2020 (nachdem noch keine Jahresversammlung in 2020 stattfand) zur Einberufung der Eigentümerversammlung zwecks Verwalterwahl auf. Diese weigerte sich unter Verweis auf die Corona-Pandemie und die Regelung in § 6 Abs. 1 COVMG. Hierauf lud der Beiratsvorsitzende zu der Eigentümerversammlung ein. Die Antragsteller begehrte durch einstweilige Verfügung, ihm dies zu untersagen. Das Amtsgericht wies dies zurück. Die von der Antragstellerin eingelegte Beschwerde war nicht erfolgreich.

Das Landgericht hielt zunächst fest, dass der Beiratsvorsitzende gem. § 24 Abs. Abs. 3 WEG a.F. zur Einberufung berechtigt gewesen sei. § 24 Abs. 3 WEG a.F. lautete:

Fehlt ein Verwalter oder weigert er sich pflichtwidrig, die Versammlung der Wohnungseigentümer einzuberufen, so kann die Versammlung auch, falls ein Verwaltungsbeirat bestellt ist, von dessen Vorsitzenden oder seinem Vertreter einberufen werden.

§ 24 Abs. 3 WEG a.F. entspricht im Kern auch der heutigen Fassung des § 24 Abs. 3 WEG. Das Landgericht verwies darauf, dass die Corona-Pandemie nicht generell von der Einberufung einer Eigentümerversammlung entbinde. Es verbliebe dabei, dass vom Grundsatz her einmal im Jahr eine Versammlung durchzuführen sei. Da die Eigentümerversammlung der zentrale Ort für Entscheidungen der Wohnungseigentümers ei (auch nach neuem Recht), bestünde bei Durchführbarkeit ein Anspruch auf Durchführung. Die Pflicht des Verwalters zur Einberufung wie auch die Pflicht des Beirats nach Ablauf der Jahresfrist zur Einberufung richte sich nach der Möglichkeit von deren Durchführung.

Das Landgericht berücksichtigte, dass die Gemeinschaft aus 50 Eigentümern bestünde und erwog auch, dass nach Vortrag der Antragstellerin regelmäßig ca. 20 Eigentümer teilnehmen würden, wobei es davon ausging, dass im Hinblick auf die Wahl auch mit mehr Teilnehmern gerechnet werden könne; allerdings sei nach den coronabedingten Umständen auch davon auszugehen, dass in erheblichen Umfang von Eigentümern von der Möglichkeit der Vollmachtserteilung Gebrauch machen würden. Da zum Zeitpunkt der durch den Beirat vorgesehenen Versammlung nach der Allgemeinverfügung der Stadt W. Zusammenkünfte von bis zu 50 Personen zulässig waren, hätte also öffentlich-rechtliche Beschränkungen nicht dagegengestanden und die Pandemielage als solche hätte, da auch alle Geschäfte und Schulen zu dieser Zeit geöffnet waren, die Verweigerung der Einberufung nicht begründen können. Ob dies zu den Hochzeiten der Pandemie im Frühjahr 2020 und im Winter 2020/21 anders zu beurteilen gewesen wäre, ließ das Landgericht offen. Zwar müssten die Versammlungen den Rahmenbedingungen der Pandemie entsprechen (womit wohl die Hygienemaßnahmen pp. gemeint sein dürften) entsprechen, was zur Erschwerung der Versammlung, nicht aber zu deren Unmöglichkeit führe.

Wesentlich ist in diesem Zusammenhang der Verweis des Landgerichts darauf, dass die Versammlung nicht in Ansehung von Art. 2 § 6 Abs. 1 COVFAG entbehrlich gewesen sei, da es nur um die Wahl des Verwalters gegangen sei. Das Gegenteil sei zutreffend. Die vom Gesetzgeber in Art. 2 § 6 Abs. 1 COVFAG greife erheblich in das Verhältnis der WEG zum Verwalter ein und das Bestellungsverhältnis würde unabhängig vom Willen der WEG verlängert. Dieser Eingriff sei in Vorsorge für den Zeitraum geschaffen worden, indem eine Versammlung nicht durchführbar sei (BT-Drs. 19/18110, S. 31). Dieser Verweis des Landgerichts ist zutreffend: Es sollte nicht während der Pandemie ein wesentliches Element der selbstbestimmenden Eigentümergemeinschaft ausgeschaltet werden, sondern nur für einen unabdingbaren Notfall Vorsorge getroffen werden [wobei verwunderlich ist, weshalb nicht für diesen Notfall der Gesetzgeber eine schriftliche Abstimmung resp. eine rein digitale Versammlung ipso jure und (wie im neuen WEG geregelt) nur bei Zustimmung oder bei Beschluss bzw. Aufnahme in die Gemeinschaftsordnung) zugelassen hat]. Wenn wie vorliegend eine Versammlung stattfinden könne, käme die Regelung der automatischen Verlängerung nach  § 6 Abs. 1 COVMG nicht in Betracht. Bedeutsam ist zudem der Zusatz des Landgerichts, dass es selbst bei Vorliegen der Voraussetzung des § 6 COVMG in Ansehung des erheblichen Unterschieds der Rechtsstellung des nach § 6 Abs. 1 COVMG tätigen Verwalters von dem „normalen Verwalter“ erforderlich sei, im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung (vgl. § 18 Abs. 2 WEG n.F.) sobald es möglich sei, einen Beschluss über die Verwalterbestellung zu fassen.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat damit (als Berufungsinstanz in WEG-Verfahren in Hessen) deutlich Kriterien für die Einberufung von Eigentümerversammlungen, insbesondere in Bezug auf die Bestellung von Verwaltern, benannt, die auch in Zeiten der Corona-Pandemie zu beachten sind und nicht durch Hilfsmaßnahmen des Gesetzgebers, wie in § 6 Abs. 1 COVMG, nach Gutdünken des Verwalters  außer Kraft gesetzt werden könne.

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16.02.2021 - 2-13 T 97/20 -

Sonntag, 2. Mai 2021

Wahrung der Schriftform durch eine Nachtragsurkunde oder (nachträgliche) Anlage zum Mietvertrag

Die Klägerin (die aus abgetretenen Recht klagte) nahm die Beklagte auf Räumung und Herausgabe einer zur Aufstellung einer zum Betrieb eines Geldautomaten vermieten Gewerbefläche in Anspruch. Der Mietvertrag wurde am 31.07.2015 auf die Dauer von fünf Jahren (mit Verlängerungsklausel) geschlossen. Auf der Vorderseite des Vertragsformulars der Beklagten waren u.a. Angaben zu den Vertragsparteien, dem Standort der Gewerbefläche und zur Höhe der Miete; die Unterschrift erfolgte durch die Mietparteien auf der Vorderseite im Anschluss an die o.g. Angaben. Auf der Rückseite befanden sich allgemeine Vertragsbedingungen, in denen unter § 1 Abs. 1 auf eine Anlage verwiesen wurde, einem Lageplan, in dem die konkrete Mietfläche in einem „Lageplan/Fotomontage“ für den Geldautomaten markiert sein sollten. Die Vertragsdauer nebst der Verlängerungsklausel wurden dort unter § 2 benannt.  Später unterzeichneten die Vertragsparteien eine mit „Anlage 1“ bezeichnete Urkunde, in der in der Überschrift diese als Anlage 1 „zum Mietvertrag zwischen … und …“ und ausgeführt wurden „Das eingezeichnete Objekt kennzeichnet die Mietfläche nach § 1.1 des Vertrags“. Eine Fotomontage zeigte den von außen bedienbaren Geldautomaten in einer Ansicht der Hausfassade. Der Gelautomat wurde am 29.11.2016 in Betrieb genommen.

Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis mit Schreiben vom 14.08.2017 ordentlich zu, 31.03.2018.

Das Landgericht wies die Räumungsklage ab. Auf die Berufung der Klägerin verurteilte das OLG die Beklagte antragsgemäß zur Räumung und Herausgabe. Die Revision der Beklagten führte zur Wiederherstellung der landgerichtliche Entscheidung.

Ein Mietvertrag von einer Mietdauer von über einem Jahr bedarf der Schriftform, § 550 BGB. Dies gilt auch für Räume, die keine Wohnräume sind, § 578 Abs. 2 BGB. Der BGH führte aus, dass ein Vertrag, bei dem sich der Vermieter verpflichtet, dem Mieter gegen ein monatliches Entgelt eine Teilfläche zur Aufstellung eines Geldautomaten zur Verfügung zu stellen, rechtlich als Mietvertrag zu qualifizieren sei, da dieser Vertrag durch die typischen mietvertraglichen Hauptleistungspflichten der Überlassung des Mietobjekts zur vertragsgemäßen Nutzung gegen Zahlung eines Entgelts (§ 535 Abs. 1 und 2 BGB) geprägt sei. Damit sei auf ihn auch § 550 BGB anwendbar, wenn der Vertrag auf die Dauer von mehr al einem Jahr geschlossen wird.

Anders als das OLG sah der BGH das Schriftformerfordernis als erfüllt an.

Die Schriftform des § 550 BGB sei nur gewahrt, wenn sich die für den Abschluss des Vertrages notwendige Einigung über alle wesentlichen Vertragsbedingungen aus der von beiden Parteien unterzeichneten Urkunde ergäbe. Zu diesen notwendigen Angaben gehören Benennung der Vertragsparteien, der konkrete Mietgegenstand, der Mietzins und die Vertragsdauer. Da auch formbedürftige Vertragsklauseln der Auslegung unterfallen würden, reiche es aus, wenn der Inhalt der Vertragsbedingungen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestimmbar sei. Würden wesentliche vertragliche Vereinbarungen in Anlagen zum Vertrag ausgelagert, müssten die Parteien zur Wahrung der Urkundeneinheit die Zusammengehörigkeit in geeigneter Weise zweifelsfrei kenntlich machen. Diese Kenntlichmachung müsse nicht durch körperliche Verbindung erfolgen; ausreichend sei eine bloß gedankliche Verbindung, die allerdings in einer zweifelsfreien Bezugnahme zum Ausdruck gebracht werden müsse (BGH, Urteil vom 26.02.2020 - XII ZR 51/19 -).  Weiterhin würde zur Schriftform die Unterschrift der Vertragsparteien gehören, die den gesamten Vertragsinhalt decken müsse und den Vertragstext räumlich abschließen, also unterhalb des Textes stehen und damit die urkundliche Erklärung abschließen müsse (BGH, Urteil vom 04.11.2020 - XII ZR 104/19 -).

Diese Voraussetzungen erfüllte der Mietvertrag vom 31.07.2015 nicht. Der BGH verwies darauf, dass dieser nur auf der Vorderseite unterschrieben worden sei und damit nicht den vollständigen Vertragsinhalt, der auch aus den rückseitig abgedruckten Allgemeinen Vertragsbedingungen bestünde, abdecken würde. Auf der Vorderseite sei auch kein verweis auf die rückseitigen Allgemeinen Vertragsbedingungen aufgenommen worden, aus dem sich entnehmen ließe, dass diese von den Unterschriften mitumfasst wären.

Allerdings sei es für die Einhaltung der Schriftform nicht erforderlich, dass schon die erste Vertragsurkunde (hier der Mietvertrag vom 31.07.2015) selbst alle Schriftformerfordernisse erfülle. Es genüge vielmehr, wenn diese Voraussetzungen durch eine nachfolgende Änderungsvereinbarung gemeinsam mit der in Bezug genommenen ersten Vertragsurkunde erfüllt würde. Dabei könne es nach den Umständen des Einzelfalls auch genügen, wenn lediglich eine dem Vertrag beigefügte Anlage von den Parteien unterschrieben würde, wenn in dieser Anlage hinreichend deutlich würde, auf welchen vertrag sie sich beziehe. Auch hier sei eine körperliche Verbindung zwischen dem Mietvertrag und der Anlage nicht erforderlich, vielmehr genüge es wie bei einer Nachtragsvereinbarung zur Einhaltung der Schriftform, dass zwischen der Anlage und dem Mietvertrag eine gedankliche Verbindung bestünde, die erkennen ließe, dass beide Schriftstücke in ihrer Gesamtheit den Vertrag bilden. Es sei daher ausreichend, wenn die Anlage die Mietvertragsparteien bezeichne, hinreichend deutlich auf den ursprünglichen Vertrag Bezug nähme und ersichtlich sei, dass es im Übrigen bei den Bestimmungen des ursprünglichen Vertrages verbleibe (BGH, Urteil vom 04.11.2020 - XII ZR 104/19 -).

Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Die nach Abschluss des Mietvertrages gefertigte Anlage nenne die Vertragsparteien und würde den streitgegenständlichen Vertrag sowie den Mietgegenstand benennen. Weiterhin würde Bezug genommen auf § 1 der auf der Rückseite des Mietvertrags vom 31.07.2015 abgedruckten Allgemeinen Vertragsbedingungen. Aus dieser Bezugnahme würde die gesamte Vertragsurkunde des Mietvertrages vom 31.07.2015 und die nachträgliche Anlage zu einer gedanklichen Einheit verbunden, aus der sich der Inhalt des Vertrages ergäbe. Es sei deshalb nicht erforderlich, dass in der nachträglichen Anlage die weiteren Vertragsbedingungen nicht mehr ausdrücklich aufgeführt worden seien und auch kein klarstellender Hinweis auf die Fortgeltung der in der Vertragsurkunde abgedruckten Allgemeinen Vertragsbedingungen aufgenommen worden sei. Mithin sei die Schriftform nach § 126 Abs. 1 und 2 S. 1 BGB gewahrt.

BGH, Urteil vom 10.02.2021  - XII ZR 26/20 -

Samstag, 1. Mai 2021

Behandlung der bei Tod des Steuerpflichtigen noch nicht berücksichtigten Erhaltungsaufwendungen iSv. § 82b EStDV

 

Der Ehemann der Klägerin verstarb am 12.01.2016. Die Klägerin wurde in 2016 mit ihrem verstorbenen Ehemann zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Verstorbene, der Eigentümer eines mit einem Zweifamilienhaus bebauten Grundstücks war, hatte in 2012 Erhaltungsaufwendungen in Höhe von € 14.865,99, in 2014 in Höhe von € 36.430,89 und in 2015 in Höhe von € 11.603,93. Für diese Erhaltungsaufwendungen hatte er nach § 82b EStDV eine Verteilung von fünf Jahren gewählt. Der in 2016 noch berücksichtigungsfähige Erhaltungsaufwand belief sich auf € 29.852,88. Das Grundstück ging nach dem Tod des Ehemanns der Klägerin auf die Erbengemeinschaft über, an der die Klägerin beteiligt war. Bei der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte der Erbengemeinschaft für 2016 wurden keine Abzugsbeträge nach § 82b EStDV berücksichtigt. Die Klägerin hatte allerdings in ihrer Einkommensteuererklärung für 2016 für sich und ihrem verstorbenen Ehemann für den Zeitraum bis zum Ableben Ihres Ehemanns (12.01.2016) Einkünfte in von Minus € 32.829,00 erklärt; als Werbungskosten gab sie den zum Zeitpunkt des Todes ihres Ehemanns noch nicht berücksichtigten Teil der Erhaltungsaufwendungen an. Das beklagte Finanzamt (FA) berücksichtigte allerdings insoweit als Werbungskosten nur den auf den Monat Januar 2016 entfallenden Anteil mit € 981,92; nach Ansicht des FA sei der Restbetrag bei der Erbengemeinschaft im Rahmen deren gesonderter und einheitlicher Feststellung unter Fortführung der Verteilung nach § 82b EStDV zu berücksichtigen.

Nach erfolglosen Einspruch erhob die Klägerin Klage, der das Finanzgericht stattgab. Die dagegen von dem FA eingelegte Revision wurde vom BFH zurückgewiesen.

Werbungskosten seien nach § 9 Abs. 1 S. 1 EstG Aufwendungen zum Erwerb, zur Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Sie seien gem. § 9 Abs. 1 1 S. 2 EstG bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen seien. Grundsätzlich seien die Werbungskosten in dem Veranlagungszeitraum abzuziehen, in dem sie entstanden seien, § 11 Abs. 2 S. 1 EstG, Allerdings könne der Steuerpflichtige größere Aufwendungen für die Erhaltung von Gebäuden, die nicht zum Betriebsvermögen gehören würden und überwiegend Wohnzwecken dienen würden, gemäß §§ 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. r) aa) EstG iVm. 82b Abs. 1 S. 1 EStDV  abweichend davon auf zwei bis fünf Jahre gleichmäßig verteilen. Käme es während des Verteilungszeitraums zur Veräußerung, könne der noch nicht berücksichtigte Teil des Erhaltungsaufwandes im Jahr der Veräußerung als Werbungskosten abgesetzt werden, § 82 Abs. 2 S. 1 EStDV; dies gelte auch in den Fällen, in denen das Gebäude in ein Betriebsvermögen eingebracht würde oder nicht mehr zur Einkuntserzielung genutzt würde, § 82b Abs. 2 S. 2 EStDV.

Der Zweck des § 82b Abs. 1 EStDV sei, dem Steuerpflichtigen eine bessere Ausnutzung seiner Tarifprogression zu ermöglichen, indem er seine Erhaltungsaufwendungen interperiodisch besser verteilen kann (BTDrs. 3/1811, S. 13). Dieser Zweck würde aber dann ins Leere gehen, wenn dies dem Steuerpflichtigen infolge Versterbens nicht mehr möglich sei. Mit seinem Tod ende die auf ihn als natürliche Person und Steuersubjekt bezogene Einkünfteerzielung. Eine weitere Berücksichtigung der nach § 82b Abs. 1 EStDV verteilten und noch nicht berücksichtigten Aufwendungen sei daher bei ihm nicht mehr möglich. Da nur der Steuerpflichtige, der die Aufwendungen getragen habe, nach § 2 Abs. 1 EstG Zurechnungsobjekt der von ihm erzielten Einkünfte sei, könnten die bisher nicht berücksichtigten Teile der Aufwendungen nur im Veranlagungszeitraum des Versterbens berücksichtigt werden. Von daher seien der bisher nicht berücksichtigten Teil der Erhaltungsaufwendungen im Veranlagungszeitraum seines Versterbens als Werbungskosten abzusetzen.

Die steuerliche Situation im Todesfall sei vergleichbar mit den übrigen ausdrücklich in § 82b Abs. 2 EStDV genannten Fällen. § 82b Abs. 2 EStDV ginge davon aus, dass vom Veranlagungszeitraum der Veräußerung, der Einbringung in ein Betriebsvermögen oder des Wegfalls der Nutzung des Gebäudes zur Einkunftserzielung (z.B. wegen Selbstnutzung) an die weitere Berücksichtigung der verteilten und noch nicht berücksichtigten Aufwendungen nicht mehr möglich sei. Allen benannten Fällen sei gemeinsam, dass eine Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung anschließend in der Person des Steuerpflichtigen nicht mehr möglich sei.

Für einen vom FA geltend gemachten Übergang von Erhaltungsaufwendungen iSv. § 82b Abs. 1 EStDV nach dem Tod des Erblassers auf den Eigentümer (hier die Erbengemeinschaft) fehle eine ausdrückliche Regelung. Eine analoge Anwendung anderer Vorschriften (wie z.B. § 11s EStDV) scheide aus (so bereits BFH im Urteil vom 13.03.2018 – IX R 22/17 – zum Vorbehaltsnießbrauch). Daran würde auch für den vorliegenden Fall der gesamtrechtsnachfolge durch Erbfall festgehalten.

Ebenfalls käme nicht R 21.1 Abs. 6 S. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien zur Anwendung. Danach könne im Fall der unentgeltlichen Übertragung der des Gebäudeeigentums der Rechtsnachfolger den bei dem Rechtsvorgänger noch nicht berücksichtigten Teil der Erhaltungsaufwendungen in dem vom Rechtsvorgänger gewählten restlichen Veranlagungszeiträumen nach § 82b Abs. 1 S. 1 EStDV geltend machen. Die Richtlinie als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift habe keine Normqualität und binde daher die Gerichte nicht. Auch fehle es an einer gesetzlichen Grundlage für eine Verwaltungsvorschrift, die einen solchen Übergang de vom Verstorbenen getragenen Aufwendungen auf die Erben ermögliche. Im Wege von Verwaltungserlassen dürften die Finanzbehörden keine Ausnahmen von der gesetzlich vorgesehenen Besteuerung zulassen. Zudem dürfte die Richtlinie überholt sein. Sue habe ihren Sinn in Veranlagungszeiträumen gehabt, in denen nach der Rechtsprechung des BFH die Fortführung eines steuerlichen Verlustvortrags des Erblassers bei den Erben für möglich gehalten wurde. Diese Rechtsprechung wurde vom BFH durch den Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17.12.2007 - GrS 2/04 - aufgegeben. Damit sei seither der Rechtsgrund für die Regelung in der Richtlinie entfallen.

BFH, Urteil vom 10.11.2020 - IX R 31/19 -

Donnerstag, 29. April 2021

Kostenvorschussanspruch für Mängelbeseitigung und Berücksichtigung von Mehrkosten durch Änderung der technischen Regeln

Die Klägerin begehrte einen Kostenvorschuss in Höhe von € 151.709,14 für eine Dachsanierung. Nach einem vom Landgericht eingeholten Gutachten, dem das Landgericht folgte, sollen die von der Klägerin behaupteten Mängel und Schäden an dem Dach vorliegen und sich die Kosten der Beseitigung auf den geforderten Betrag belaufen. Mehrkosten in Höhe von € 21.839,32 für die Ausbildung des Daches gemäß der Vorgaben der EnEV 2014, die in den Kosten enthalten seien, seien deshalb zuzusprechen, da eine Mängelbeseitigung die zum Zeitpunkt ihrer Durchführung geltenden anerkannten Regeln der Technik einhalten müssten.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts legten die Streithelfer der Beklagten Berufung ein. Sie wandten u.a. unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BGH vom 14.11.2017 - VII ZR 45/14 - ein, dass der Mehraufwand in Ansehung der EnEV 2014 nicht vorhersehbar gewesen sei (die Errichtung des mangelbehafteten Daches erfolgte unter der Geltung der EnEV 2012) und der Vorschuss nicht den Mehraufwand auf Grund der Änderung der technischen Regeln umfasse, der mithin in Anzug zu bringen sei.

In seinem Hinweisbeschluss wies das OLG darauf hin, dass es der Berufung keine Aussichten auf Erfolg beimessen würde und beabsichtige, die Berufung zurückzuweisen.  

Die Mängelbeseitigung müsse nach den aktuellen Regeln der Technik durchgeführt werden, mithin hier nach den Anforderungen der EnEV 2014. Die Ansicht der Berufungsführer, die entsprechenden Mehrkosten könnten von der Klägerin nicht begehrt werden, sei verfehlt. Das insoweit von den Berufungsführern benannte Urteil des BGH vom 14.11.2017 sei nicht einschlägig, da sich dort der BGH nur damit auseinandergesetzt habe, welche Auswirkungen eine Änderung anerkannter technischer Regeln zwischen Vertragsabschluss und Abnahme auf die geschuldete Leistung und den Vergütungsanspruch sowie die Abnahme nach dem vertraglich geschuldeten Leistungssoll hätten. Er habe entschieden, dass grundsätzlich die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik schulde, die zwischen dem Vertragsabschluss und der Abnahme gelten würden. Hier könne der Auftragnehmer, ändern sich die anerkannten Regeln der Technik und führen diese zu Mehraufwand, entweder eine Anpassung der Vergütung begehren oder aber der Auftraggeber auf die Einhaltung der neuen Regeln verzichten. Zur Frage der Auswirkung auf den Fall einer Mängelbeseitigung habe der BGH in der Entscheidung nicht Stellung bezogen. Allerdings habe sich der BGH in seinem Urteil vom 17.05.1984 - VII ZR 169/82 - zur Frage der Vorteilsausgleichung im werkvertraglichen Gewährleistungsrecht geäußert. Dort führte der BGH aus, dass eine Anrechnung des Vorteils dann nicht in Betracht käme, „wenn diese Vorteile ausschließlich auf einer Verzögerung der Mängelbeseitigung beruhen und sich der Auftraggeber jahrelang mit einem fehlerhaften Werk begnügen musste. Der Auftragnehmer darf dadurch, dass der vertragszweck nicht sogleich, sondern erst später im Rahmen der Gewährleistung erreicht wird, keine Besserstellung erfahren. Ein solches Ergebnis widerspräche dem Gesetzeszweck der Gewährleistung im Werkvertragsrecht.

Dies zugrunde legend vertrat das OLG die Auffassung, dass sich die Klägerin die Mehrkosten, welche durch die jetzt notwendige Ausführung der Sanierung nach den Vorgaben der EnEV 2014 gegenüber derjenigen nach der vorher anzuwenden EnEV 2012 ergäben, nicht von dem Kostenvorschuss abziehen lassen müsse und der Grund dafür alleine darin läge, dass die beklagte ihrer Verpflichtung zur Herstellung eines mängelfreien Daches und zur umgehenden Beseitigung von Mängeln nicht nachgekommen sei. Die Verteuerung läge damit alleine in der Risikosphäre des Beklagten. Selbst wenn die Klägerin durch die Einhaltung der EnEV 2014 gegenüber der EnEV 2012 eine wirtschaftlich merkbare Ersparnis bei den Heizkosten erzielen würde, wäre es unbillig, sie an den Mehrkosten zu beteiligen.

Die Berufung wurde vom OLG mit Beschluss vom 22.10.2020 zurückgewiesen. In diesem wies das OLG darauf hin, dass es sich bei den Mehrkosten nicht um sogenannte Sowieso-Kosten handeln würde, da sie bei einem mängelfreien Dach nicht angefallen wären, da die EnEV 2014 noch nicht galt. Sowieso-Kosten lägen nur vor, wenn das Werk bei ordnungsgemäßer Ausführung von vornherein entsprechend teurer geworden wäre (BGH, Urteil vom 29.10.1970 - VII ZR 14/69 -).

OLG München, Hinweisbeschluss vom 01.09.2020 - 28 U 1686/20 Bau -

Montag, 26. April 2021

Coronabedingte Ruhezeitvereinbarung bei Fitnessstudiovertrag und Kündigung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage

Die Klägerin betrieb ein Fitnessstudio und begehrt von dem Beklagten die Zahlung restlichen Nutzungsentgelts aus einem Vertrag vom 11.03.2019 für 11 Monate. Nach dem Vertrag war die Zahlung eine Nutzungsentgelts von € 1.198,60 für die Vertragslaufzeit vereinbart, wobei der beklagten Nutzer diesen Betrag in monatlich jeweils zu Beginn eines Monats zu zahlenden Raten à € 49,40 zahlen konnte. Sollte allerdings der Nutzer mit mindestens zwei Raten in Verzug geraten, sollte der gesamte noch offene Restbetrag auf einmal zur Zahlung fällig sein. Am 01.04.2020 hatten die Parteien vereinbart, dass der Vertrag im Zeitraum vom 01.04. – 31.05.2020 ruht, die Klägerin während dieser Zeit auch keine Beiträge einzieht und die ursprünglich vereinbarte Erstlaufzeit entsprechend dieser Ruhezeit verlängert. Während dieser zeit war das Studio coronabedingt geschlossen. Die Klägerin buchte die Nutzungsentgelte für die zwei Monate gleichwohl ab (die Lastschriften wurden vom Beklagten zurückgerufen). Der Beklagte kündigte den Vertrag mit der Klägerin unter Verweis auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen der Abbuchungen und im Hinblick auf die Ruhezeitvereinbarung. Die Klägerin widersprach der Kündigung und begehrte nach Verzug des Beklagten mit zwei Monatsbeiträgen die offenen Beiträge, berechnet bis zum Ende der (vereinbart verlängerten) Vertragslaufzeit.

Das Amtsgericht ging von einer unwirksamen Kündigung aus.

Unabhängig davon, ob das Vertragsverhältnis als Miet-, Dienst oder typengemischter Vertrag angesehen würde, handele es sich um ein Dauerschuldverhältnis, bei dem dem Kunden ein Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigen Grund zustünde (§§ 626 Abs. 1, 543 Abs. 1 und 314 Abs. 1 BGB). Dieser wichtige Grund läge vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertrages bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zumutbar sei (vgl. § 314 Abs. 1 S. 1 BGB). Dabei trage allerdings der Kunde grundsätzlich das Risiko, die Einrichtung wegen Veränderungen in seinen persönlichen Verhältnissen nicht mehr nutzen zu können. Etwas anderes würde nur bei Gründen gelten, die er nicht beeinflussen könne und eine weitere Inanspruchnahme der Leistungen nicht mehr zumutbar sei. Das AG verweist hier auf die Entscheidung des BGH vom 08.02.2012 – XII ZR 42/20 -, in der allerdings der BGH darauf abstellte, dass die Kündigung aus wichtigem Grund verlange, dass es dem Kunden aus nicht in seiner Sphäre liegenden Gründen nicht mehr zumutbar sein müsse, weiter am Vertrag festzuhalten. Die mögliche Unzumutbarkeit des Bestandes des Vertrages lediglich für die kündigende Partei reiche nicht aus (Begr. RegEntwurf zu § 314 Abs. 1 S. 2 BGB in BT-Drs. 14/6040, S 148).

In Ansehung der Ruhezeitvereinbarung der Parteien könne auf sich beruhen, ob die coronabedingte Schließung des Studios dazu führte, dass keine Leistung vom Betreiber desselben verlangt werden könne oder ob die Gutscheinregelung des Art. 240 § 5 EGBGB zu Tragen käme.

Für die Ruhezeitvereinbarung läge auch keine Störung der Geschäftsgrundlage vor, § 313 BGB. Voraussetzung für § 313 BGB wäre, dass sich nach Vertragsschluss die Umstände so schwerwiegend geändert hätten, dass einem Teil das Festhalten an dem vertrag nicht mehr zumutbar sei und die Parteien bei Kenntnis diesen Vertrag nicht oder mit anderen Inhaltgeschlossen hätten. Vorliegend sei aber die Ruhezeitvereinbarung gerade im Hinblick auf die Unsicherheit im Rahmen der Corona-Krise abgeschlossen worden und für die Parteien sei auch zum Zeitpunkt des Abschlusses ersichtlich gewesen, dass der Gesetzgeber die Gutscheinregelung in Art. 240 EGBGB treffen würde, weshalb eine Unvorhersehbarkeit nicht vorläge. Zudem sei ein Festhalten an der Vereinbarung nicht unzumutbar. Die nach § 313 BGB erforderliche Grundlagenstörung verlange, dass ein Festhalten untragbar, mit Recht und Gerechtigkeit nicht vereinbar und der betroffenen Partei nach Treu und Glauben nicht zumutbar sein dürfe. Das sei nicht der Fall, da 98% der Mitglieder während der Schließung weitergezahlt hätten um später kostenfrei nachzutrainieren und dem Beklagten kein größerer wirtschaftlicher Schaden (gar eine Existenzvernichtung) drohe. 

Der Umstand, dass die Klägerin während der Ruhezeit von der Lastschrift-Einzugsermächtigung Gebrauch machte (der Beklagte nahm Rückbuchungen vor), rechtfertige hier auch nicht die fristlose Kündigung. Zwar könne die Zerstörung eines Vertrauensverhältnisses einen Grund darstellen. Doch begründe ein Fitnessstudiovertrag kein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragspartnern, da es sich um ein Massengeschäft handele und gerade auch hinsichtlich der Zahlungspflicht kein besonderes vertrauens- oder Näheverhältnis bestünde. Es hätte auch kein bewusster Versuch der Irreführung durch die Klägerin vorgelegen. Nach der Kodifizierung der Gutscheinlösung habe sich die Klägerin berechtigt geglaubt, von der aus Kulanz getroffenen Ruhezeitvereinbarung mit dem Beklagten zurücktreten zu können. Da es hier in der Corona-Krise viele Unklarheiten gab, der Beklagte auch die Lastschriften nicht abmahnte, würden diese die fristlose Kündigung nicht rechtfertigen können.

AG Nürtingen, Urteil vom 27.11.2020 - 20 C 3606/20 -

Samstag, 24. April 2021

Deliktische Haftung bei Schädigung anderer Bauteile durch fehlerhafte Werkleistung

Die klagende Versicherung machte aus übergegangenen Recht (§ 86 VVG) Ansprüche wegen eines Wasserschadens gegenüber dem beklagten Werkunternehmer geltend. Die Versicherungsnehmerin war Eigentümerin einer 1995 errichteten Sporthalle, bei der der Beklagte die Installationsarbeiten im Sanitärbereich durchgeführt hatte. In 2009 sollen seien Anzeichen eines Wasserschaden in Nassräumen im Untergeschoss und Leckagen an Wasserabnahmestellen festgestellt worden. Ursächlich dafür soll nach Vortrag der Klägerin eine unsachgemäße mechanische Kürzung der Hahnverlängerungen durch Absägen und eine unzulässige Eindichtung der Verbindungen durch den Beklagtengewesen sein. Mit der Klage würde Ersatz der aus dem Mangel resultierenden weitergehenden Schäden infolge der Durchnässung bereits zuvor vorhandener Gebäudeteile (Wände, Bodenplatte und Fußböden) verlangt. Die Kosten hätten sich auf € 243.944,72 belaufen; unter Abzug einer Wertverbesserung mit € 41.382,61 wurde von der Klägerin der Betrag von € 202.562,11 geltend gemacht.

Die Klage wurde abgewiesen, ebenso die gegen das landgerichtliche Urteil eingelegte Berufung. Auf die Revision wurde das Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das Oberlandesgericht (OLG) zurückverwiesen.

Der BGH stimmte dem OLG dahingehend zu, dass die Deliktsordnung nicht von der Vertragsordnung verdrängt würde und dass grundsätzlich jede Haftung ihren eigenen Regeln folge. Deliktische Verkehrspflichten hätten (anders als Gewährleistungspflichten aus dem Werkvertragsrecht) nicht den Erwerb einer mangelfreien Sache zum Inhalt und dienten nicht dem Schutz der Nutzungs- und Werteerwartungen. Sie seien vielmehr auf das Interesse gerichtet, durch die in Verkehr gegebene Sache nicht in Eigentum oder Besitz verletzt zu werden (sogen. Integritätsinteresse). Decke sich der geltend gemachte Schaden mit dem Unwert, welcher der Sache wegen ihrer Mangelhaftigkeit von Anfang an schon bei ihrem Erwerb anhafte, dann sei er alleine auf enttäuschte Vertragserwartungen zurückzuführen, weshalb insoweit kein Raum für deliktische Schadensersatzansprüche bestünde. Sei der Schaden hingegen nicht mit der im Mangel verkörperten Entwertung der Sache für das Äquivalenz- und Nutzungsinteresse stoffgleich, könne sich im Schaden (auch) das verletzte Integritätsinteresse des Eigentümer oder Besitzers niederschlagen und dieser könne dann grundsätzlich auch von der deliktischen Haftung aufgefangen werden, selbst wenn er mit vertraglichen Gewährleistungs- oder Ersatzrecht konkurriere.

Die Annahme des OLG, ein deliktischer Anspruch auf Ersatz von Kosten für den Austausch von Hahnverlängerungen bestehe nicht, sei nicht zu beanstanden. Nach dem Vortrag der Klägerin sei dieser bereits mangelhaft eingebaut worden. Es läge daher kein Eigentumsverletzung vor (allenfalls also ein hier verjährter Gewährleistungsanspruch). Allerdings würden hier diese Kosten (für den Austausch von Hahnverlängerungen) von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.

Der von dem OLG vertretenen Auffassung, bei den Schäden an den anderen Bauteilen (Bodenplatte, Wände und Fußböden) sei eine Stoffgleichheit anzunehmen, folgte der BGH nicht.

Stoffgleichheit liege vor, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung der Fehler von Anfang an die Gesamtsache, für deren Beeinträchtigung Schadensersatz begehrt wird, ergreife, etwa da die Sache als Ganzes wegen des Mangels von vornherein nicht oder nur in sehr eingeschränktem Maße zum vorgesehenen Zweck verwendbar sei. Hierzu würden auch die Fälle gehören, bei denen eine Beseitigung des (wenn auch nur einem Teil der Sache anhaftenden) Fehlers technisch nicht möglich sei oder wenn ein Mangel nicht in wirtschaftlich vertretbarer Weise behoben werden könne. Läge aber ein Mangel vor, der zunächst nur auf einen Teil der Sache beschränkt gewesen sei und entsprechend den benannten Grundsätzen behebbar war, und führe er erst später zu einer Zerstörung der Sache oder zur Beschädigung anderer Teile derselben, habe der von dem Fehler zunächst nicht erfasste Teil der Sache einen eigenen Wert und der Mangelunwert decke sich dann nicht mit dem Schaden. Nicht entscheidend sei, ob der Fehler vor dem Schadenseintritt bei normalen Lauf der Dinge entdeckt werden konnte oder nicht. Wesentlich sei nur, dass der Mangel aus objektiv technischer Sicht hätte aufgespürt werden können, sei es auch erst bei gezielter Suche, sofern diese nicht mit einem unverhältnismäßigen Aufwand an Kosten und Zeit verbunden gewesen wäre. Nur unter diesem letzten Gesichtspunkt könne es für den wirtschaftlichen Stellenwert darauf ankommen, unter welchen Umständen ein vermuteter Fehler erkannt werden kann, da nur in diesem Sinne schwer aufzuspürende Mängel die technische und wirtschaftliche Behebbarkeit in Frage stellen könnten. Die für die Produzentenhaftung entwickelten Grundsätze würden entsprechend auch für die deliktische Haftung des Werkunternehmers gelten, unabhängig davon, ob zwischen dem Werkunternehmer und dem Geschädigten vertragliche Beziehungen bestehen/bestanden. Der anfängliche Mangelunwert und Schaden decken sich mithin, wenn die Fehlersuche und Fehlerbeseitigung Kosten verursache, die etwa dem Wert des Gesamtsache entsprechen oder diese gar übersteigen.

Es käme also (anders als das OLG meinte) nicht darauf an, ob es sich bei der Neuerrichtung der Sporthalle um eine Gesamtbaumaßnahme mit Arbeiten verschiedener Gewerke zur Herstellung eines Funktionszusammenhangs gehandelt habe, wie es auch nicht darauf ankäme, ob die behaupteten Undichtigkeiten zwangsläufig zur Beschädigung der darunter- oder dahinterliegenden Bauteile geführt habe. Entscheidend sei, ob ein Auswechseln der Hahnverlängerungen weitgehend ohne Zerstörung anderer Bauteile möglich sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Sporthalle nicht oder nur in sehr eingeschränkten Maße verwendbar gewesen sei.

Auch aus der Entscheidung des BGH vom 27.01.2005 - VII ZR 158/03 - ließe sich nichts anderes herleiten, wobei offen bleiben könne, ob die dort benannten Beispiele und Erwägungen (dort Rn. 36 und 37) sich mit den benannten Abgrenzungskriterien vereinbaren lasse. Jedenfalls könne diese Entscheidung nicht dahingehend verstanden werden, dass im hier relevanten Zusammenhang eine vertragliche Leistung immer schon dann (zumindest auch) dem Schutz eines anderen Bauteils bezwecke, wenn es bei nicht vertragsgemäßer Leistung beschädigt würden oder werden könnte. Dies sei grundsätzlich bei jeder Leistung der Fall, da alle Gebäude auf das fehlerfreie Funktionieren und Zusammenwirken ihrer Einzelteile angelegt seien. Deshalb scheide eine Eigentumsverletzung an anderen Bauteilen der Sporthalle nicht deshalb aus, weil die fachgerechte Ausführung und Abdichtung der Hahnverlängerungen nicht nur der Funktion der Wasserabgabe diene, sondern darüber hinaus auch verhindern soll, dass Wasser unkontrolliert in die Sporthalle eindringt.  

Fehlerhaft sei auch die Annahme des OLG, dass, wenn nach klägerischem Vortrag der Mangel von Anfang an dem Bauwerk angehaftet habe, an den erst später eingebrachten Fußböden, Wandbekleidungen, Vormauern, Fliesen und Abdichtungen kein unversehrtes Eigentum habe erwerben können und die Kosten einer Schätzung nicht Beschädigungen am Rohbau, sondern offenbar später gefertigter Teile beträfen. Zum Einen ergäbe sich aus dem Tatbestand des Urteils des OLG, dass das Gebäude bereits errichtet gewesen sei (Wände, Bodenplatte und Fußböden), als die Installationen von dem Beklagten eingebracht worden seien. Zum Anderen erschließe sich nicht, weshalb eine Eigentumsbeeinträchtigung nicht vorliegen soll, soweit Gebäudeteile erst nach Einbau der Hahnverlängerungen errichtet wurden, da entscheidend sei, dass das Eigentum zunächst unbeeinträchtigt war und erst später durch austretendes Wasser beschädigt wurde (BGH, Urteil vom 05.05.1981 - VI ZR 280/79 -).  

Nach den bisherigen Feststellungen könne auch nicht von einer Verjährung der deliktischen Ansprüche ausgegangen werden. Die Klage ging am 31.12.2012 bei Gericht ein und wurde demnächst zugestellt. Damit war die Verjährung ab de, 31.12.2012 gehemmt gewesen. Unabhängig von eventuell anderen Hemmungstatbeständen käme es darauf an, ob der Anspruch vor Ablauf des 31.12.2012 entstanden sei. Die Rechtsgutsverletzung erfolgte nicht bereits durch die Installation der Wasserabnahmestellen in 1995, sondern erst durch das austretende Wasser.

BGH, Urteil vom 23.02.2021 - VI ZR 21/20 -