Das Finanzgericht (FG) hatte von dem beklagten Finanzamt (FA) Umsätze des Klägers in den Jahren 2005 bis 2007 angefordert, ohne dies dem Kläger mitzuteilen oder auch die entsprechenden Unterlagen zu überlassen. Auf diese Unterlagen stützte sich das FG auch im Urteil. Dies wurde im Rahmen seiner Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil als Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) durch den Kläger gerügt, der geltend machte, es sei ihm deshalb die Möglichkeit genommen worden, sich dazu zu äußern (Verstoß gegen § 96 Abs. 2 FGO).
Der BFH verwies darauf, dass das Gericht sich in einem Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen dürfe, zu denen sich die Beteiligten hätten äußern können, § 96 Abs. 2 FGO. Dabei handele es sich um eine Ausgestaltung des durch Art. 103 Abs. 1GG garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör, dessen Verletzung einen absoluten Revisionsgrund darstelle. § 119 Nr. 3 FGO.
Die Beteiligten seien gem. § 79 Abs. 2 FGO darüber zu benachrichtigen, wenn das Gericht iSv. § 79 Abs. 1 S. 2 N. 3 FGO in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Auskünfte einhole. Die Mitteilung über die Einholung einer Auskunft könne auch dann nicht entfallen, wenn der Inhalt derselben den Prozessbeteiligten vollständig bekannt sei, da alleine die Kenntnis nicht bedeute, dass sich die Beteiligten dazu hätten äußern können. Nur bei einer Mitteilung über die mögliche Verwertung einer eingeholten Auskunft, bestünde Anlass zur Stellungnahme (BFH, Beschluss vom 10.05.2022 - VIII B 35/21 -).
Auf entsprechende telefonische Aufforderung zur Mitteilung der Betriebseinnahmen des Klägers seien diese dem FG durch das FA per Mail überlassen worden und vom FG zur Akte genommen worden. Eine Mitteilung an den Kläger sei ausweislich der Gerichtsakte und auch des Protokolls der mündlichen Verhandlung nicht festzustellen; der Kläger habe davon erst durch das Urteil erfahren.
Der Kläger habe vorliegend auch schlüssig vorgetragen, was er bei Gewährung rechtlichen Gehörs noch zusätzlich vorgetragen hätte und dass danach eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre. Da unter Berücksichtigung dieses Vorbringens nicht sicher auszuschließen sei, dass das Urteil ohne Verwertung der Tatsache, zu der der Kläger sich nicht habe erklären können, anders ausgefallen wäre, beruhte das Urteil auf der Verletzung rechtlichen Gehörs und wurde vom BFH daher das angefochtene Urteil, soweit es damit im Zusammenhang stand, aufgehoben und der Rechtsstreit an das FG zurückverwiesen.
BFH, Beschluss vom 16.01.2025 -
VIII B 110/23 -
Aus den Gründen:
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wegen
Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom
28.08.2023 - 11 K 1437/20 aufgehoben, soweit die Entscheidung
die Einkommensteuer 2008 bis 2010, die Umsatzsteuer 2008 bis 2010 und die
gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer
zum 31.12.2008 betrifft.
Im Übrigen wird die Beschwerde als
unzulässig verworfen.
Die Sache wird an das Hessische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, soweit die Vorentscheidung aufgehoben wird.
Diesem wird die Entscheidung über die gesamten Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Gründe
Die Beschwerde
ist teilweise begründet und teilweise als unzulässig zu verwerfen.
Die Beschwerde
wurde fristgemäß begründet (dazu 1.). Sie führt zur Aufhebung der
Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht (FG) gemäß § 116
Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO), soweit die Vorentscheidung die
Einkommensteuer 2008 bis 2010, die Umsatzsteuer 2008 bis 2010 und die
gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer
zum 31.12.2008 betrifft (dazu 2.). Soweit die Vorentscheidung die Einkommensteuer
für 2012, die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2012 und
die Umsatzsteuer für 2012 betrifft, ist die Beschwerde unzulässig, da der
Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) insoweit keine Zulassungsgründe darlegt
(dazu 3.). Die Zurückverweisung der Sache an einen anderen Senat des FG, soweit
die Vorentscheidung aufgehoben wird, ist nicht veranlasst (dazu 4.).
1. Der
Kläger hat die Nichtzulassungsbeschwerde mit seinem am 12.02.2024 beim
Bundesfinanzhof (BFH) per Telefax eingegangenen Schriftsatz fristgemäß
begründet. Die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde war gemäß
§ 116 Abs. 3 Satz 4 FGO von der Vorsitzenden bis zum 12.02.2024
verlängert. Da vom 10.02.2024 um 00:00 Uhr bis zum 13.02.2024 um
09:00 Uhr eine Störung beim elektronischen Gerichts- und
Verwaltungspostfach bestand, war gemäß § 52d Satz 3 FGO die Übermittlung
der Beschwerdebegründung per Telefax anstelle eines elektronischen Dokuments
zulässig.
2. Der
vom Kläger geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO) eines Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör liegt vor. Das FG
hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt, indem es ihm die
am 25.08.2023 beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--)
angeforderten und von diesem erhaltenen Informationen über Tatsachen (Umsätze
des Klägers in den Jahren 2005 bis 2007) vorenthalten und ihm dadurch die
Möglichkeit genommen hat, sich dazu zu äußern (Verstoß gegen § 96
Abs. 2 FGO).
a) Nach
§ 96 Abs. 2 FGO darf das Urteil nur auf Tatsachen und
Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
Es handelt sich bei dieser Vorschrift um eine Ausgestaltung des durch
Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes garantierten Anspruchs auf
rechtliches Gehör, dessen Verletzung einen absoluten Revisionsgrund im Sinne
des § 119 Nr. 3 FGO darstellt. Holt das Gericht im Sinne von
§ 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 FGO im Rahmen der Vorbereitung der
mündlichen Verhandlung Auskünfte ein, sind die Beteiligten davon gemäß
§ 79 Abs. 2 FGO zu benachrichtigen. Darüber hinaus sind Schriftsätze
gemäß § 77 Abs. 1 Satz 4 FGO den Beteiligten von Amts wegen zu
übermitteln. Eine Mitteilung über die Einholung einer Auskunft kann selbst dann
nicht unterbleiben, wenn den Prozessbeteiligten der Inhalt der Auskunft
vollständig bekannt ist. Denn diese Kenntnis bedeutet noch nicht, dass sich die
Beteiligten zu den mitgeteilten Tatsachen im Verfahren äußern konnten. Alle
Beteiligten müssen im Verfahren von der möglichen Verwertung der eingeholten
Auskunft erfahren. Nur dann besteht für sie ein Anlass zur Stellungnahme unter
Berücksichtigung des Inhalts der eingeholten Auskunft (vgl. zur Beiziehung von
Akten BFH-Beschluss vom 10.05.2022 - VIII B 35/21, BFH/NV 2022,
817, Rz 4, m.w.N.).
b) Das
FG hat das FA nach Aktenlage im Rahmen der Vorbereitung der mündlichen
Verhandlung telefonisch aufgefordert, die Höhe der vom Kläger für die (nicht
streitgegenständlichen) Jahre 2005 bis 2007 erklärten Betriebseinnahmen
mitzuteilen. Die daraufhin vom FA am 25.08.2023 übersandte E-Mail, in der die
Höhe der Betriebseinnahmen der Jahre 2005 bis 2007 und für die Jahre 2006 und
2007 auch Auszüge der Einnahmenüberschussrechnung des Klägers mitgeteilt
wurden, hat das FG als Papierausdruck zur Akte genommen und als Akteninhalt des
FG-Verfahrens behandelt, ohne den Kläger darüber zu informieren oder ihm
Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Etwas anderes ergibt sich nicht aus den
Gerichtsakten, insbesondere nicht aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom
28.08.2023 und auch nicht aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils. Der
Kläger erfuhr erst aus den Entscheidungsgründen der Vorentscheidung von der
Einholung der Auskunft und Auswertung der E-Mail des FA durch das FG.
c) Die
Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist überdies schlüssig erhoben. Der
Kläger trägt substantiiert vor, dass er sich zu der vom FG eingeholten und ohne
sein Wissen verwerteten Auskunft zur Höhe seiner für die Jahre 2005 bis 2007
erklärten Betriebseinnahmen nicht habe äußern können, was er bei ausreichender
Gewährung des rechtlichen Gehörs noch zusätzlich vorgetragen hätte und dass bei
der Berücksichtigung des Vorbringens eine andere Entscheidung in der Sache
möglich gewesen wäre.
d) Auf
diesem Verfahrensmangel kann das angefochtene Urteil auch beruhen. Das FG hat
die in der Auskunft mitgeteilte Höhe der Betriebseinnahmen des Jahres 2007 auf
Seite 33 der angefochtenen Entscheidung bei der Feststellung des
subjektiven Tatbestands einer Steuerhinterziehung durch den Kläger in den
Jahren 2008 bis 2010 verwertet. Unter Berücksichtigung des Vorbringens des
Klägers ist danach nicht sicher auszuschließen, dass das Urteil ohne die
Verwertung der Tatsache, zu der sich der Kläger im Verfahren nicht äußern
konnte, anders ausgefallen wäre.
e) Der
Mangel wirkt sich allerdings nur auf die Streitjahre 2008 bis 2010 aus, soweit
es für diese Jahre entscheidend darauf ankam, ob die verlängerte
Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung
Anwendung findet. Insoweit erachtet es der Senat als sachgerecht, das FG-Urteil
im tenorierten Umfang ohne sachliche Überprüfung aufzuheben und den
Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen
(§ 116 Abs. 6 FGO).
3.
Soweit die Vorentscheidung die Einkommensteuer für 2012, die gesonderte
Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2012 und die Umsatzsteuer für 2012
betrifft, ist die Beschwerde unzulässig, da der Kläger insoweit keinen
Zulassungsgrund im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FGO
darlegt.
4. Es
besteht keine Veranlassung, die Sache gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m.
§ 563 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung an einen anderen
Senat des FG zurückzuverweisen. Allein der Umstand, dass eine vorinstanzliche
Entscheidung wegen eines Verfahrensmangels aufgehoben werden muss, reicht dazu
grundsätzlich nicht aus. Hinzukommen muss vielmehr im Regelfall, dass
ernstliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Vorinstanz bestehen (vgl.
BFH-Beschluss vom 10.05.2022 - VIII B 35/21, BFH/NV 2022, 817,
Rz 14, m.w.N.). Solche Zweifel sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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