Die Klägerin machte Minderungsansprüche wegen mangelhafter Reisleistungen geltend. Sie buchte für 11 Personen eine als „Fahrt ins Blaue“ beworbene Busreise mit Hotelübernachtung für den Zeitraum 13. bis 15.03.2020. Zu Beginn der Reise wurde den Teilnehmern ein Reiseprogramm ausgehändigt, welches neben zwei Hotelübernachtungen in Hamburg, einer Führung im Speicherstadtmuseum und einer großen Hafenrundfahrt auch den Besuch des Musicals „Cirque du Soleil Paramour“ mit einer Veranstaltungsdauer von 2,5 Stunden vorsah. Am Nachmittag des Anreisetages wurde dann den Teilnehmern mitgeteilt, dass der Besuch des Musicals infolge Corona-Auswirkungen nicht stattfinde könne und statt dessen eine dreistündige Stadtrundfahrt durch Hamburg mit einer Reiseführerin stattfände. Die Klägerin forderte eine Minderung von € 65 pro Teilnehmer (€ 715,00). Das Amtsgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin sprach das Landgericht der Klägerin € 320,00 zu. Die zugelassene Revision der Beklagten wurde vom BGH zurückgewiesen.
Der Klägerin habe für die „Fahrt ins Blaue“ mangels näherer Angabe ein leistungsbestimmungsrecht für die Auswahl und Gestaltung zugestanden. Grundlage dafür sei nicht § 243 Abs. 1 BGB. Dies hätte eine Gattungsschuld vorausgesetzt. Eine solche läge nur vor, wenn die als gattungsmäßig in Betracht kommenden Leistungen durch gemeinsame Merkmale gekennzeichnet seien und sich dadurch von Gegenständen anderer Art abheben würden. Bei einer „Fahrt ins Blaue“ fehle es an gattungsbestimmenden Markmalen, die die Aussonderung eines Leistungsgegenstandes mittlerer Art und Güte erlauben würden. Indem sich die Beklagte als Reiseleitung vorbehalten habe, die Reiseleistungen erst nach Abschluss des Reisevertrages festzulegen, habe sie sich ein Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 Abs. 1 BGB ausbedungen, dass sie mangels anderweitiger Vereinbarungen nach billigen Ermessen habe ausüben dürfen. Ein solches Recht könne auch bei Pauschalreiseverträgen vereinbart werden (BGH, Urteil vom 10.12.2014 - X ZR 24/13 - zu Abflugzeiten; etwas anderes gelte auch nicht für Reiseziele und Programmpunkte).
Die Leistungsbestimmung erfolge nach § 315 Abs. 2 BGB durch Erklärung gegenüber dem anderen teil (hier: Reisenden). Dies sei eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die unwiderruflich sei (BGH, Urteil vom 24.01.2022 - IX ZR 228/00 -). Vorliegend habe die Beklagte ihr Bestimmungsrecht nicht erst (konkludent) mit der tatsächlichen Leistungserbringung ausgeübt, sondern bereits mit der Aushändigung des Reiseprogramms bei Antritt der Busreise. Dort sei unter der Überschrift „Ihr persönliches Reiseprogramm“ der Besuch des Musicals als Höhepunkt der reise benannt. Anhaltspunkte dafür, dass das Reiseprogramm nur vorläufigen Charakter haben soll und einzelne Programmpunkte oder gar der Reisehöhepunkt austauschbar sein sollten, gebe es nicht. Bei verständiger Würdigung aus Empfängersicht habe die Mitteilung des Reiseprogramms als Festlegung des zuvor noch unbestimmten Inhalts der gebuchten „Fahrt ins Blaue“ aufgefasst werden dürfen.
Zu Recht habe das Landgericht im Berufungsverfahren den Ausfall des Programmpunktes Musical als minderungsberechtigten Reisemangel angesehen. Insoweit läge kein Fall der rechtlichen Unmöglichkeit iSv. § 275 BGB vor. Würde bei einer Pauschalreise eine nach dem Vertrag geschuldete Leistung aus Gründen, die nicht allein in der Person des Leistenden läge, ganz oder teilweise nicht erbracht, handele es sich grundsätzlich um einen Reisemangel (BGH, Urteil vom 20.03.1986 - VII ZR 187/85 -). Dabei sei ohne Belang, ob dem Reiseveranstalter ein Verschulden träfe oder ob die Erbringung aus Umständen nach Vertragsabschluss unmöglich geworden sei.
Die Stadtrundfahrt böte auch für den Musicalbesuch keine gleichwertige und gleichartige Ersatzleistung.
Die Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB würden nicht greifen. Das Pauschalreiserecht enthalte umfassende Regelungen über die Folgen von Störungen der erbrachten Leistung. Wie insbesondere § 651h Abs. 3 BGB zeige würden auch Störungen berücksichtigt, die auf außergewöhnliche, nicht vorhersehbare Umstände zurückzuführen seien. Eine ergänzende Heranziehung der Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage scheide daher aus.
Der Minderungsbetrag sei auch korrekt berechnet worden (wird ausgeführt).
BGH, Urteil vom 14.02.2023 - X ZR 18/22 -
Aus den Gründen:
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 28. Januar 2022 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger
macht Ansprüche auf Minderung wegen mangelhafter Reiseleistungen geltend.
Der Kläger
buchte über ein Reisebüro bei der Beklagten für elf Personen zu einem
Gesamtpreis von 2.138 Euro eine als "Fahrt ins Blaue" beworbene
Busreise mit Hotelübernachtungen, die vom 13. bis 15. März 2020 stattfinden
sollte. In Abhängigkeit davon, ob Einzel- oder Doppelzimmer gebucht wurden,
betrug der Teilnehmerpreis pro Person 194,67 oder 253,67 Euro. Reiseziel und
Reiseprogramm waren den Teilnehmern vor Antritt der Reise nicht bekannt.
Zu Beginn der
Reise wurde den Reisenden ein Reiseprogramm ausgehändigt, welches neben zwei
Hotelübernachtungen in Hamburg, einer Führung im Speicherstadtmuseum und einer
großen Hafenrundfahrt den Besuch des Musicals "Cirque du Soleil
Paramour" mit einer Veranstaltungsdauer von zweieinhalb Stunden vorsah.
Am Nachmittag
des Anreisetages wurde den Reiseteilnehmern bekannt gegeben, dass der Besuch
des Musicals infolge der Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht stattfinden
könne. Stattdessen führte die Beklagte eine von einer Reiseführerin begleitete
dreistündige Stadtrundfahrt durch Hamburg durch.
Das Amtsgericht
hat die auf Zahlung eines Minderungsbetrags von 65 Euro pro Teilnehmer,
insgesamt also 715 Euro, und Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten
gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das
Berufungsgericht die Beklagte unter Zurückweisung des weitergehenden
Rechtsmittels zur Zahlung von 320 Euro und Erstattung anteiliger
außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt.
Mit ihrer vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren der
vollständigen Klageabweisung weiter. Der Kläger tritt dem Rechtsmittel
entgegen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige
Revision ist unbegründet.
I. Das
Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Ausfall des
geplanten Musicalbesuchs stelle einen zur Minderung berechtigenden Reisemangel
dar.
Bei einer
Überraschungsreise ohne vorherige Kenntnis von Reiseziel und Reiseprogramm
stehe dem Reiseveranstalter ein Leistungsbestimmungsrecht zu. Durch Aushändigung
des Reiseprogramms habe die Beklagte den zunächst nur gattungsmäßig
geschuldeten Leistungsinhalt gemäß § 243 Abs. 2 BGB durch eine nach
außen erkennbare Handlung konkretisiert und verbindlich gemacht.
Der Reisemangel
sei mit der Durchführung der Stadtrundfahrt nicht behoben worden. Eine
Austauschbarkeit der Programmpunkte könne nicht angenommen werden, da eine
Stadtrundfahrt gegenüber einem Musicalbesuch nicht gleichartig sei und nicht
wie dieser zu den weiteren Programmpunkten einen Kontrast bilde.
Bei Bemessung
der Minderungsquote sei zu berücksichtigten, dass der Besuch des Musicals zwar
nicht buchungsentscheidend gewesen sei, er aber nach Konkretisierung der Reise
einen Hauptprogrammpunkt darstelle. Ausgehend davon, dass Anreise, Übernachtung
und Verpflegung bereits mit 60 % des Werts der Pauschalreise zu veranschlagen
seien, sei es unter Berücksichtigung von Hafenrundfahrt und Museumsführung
angemessen, die mit dem Wegfall des Musicals eingetretene Minderung mit 15 %
des Gesamtpreises zu bewerten.
II. Dies
hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
1. Dem
Kläger steht gemäß § 651m Abs. 2 Satz 1 BGB ein Anspruch auf
Erstattung des über den geminderten Reisepreis der gebuchten Pauschalreise
hinaus gezahlten Betrags zu.
a) Im
Ausgangspunkt zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der
Beklagten für die Auswahl und Gestaltung des Reiseprogramms der gebuchten
"Fahrt ins Blaue" ein Leistungsbestimmungsrecht zustand.
aa)
Dieses Recht hat entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts allerdings seine
Grundlage nicht in § 243 Abs. 2 BGB.
Reiseleistungen
können in entsprechender Anwendung von § 243 Abs. 1 BGB zwar
grundsätzlich Gegenstand einer Gattungsschuld sein (BGH, Urteil vom 12. März
1987 - VII ZR 37/86, BGHZ 100, 157, 174 = NJW 1987, 1931, 1935). Dies setzt
aber voraus, dass eine Leistung mittlerer Art und Güte bestimmt werden kann.
Letzteres ist nur dann möglich, wenn die als gattungsgemäß in Frage kommenden
Leistungen durch gemeinsame Merkmale gekennzeichnet sind und sich dadurch von
Gegenständen anderer Art abheben (vgl. Staudinger/Rieble (2020), § 315 BGB
Rn. 204).
Bei lediglich
mit "Fahrt ins Blaue" bezeichneten Reiseleistungen fehlt es an
gattungsbildenden Merkmalen, die die Aussonderung eines Leistungsgegenstandes
mittlerer Art und Güte erlauben.
bb) Mit
dem Recht, die Reiseleistungen erst nach Abschluss des Reisevertrages
festzulegen, hat sich die Beklagte als Reiseveranstalter jedoch ein
Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 Abs. 1 BGB ausbedungen, das
mangels abweichender Regelung nach billigem Ermessen auszuüben ist.
Dass ein
solches Bestimmungsrecht auch in einem Pauschalreisevertrag vereinbart werden
kann, hat der Senat bereits im Zusammenhang mit der Bestimmung von Abflugzeiten
entschieden (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 - X ZR 24/13, NJW 2014, 1168 Rn.
21). Für die Bestimmung von Reisezielen oder Programmpunkten gilt nichts
anderes.
b) Das
ihr zustehende Bestimmungsrecht hat die Beklagte im Streitfall durch
Aushändigung des Reiseprogramms ausgeübt.
aa) Die
Ausübung des Bestimmungsrechts erfolgt gemäß § 315 Abs. 2 BGB durch
Erklärung gegenüber dem anderen Teil.
Es handelt sich
um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, mit der der
Leistungsinhalt konkretisiert wird. Eine solche Erklärung ist unwiderruflich
(BGH, Urteil vom 24. Januar 2002 - IX ZR 228/00, NJW 2002, 1421, 1424; Urteil
vom 19. Januar 2005 - VIII ZR 139/04, NJW-RR 2005, 762, 765).
bb) Im
Streitfall hat die Beklagte ihr Bestimmungsrecht nicht erst (konkludent) mit
der tatsächlichen Leistungserbringung ausgeübt, sondern bereits mit der
Aushändigung des Reiseprogramms bei Antritt der Busreise.
Unter der
Überschrift "Ihr persönliches Reiseprogramm" werden die
Reiseleistungen und der zeitliche Ablauf der Reise im Einzelnen benannt. Der
Besuch des Musicals "Cirque du Soleil Paramour" wird als Höhepunkt
der Reise bezeichnet.
Diese
Mitteilung bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie vorläufigen Charakter hat
und einzelne Programmpunkte und insbesondere der Reisehöhepunkt noch
austauschbar sein sollten. Bei verständiger Würdigung aus Empfängersicht konnte
und durfte die Mitteilung vielmehr als Festlegung des zuvor noch unbestimmten
Inhalts der gebuchten "Fahrt ins Blaue" aufgefasst werden.
Da weitere
tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten sind, kann der Senat diese
Würdigung selbst vornehmen.
2.
Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht den Wegfall des Musicalbesuchs als
zur Minderung berechtigenden Reisemangel bewertet.
a)
Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung liegt kein Fall der rechtlichen
Unmöglichkeit im Sinne von § 275 BGB vor.
Wird bei einer
Pauschalreise eine nach dem Vertrag geschuldete Leistung aus Gründen, die nicht
allein in der Person des Reisenden liegen, ganz oder teilweise nicht erbracht,
handelt es sich grundsätzlich um einen Reisemangel (BGH, Urteil vom 20. März
1986 - VII ZR 187/85, BGHZ 97, 255, 259 = NJW 1986, 1748, 1749; Urteil vom 12.
März 1987 - VII ZR 37/86, BGHZ 100, 157, 180 f. = NJW 1987, 1931, 1937). Ob die
Erbringung der Reiseleistung nach Vertragsschluss unmöglich geworden ist oder
ob den Reiseveranstalter ein Verschulden trifft, ist ohne Belang. Die
reiserechtliche Gewährleistung genießt insoweit Vorrang vor den Regelungen des
allgemeinen Leistungsstörungsrechts (MünchKommBGB/Tonner, 9. Aufl. 2023, § 651i
Rn. 29 ff.).
b) Dass
das Berufungsgericht in der durchgeführten Stadtrundfahrt keine gegenüber dem
Musicalbesuch gleichartige und gleichwertige den Mangel behebende
Ersatzleistung gesehen hat, lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen und wird
von der Revision nicht gesondert angegriffen.
3.
Entgegen der Auffassung der Revision führt § 313 BGB nicht zu einer
abweichenden Beurteilung.
Das
Pauschalreiserecht enthält umfassende Regelungen über die Folgen von Störungen
der erbrachten Leistung. Hierunter fallen, wie insbesondere die Regelung in
§ 651h Abs. 3 BGB zeigt, auch Störungen, die auf außergewöhnliche,
nicht vorhersehbare Umstände zurückzuführen sind. Vor diesem Hintergrund ist
die ergänzende Heranziehung der allgemeinen Regeln über Störung oder Wegfall
der Geschäftsgrundlage wie schon nach früher geltendem Recht (dazu BGH, Urteil
vom 18. Dezember 2012 - X ZR 2/12, NJW 2013, 1674 Rn. 18) ausgeschlossen.
4. Ohne
Erfolg rügt die Revision, das Berufungsgericht habe den Minderungsbetrag
rechtsfehlerhaft ermittelt.
a) Das
Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass gemäß § 651m
Abs. 1 Satz 2 BGB der Reisepreis in dem Verhältnis herabzusetzen ist,
in welchem der tatsächliche Wert der Gesamtreise zu dem Wert der mangelfreien
Reise steht (BGH, Urteil vom 14. Mai 2013 - X ZR 15/11, NJW 2013, 3170 Rn. 33).
b) Die
vom Berufungsgericht in Übereinstimmung mit § 651m Abs. 1 Satz 3
BGB vorgenommene Schätzung des auf den Musicalbesuch entfallenden Teils der
Vergütung und der daraus abzuleitenden Minderungsquote lässt keinen
Rechtsfehler erkennen.
Entgegen der
Auffassung der Revision ist von Rechts wegen auch nicht zu beanstanden, dass
das Berufungsgericht den so ermittelten Minderungsbetrag im Hinblick auf die
als Ersatzleistung durchgeführte Stadtrundfahrt nicht weiter reduziert hat. Der
Wert einer solchen Ersatzleistung kann zwar zu berücksichtigen sein
(MünchKommBGB/Tonner, 9. Aufl. 2023, § 651m Rn. 13). Im Streitfall hat das
Berufungsgericht diesem Aspekt aber ausreichend Rechnung getragen, indem es -
ebenfalls rechtsfehlerfrei - festgestellt hat, dass die Stadtrundfahrt nicht
mit dem geschuldeten Musicalbesuch gleichwertig ist, und die Schätzung der
Minderungsquote auf dieser Grundlage vorgenommen hat.
III. Die
Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen