Mittwoch, 26. Juli 2023

Der nach Anstoß wegrollende Anhänger und Haftung wegen Verwirklichung der Betriebsgefahr

Der bei der Beklagten haftpflichtversicherte Anhänger war in der H-Gasse ordnungsgemäß abgestellt gewesen. Gegen 22.45 Uhr kam ein Pkw due H-Gasse in der dortigen Linkskurve von der Fahrbahn ab und stieß gegen das Gebäude H-Gasse 12 sowie gegen den Anhänger. Durch den Anstoß rollte der Anhänger nach vorne stieß gegen das Gebäude H-Gasse 10 und beschädigte dieses. Für das Gebäude H-Gasse 10 bestand bei der Klägerin eine Wohngebäudeversicherung, die in Anspruch genommen wurde und nunmehr den Schadensersatzanspruch des Eigentümers gegen den Versicherer des Anhängers geltend machte. Das Amtsgericht gab der Klage statt; auf die Berufung hob das Landgericht dessen Urteil auf und wies die Klage ab. Die zugelassene Revision der Klägerin führte zur Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung und Zurückverweisung.

Anders als das Landgericht bejahte der BGH die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG in der damaligen Fassung (heute: § 19 Abs. 1 S. 1 StVG), derzufolge Voraussetzung der Haftung bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder Anhängers, der dazu bestimmt sei, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden, eine Verletzung oder Schädigung der in der Norm genannten Rechtsgüter vorliegen müsse. Entscheidend sei daher, ob sich der Anhänger „im Betrieb“ befunden habe.  Der hier verwandte Betriebsbegriff sei weit auszulegen, weshalb ausreichend sei, wenn sich in dem Schaden die von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr verwirklicht habe, d.h. wenn bei einer insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug geprägt oder mitgeprägt worden sei. Der BGH wiederholte die Grundlagen dafür, wie er sie in ständiger Rechtsprechung  festhält: Es müsse sich bei dem Schaden um die Auswirkung der Gefahren handeln, hinsichtlich derer der Verkehr nach Sinn der Haftungsnorm schadlos gehalten werden soll und die Schadensfolge muss in den Bereich fallen, um derentwegen die Norm geschaffen wurde. Dabei sei erforderlich, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang einer bestimmten Betriebseinrichtung des Fahrzeugs stünde (z.B. Urteile des BGH vom 03.07.1962 - VI ZR 184/61 - und vom 20.10.2020 - VI ZR 319/18 -). Der betrieb daure fort, solange der Fahrer das Fahrzeug im Verkehr belasse und dadurch die durch ein Fahrzeug allgemein geschaffene Gefahrenlage (die Grund und „Preis“ für die Haftungsnorm sei) fortbestünde.

Dies sei entsprechend auch auf den Betrieb von Anhängern anzuwenden, die dazu bestimmt seien, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden (Hinweis: Dies ist in § 19 Abs. 1 S. 1 StVG benannt).

Damit sei hier der Gebäudeschaden bei dem Betrieb des bei der Beklagten versicherten Anhängers entstanden, der zum Mitführen durch ein Kraftfahrzeug bestimmt gewesen sei (wenn er auch abgekoppelt von einem Kraftfahrzeug stand). Auch wenn der Fahrer des Pkw, der die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte und gegen den Anhänger stieß und damit maßgeblich den Unfallablauf bestimmte habe, wurde der Schadensfall durch den Anhänger mitgeprägt und sei auch seinem Betrieb zuzurechnen: Der Anhänger sei auf der Straße abgestellt gewesen und infolge des Anstoßes durch dne Pkw gegen das Gebäude gerollt. Damit habe sich die aus seiner Konstruktion bedingte Gefahr einer unkontrollierten Bewegung durch Fremdkraft verwirklicht, die durch das Abstellen im öffentlichen Raum noch nicht beseitigt gewesen sei. Diese Gefahr falle nach den benannten Grundsätzen unter den Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG a.F. / § 19 Abs. 1 S. 1 StVG n.F.

Eine Zurechnung sei (entgegen der Annahme des Berufungsgerichts) nicht deshalb zu verneine, da der Pkw-Fahrer die Ursache gesetzt und damit das Unfallgeschehen maßgeblich bestimmt habe. Dies könne lediglich im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs gem. §§ 426 Abs. 1, 254 Abs. 1 BGB Bedeutung haben, ändere aber nichts am Zurechnungszusammenhang im Rahmen der Gefährdungshaftung des Anhängers.

BGH, Urteil vom 07.02.2023 - VI ZR 87/22 -

Montag, 24. Juli 2023

Auslegung der Berufungseinlegung gegen einen Streitgenossen als unbeschränkte Berufung ?

Nach einen Verkehrsunfall verklagte der Kläger die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Der Kläger legte dagegen vor dem Landgericht als Berufungsgericht Berufung einlegen. Dem die Berufung enthaltenen Schriftsatz war auch eine Abschrift des erstinstanzlichen Urteils beigefügt gewesen. In der Berufungsschrift wurde nur einer der Beklagten (der erste aus dem Passivrubrum des angefochtenen Urteils, die Halterin/Fahrerin des Pkw) mit der Angabe „Bekl./Berufungsbek.“ angegeben.  Im Rahmen der Berufungsbegründung titelte der Kläger seinen Schriftsatz u.a. mit „in Sachen … ./. P,,,, N…. u.a.“ und begründete den Antrag gegen beide Beklagten (bei der weiteren Beklagten handelte es sich um den Haftpflichtversicherer des Pkw).

Das Berufungsgericht verwarf die Berufung gegen beide Beklagten als unzulässig. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wurde die Entscheidung vom BGH aufgehoben und das Verfahren zur anderweitigen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Zur Begründung führet der BGH aus: Notwendiger Inhalt der Berufungsschrift sei die Angabe, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt würde, § 519 Abs. 2 ZPO. Die Anforderung an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners sei weniger streng als jene an die des Rechtsmittelführers. Die Bezeichnung einer Partei sei als Teil einer Prozesshandlung auslegungsfähig. Um festzustellen, ob die Beschränkung des Rechtsmittels in Bezug auf die Berufungsbeklagtenseite (nur gegen einen der ursprünglich zwei Beklagten ?) gewollt sei, würde es auf eine vollständige Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist ankommen. Aus dem beigefügten erstinstanzlichen Urteil oder sonstigen beigefügten Unterlagen könnten sich Hinweise auf den Umfang der Anfechtung ergeben. Besondere Bedeutung käme der Frage zu, ob eine Beschränkung des Rechtsmittelangriffs auf nur einen Teil der bisherigen Prozessgegner in Ansehung des der Vorinstanz unterbreiteten Streitstoff ungewöhnlich oder gar fernliegend sei (BGH, Beschluss vom 20.11.2018 - II ZR 196/16 -).  

Es sei, richte sich das Rechtsmittel wie hier gegen ein Urteil, demzufolge in der Vorinstanz mehrere Streitgenossen obsiegten, im Zweifel davon auszugehen, dass sich die Anfechtung gegen die gesamte Entscheidung (mithin auch alle Streitgenossen der Gegenseite) richte, wenn es keine Beschränkung erkennen lasse. Zwar könne sich aus dem Umstand, dass auf der Gegenseite mehrere Streitgenossen stünden, eine solche Beschränkung ergeben, wenn nur einige von ihnen in der Rechtsmittelschrift benannt würden. Was aber nicht zwingend sei. Der BGH habe bereits eine unumschränkte Berufungseinlegung bejaht, wenn in der Rechtmittelschrift nur einer von mehreren Streitgenossen, und zwar der erste aus dem Urteilsrubrum des angefochtenen Urteils, benannt wurde (BGH, Beschluss vom 19.03.2019 - VI ZB 50/17 : BGH, Urteil vom 15.12.2010 - XII ZR 18/09 -).  

Danach sei im Rahmen gebotener Auslegung davon auszugehen, dass Berufung gegen beide Beklagten eingelegt worden sei. Es sei im Zweifel dasjenige gewollt, das nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig sei und dem recht verstandenen Interesse entspräche. Theoretische Zweifel (Zweifel ohne tatsächliche Anhaltspunkte) seien unbeachtlich (BGH, Beschluss vom 15.03.2022 - VI ZB 20/20 -). Hier sei der erste die Beklagte aus dem angefochtenen Urteil als Berufungsbeklagte benannt und es fänden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass das Berufungsverfahren nur gegen sie durchgeführt werden sollte (z.B. Berufungsanträge, aus denen sich dies ergeben würde). Auch sei es den Umständen hier fernliegend, dass die Berufung nur gegen die Beklagte zu 1. geführt werden sollte, da sich aus dem, angefochtenen Urteil ergäbe, dass der Beklagte zu 1. als Halterin und Fahrerin eines Pkw, die Beklagte zu 2. als Haftpflichtversicherer des Pkw gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen wurden.  Anhaltspunkte für eine sinnvolle Differenzierung zwischen den Beklagten lägen nicht vor. Zudem wäre es sinnlos, das Verfahren in der Berufung gegen die Beklagten zu 1. weiter zu betreiben und das Urteil gegen die beklagte Versicherung in Rechtskraft erwachsen zu lassen, da gem. § 124 Abs. 1 VVG ein klageabweisendes Urteil gegen den Versicherer auch zugunsten des Versicherungsnehmers wirke und von daher bereist die Berufung gegen das Urteil, welche nur gegen die Versicherungsnehmerin gerichtet wäre, unbegründet wäre.

BGH, Beschluss vom 07.03.2023 - VI ZB 74/22 -

Freitag, 21. Juli 2023

Hausnotruf - Abgrenzung „haushaltsnahe Dienstleistung“ iSv. § 35a Abs. 1 S. 1 Alt. 2 EStG

Die klagende Rentnerin nahm im Streitjahr Leistungen einer Gesellschaft für ein Hausnotrufsystem in Anspruch; sie hatte ein Standardpaket mit Gerätebereitstellung und 24 Stunden Servicezentrale für € 288,00/Jahr gebucht. Nicht gebucht hatte sie u.a. den Sofort-Helfer-Einsatz an ihrer Wohnanschrift sowie die Pflege- und Grundversorgung. Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung begehrte die Klägerin in Ansehung der gezahlten € 288,00 eine Steuermäßigung gem. . § 35a Abs. 1 S. 1 Alt. 2 EStG, die versagt wurde. Ebenso wurde der Einspruch der Klägerin vom Finanzamt (FA) zurückgewiesen. Die dagegen vor dem Finanzgericht erhobene Klage war erfolgreich, dich wurde dessen Urteil auf die Revision des FA aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Begriff „haushaltsnahe Dienstleistung“ sei im Gesetz nicht näher bestimmt, doch müsse, so der BFH, nach seiner ständigen Rechtsprechung eine hinreichende Näher zur Haushaltsführung vorliegen bzw. die Dienstleistung damit im Zusammenhang stehen. Es würde sich um hauswirtschaftliche Verrichtungen handeln, die gewöhnlich von Haushaltsmitgliedern oder entsprechend Beschäftigten erbracht und in regelmäßigen Abständen anfallen würden. Nach dem räumlich-funktionalen Haushaltsbegriff könne danach auch die Inanspruchnahme von Diensten jenseits der Grundstücksgrenze auf fremden Grund (z.B. Schneebeseitigung auf dem Bürgersteig) als haushaltsnahe Dienstleistung begünstigt sein.

Nicht begünstigt seien Leistungen die zwar für den Haushalt aber außerhalb des Haushalts erbracht würden. Zur Abgrenzung sei nicht erheblich, wo der Leistungserfolgt eintrete, ebensowenig könne auf den Leistungsort abgestellt werden.

Danach scheide hier eine Steuerermäßigung aus. Zwar läge den Aufwendungen eine haushaltsnahe Dienstleistung zugrunde. Das Hautnotrufsystem würde sicherstellen, dass die Klägerin, hält sie sich in ihrem Haushalt auf, im Bedarfsfall Hilfe rufen könne. Typischerweise würde eine solche Rufbereitschaft ansonsten von Haushaltsangehörigen ausgeübt. Allerdings wurde die Dienstleistung nicht im Haushalt der Klägerin erbracht.

Die Klägerin zahle nicht nur für die Bereitstellung der Technik, sondern im Wesentlichen für die Bereitstellung des Personals, welches die eingehenden Alarme bearbeite und Bezugspersonen verständige. Die Leistungen würden nicht in der Wohnung und damit nicht im Haushalt erbracht und es würde auch bei dem reinen Hausnotrufsystem (wie hier gebucht) keine Direkthilfe (Sofort-Helfer-Einsatz) erbracht, sondern ggf. als eigenständiger Leistung Dritter vermittelt.  Da die Leistung nicht im Bereich des Haushalts erfolgt sei (anders als in dem Sachverhalt zu dem Urteil des BFH vom 03.09.2015 - VI R 18/14 -, in dem im Bereich Betreutes Wohnen beschäftigte Pfleger einen Piepser bei sich gehabt hätten, der den Notfall sofort an sie weitergeleitet habe und die auch Notfall-Soforthilfe geschuldet hätten), käme die Steuerermäßigung nicht in Betracht.

BFH, Urteil vom 15.02.2023 - VI R 7/21 -

Mittwoch, 19. Juli 2023

Zum Nachweis der Haftung für einen Hund (Stellung eines Tierhalters/-aufsehers)

Die Klägerin machte geltend, der Schäferhund des Beklagten sei zunächst neben dem geleasten fahrenden Wagen der Klägerin gelaufen, dann an diesem hochgesprungen und habe dabei Dellen und Lackschäden verursacht. Der Beklagte bestritt die Aktivlegitimation und seine Tiehalter- und Tieraufsehereigenschaft / Haftung. Nach Beweisaufnahme wies das Amtsgericht die Klage ab.

Das Amtsgericht ließ letztlich trotz einer gewissen Annahme für eine Aktivlegitimation der Klägerin nach den Leasingbedingungen dahinstehen, ob die Klägerin zur Geltendmachung des Schadens legitimiert war, da jedenfalls die Klage sachlich unbegründet sei. Weder sei nach Vernehmung von Fahrerin und Beifahrerin des Fahrzeugs, der Tochter des Beklagten und Anhörung des zum Termin geladenen Sachverständigen (bei Besichtigung des Fahrzeugs während des Termins) der Beweis geführt worden, dass ein Schadenersatzanspruch gegen den Beklagten bestünde, noch, dass der Schaden von einem Hund verursacht worden sei.

Die Tochter des Beklagten habe bestätigt, dass der Beklaget nicht Halter des Hundes gewesen sei, weshalb eine Haftung nach § 833 S. 1 BGB ausscheide. Für die Annahme einer Tierhaltereigenschaft sei eine Zuordnung des Tieres zur Lebens- oder Wirtschaftssphäre des Halters erforderlich, zu der insbesondere die Bestimmungsmacht über das Tier, die Nutzung und Kostentragung aus eigenem Interesse, das Verlustrisiko, die Übernahme von Versicherungsprämien etc. gehöre. Übereinstimmung hätten der Beklagte und die Zeugin angegeben, dass nicht nur der Hund im Eigentum der Zeugin stand, sondern auch unter ihrer Aufsicht und in ihrem Einflussbereich. Die Zeugin habe mit eigenem Hausstand auf dem Hof des Beklagten gewohnt und wäre daher auch in der Lage gewesen, die Versorgung und Aufsicht über den Hund wahrzunehmen. Aus dem Umstand, dass der Hund über die Haftpflichtversicherung des Beklagten versichert gewesen sei, folge auch nicht, dass der Beklagte die Aufsicht über den Hund übernommen habe und demgemäß Tieraufseher gem. § 834 BGB gewesen sei. Die Beweisaufnahme habe klar ergeben, „dass der Beklagte nichts mit dem Hund zu schaffen hatte“ wenn nicht die Zeugin längere Zeit (wie zur fraglichen Zeit nicht) abwesend war und Hund auf dem Hof verbleiben sei. 

Zudem sei nach dem Unfallrekonstruktionsgutachten zweifelhaft geblieben, dass die Kratzspuren und Eindellungen auf einen Kontakt mit dem Schäferhund zurückzuführen seien. Ein Verhaltend es Hundes ließe sich nach dem Gutachten nicht mit dem Schadensbild in Übereinstimmung bringen. 

AG Wolfach, Urteil vom 11.07.2023 - 1 C 33/23 -

Sonntag, 16. Juli 2023

Erfüllungseinwand trotz Zahlung unter Vorbehalt der Rückforderung ?

Problemkreise: Zahlung des Haftpflichtversicherers für beklagten Schädiger an Gläubiger  „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und ohne Präjudiz dem Grunde und der Höhe nach sowie mit dem Vorbehalt der Verrechnung bzw. Rückforderung“; erfolgte die Zahlung mit Erfüllungswirkung ? Negative Feststellungsklage zum Rückforderungsvorbehalt: Begründetheit der Klage gegen den Versicherungsnehmer und Zulässigkeit der Klage gegen den Versicherungsnehmer (sogen. doppelrelevante Tatsache).

Die Klägerin, eine gesetzliche Krankenversicherung, machte Regressansprüche gegen den Beklagten Schuldner aufgrund eines Schadens ihres Versicherten gemäß § 116 SGB X geltend. Im Berufungsverfahren war nur noch der vom Landgericht abgewiesene Klageantrag zu 2.  Streitgegenständlich, mit dem die Klägerin festgestellt wissen wollte, dass ein Rückforderungsanspruch des Beklagten im Hinblick auf eine von dessen Haftpflichtversicherung geleistete Zahlung auf den geltend gemachten Schaden nicht bestünde. Hintergrund war, dass der Haftpflichtversicherer im Rahmen der erfolgten Zahlung erklärte, dass die Zahlung „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und ohne Präjudiz dem Grunde und der Höhe nach sowie mit dem Vorbehalt der Verrechnung bzw. Rückforderung“ erfolge. Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin hin änderte das Oberlandesgericht (OLG) dahingehend ab, dass die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen würde, dass der Klageantrag zu 2. Unzulässig sei.

1. Zunächst musste sich das OLG damit auseinandersetzen, dass die Zahlung wie auch der Rückforderungsvorbehalt nicht vom Beklagten erfolgten, sondern von dessen Haftpflichtversicherer.

Zwar bestünde zwischen dem Beklagten und der Klägerin ein Rechtsverhältnis, da der Beklagte Schuldner der Schadensersatzforderung des Versicherten der Klägerin sei und diese Forderung im Hinblick auf die von der Klägerin erbrachten Leistungen auf die Klägerin gem. § 116 SGB X übergegangen sei. Sollet der Beklagte die Forderung zurückverlangen, würde auch bei der Klägerin ein Vermögensschaden in dieser Höhe eintreten.

Allerdings fehle es der Klägerin hier an einem Feststellungsinteresse gegenüber dem Beklagten, welches bei der negativen Feststellungsklage (wie hier) erfordere, dass sich der Beklagte der entsprechenden (Rück-) Forderung berühmen würde (diese also für sich beanspruche).  Fehle es daran sei die negative Feststellungsklage unzulässig. Vorliegend aber habe die Klägerin selbst nicht geltend gemacht, dass der Beklagte sich der Forderung berühmen würde, vielmehr vorgetragen, dass sie befürchte, dessen Haftpflichtversicherung könne die Zahlung zurückfordern.

2. Nur dann, wenn die Zahlung keine Erfüllung bewirke, käme ein rechtlich anerkanntes Interesse iSv. § 256 Abs. 1 ZPO an der begehrten Feststellung der Nichtberechtigung zur Rückforderung in Betracht, da damit klargestellt würde, ob der von ihr geltend gemachte Anspruch durch Erfüllung erloschen sei.

Der erklärte Vorbehalt würde hier der Erfüllungswirkung nicht entgegenstehen. Zu unterscheiden sei:

Wolle der Schuldner lediglich dem Verständnis seiner Leistung als Anerkenntnis (§ 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB) entgegentreten und die Wirkung des § 814 BGB (keine Rückforderung bei Zahlung in Kenntnis der Nichtschuld) ausschließen und sich mithin die Möglichkeit der Rückforderung nach § 812 BGB offenhalten, so würde dies der Erfüllung nicht entgegenstehen (BGH, Urteil vom 24.11.2006 - LwZR 6/06 -); der Gläubiger habe nur einen Anspruch auf Erfüllung, nicht auf ein Anerkenntnis des Bestehens der Forderung. 

Leiste der Schuldner in der Weise unter Vorbehalt, dass den Leistungsempfänger in einem späteren Rückforderungsrechtsstreit auch die Beweislast für das Bestehen des Anspruchs treffen solle, läge keine Erfüllung vor. Dies ist vor allem anzunehmen, wenn der Schuldner während eines Rechtsstreits zur Abwendung der Zwangsvollstreckung zahle und den Prozess gleichwohl fortsetzt, ferner dann, wenn er vorgerichtlich leistet, dies aber nur zur Abwendung eines empfindlichen Übels oder unter der Voraussetzung leiste, dass die Forderung zu Recht bestünde (BGH aaO).  In diesen Fällen bestünde ein rechtliches Interesse an der negativen Feststellungsklage (OLG Saarbrücken, Urteil vom 19.08.2003 - 3 U 109/03 -).

Der erklärte Vorbehalt sei nach §§ 133, 157 BGB auszulegen. Im Zweifel sei davon auszugehen, dass ein erfüllungsgeeigneter Vorbehalt gewollt sei, da dieser den Gläubiger auch zur Annahme der Leistung zwinge (Erman BGB, 16. Aufl. § 362 Rn. 13 mwN.).

Das Schreiben der Haftpflichtversicherung des Beklagten führe zum Ergebnis, dass dieses der ersten Fallgruppe unterfalle. Mit der Formulierung „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ würde klargestellt, dass die Zahlung kein Anerkenntnis, auf welches die beklagte auch keinen Anspruch habe, darstelle. Gleiches gelte für die Formulierung „dem Grunde und der Höhe nach“. Ersichtlich habe der Haftpflichtversicherer die Anerkenntniswirkung des § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB sowie den Rückforderungsausschluss gem. § 814 BGB vermeiden wollen, was zulässig sei. Es könne aus der Formulierung nicht geschlossen werden, dass die Beweislast für den Bestand der Forderung der Klägerin aufgebürdet bleiben sollte. Ausgeschlossen würden im Falle einer Rückforderung nur die Einwendungen des Anerkenntnisses und das Wissen des fehlenden Rechtsgrundes, während die Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf den mangelnden Bestand der Forderung bei dem Schuldner verbliebe. Damit würde es vorliegend am Feststellungsinteresse der Klägerin ermangeln.

3. Weiterhin setzte sich das OLG damit auseinander, ob ein Feststellungsinteresse dann anzunehmen wäre, wenn man entgegen dem obigen Ergebnis eine Erfüllungswirkung verneinen und deshalb ein Feststellungsinteresse insoweit bejahen würde. Auch in diesem Fall würde ein Feststellungsinteresse der Beklagten hier nicht bestehen können, da der Beklagte für einen Rückforderungsanspruch nicht aktivlegitimiert wäre und deshalb ein Feststellungsurteil nicht geeignet sei, eine Rechtsunsicherheit und Gefahr der Rückforderung zu beseitigen.

Der Rückforderungsanspruch würde entgegen der von der Klägerin vertretenen Rechtsansicht nicht dem Beklagten, sondern dessen Haftpflichtversicherer zustehen, der die Zahlung aufgrund des Versicherungsverhältnisses mit dem Beklagten an die Klägerin erbracht habe. Es handele sich vorliegend nicht um die Leistung des Beklagten mittels der Haftpflichtversicherung als Dritter (wie in den Anweisungsfällen), sondern um die Zahlung der Haftpflichtversicherung an den Gläubiger des Versicherungsnehmers als Dritte gem. § 267 BGB. In dieser Konstellation stünde der Haftpflichtversicherung als leistende Dritte der Kondiktionsanspruch zu. Leiste der Haftpflichtversicherer die Entschädigung an den Gläubiger seines Versicherungsnehmers, um dessen Verpflichtung zu erfüllen, könne er seine Leistung auch bei dem Gläubiger kondizieren, wenn diesem in Wahrheit kein Anspruch zustünde (BGH, Urteil vom 28.11.1990 - XII ZR 130/89 -; BGH, Urteil vom 29.02.2000 - VI ZR 47/99 -).

Es sei davon auszugehen, dass - wie regelmäßig - der Beklagte als Versicherungsnehmer den Versicherungsfall seiner Haftpflichtversicherung gemeldet hab, damit diese etwaige berechtigte Ansprüche des Verletzten aufgrund Versicherungsvertrages für ihn erfüllt (Anm.: Nach den Versicherungsbedingungen obliegt regelmäßig dem Haftpflichtversicherer die  Erfüllung berechtigter bzw. die Abwehr nichtberechtigter Forderungen auf eigene Kosten). In der Schadensanzeige läge keine Anweisung, nicht einmal im weitesten Sinne eine Weisung, die dem Versicherungsnehmer auch nicht zustünde und an die auch der Versicherer nicht zu befolgen bräuchte. Der Versicherer prüfe neben dem Deckungsverhältnis (also Anspruch des Versicherungsnehmers aus einem Versicherungsvertrag gegen ihn) auch die Berechtigung des gegen den Versicherungsnehmer geltend gemachten Anspruch. Erst bei positiver Feststellung eines Anspruchs des Gläubigers erfolge Zahlung auf die Schuld des Versicherungsnehmers (BGH, Urteil vom 28.11.1990 - XII ZR 130/89 -).

Gläubiger eines Rückforderungsanspruchs, dessen Nichtbestehen die Klägerin festgestellt wissen will, wäre mithin die Haftpflichtversicherung und nicht der Beklagte. Damit sei die Klage gegen den Beklagten (auch) unbegründet.

4. Bei der Frage der Anspruchsinhaberschaft handele es sich um eine sog. doppelrelevante Tatsache, dessen Fehlen sowohl die Zulässigkeit in Form des Feststellungsinteresses als auch die Begründetheit der Feststellungsklage betreffe. Die doppelrelevante Tatsache müsse schlüssig vorgetragen werden, mithin das Vorbringen in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sein, die gewünschte Rechtsfolge herbeizuführen. Der Vortrag der Klägerin, der Beklagte sei aufgrund der Zahlung seines Haftpflichtversicherers Inhaber eines etwaigen Rückforderungsanspruchs und deshalb ein Feststellungsinteresse am Nichtbestehen eines Rückforderungsanspruch bestünde, sei aber unschlüssig. Die doppelrelevante Tatsache sei aber nicht nur zur Begründetheit sondern auch zur Zulässigkeit relevant.

Das Feststellungsinteresse fehle, da das angestrebte Urteil nicht geeignet sei, die Gefahr einer Rückforderung und die Unsicherheit der Rechtsposition der Klägerin zu beseitigen, da der Beklagte nicht Inhaber eines etwaigen Rückforderungsanspruchs sei (s.o. 2.). Mit einem Urteil könne nur festgestellt werden, dass nicht der Beklagte zur Rückforderung berechtigt sei, was aber keine Auswirkungen auf das Verhältnis der Klägerin zu der Haftpflichtversicherung habe, da die Rechtskraft des Urteils nur zwischen den Parteien des Rechtsstreits (inter pares) wirke. Da damit mit der begehrten Feststellung die Rechtsunsicherheit nicht beseitigt werden könne, fehle es an dem Feststellungsinteresse und damit zur Zulässigkeit der Feststellungsklage.

OLG Frankfurt, Urteil vom 24.02.2023 - 4 U 155/22 -

Dienstag, 11. Juli 2023

(Fehlende) Signatur auf Schriftsatz und Verjährung

Der Kläger machte Schadensersatzansprüche geltend mit der Begründung, der Beklagte habe seiner Verkehrssicherungspflicht nicht genügt und deshalb habe er sich verletzt. Das Amtsgericht wies die Klage wegen Verjährung ab.  Dagegen wandte sich der Kläger erfolglos mit seiner Berufung.

Die Verjährung eines eventuellen Schadensersatzanspruchs des Klägers trat mit Ablauf des 31.12.2021 ein. Die Klage wurde am 25.12.2021 durch elektronische Übermittlung lediglich der ersten Seite der Klageschrift und der Anlagen zur Klageschrift durch an anwaltlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers bei dem zuständigen Amtsgericht eingereicht worden. Mit dem 27.12.2021 wurde der Kläger zur Zahlung des Gerichtskostenvorschusses aufgefordert. Unter dem 26.01.2022 wurde der Prozessbevollmächtigte des Klägers aufgefordert seine ersichtlich unvollständige Klage zu vervollständigen, was er dann auch unter Überlassung der kompletten Klageschrift tat. Der Beklagte erhob u.a. die Einrede der Verjährung. Mit Verweis auf die eingetretene Verjährung wurde die Klage abgewiesen. Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner Berufung. Mit Hinweisbeschluss vom 31.05.2023 wies das Landgericht darauf hin, dass es beabsichtige seine Berufung zurückzuweisen. Nachdem der Kläger darauf innerhalb gesetzter Frist nicht reagierte, wies das Landgericht seine Berufung mit Beschluss vom 03.07.2023 unter Bezugnahme auf den Hinweisbeschluss vom 31.05.2023 zurück.

Vom Grundsatz her war die Verjährung bei Einreichung einer Klage am 25.12.2021 noch nicht eingetreten, da Verjährungsablauf der 31.12.2021 war. Streitig war im Hinblick auf den Eintritt der Verjährung, ob die unvollständige Klage geeignet war, den Eintritt der Verjährung zu hemmen, § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Vorliegend entsprach aber die Klageschrift, so wie sie eingereicht wurde, nicht den prozessualen Anforderungen, was erst nach dem Hinweis durch das Amtsgericht im Januar geheilt wurde.

Das Landgericht wies in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht darauf hin, dass ein elektronisches Dokument wie die Klageschrift mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der den Schriftsatz verantwortenden Person versehen sein müsse oder aber von der verantwortenden Person (einfach) signiert sein müsse und ferner auf einem sicheren Übermittlungsweg (wie dem „besonderen elektronischen Anwaltspostfach“ (beA) eingereicht werden müsse, § 130a Abs. 3, Abs. 4 ZPO. Die Klageschrift, wie sie am 25.12.2021 auf einem sicheren Übermittlungsweg als elektronisches Dokument eingereicht wurde, war nicht qualifiziert signiert. Sie wurde nur mit einer Seite (der erste Seite) eingereicht, die auch nicht unterschrieben war.  Die einfache Signatur hätte hier bei der elektronischen Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg ausgereicht, wäre aber auch erforderlich gewesen, § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO.

Eine Ausnahme von dem Erfordernis der einfachen Signatur habe hier auch nicht vorgelegen. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hinwies, er sei, wie aus seinem Briefkopf auf der übermittelten Seite der Klageschrift ersichtlich sei, als Einzelanwalt tätig, rechtfertige dies nicht die Annahme einer Ausnahme. Der BGH habe zwischenzeitlich mit Beschluss vom 07.09.2022 - XII ZB 215/22 - entschieden, dass die einfache Signatur (z.B. durch maschinenschriftlichen Namenszug oder eingescannter Unterschrift) ebenso wie die eigene Unterschrift oder die qualifizierte Signatur die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Verfahrenshandlung  ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringe, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Fehle es daran, sei das Dokument nicht ordnungsgemäß eingereicht worden.  Auch wenn der Briefkopf darauf deute, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers seine Kanzlei als Einzelanwalt betreibe, schließe dies nicht aus, dass ein angestellter Rechtsanwalt tätig sei, ohne auf dem Briefbogen benannt zu sein; auch könnten freiberufliche Rechtsanwälte in der Kanzlei tätig sein. Entsprechend habe zudem auch bereits zuvor das BAG das BAG am 14.09.2020 - 5 AZB 23/20 - entschieden.

Das Fehlen des Namens am Ende des Dokuments (hier der ersten Seite) könne auch nicht durch einen eingangs des Dokuments benannten Namen des Rechtsanwalts ersetzt werden, da dennoch die Möglichkeit bestünde, dass der Schriftsatz von einer anderen Person (namentlich nichtanwaltlichen Personal oder einem externen Rechtsanwalt, der in anwaltlicher Vertretung tätig würde) stamme. Das könne ohne Beweisaufnahme nicht geklärt werden, die allerdings diesbezüglich ausgeschlossen sei.

Auch gehe die Annahme des Klägers fehl. Das Amtsgericht hätte ihn bereits im Zusammenhang mit der Übermittlung der Kostenrechnung  für den Gerichtskostenvorschuss auf die fehlende Wirksamkeit der Klageerhebung hinweisen müssen. Die Bearbeitung des Klageverfahrens erfolge gem. § 12 Abs. 1 S. 1 GKG erst nach Zahlung der angeforderten Gerichtskosten. Die Akte sei der Abteilungsrichterin des Amtsgerichts erst nach Eingang des Vorschusses am 25.01.2022 vorgelegt worden.

Anmerkung: Rechtsanwälte sind grundsätzlich verpflichtet, ihre Schriftsätze (und dies gilt auch für bestimmende Schriftsätze wie die Klageschrift) als elektronische Dokument den Gerichten auf einem sicheren Übermittlungsweg zuzuleiten (§ 130a ZPO). Diese müssen signiert werden (regelmäßig am Ende des Dokuments eine Namensangabe des verantwortenden Rechtsanwalts) oder mit einer qualifizierten Signatur des verantwortenden Rechtsanwalts versehen sein.

LG Kassel, Hinweisbeschluss vom 31.05.2023 - 1 S 177/22

Sonntag, 9. Juli 2023

„Fahrt ins Blaue“ und Minderung des Reisepreises

Die Klägerin machte Minderungsansprüche wegen mangelhafter Reisleistungen geltend. Sie buchte für 11 Personen eine als „Fahrt ins Blaue“ beworbene Busreise mit Hotelübernachtung für den Zeitraum 13. bis 15.03.2020. Zu Beginn der Reise wurde den Teilnehmern ein Reiseprogramm ausgehändigt, welches neben zwei Hotelübernachtungen in Hamburg, einer Führung im Speicherstadtmuseum und einer großen Hafenrundfahrt auch den Besuch des Musicals „Cirque du Soleil Paramour“ mit einer Veranstaltungsdauer von 2,5 Stunden vorsah. Am Nachmittag des Anreisetages wurde dann den Teilnehmern mitgeteilt, dass der Besuch des Musicals infolge Corona-Auswirkungen nicht stattfinde könne und statt dessen eine dreistündige Stadtrundfahrt durch Hamburg mit einer Reiseführerin stattfände.  Die Klägerin forderte eine Minderung von € 65 pro Teilnehmer (€ 715,00). Das Amtsgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin sprach das Landgericht der Klägerin € 320,00 zu. Die zugelassene Revision der Beklagten wurde vom BGH zurückgewiesen.

Der Klägerin habe für die „Fahrt ins Blaue“ mangels näherer Angabe ein leistungsbestimmungsrecht für die Auswahl und Gestaltung zugestanden. Grundlage dafür sei nicht § 243 Abs. 1 BGB. Dies hätte eine Gattungsschuld vorausgesetzt. Eine solche läge nur vor, wenn die als gattungsmäßig in Betracht kommenden Leistungen durch gemeinsame Merkmale gekennzeichnet seien und sich dadurch von Gegenständen anderer Art abheben würden.  Bei einer „Fahrt ins Blaue“ fehle es an gattungsbestimmenden Markmalen, die die Aussonderung eines Leistungsgegenstandes mittlerer Art und Güte erlauben würden. Indem sich die Beklagte als Reiseleitung vorbehalten habe, die Reiseleistungen erst nach Abschluss des Reisevertrages festzulegen, habe sie sich ein Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 Abs. 1 BGB ausbedungen, dass sie mangels anderweitiger Vereinbarungen nach billigen Ermessen habe ausüben dürfen. Ein solches Recht könne auch bei Pauschalreiseverträgen vereinbart werden (BGH, Urteil vom 10.12.2014 - X ZR 24/13 - zu Abflugzeiten; etwas anderes gelte auch nicht für Reiseziele und Programmpunkte).

Die Leistungsbestimmung erfolge nach § 315 Abs. 2 BGB durch Erklärung gegenüber dem anderen teil (hier: Reisenden). Dies sei eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die unwiderruflich sei (BGH, Urteil vom 24.01.2022 - IX ZR 228/00 -). Vorliegend habe die Beklagte ihr Bestimmungsrecht nicht erst (konkludent) mit der tatsächlichen Leistungserbringung ausgeübt, sondern bereits mit der Aushändigung des Reiseprogramms bei Antritt der Busreise. Dort sei unter der Überschrift „Ihr persönliches Reiseprogramm“ der Besuch des Musicals als Höhepunkt der reise benannt. Anhaltspunkte dafür, dass das Reiseprogramm nur vorläufigen Charakter haben soll und einzelne Programmpunkte oder gar der Reisehöhepunkt austauschbar sein sollten, gebe es nicht. Bei verständiger Würdigung aus Empfängersicht habe die Mitteilung des Reiseprogramms als Festlegung des zuvor noch unbestimmten Inhalts der gebuchten „Fahrt ins Blaue“ aufgefasst werden dürfen.

Zu Recht habe das Landgericht im Berufungsverfahren den Ausfall des Programmpunktes Musical als minderungsberechtigten Reisemangel angesehen. Insoweit läge kein Fall der rechtlichen Unmöglichkeit iSv. § 275 BGB vor.  Würde bei einer Pauschalreise eine nach dem Vertrag geschuldete Leistung aus Gründen, die nicht allein in der Person des Leistenden läge, ganz oder teilweise nicht erbracht, handele es sich grundsätzlich um einen Reisemangel (BGH, Urteil vom 20.03.1986 - VII ZR 187/85 -). Dabei sei ohne Belang, ob dem Reiseveranstalter ein Verschulden träfe oder ob die Erbringung aus Umständen nach Vertragsabschluss unmöglich geworden sei.

Die Stadtrundfahrt böte auch für den Musicalbesuch keine gleichwertige und gleichartige Ersatzleistung. 

Die Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB würden nicht greifen. Das Pauschalreiserecht enthalte umfassende Regelungen über die Folgen von Störungen der erbrachten Leistung. Wie insbesondere § 651h Abs. 3 BGB zeige würden auch Störungen berücksichtigt, die auf außergewöhnliche, nicht vorhersehbare Umstände zurückzuführen seien. Eine ergänzende Heranziehung der Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage scheide daher aus.

Der Minderungsbetrag sei auch korrekt berechnet worden (wird ausgeführt).

BGH, Urteil vom 14.02.2023 - X ZR 18/22 -