Freitag, 28. März 2025

Verhaftungsauftrag des Gerichtsvollziehers und Gebühr für versuchte Einigung

Der Schuldner erschien nicht zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft (in dessen Rahmen der Gerichtsvollzieher bereits einen Versuch einer gütlichen Einigung nach § 802b ZPO unternahm, wobei der Schuldner vereinbarte Ratenzahlungen nicht einhielt), woraufhin der Gerichtsvollzieher die Akte gemäß Weisung des Gläubigers dem Vollstreckungsgericht zwecks Erlass eines Haftbefehls vorlegte. Der Haftbefehl wurde erlassen. Es kam dann nicht zu einer Vollstreckung, da der Schuldner unbekannt verzogen war. Im Rahmen des Verhaftungsverfahrens war dem Schuldner vom Gerichtsvollzieher eine Mitteilung mit der „Aufforderung zur gütlichen Einigung gemäß § 802b ZPO“ überlassen worden. Bei seiner Kostenrechnung machte der Gerichtsvollzieher eine Gebühr nach Nr. 208 KV GvKostG zuzüglich Auslagenpauschale für den Versuch einer gütlichen Einigung während des Verhaftungsverfahrens geltend.

Gegen diesen Kostenansatz erhob die Bezirksrevisorin Erinnerung, der der Gerichtsvollzieher nicht abhalf. Die Beschwerde der Bezirksrevisorin und weitere Beschwerde wurden zurückgewiesen. Schließlich wurde die Beschwerde dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.

Dieses sah die zulässige (auch wenn sie zugunsten des Gläubigers erfolgte) weitere Beschwerde als begründet an, da die Gebühren nach Nr. 207 KV GvKostG nebst Auslagenpauschale nach Nr. 716 KV GvKostG nicht angefallen seien.  Das OLG konstatierte, dass der Gerichtsvollzieher in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Erledigung bedachts ein müsse, wofür er dann auch die Gebühren nach Nr. 207 und 208 KV GvKostG beanspruchen könne. Umstritten sei allerdings in der Rechtsprechung. Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine solche gebühr auch für den Versuch einer gütlichen Erledigung im Rahmen der Vollziehung eines Haftbefehls zur Erzwingung der Vermögensauskunft vom Gerichtsvollzieher berechnet werden dürfe (bejahend z.B. OLG Köln, Beschluss vom 20.01.2022 – 17 W 136/20 -; verneinend z.B. OLG Celle, Beschluss vom 10.12.2021 – 2 W 183/21 -).

Maßgeblich sei, dass gem. § 10 Abs. 1 S. 1 GvKostG eine Gebühr nach derselben Nummer des Kostenverzeichnisses bei Durchführung desselben Auftrages nur einmal erhoben werden dürfe.  Hier sei bereits diese Gebühr im Zusammenhang mit dem Verfahren auf Vermögensauskunft entstanden gewesen; insoweit läge ein einheitlicher Auftrag vor. Der Verhaftungsauftrag sei als bloßes Beugemittel subsidiär und setze einen Antrag auf Abnahme der Vermögensauskunft voraus. Ein in dessen Rahmen vorgenommener Versuch der gütlichen Erledigung erfolge deshalb immer im zeitlichen und rechtlichen Zusammenhang mit der Vermögensauskunft, weshalb der begonnene und mit dem Haftbefehl fortgesetzte Auftrag zur Abnahme der Vermögensauskunft „derselbe Auftrag“ iSv. § 10 Abs. 1 S. 1 GvKostG sei.

Das OLG wies darauf hin, dass dem § 3 Abs. 1 S. 4 GvKostG , wonach die Vollziehung eines Haftbefehls einen besonderen Auftrag darstelle, nicht entgegen stehen würde. Der Umstand, dass § 3 Abs. 1 S. 4 GvKostG den Verhaftungsauftrag zu einem gesonderten Auftrag erhebe, bedeute nicht, dass in einem einheitlichen Vollstreckungsverfahren wiederholt vorgenommene Einigungsversuche kostenrechtlich jeweils auf einem neuen Auftrag beruhen würden. Die Erlaubnis des Gerichtsvollziehers zur Vornahme eines gütlichen Einigungsversuchs basiere auf dem ursprünglichen Vollstreckungsauftrag.

Anmerkung: Der Gläubiger kann dem Gerichtsvollzieher untersagen, einen Versuch zur gütlichen Einigung vorzunehmen. Dies wird häufig von den Gerichtsvollziehern nicht beachtet mit Hinweis darauf, sie hätten nach § 802a ZPO eine Pflicht, einen Einigungsversuch zu unternehmen. Dem ist nicht so, weshalb auch die Gebühr nicht zu zahlen ist (LG Hannover, Beschluss vom 25.07.2017 - 55 T 43/17 -).

Hinweis: Eine andere Ansicht vertritt das > OLG Oldenburg.

OLG Braunschweig, Beschluss vom 11.11.2024 - 2 W 88/24 -

Montag, 24. März 2025

Mangel der Mietsache durch Rauchen des Nachbarn auf Balkon ?

Die Kläger machten gegenüber den Beklagten, ihren Mietern, klageweise Mietrückstände aufgrund Mietminderungen der Beklagten geltend. Die Mietminderungen wurden von den Beklagten vorgenommen, da ein Mietmieter in dem Wohngebäude (dessen Wohnung sich eine Etage versetzt und in einem Winkel von 90°  zur Wohnung der Beklagten lag) auf dem Balkon seiner Wohnung rauchte. Das Amtsgericht gab der Klage statt.

Die Beklagten machten geltend, dass sie sich durch den Rauh belästigt fühlen würden. Der Rauch würde in ihre Wohnung ziehen und so es ihnen nicht ermöglichen, die Wohnung in einem gewünschten Maß zu lüften. Infolgedessen sei eine Minderung der (Kalt-) Miete von 10% im Monat gerechtfertigt. Das sah das Amtsgericht anders.

Voraussetzung für die Minderung sei, dass die Wohnung einen Mangel aufweise, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch mehr als nur unerheblich mindere, § 536 Abs. 1 BGB. Auch bei einem nach vorgelegten „Rauchtagebüchern“ dokumentierten Rauchverhalten sah das Amtsgericht diese Voraussetzung nicht. Dabei hat es die weiteren Umstände berücksichtigt:

Grundsätzlich gehöre Rauchen zum vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache. Das gelte auch, wenn ein Mitbewohner im Haus auf seinem Balkon rauche. Der Mieter könne von dem Vermieter nicht verlangen, den rauchenden Mitmieter zu einer Einschränkung seines Rauchverhaltens zu veranlassen. Anders sei dies nur dann, wenn bei dem gestörten Mieter Rauch bzw. Gerüche in die Wohnung ziehen würde, ohne dass dies verhindert werden könne oder der Rauch bzw. die Gerüche fast unmöglich aus der Wohnung herauszubekommen seien.

Ein Einziehen von Rauch oder Gerüchen in die Wohnung, ohne dass dies verhindert werden könne, läge z.B. vor, wenn diese durch Zwangsöffnungen in die Wohnung gelangen würde (AG Berlin-Mitte, Urteil vom 13.10.2022 - 122 C 156/21 -). Im fall des LG Hamburg (Urteil vom 15.06.2012 - 311 S 92/10 -) verfing sich Rauch in der Dachgaube des betroffenen Mieters und drang bei geöffneten Fenster in die Wohnung ein, ohne dass er die Möglichkeit gehabt habe durch sonstiges Lüften den Rauch wieder loszuwerden.

Die konkreten Umstände sah das Amtsgericht als anders gelagert an.  Rauch würde im Wesentlichen über das Fenster des kleinen Bades und zwei bodentiefe Fenster im Esszimmer eindringen. Doch verfüge die Wohnung über zahlreiche andere Zimmer mit zehn weiteren Fenstern. Das Eindringen des Rauches könne mithin verhindert werden (durch schließen der drei Fenster) als auch könne er zumutbar entfernt werden (durch Querlüften).

Zudem läge kein exzessives Rauchverhalten vor, aus dem eine Unzumutbarkeit abgeleitet werden könne (ähnlich wie bei einem Rauchpavillon einer Gaststätte. In dem sich viele Menschen aufhalten würden).  

AG Remscheid, Urteil vom 02.05.2024 - 7 C 5/24 -

Freitag, 21. März 2025

Schmerzensgeld: Substantiierung einer psychischen Beeinträchtigung

Die Klägerin machte im Rahmen einer offenen Teilklage nach einem Verkehrsunfall ein weiteres Teilschmerzensgeld in Bezug auf eine behauptete psychische Beeinträchtigung infolge der schweren Verletzungen (Schädel-Hirn-Trauma, Hirnblutung, ein zusammengeklappter Lungenflügel) ihres sechs Wochen alten Sohnes bei dem Verkehrsunfall geltend. Das Berufungsgericht hatte psychische Beeinträchtigungen der Klägerin bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht berücksichtigt. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin war erfolgreich und führte zur Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts durch den BGH und Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses. Dies stützte der BGH auf die Verletzung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 GG durch das Berufungsgericht.

Voraussetzung für eine entschädigungspflichtige psychische Störung, die bei dem Geschädigten mittelbar durch die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem Dritten verursacht worden sei (sogen. „Schockschaden“), eine Gesundheitsverletzung wie im Falle unmittelbarer Einwirkung darstelle, wenn sie pathologisch fassbar sei, mithin einen Krankheitswert habe (BGH, Urteil vom 06.12.2022 - VI ZR 168/21 -). Würde es sich bei der psychischen Beeinträchtigung um einen Primärschaden handeln, sei das strenge Beweismaß des § 286 ZPO zu beachten, also der Vollbeweis erforderlich. 

Hier habe allerdings das Berufungsgericht überhöhte Anforderungen an die Substantiierungspflicht der Klägerin gestellt. Da die Handhabung der Substantiierungsanforderungen dieselben einschneidenden Folgen wie die Anwendung von Präklusionsvorschriften habe, verstoße sie gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie offenkundig unrichtig sei (BGH, Urteil vom 16.02.2021 - VI ZR 1104/20 -).

Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs sei dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vortrage, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich seien, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Nähere Einzelheiten seien nicht erforderlich, soweit nicht für die Rechtsfolgen von Bedeutung. Seien diese Anforderungen erfüllt, sei in die Beweisaufnahme einzutreten (BGH, Urteil vom 06.02.2024 - VI ZR 526/20 -).

Im Hinblick auf Schadensersatz wegen Verletzung des Körpers oder der Gesundheit verwies der BGH darauf, dass von einem Kläger bei Geltendmachung eines Schadensersatzspruchs wegen Körper- oder Gesundheitsschäden nicht verlangt werden könne, genaue Kenntnisse medizinischer Zusammenhänge zu haben und dies auch nicht gefordert werden könne. Der Kläger sei auch nicht verpflichtet, sich zur ordnungsgemäßen Prozessführung medizinisches Fachwissen anzueignen (BGH, Urteil vom 28.05.2019 - VI ZR 328/17 -).

Die Klägerin habe psychische Beschwerden beschrieben und in der Berufungsbegründung die Behauptung aufgestellt, dass es sich bei diesen um „pathologisch feststellbare Gesundheitsbeeinträchtigungen im psychischen Bereich“ handele; ferner habe sie aus Berichten zitiert, wonach ihre psychische Situation das „gesundheitliche Hauptproblem“ sei und dort von deutlichen Hinweisen auf Anpassungsstörungen die Rede sei, weshalb auch eine Verhaltenstherapie empfohlen worden sei. Auf Behandlungen verwies sie ebenfalls, die „medizinisch geboten“ gewesen seien. Dies alles reiche für eine gebotene Substantiierung, die von einem medizinischen Laien erwartet werden könne, der in seinen Beschwerden Symptome einer unfallbedingten psychischen Erkrankung vermute.  Es war also nicht erforderlich, dass die Klägerin vorträgt, dass eine fachkundige Person die Klassifikation nach ICD-10 vorgenommen habe und sie habe auch nicht eine entsprechende Bescheinigung ihrer Psychotherapeutin vorlegen müssen. Vielmehr sei nach diesem Vortrag zu ihrer Behauptung, dass es sich bei den Beschwerden um pathologisch feststellbare Gesundheitsbeeinträchtigungen im psychischen Bereich handele“, durch Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nachzugehen. Würde dies bejaht, wäre weitere Haftungsvoraussetzung die Kausalität und er Zurechnungszusammenhang, der bei mittelbaren Schädigungen wie hier gesondert zu prüfen sei (BGH, Urteil vom 06.12.2022 – VI ZR 168/21 -).

BGH, Beschluss vom 11.02.2025 - VI ZR 185/24 -

Dienstag, 18. März 2025

Fehlende Eigensicherung des Fahrgastes bei Busfahrt

Der 76-jährige schwerbehinderte Kläger war Fahrgast in einem Busanhänger. Durch ein Fahrmanöver des Beklagten mit dessen Pkw musste der Bus eine Vollbremsung vornehmen, aufgrund der der Kläger stürzte.  Der Kläger begehrte vom Beklagten (und seinem Haftpflichtversicherer, § 115 Abs. 2 Nr. 1 VVG) wegen der durch den Sturz erlittenen Verletzungen Schmerzensgeld. Beklagtenseitig wurde u.a. bestritten, dass sich der Kläger einen ausreichenden Halt im Busanhänger verschafft hätte; er habe in der rechten Hand seinen Einkaufstrolley gehalten und den linken Arm und die linke Hand lediglich locker auf einem im Bus angebrachten Handlauf gelegt gehabt. Andere Fahrgäste seien auch nicht gestürzt. Die Mithaftung des Klägers nach § 14 Abs. 3 Nr. 4 BOKraft, § 4 Abs. 3 BefBedV wäre so hoch, dass eine Haftung der Beklagten ausscheide.

Das Amtsgericht nahm grundsätzlich eine Gefährdungshaftung des Beklagten und seines Versicherers nach §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 2, 1 PflVG, § 115 VVG gegenüber dem Kläger an, da die Fahrweise des Beklagten zum Sturz geführt habe. Nach der Videoaufzeichnung aus dem Innenraum des Busses sei ersichtlich, dass der Pkw nicht bei Beginn der kurzen Abbiegespur , sondern erst danach auf diese gewechselt habe und den Spurwechsel auch erst mit Beginn desselben mit dem Blinker abgekündigt habe, worauf der Busfahrer mit einer heftigeren Bremsung als aufgrund der roten Ampel ohnehin nötig reagiert habe. Es läge bei dem Beklagten ein Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO vor.

Dies sah das Amtsgericht nicht als entscheidend an. Vielmehr ging es davon aus, dass auf Seiten des Klägers ein Mitverschulden (§§ 9 StVG, 254 BGB) vorläge, welches die Haftung des Beklagten vollkommen entfallen lassen würde. Dies folgerte das Amtsgericht aus der Pflicht des Fahrgastes nach § 14 Abs. 3 Nr. 4 BOKraft, demzufolge sich ein Fahrgast stets einen festen Halt zu verschaffen habe. Es handele sich hier um eine dem Schutz des Fahrgastes dienende Vorschrift, mit der insbesondere der Fahrgast davor bewahrt werden solle, bei Gefahrenbremsungen zu Fall zu kommen und sich zu verletzen; die Norm habe haftungsrechtliche Konsequenzen bei Nichtbeachtung.

Dabei käme es bei jedem einzelnen Fahrgast auf die individuellen Besonderheiten und Gegebenheiten an, die im Zeitpunkt des Bremsmanövers vorgelegen hätten (OLG München, Urteil vom 02.03.2006 - 24 U 617/05 -). Vorliegend habe der Beklagte, wie der Beklagte bewiesen habe, nicht in zumutbarer Weise für die eigene Sicherheit Sorge getragen:

Die von ihm eingenommene stehende Position sei nicht geeignet gewesen, um bei einer Bremssituation gesichert zu sein. Nach der Videoaufzeichnung hielt er sich lediglich mit der linken Hand an dem Handlauf fest und seine rechte Hand habe auf dem Einkaufstrolley geruht. Dies ei kein stabiler Stand und die linke Hand sei zu schwach, um ruckartige Bremsungen auszugleichen: der Trolley biete keinen Halt, da er bei einer Vollbremsung selbst herumgewirbelt würde 8wi auch das Video belege). Der Trolley sei eher eine Behinderung gewesen, da er vom Kläger auch nicht losgelassen worden sei, um auch mit der rechten Hand Halt zu finden.

Andere Fahrgäste seien auch nicht gestützt. Eine ältere Passagierin, die einen Sitzplatz direkt hinter dem Kläger belegte, soll sich an einer Stange festgehalten habe und (anders als ihre Tasche) nicht vom Sitz gerutscht sei. In Ansehung seines Alters (und einer Schwerbehinderung, allerdings nach seiner Angabe nur im Hinblick auf Asthma) und des Mitführens des Trolleys sei dem Kläger vorzuwerfen, dass er sich nicht hingesetzt habe, obwohl nach der Videoaufzeichnung direkt hinter dem Kläger ein Sitzplatz frei gewesen sei.  Da der Kläger geistig fit sei, hätte er die Situation auch richtig einschätzen können.

Es habe sich auch nicht um eine völlig überraschende Vollbremsung gehandelt, da im Stadtverkehr mit solchen zu rechnen sei. Zudem sei 50 m vorher der Bus leicht abgebremst worden, wodurch der Kläger bereits hätte feststellen können, dass er nur ungenügenden Halt habe.  

Damit habe sich der Kläger grob fahrlässig verhalten, weshalb die Betriebsgefahr demgegenüber zurücktrete.

AG München, Urteil vom 18.10.2024 - 338 C 15281/24 -

Samstag, 15. März 2025

Verweis auf Referenzwerkstatt statt Vertragswerkstatt bei Eigenreparatur durch Geschädigte

Damit musste sich das Amtsgericht Chemnitz (AG) nach einem Verkehrsunfall auseinandersetzen. Die Klägerin begehrte Schadensersatz u.a. in Form von fiktiven Reparaturkosten, nachdem sie die Reparatur selbst vornahm (konkret: ihr Ehemann hatte das Fahrzeug repariert). Von der Beklagte wurde unter Verweis auf eine Referenzwerksatt eine Überhöhung der fiktiven Reparaturkosten geltend gemacht, die auch (unstreitig) von ihr gezahlt wurden.  Von der Klägerin wurde im Hinblick auf die beklagtenseits benannte Referenzwerkstatt eingewandt, seit dem Erwerb des Fahrzeugs habe sie dieses immer in einer Markenwerkstatt warten lassen.

Das Amtsgericht wies die Klage im Hinblick auf den Differenzbetrag zwischen beklagtenseits gezahlten und von der Klägerin geforderten Reparaturkosten ab. Es ging zwar mit der Klägerin davon aus, dass grundsätzlich der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf Erstattung der Reparaturkosten habe, die bei einer Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt anfallen würden, ohne dass es darauf ankäme, ob der Geschädigte das Fahrzeug vollständig, minderwertig oder gar nicht reparieren lassen würde. Begehre er fiktiven Ersatz der Reparaturkosten, würde es im Regelfall ausreichend sein, diesen auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens zu berechnen.

Allerdings habe der Geschädigte die Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB zu beachten. Er müsse sich au ein für ihn ohne weiteres zugängliche und gleichwertige Werkstattverweisen lassen, wenn der Schädiger darlege und nachweise, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt der Qualität in einer markengebundenen Werkstatt entspreche und ggf. vom Geschädigte aufgezeigte Umstände widerlege, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würde (BGH, Urteil vom 25.09.2018 - VI ZR 65/18 -), wobei der verweis auch noch im gerichtlichen Verfahren erfolgen könne (BGH, Urteil vom 14.05.2013 - VI ZR 320/12 -).

Zwar habe die Klägerin auf Wartungen in einer Vertragswerkstatt verwiesen, was ggf. die Vermutung für ein besonderes Interesse an einer Reparatur in einer markengebundenen Vertragswerkstatt hätte begründen können. Eine solche mögliche Vermutung und daraus zu folgernde Unzumutbarkeit habe sie aber selbst dadurch widerlegt, dass sie das Fahrzeug in Eigenregie instand gesetzt habe (so auch OLG Köln, Beschluss vom 09.01.2017 - I-5 U 81/16 -).  Da im Übrigen keine anderen Umstände von der Klägerin aufgezeigt seien, die eine Reparatur in der Referenzwerkstatt unzumutbar erscheinen ließen, seien die dortigen Kosten (die von der Beklagten gezahlt waren) in Ansatz zu bringen.

Anmerkung: Das OLG Köln, dem sich das AG Chemnitz anschloss, hatte in seinem Beschluss, mit dem es die Berufung des Geschädigten gegen ein seine Klage zurückweisendes Urteil zurückwies, darauf verwiesen, infolge der Eigenreparatur könne sich der Geschädigte nicht mehr auf die Vermutungsgrundlage berufen, da dies im Widerspruch zur Eigenreparatur stünde; die Wahlfreiheit des Geschädigten, Reparieren zu lassen oder nicht, sei davon nicht tangiert.

AG Chemnitz, Urteil vom 16.08.2024 - 16 C 284/24 -

Freitag, 14. März 2025

Einholung einer Auskunft durch das Finanzgericht und rechtliches Gehör

Das Finanzgericht (FG) hatte von dem beklagten Finanzamt (FA) Umsätze des Klägers in den Jahren 2005 bis 2007 angefordert, ohne dies dem Kläger mitzuteilen oder auch die entsprechenden Unterlagen zu überlassen. Auf diese Unterlagen stützte sich das FG auch im Urteil.  Dies wurde im Rahmen seiner Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil als Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) durch den Kläger gerügt, der geltend machte, es sei ihm deshalb die Möglichkeit genommen worden, sich dazu zu äußern (Verstoß gegen § 96 Abs. 2 FGO).

Der BFH verwies darauf, dass das Gericht sich in einem Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen dürfe, zu denen sich die Beteiligten hätten äußern können, § 96 Abs. 2 FGO. Dabei handele es sich um eine Ausgestaltung des durch Art. 103 Abs. 1GG garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör, dessen Verletzung einen absoluten Revisionsgrund darstelle. § 119 Nr. 3 FGO.  

Die Beteiligten seien gem. § 79 Abs. 2 FGO darüber zu benachrichtigen, wenn das Gericht iSv. § 79 Abs. 1 S. 2 N. 3 FGO in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Auskünfte einhole. Die Mitteilung über die Einholung einer Auskunft könne auch dann nicht entfallen, wenn der Inhalt derselben den Prozessbeteiligten vollständig bekannt sei, da alleine die Kenntnis nicht bedeute, dass sich die Beteiligten dazu hätten äußern können. Nur bei einer Mitteilung über die mögliche Verwertung einer eingeholten Auskunft, bestünde Anlass zur Stellungnahme (BFH, Beschluss vom 10.05.2022 - VIII B 35/21 -).

Auf entsprechende telefonische Aufforderung zur Mitteilung der Betriebseinnahmen des Klägers seien diese dem FG durch das FA per Mail überlassen worden und vom FG zur Akte genommen worden. Eine Mitteilung an den Kläger sei ausweislich der Gerichtsakte und auch des Protokolls der mündlichen Verhandlung nicht festzustellen; der Kläger habe davon erst durch das Urteil erfahren.  

Der Kläger habe vorliegend auch schlüssig vorgetragen, was er bei Gewährung rechtlichen Gehörs noch zusätzlich vorgetragen hätte und dass danach eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre. Da unter Berücksichtigung dieses Vorbringens nicht sicher auszuschließen sei, dass das Urteil ohne Verwertung der Tatsache, zu der der Kläger sich nicht habe erklären können, anders ausgefallen wäre, beruhte das Urteil auf der Verletzung rechtlichen Gehörs und wurde vom BFH daher das angefochtene Urteil, soweit es damit im Zusammenhang stand, aufgehoben und der Rechtsstreit an das FG zurückverwiesen.

BFH, Beschluss vom 16.01.2025 - VIII B 110/23 -

Montag, 10. März 2025

Pflicht des Verkäufers zur Beibringung von Löschungsunterlagen

Der Beklagte zu 1 hatte einen notariellen Kaufvertrag über Wohnungs- und Teileigentumseinheiten abgeschlossen. Im Grundbuch war eine nicht mehr valutierende Briefgrundschuld eingetragen, die die Käuferin (Klägerin) nicht übernahm.  Der Kaufpreis sollte fällig werden u.a. nach Mitteilung des Notars von der „Sicherheit der Löschung nicht übernommener Belastungen“. Die Mit der Einholung der Löschungsunterlagen und er Löschung wurde der Notar betraut. Nunmehr stellte sich heraus, dass der Grundschuldbrief bei der Beklagten zu 2 nicht mehr auffindbar war.  Es wurde ein Aufgebotsverfahren eingeleitet. Mit Schreiben vom 13.02.2020 setzte die Klägerin dem Beklagten zu 1 eine Frist zur lastenfreien Auflassung bis zum 27.02.2020. Am 15.09.2020 erging der rechtskräftige Ausschließungsbeschluss, mit dem der Grundschuldbrief für kraftlos erklärt wurde. Der Beklagte trat seine Kaufpreisforderung an die Beklagte zu 2 ab und teilte dies der Klägerin mit. Die Klägerin erklärte gegenüber der Beklagten zu 2 Aufrechnung mit einer Schadensersatzforderung, u.a. wegen entgangenen Gewinns im Hinblick darauf, dass sie wegen der Verzögerung bei der Lastenfreistellung an einem Weiterverkauf gehindert gewesen sei. Schließlich zahlte die Klägerin den Kaufpreis und Vorbehalt der Rückforderung und erhob nach Auflassung u.a. Klage gegen den Beklagten zu 1 auf Feststellung dessen Pflicht zum Ersatz weiteren Verzögerungsschadens (soweit nicht gegenüber der Beklagten zu 2, auch erfolglos, geltend gemacht).

Die Klage wurde abgewiesen, die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen erhob die Klägerin die vom OLG zugelassene Revision. Diese wurde vom BGH ebenfalls zurückgewiesen.

Ein Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens gegen den Beklagte 1 aus § 280 Abs. 1, Abs. 2, § 286 BGB scheide dem Grunde nach aus, weshalb der entsprechende Antrag der Klägerin abzuweisen sei. Der beklagte zu 1 habe zwar seine Leistungspflicht aus dem Kaufvertrag nicht rechtzeitig erfüllt. Zwar sei mangels der Mitteilung des Notars die Pflicht zur Lastenfreistellung (noch) nicht fällig gewesen, wobei dies unterblieben war, da der Grundschuldbrief nicht auffindbar war und daher die Voraussetzungen für die Mitteilung nicht vorlagen.

Allerdings habe dem Beklagten zu 1 die weitere Pflicht gehabt, für die Sicherheit der Löschung nicht übernommener Belastungen Sorge zu tragen.  Für die Löschung nicht übernommener Lasten sei die Vorlage der Löschungsunterlagen erforderlich; bei einer Briefgrundschuld dürfe die Löschung derselben nur erfolgen, wenn auch der Grundschuldbrief vorgelegt würde, § 41 Abs. 1, § 42 GBO. Bei Abhandenkommen trete an Stelle des Grundschuldbriefes der Ausschließungsbeschluss (§ 41 Abs. 2 GBO, §§ 1162, 1192 BGB, § 478 FamFG). Dieser Pflicht zur Vorlage sei der beklagte zu 1 nicht rechtzeitig nachgekommen.

Rechtsprechung und Literatur würden den Inhalt der Pflicht des Verkäufers zur Vorlage der für die Lastenfreistellung erforderlichen Unterlagen unterschiedlich bewerten. Teileisweise würde eine Bemühenspflicht, teilweise eine Erfolgspflicht angenommen. Auch würde vertreten der Verkäufer sei verpflichtet, dem Notar die Kontaktdaten der Gläubiger zu benennen und erst dann, wenn für ihn ersichtlich würde, dass das Einholen durch den Notar nicht zum Erfolg führe, müsse er selbst tätig werden und hafte im Sinne einer Erfolgspflicht.

Richtig sei die eine Erfolgspflicht annehmende Ansicht.  Bei dem sogen. Direktzahlungsmodell hänge die Fälligkeit des Kaufpreises in einem Grundstückskaufvertrag davon ab, dass der Verkäufer die Lastenfreistellung sichergestellt habe, weshalb die Löschungsunterlagen dem Notar innerhalb einer angemessenen Frist vorgelegt werden müssten. Es würde nicht genügen, dass der Verkäufer alles tun würde, um die Vorlage herbeizuführen, die Vorlage selbst aber unterbliebe. Der Verkäufer habe nach § 433 Abs. 1 S. 2, § 435 BGB die Pflicht, rechtsmangelfreies und damit lastenfreies Eigentum zu verschaffen. Unterbleibe dies, läge eine Nichterfüllung einer vertraglichen Primärpflicht vor (BGH, Urteil vom 14.01.2022 - V ZR 245/20 - zur Rechtslage vor der Schuldrechtsreform). Damit handele es sich bei den Lastenfreistellungsunterlagen nicht lediglich um eine bloße Vorbereitungshandlung. Die geschuldete rechtsmangelfreie Übereignung des Grundstücks sei erst mit den Löschungsunterlagen möglich. Würde man eine Bemühenspflicht als ausreichend ansehen, sei der mit dem Direktzahlungsmodell bezweckte Ausgleich des Interesse des Käufers, keine ungesicherte Vorleistung zu erbringen, mit dem Interesse des Verkäufers, den Kaufpreis für die Ablösung zu verwenden, verfehlt.

Wie häufig bei Grundstückskaufverträgen sei eine ausdrückliche Leistungsbestimmungszeit für die Pflichten des Verkäufers nicht bestimmt worden. Damit sei gem. § 271 Abs. 1 BGB die Fälligkeit aus den Umständen zu entnehmen und richte sich nach dem typischerweise für die Beschaffung der Unterlagen zu erwartenden Zeitraum. Dieser würde überwiegend mit vier Wochen bis zwei Monaten angenommen. Sollte bei Vertragsschluss bekannt sein, dass der Grundschuldbrief abhanden gekommen ist, erst noch in Aufgebotsverfahren durchgeführt werden müsse, käme eine deutlich längere Frist in Betracht.

Der Beklagte zu 1 habe die Sicherstellung der Lastenfreiheit hier bis Fälligkeit nicht herbeigeführt. Den Parteien war nicht bekannt gewesen, dass der Grundschuldbrief abhanden gekommen ist, weshalb die Fälligkeit zur Vorlage zwei Monate nach Vertragsschluss eintrat. Tatsächlich habe der Ausschließungsbeschluss erst über ein Jahr nach Vertragsabschluss vorgelegen.

Das Schreiben der Klägerin mit Fristsetzung hätte der Beklagte zu 1 dahingehend verstehen müssen, dass er bis zu dem genannten Zeitpunkt die erforderlichen Lastenfreistellungsunterlagen vorlegt.

Gleichwohl scheide ein Schadensersatzanspruch gegen ihn aus. Nach § 286 Abs. 4 BGB käme ein Schuldner nicht in Verzug, wenn die Leistung infolge eines nicht von ihm zu vertretenen Umstandes unterbleibe. Was vom Schuldner zu vertreten sei würden die §§ 276 bis 278 BGB regeln. Danach habe er Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung nicht bestimmt sei noch sich aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, anderes ergebe. Allerdings hafte der Schuldner nach § 278 S. 1 BGB auch für ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bediene. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Er habe keine Garantie erklärt und auch nicht das Beschaffungsrisiko übernommen. Ein eigens Verschulden läge nicht vor. Da die Grundschuld nicht mehr valutierte, habe der Beklagte zu 1 die Löschung von der Beklagten zu 2 verlangen können. Der Notar sei mit der Einholung beauftragt gewesen und dem Beklagten zu1 sei das Abhandenkommen des Grundschuldbriefes nicht bekannt gewesen und von ihm auch nicht zu vertreten, weshalb ein eigens Tätigwerden des Beklagten zu 1 nicht veranlasst gewesen sei.  Das Abhandenkommen sei zeitnah nach der Protokollierung festgestellt worden und das Aufgebotsverfahren eingeleitet worden.

Ein Verschulden der Beklagten 2 müsse sich der Beklagte 1 nicht zurechnen lassen. § 278 BGB greife nicht ein. Bei dem Grundpfandgläubiger handele es sich nicht um einen Erfüllungsgehilfen des Verkäufers. Die Zurechnung nach § 278 BGB beruhe darauf, dass der Schuldner gegenüber dem Gläubiger für die Erweiterung seines Geschäfts- und Gefahrenbereichs verantwortlich sei; im Verhältnis zu Gläubiger übernehme die eingesetzte Hilfsperson die die Stelle des Schuldners, weshalb der Schuldner das Risiko tragen, dass die Hilfsperson schuldhaft handele. Diese Grundsätze würden auch greifen bei der Frage, welche Personen zu den Erfüllungsgehilfen zählen. So sei der Hersteller bzw. Lieferant nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers, der nicht für deren Mängel hafte, da dies auf einem Verschulden des Herstellers oder Lieferanten beruhe (BGH, Urteil vom 02.04.2024 - VIII ZR 46/13 -). Die Pflicht des Verkäufers bestünde in der mangelfreien Verschaffung, aber nicht in der mangelfreien Herstellung. Der Grundschuldgläubiger sei danach nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers eines Grundstücks, da der Verkäufer nach § 433 Abs. 1 S. 2 BGB die erfolgreiche Lastenfreistellung schulde und er auf die Mitwirkung des Grundpfandgläubigers benötige. Die Mitwirkungshandlung des Grundschuldgläubigers falle nicht in das vertraglich geschuldete Gesamtverhalten des Verkäufers. Von vornherein könne die Löschungsbewilligung nebst Grundschuldbrief bzw.  Ausschließungsbeschluss nur der Grundschuldgläubiger zur Verfügung stellen.

BGH, Urteil vom 06.12.2024 - V ZR 229/23 -