Mittwoch, 9. September 2020

Die verflixten Stufen zum Hochaltar und die Verkehrssicherungspflicht


Die 65-jährige Klägerin war zur Taufe ihres Enkelsohnes in der (katholischen) Kirche. Der Hochaltar war über vier Treppenstufen (dahinter, über eine weitere Treppenstufe erreichbar, das Taufbecken) erreichbar, wobei Bodenfläche und Treppenstufen farblich identisch sind und die Stufen unbeleuchtet waren. Die Klägerin, die unter einem zerebralen Aneurysma der Arteria Carotis intera litt, will ihrer Behauptung zufolge beim Rückweg vom Hochaltar gestürzt sein, die sie die Stufe nicht wahrgenommen habe. Bei dem Sturz habe sie sich beide Handgelenke und die rechte Schulter gebrochen. Das Landgericht wies ihre Klage ab. Die Berufung gegen das klageabweisende Urteil wurde zurückgewiesen.

Nach Auffassung des OLG scheidet mangels einer Verkehrssicherungspflichtverletzung durch die Beklagte als Eigentümerin der Kirche ein deliktischer Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB der Klägerin aus. Zwar müsse jeder, der Gefahrenquellen schaffen die notwendigen Vorkehrungen zu Schutz Dritter treffen, doch gäbe es keine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließe. Die zu treffende Vorsorge beträfe daher Gefahrenquellen, mit denen der übliche Verkehr nicht rechnen müsse und auf die er sich  auch nicht ohne weiteres selbst einstellen könne.

Die Erwartungshaltung bei erkennbar älteren Gebäuden sah das OLG als niedriger an gegenüber neuen Gebäuden, auch wenn dies nicht dringende Sicherheitsbedürfnisse (wie z.B. standfeste Treppen und ausreichende Trittbreite in alten Gebäuden) ausschließe. Darüber hinaus würden Art und Ausmaß der Verkehrssicherungspflichten in Kirchen von den religiösen Besonderheiten mitgeprägt. Dies zugrunde legend würden weder die fehlende Markierung noch eine fehlende Beleuchtung der Treppenstufen einen Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht in der Kirche darstellen.

Beim Betreten des Altarraumes könne sich der Besucher auf die vorhandenen baulichen Ausführungen einstellen. Hier ging die Klägerin auch ohne Sturz die Stufen zum Taufbecken hoch. Da die Treppenanlage für sie erkennbar gewesen sei, habe ein überraschendes Auftreten einer Gefahrenquelle nicht vorgelegen. Standsicherheit und Trittbreite seien von der Klägerin auch nicht gerügt worden.

Das Landgericht habe hier auch die religiöse Besonderheit hervorgehoben, wonach sich Besucher von katholischen Kirchen im Wesentlichen auf das Kirchenschiff konzentrieren würden, das Betreten des Altarraumes die Ausnahme für besondere Zeremonien (wie hier Taufe) darstelle. Wer den Bereich des Hochaltars betrete, dem könne die Abstufung nicht entgehen.

Aber auch bei Annahme einer Verkehrssicherungspflichtverletzung wäre der Klägerin ein Anspruch zu versagen. Das Eigenverschulden der Klägerin würde diesen verdrängen, § 254 Abs. 1 BGB. Dieses käme bei einem Schaden aufgrund der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht immer dann in Betracht, wenn für einen sorgfältigen Menschen Anhaltspunkte für eine solche Verkehrssicherungspflicht erkennbar gewesen wären und damit die Möglichkeit gehabt habe, sich auf diese Gefahr einzustellen. Da die Klägerin nach ihrem Vortrag auf dem Rückweg gestolpert sein will, hatte sie Kenntnis von den Stufen und hätte sich auf diese einstellen können. Dieses Unterlassen stelle sich als Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos dar, durch die eine mögliche Pflichtverletzung der Beklagten zur Kenntlichmachung der Treppenstufen zurückgedrängt würde.

OLG Oldenburg, Urteil vom 01.09.2020 - 2 U 83/20 -

Freitag, 4. September 2020

Beweislast für fehlende Aufklärung offenbarungspflichtiger Umstände bei einem Grundstückskaufvertrag


Die Kläger verkauften den Beklagten mit notariellem Kaufvertrag ein Grundstück unter Ausschluss der Haftung für Sachmängel. Das Grundstück war mit einem Wochenendhaus nebst einer Motorradgarage bebaut, wobei die Garage als Wohnraum mit genutzt wurde. Nach Eigentumsübergang wandte sich die Bauaufsicht an die Kläger und wies darauf hin, dass die Garage nicht zu Wohnzwecken genutzt werden dürfe und ein Rückbau angedacht sei. Die Kläger haben daraufhin den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten und den Kaufpreis (Zug um Zug gegen Rückübertragung des Eigentums) verlangt. Auf die Berufung wurde der Klage stattgegeben, da das Berufungsgericht von einer unterlassenen Aufklärung durch die Beklagten ausging. Dem folgte der BGH nicht, der das Urteil aufhob und den Rechtsstreits an das Berufungsgericht zurückverwies.

Von Grundsatz her kann auch nach Auffassung des BGH bei arglistiger Täuschung und wirksamer Anfechtung des Vertrages von den Klägern die Rückabwicklung des Vertrages (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) und Zahlung von Schadensersatz nach den Grundsätzen der Haftung bei Vertragsschluss (§ 280 Abs.1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB) in Betracht kommen. Auch sei vom Berufungsgericht richtig davon ausgegangen worden, dass die arglistige Täuschung objektiv angenommen werden kann, wenn Räume als Wohnräume angepriesen würden, obwohl eine dafür erforderliche baurechtliche Genehmigung nicht vorliege. Dies deshalb da die Baubehörde die Nutzung jedenfalls bis zur Erteilung einer Genehmigung untersagen könne (BGH, Urteil vom 27.06.2014 – V ZR 55/13 -).

Die subjektive Seite des arglistigen Handelns bei der unterlassenen Aufklärung erfordere, dass der Verkäufer den Fehler jedenfalls für möglich hält und weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragspartner den Mangel nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem Inhalt abgeschlossen hätte.

Allerdings würden die beklagten als Verkäufer nicht die Beweislast für eine ordnungsgemäße Aufklärung tragen. Allerdings trage derjenige, der einen Vertrag wegen arglistiger Täuschung anfechte, die Darlegungs- und Beweislast für alle objektiven und subjektiven Voraussetzungen. Dazu gehöre bei der Täuschung durch Verschweigen die fehlende Offenbarung. Da es sich dabei um eine negative Tatsache handele, kämen daher dem Käufer die Grundsätze der sekundären Beweislast zugute. Damit müsse der Verkäufer substantiiert in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht eine Aufklärung darlegen und es wäre Sache des Käufers, dies zu widerlegen.

Alleine die notarielle Form des Vertrages rechtfertige hier keine abweichende Sicht. Auch wenn hier im Vertrag aufgenommen worden sei, dass den Verkäufern unsichtbare Mängel nicht bekannt seien, würde dem kein Beweiswert in Bezug auf eine von den Verkäufern behauptete Aufklärung zulassen. Denn bei Aufklärung läge bereits kein „unsichtbarer“ Mangel mehr vor.

Anders als das Berufungsgericht, welches von einer Umkehr der Beweislast auf Grund der Bestimmungen im Kaufvertrag ausging, negierte der BGH eine Umkehr der Beweislast.  Die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Kaufvertragsurkunde erstrecke sich nicht auf bei Besichtigungen und Vertragsverhandlungen erteilte Informationen, die als solche nicht der notariellen Form bedürften (BGH, Urteil vom 15.07.2011 – V ZR 171/10 -).

Auch aus der Regelung im notariellen Kaufvertrag, der Grundbesitz werde in dem Zustand verkauft, in dem er sich bei der letzten Besichtigung befunden habe, würde sich keine Rechtfertigung für eine Beweislastumkehr herleiten lassen. Daraus würde sich nichts zu eine Zulässigkeit als Wohnraumnutzung vor Vertragsabschluss ergeben.

Die Rückverweisung durch den BGH erfolgte, da sich das Berufungsgericht nicht damit auseinandersetzte, ob es den Klägern gelungen sei, die beklagtenseits behauptete Aufklärung zu widerlegen.

BGH, Urteil vom 06.03.2020 - V ZR 2/19 -

Mittwoch, 2. September 2020

Keine Berichtigungsmöglichkeit des Steuerbescheides nach § 129 AO Bei Tatsachen-oder Rechtsirrtum


Der Kläger hatte seine an das Versorgungswerk geleisteten Beiträge fehlerhaft nicht als Versicherungsbeiträge an eine berufsständische Versorgungseinrichtung gem. § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG an der dafür vorgesehenen Stelle des Formulars für die Einkommensteuer eingetragen, sondern als Beiträge zur „Rentenversicherung mit kapitalwahlrecht und Kapitallebensversicherung mit mindestens 12 Jahren Laufzeit und Laufzeitbeginn sowie erste Beitragszahlung vor dem 01.01.2005“. Von daher wurden die Beitragszahlungen vom beklagten Finanzamt (FA) als nur beschränkt abziehbare Vorsorgeaufwendungen behandelt, weshalb sich die Beitragszahlungen steuerlich nicht auswirkten. Die aufgrund der so ausgefüllten und verbeschiedenen Steuererklärungen ergangenen Steuerbescheide wurden bestandskräftig.  Im Juni 2016 beantragte der Kläger eine Änderung der Steuerfestsetzung gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen unzutreffender Erfassung der Beiträge. Dies lehnte das FA ab. Nach dem erfolglosen Einspruchsverfahren erhob der Kläger Klage und vertrat die Auffassung, dass eine die Berichtigung nach § 128 AO ermöglichende offenbare Unrichtigkeit vorliegen würde..

§ 129 AO lautet:

Die Finanzbehörde kann Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen. Wird zu einem schriftlich ergangenen Verwaltungsakt die Berichtigung begehrt, ist die Finanzbehörde berechtigt, die Vorlage des Schriftstücks zu verlangen, das berichtigt werden soll.

Die Klage wurde vom Finanzgericht (FG) abgewiesen. Die daraufhin vom Kläger erhobene Revision wurde vom BFH zurückgewiesen.

Nach dem Wortlaut der Norm, auf den der BFH verwies, kann das FA Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offensichtliche Unrichtigkeiten berichtigen.

Vorliegend müsste es sich um eine „offenbare Unrichtigkeit“ handeln. Dies, so der BFH, seien mechanische Versehen wie Eingabe- oder Übertragungsfehler. Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts würde sich nicht als offenbare Unrichtigkeit iSv. § 129 AO darstellen. Auch sei § 129 AO dann nicht anwendbar, wenn die ernsthafte Möglichkeit bestünde, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet sei oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruhe. Der offenbare Fehler, der die Berichtigungsmöglichkeit nach § 128 AO ermögliche, müsse in der Sphäre des den Verwaltungsakt (Steuerbescheid) erlassenden FA entstanden sein. Da sich die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst ergeben müsse, sei § 129 AO auch anwendbar, wenn das FA offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernehme.

Die Beurteilung richte sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls und dabei insbesondere nach der Aktenlage. Es handele sich um eine Tatfrage.

Danach sei die Auffassung des FG nicht zu beanstanden, dass die fehlerhafte Eintragung durch den Kläger nicht aufgrund eines mechanischen Versehens, sondern bewusst aufgrund eines Tatsachen- und Rechtsirrtums vorgenommen worden sei. Ohne dass hier dem Sachbearbeiter des FA kein mechanischer Fehler unterlaufen sei, der lediglich die Angabe des Klägers übernahm, käme eine Berichtigung nach § 129 AO nicht in Betracht.

Der Umstand, dass die fehlerhafte Angabe auch in den Folgejahren erfolgte, ändere für diese weiteren bescheide nicht die Grundlage des § 129 AO. Ursächlich bliebe stets die ohne erneute Prüfung der rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen Überbahne des irrigen Prüfergebnisses des Erstjahres mit den jeweils aktuellen Beiträgen zum Versorgungswerk.

BFH, Urteil vom 12.02.2020 - X R 27/18 -

Freitag, 28. August 2020

Fehlende Leistungsangabe in Rechnung schließt Berichtigungsmöglichkeit und damit Vorsteuerabzug aus


Welchen Anforderungen eine Rechnung genügen muss, die den Vorsteuerabzug durch den vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer erlaubt, wird in § 14 Abs. 4 UStG (und für besondere Fälle zusätzlich in § 14a UStG) geregelt. Dies gilt ebenso für Rechnungen, die im Wege der Gutschrift von dem der vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer erstellt werden, § 14 Abs. 2 S. 2 UStG. Fehlen nach § 14 Abs. 4 UStG vorgesehen Angaben, ist der Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Allerdings kann eine Rechnung nach § 31 Abs. 5 S. 1 Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) rückwirkend berichtigt werden, wenn sie nicht alle Angaben nach §§ 14 Abs. 4 oder 14a UStG enthält.

Im Streitfall enthielt die „Credit Note“ die nach § 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 UStG geforderte Angabe der Steuernummer oder USt-IdNr. des leistenden Unternehmers nicht und zum Anderen habe auch nach Ansicht des Finanzgerichts (FG) als auch des BFH die Angabe „Sales Products“ (Produktverkäufe) nicht der Anforderung des § 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 5 UStG entsprochen, da sich aus dieser Angabe weder Art noch Menge des verkauften Produkts ergäbe. Anders als das FG ging der BFH nicht davon aus, dass dies zulässig nach § 31 Abs. 5 S. 1 UStDV berichtigt worden sei.

Nach § 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 5 UStG muss die Rechnung „die Menge und die Art (handelsübliche Bezeichnung) der gelieferten Gegenstände oder den Umfang und die Art der sonstigen Leistung“ enthalten. Für eine berichtigungsfähige Rechnung dort der BFH, dass diese Angaben tatsächlicher Art enthalten müsse, die es erlaube, die abgerechnete Leistung zu identifizieren, mithin eindeutig und leicht nachprüfbar festzustellen. Daran fehle es, wenn die Angaben in hohem Maße unbestimmt, unvollständig oder offensichtlich falsch seien. Danach habe es sich hier bei der Credit Note um eine nicht berichtigungsfähige Rechnung gehandelt, da die Angabe unbestimmt gewesen sei und es nicht ermöglicht habe, die abgerechnete Leistung zu bestimmen. Soweit das FG auf die Firmenbezeichnung des leistenden Unternehmers abstellte, einem Verlag, ließe sich daraus auch nichts herleiten, da die Angebotspalette vielseitig seine könne: klassische Printprodukte (wie Bücher und Zeitschriften), Kalender und Gesellschaftsspiele und auch digitale Medienangebote (wie Lernsoftware, eBooks, Hörspiele) sowie Werbe- und Marketingleistungen. Aus der Firmenbezeichnung Verlag lasse sich daher nicht einmal entnehmen, ob es sich um körperliche oder nicht verkörperte Gegenstände (oder gar Dienstleistungen) handele. Auch wenn dem FA nach dessen Urteilsbegründung bekannt war, dass die Klägerin den Olineshop des Verlags vertrat, ließe sich damit nichts zur Art und Menge des verkauften „Produkts“ aussagen.

Da damit den Anforderungen an eine berichtigungsfähige Rechnung nicht genügt worden sei, scheide der Vorsteuerabzug für das Streitjahr aus. Der Vorsteuerabzug sei erst möglich, wenn die Lieferung oder Leistung bewirkt worden sei und der Steuerpflichtige im Besitz einer Rechnung sei.

BFH, Urteil vom 12.03.2020 - V R 48/17 -

Sonntag, 23. August 2020

Darlegungs- und Beweislast bei Lohnfortzahlung und Klage aus Forderungsübergang nach § 6 Abs. 1 EFZG


Die Klägerin war Arbeitgeberin der bei einem Verkehrsunfall verunfallten Zeugin W. Sie erbrachte nach Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Zeugin Lohnfortzahlungen für den Zeitraum vom 18. - 24.03.2016, zu denen sie nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG (Lohnfortzahlung im Krankheitsfall) verpflichtet war. In Höhe dieser Zahlungen machte sie gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des den Verkehrsunfall verursachenden Fahrzeuges Ansprüche aus übergegangenen Recht gem. § 6 Abs. 1 EFZG geltend. In § 6 Abs. 1 EFZG heißt es:

„Kann der Arbeitnehmer auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten Schadensersatz wegen des Verdienstausfalls beanspruchen, der ihm durch die Arbeitsunfähigkeit entstanden ist, so geht dieser Anspruch insoweit auf den Arbeitgeber über, als dieser dem Arbeitnehmer nach diesem Gesetz Arbeitsentgelt fortgezahlt und darauf entfallende vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Bundesagentur für Arbeit, Arbeitgeberanteile an Beiträgen zur Sozialversicherung und zur Pflegeversicherung sowie zu Einrichtungen der zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung abgeführt hat.“

Nach der Behauptung der Klägerin sei die attestierte Arbeitsunfähigkeit Folge einer durch den Unfall bedingten HWS-Distorsion. Die Beklagte bestritt, dass der Unfall, bei dem es nur zu einem leichten Stoßimpuls gekommen sei, dass das benannte Verletzungsbild von dem Unfall hervorgerufen worden sei. Das Amtsgericht gab der Klage statt. Das Landgericht hatte unter Aufhebung des Urteils die Klage abgewiesen. Auf die zugelassene Revision hob der BGH das Urteil des Landgerichts auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.

Nach Auffassung des BGH sei die der landgerichtlichen Entscheidung zugrunde liegende Auffassung, eine unfallbedingte Körperverletzung ließe sich nur dann feststellen, wenn die Klägerin die behauptete HWS-Distorsion beweisen könne, fehlerhaft. Dabei verwies es darauf, dass nach Angaben der erstinstanzlich vernommenen Zeugin W. diese starke Nacken- und Kopfschmerzen bekundet habe, welche ebenfalls als Primärverletzung in Betracht kämen; dies sei vom Landgericht nicht erwogen und geprüft worden, ob diese Beeinträchtigungen unfallbedingt seien uns zur Arbeitsunfähigkeit der Zeugin geführt haben.  

Der Arbeitgeber habe außer der Entgeltfortzahlung darzulegen und zu beweisen, dass der Zeugin W. als ihre Arbeitnehmerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfallschadens nach § 823 Abs. 1 BGB oder §§ 7 Abs. 1, 11 S. 1 StVG zugestanden habe, wobei keine anderen Grundsätze gelten würden, als wenn die Zeugin ihren Anspruch selbst geltend machen würde.

Eine Partei genüge ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen anführt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe weiterer Einzelheiten sei nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung seien. Dieser darlegungslast habe die Klägerin dadurch genügt, dass sie behauptete, die Zeugin habe infolge des Unfalls Verletzungen erlitten und sei deshalb im benannten Zeitraum arbeitsunfähig krank gewesen.

Für die haftungsausfüllende Kausalität, die den Kausalzusammenhang zwischen der Verletzungshandlung und der Rechtsgutsverletzung (dem ersten Verletzungserfolgt, die sogen. Primärverletzung) gelte das Beweismaß des § 286 ZPO, welches die volle Überzeugungsbildung des Gerichts verlange (sogen. Vollbeweis). Der Vollbeweis sei erbracht, wenn ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit vorläge, der Zweifeln Schweigen gebiete. Nur für die haftungsausfüllende Kausalität (die den ursächlichen Zusammenhang zwischen der primären Rechtsgutverletzung und weiteren Schäden des Geschädigten beträfe, sogen. Sekundärschäden) gelte das erleichterte Beweismaß des § 286 ZPO.

Vorliegend war damit das Beweismaß des § 286 ZPO anzuwenden. Danach negierte das Landgericht eine HWS-Distorsion als Folge des Unfalls. Nicht zu beanstanden sei, dass das Landgericht die Angabe der Zeugin, sie habe starke Nacken- und Kopfschmerzen gehabt und dies sei ärztlicherseits als Schleudertraume diagnostiziert worden, weshalb Physiotherapien verschrieben worden seien, anders als das Amtsgericht nicht als Beweis der Behauptung angesehen habe, da damit nicht die objektive Richtigkeit (wie bei einem Sachverständigengutachten) festgestellt würde. Die von der Zeugin mitgeteilte Diagnose des Arztes müsse nicht richtig sein, da der einen Unfallgeschädigten untersuchende Arzt nicht aus der Sicht eines Gutachters, sondern aus der Sicht eines Therapeuten vorgehe, und für ihn  die Notwendigkeit einer Therapie im Vordergrund stehe und die Diagnose zunächst untergeordnete Bedeutung habe. Von daher könnten derartige Untersuchungen nur Indizien darstellen (BGH, Urteil vom 29.01.2019 - VI ZR 113/17 -; BGH, Urteil vom 03.06.2008 - VI ZR 235/07 -).

Anderes ergäbe sich auch nicht aus der zeitgleich vom Arzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit (AU-Bescheinigung), da auch bei dieser nicht die objektiv richtige Diagnose im Vordergrund stünde. Die AU-Bescheinigung habe weder Angaben zur Diagnose (also Art der Erkrankung) enthalten noch gebe sie Aufschluss dazu, ob die Krankheit unfallbedingt sei. Da sie sich nicht auf Art und Umfang der Krankheit erstrecke, käme es vorliegend nicht darauf an, welche (formelle oder materielle) Beweiskraft einer Privaturkunde zukomme.

Die Revision würde allerdings zutreffend rügen, dass sich das Landgericht bezüglich unfallbedingter Verletzungen lediglich mit dem HWS-Syndrom auseinandergesetzt habe. Die von der Zeugin benannten starken Nacken- und Kopfschmerzen seien nicht beachtet worden. Es sei davon auszugehen, dass sich die Klägerin diese bei der Beweisaufnahme zutage getretenen Umstände zumindest hilfsweise zu eigen gemacht habe, da der Begriff der Körperverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB, §§ 7 Abs. 1, 11 StVG weit gefasst sei und jeden Eingriff in die körperliche Integrität meint. Selbst wenn sich eine HWS-Distorsion nicht verifizieren ließe, könnten starke Nacken- und Kopfschmerzen eine Rechtsgutverletzung und nicht nur einen Verletzungsverdacht begründen. Ob diese unfallbedingt seien, ließe sich aus der landgerichtlichen Entscheidung nicht entnehmen, weshalb diese insoweit unvollständig sei. Würde die Unfallbedingtheit im weiteren Verfahren vor dem Landgericht festgestellt, wäre nach dem Beweismaß des § 287 ZPO zu prüfen, ob diese eine Arbeitsunfähigkeit (und damit einen Verdienstausfallschaden) begründen.

BGH, Urteil vom 23.06.2020 - VI ZR 435/19 -

Donnerstag, 20. August 2020

Trittschallschutz bei Änderung des Bodenbelags im Wohnungseigentum



Die Parteien waren Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft in einem 1962 errichteten Haus, welches 1965 in Wohnungseigentum aufgeteilt wurde. Der Kläger erwarb eine im 2. OG belegen Wohnung, der Beklagte 2001 die darüber liegende Wohnung. In 2008 ließ der Beklagte den Teppichboden in seiner Wohnung durch Fliesen ersetzen. Nach einem Gutachten aus dem Jahr 2013 entspricht die Wohnungsdecke zwischen den Wohnungen nicht den Anforderungen an den Trittschallschutz der DIN 4109 in der Ausgabe von 1989. Im Rahmen einer Klage gab das Landgericht im Berufungsverfahren dem klägerischen Hilfsantrag statt, nach dem der Beklagte verpflichtet wurde, durch geeignete Maßnahmen einen Normtrittschallpegel des Fußbodens von ≥ 53 dB herzustellen.


Die vom Landgericht zugelassene Revision des Beklagten wurde vom BGH zurückgewiesen. Zu Recht habe das Landgericht einen Anspruch des Klägers aus § 10044 Abs. 1 BGB und 15 Abs. 3 WEG iVm § 14 Nr. 1 WEG bejaht.

Nach § 14 Nr. 1 WEG sei jeder Wohnungseigentümer verpflichtet, von dem in seinem Sondereigentum stehenden Gebäudeteilen (wozu auch der Oberbodenbelag gehöre) nur in solcher Weise Gebrauch zu machen, dass dadurch keinem anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwachse. Der Wohnungseigentümer stehe insoweit auch für Nutzer/Mieter seiner Wohnung ein, § 14 Nr. 2 WEG. Durch den Austausch des Bodenbelags sei es hier zu einem Nachteil iSv. § 14 Nr. 1 WEG gekommen.

Dabei ergäbe sich das einzuhaltende Schallschutzniveau nicht aus tatsächlichen Umständen, wie hier der vorhandenen Ausstattung der Wohnung mit einem Teppichboden (insoweit erfolgte mit Urteil des BGH vom 27.02.2015 - V ZR 73/14 - eine Rechtsprechungsänderung). Für den im Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander zu gewährenden Schallschutz sei die DIN 4109 maßgeblich, wenn wie vorliegend ein vorhandener Bodenbelag durch einen anderen ohne Eingriff in Estrich und Geschossdecke ersetzt würde. Das gelte selbst dann, wenn die Trittschalldämmung des Gemeinschaftseigentums mangelhaft sei und der Trittschall ohne diesen Mangel den schallschutztechnischen Mindestanforderungen entspräche. Auch wenn der Mangel erst durch Austausch des Bodenbelags zu Tage trete, bliebe dies für den von dem Wohnungseigentümer nach Austausch einzuhaltenden Schallschutz ohne Bedeutung.

Anders könnte es nur sein, wenn bei einer mangelhaften Trittschalldämmung des Gemeinschaftseigentums der Wohnungseigentümer keine zumutbare Abhilfemöglichkeit habe, was schon dann nicht der Fall sei, wenn durch Verlegung eines schalldämpfenden Teppichbodens oder eines zusätzlichen Bodenbelags der Schallschutz erreicht würde.

Einzuhalten seien hier bei dem 1962 errichteten und 1995 ausgebauten Gebäude die Anforderungen an den Trittschallschutz gem. DIN 4109 in der Ausgabe von 1989 (BGH, Urteil vom 16.03.2018 - V ZR 276/16 -). Vorliegend würde die darin festgelegte Trittschallgrenze von 53 dB bei einem Pegel von 66 bis 67 dB um 14 dB überschritten.


BGH, Urteil vom 26.06.2020 - V ZR 173/19 -

Dienstag, 18. August 2020

Steht die Scheinehe dem gesetzlichen Erbrecht entgegen ?

Die Beteiligte zu 2. war seit Juni 2019 die Ehefrau des Erblassers, die Beteiligten zu 1. und 3. die Söhne des Erblassers. Bereits mit Testament aus 2016 enterbte der Erblasser den Beteiligten zu 3. Die Beteiligten zu 1. und 2. beantragten einen gemeinschaftlichen Erbschein als Erben zu je ½, den das Amtsgericht am 19.11.2019 erließ. Mit der dagegen erhobenen sofortigen Beschwerde machte der Beteiligte zu 3. geltend, die Beteiligte zu 2. sei die Lebensgefährtin des Beteiligten zu 1. und es habe sich bei der Ehe mit seinem Vater nur um eine Scheinehe gehandelt, um so den Pflichtteilsanspruch von ihm zu minimieren.

Die sofortige Beschwerde wurde nach Nichtabhilfe durch das Amtsgericht vom OLG als unbegründet zurückgewiesen.

Die Beteiligten zu 1. und 2. seien die gesetzlichen Erben des Verstorbenen, da der Verstorbene den Beteiligten zu 3., ohne einen Erben zu bestimmen, von der Erbfolge ausgeschlossen habe, § 1838 BGB.

Das OLG weist zwar darauf hin, dass seitens des Beteiligten zu 3. keine konkreten Anhaltspunkte für die Behauptung der Scheinehe und damit keinen Aufhebungsgrund nach § 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB benannt wurde (Einigkeit der Eheleute bei Eheschließung, keine eheliche Lebensgemeinschaft eingehen zu wollen, § 1353 BGB). Allerdings kam es darauf nicht an. Die Beteiligte zu 2. sei als Ehefrau Erbin zu ½ (§§ 1931, 1371 BGB) und ihr Erbrecht nicht nach § 1933 BGB (es müssten die Voraussetzungen für eine Scheidung gegeben sein und der Erblasser diese beantragt oder einer solchen zugestimmt haben) ausgeschlossen. Auch habe der Erblasser keinen Antrag auf Aufhebung der Ehe gestellt; mache aber der Erblasser trotz Kenntnis des Aufhebungsgrundes davon keinen Gebrauch, verbleibe es beim Erbrecht des Ehegatten. Die Ausnahme nach § 1318 Abs. 5 BGB, dass die Kenntnis der Aufhebbarkeit der Ehe wegen Geschäftsunfähigkeit, Bigamie, Verwandtschaft, Formverstoß oder Geistesstörung bei Eheschließung das gesetzliche Erbrecht auch ausschließe, greife hier nicht. Die Aufhebbarkeit wegen Scheinehe falle nicht unter § 1318 Abs. 5 BGB.

Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 18.03.2020 - 3 W 27/20 -