Sonntag, 9. Juli 2023

„Fahrt ins Blaue“ und Minderung des Reisepreises

Die Klägerin machte Minderungsansprüche wegen mangelhafter Reisleistungen geltend. Sie buchte für 11 Personen eine als „Fahrt ins Blaue“ beworbene Busreise mit Hotelübernachtung für den Zeitraum 13. bis 15.03.2020. Zu Beginn der Reise wurde den Teilnehmern ein Reiseprogramm ausgehändigt, welches neben zwei Hotelübernachtungen in Hamburg, einer Führung im Speicherstadtmuseum und einer großen Hafenrundfahrt auch den Besuch des Musicals „Cirque du Soleil Paramour“ mit einer Veranstaltungsdauer von 2,5 Stunden vorsah. Am Nachmittag des Anreisetages wurde dann den Teilnehmern mitgeteilt, dass der Besuch des Musicals infolge Corona-Auswirkungen nicht stattfinde könne und statt dessen eine dreistündige Stadtrundfahrt durch Hamburg mit einer Reiseführerin stattfände.  Die Klägerin forderte eine Minderung von € 65 pro Teilnehmer (€ 715,00). Das Amtsgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin sprach das Landgericht der Klägerin € 320,00 zu. Die zugelassene Revision der Beklagten wurde vom BGH zurückgewiesen.

Der Klägerin habe für die „Fahrt ins Blaue“ mangels näherer Angabe ein leistungsbestimmungsrecht für die Auswahl und Gestaltung zugestanden. Grundlage dafür sei nicht § 243 Abs. 1 BGB. Dies hätte eine Gattungsschuld vorausgesetzt. Eine solche läge nur vor, wenn die als gattungsmäßig in Betracht kommenden Leistungen durch gemeinsame Merkmale gekennzeichnet seien und sich dadurch von Gegenständen anderer Art abheben würden.  Bei einer „Fahrt ins Blaue“ fehle es an gattungsbestimmenden Markmalen, die die Aussonderung eines Leistungsgegenstandes mittlerer Art und Güte erlauben würden. Indem sich die Beklagte als Reiseleitung vorbehalten habe, die Reiseleistungen erst nach Abschluss des Reisevertrages festzulegen, habe sie sich ein Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 Abs. 1 BGB ausbedungen, dass sie mangels anderweitiger Vereinbarungen nach billigen Ermessen habe ausüben dürfen. Ein solches Recht könne auch bei Pauschalreiseverträgen vereinbart werden (BGH, Urteil vom 10.12.2014 - X ZR 24/13 - zu Abflugzeiten; etwas anderes gelte auch nicht für Reiseziele und Programmpunkte).

Die Leistungsbestimmung erfolge nach § 315 Abs. 2 BGB durch Erklärung gegenüber dem anderen teil (hier: Reisenden). Dies sei eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die unwiderruflich sei (BGH, Urteil vom 24.01.2022 - IX ZR 228/00 -). Vorliegend habe die Beklagte ihr Bestimmungsrecht nicht erst (konkludent) mit der tatsächlichen Leistungserbringung ausgeübt, sondern bereits mit der Aushändigung des Reiseprogramms bei Antritt der Busreise. Dort sei unter der Überschrift „Ihr persönliches Reiseprogramm“ der Besuch des Musicals als Höhepunkt der reise benannt. Anhaltspunkte dafür, dass das Reiseprogramm nur vorläufigen Charakter haben soll und einzelne Programmpunkte oder gar der Reisehöhepunkt austauschbar sein sollten, gebe es nicht. Bei verständiger Würdigung aus Empfängersicht habe die Mitteilung des Reiseprogramms als Festlegung des zuvor noch unbestimmten Inhalts der gebuchten „Fahrt ins Blaue“ aufgefasst werden dürfen.

Zu Recht habe das Landgericht im Berufungsverfahren den Ausfall des Programmpunktes Musical als minderungsberechtigten Reisemangel angesehen. Insoweit läge kein Fall der rechtlichen Unmöglichkeit iSv. § 275 BGB vor.  Würde bei einer Pauschalreise eine nach dem Vertrag geschuldete Leistung aus Gründen, die nicht allein in der Person des Leistenden läge, ganz oder teilweise nicht erbracht, handele es sich grundsätzlich um einen Reisemangel (BGH, Urteil vom 20.03.1986 - VII ZR 187/85 -). Dabei sei ohne Belang, ob dem Reiseveranstalter ein Verschulden träfe oder ob die Erbringung aus Umständen nach Vertragsabschluss unmöglich geworden sei.

Die Stadtrundfahrt böte auch für den Musicalbesuch keine gleichwertige und gleichartige Ersatzleistung. 

Die Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB würden nicht greifen. Das Pauschalreiserecht enthalte umfassende Regelungen über die Folgen von Störungen der erbrachten Leistung. Wie insbesondere § 651h Abs. 3 BGB zeige würden auch Störungen berücksichtigt, die auf außergewöhnliche, nicht vorhersehbare Umstände zurückzuführen seien. Eine ergänzende Heranziehung der Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage scheide daher aus.

Der Minderungsbetrag sei auch korrekt berechnet worden (wird ausgeführt).

BGH, Urteil vom 14.02.2023 - X ZR 18/22 -


Aus den Gründen:

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 28. Januar 2022 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Kläger macht Ansprüche auf Minderung wegen mangelhafter Reiseleistungen geltend.

Der Kläger buchte über ein Reisebüro bei der Beklagten für elf Personen zu einem Gesamtpreis von 2.138 Euro eine als "Fahrt ins Blaue" beworbene Busreise mit Hotelübernachtungen, die vom 13. bis 15. März 2020 stattfinden sollte. In Abhängigkeit davon, ob Einzel- oder Doppelzimmer gebucht wurden, betrug der Teilnehmerpreis pro Person 194,67 oder 253,67 Euro. Reiseziel und Reiseprogramm waren den Teilnehmern vor Antritt der Reise nicht bekannt.

Zu Beginn der Reise wurde den Reisenden ein Reiseprogramm ausgehändigt, welches neben zwei Hotelübernachtungen in Hamburg, einer Führung im Speicherstadtmuseum und einer großen Hafenrundfahrt den Besuch des Musicals "Cirque du Soleil Paramour" mit einer Veranstaltungsdauer von zweieinhalb Stunden vorsah.

Am Nachmittag des Anreisetages wurde den Reiseteilnehmern bekannt gegeben, dass der Besuch des Musicals infolge der Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht stattfinden könne. Stattdessen führte die Beklagte eine von einer Reiseführerin begleitete dreistündige Stadtrundfahrt durch Hamburg durch.

Das Amtsgericht hat die auf Zahlung eines Minderungsbetrags von 65 Euro pro Teilnehmer, insgesamt also 715 Euro, und Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht die Beklagte unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels zur Zahlung von 320 Euro und Erstattung anteiliger außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt.

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren der vollständigen Klageabweisung weiter. Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist unbegründet.

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Ausfall des geplanten Musicalbesuchs stelle einen zur Minderung berechtigenden Reisemangel dar.

Bei einer Überraschungsreise ohne vorherige Kenntnis von Reiseziel und Reiseprogramm stehe dem Reiseveranstalter ein Leistungsbestimmungsrecht zu. Durch Aushändigung des Reiseprogramms habe die Beklagte den zunächst nur gattungsmäßig geschuldeten Leistungsinhalt gemäß § 243 Abs. 2 BGB durch eine nach außen erkennbare Handlung konkretisiert und verbindlich gemacht.

Der Reisemangel sei mit der Durchführung der Stadtrundfahrt nicht behoben worden. Eine Austauschbarkeit der Programmpunkte könne nicht angenommen werden, da eine Stadtrundfahrt gegenüber einem Musicalbesuch nicht gleichartig sei und nicht wie dieser zu den weiteren Programmpunkten einen Kontrast bilde.

Bei Bemessung der Minderungsquote sei zu berücksichtigten, dass der Besuch des Musicals zwar nicht buchungsentscheidend gewesen sei, er aber nach Konkretisierung der Reise einen Hauptprogrammpunkt darstelle. Ausgehend davon, dass Anreise, Übernachtung und Verpflegung bereits mit 60 % des Werts der Pauschalreise zu veranschlagen seien, sei es unter Berücksichtigung von Hafenrundfahrt und Museumsführung angemessen, die mit dem Wegfall des Musicals eingetretene Minderung mit 15 % des Gesamtpreises zu bewerten.

II. Dies hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

1. Dem Kläger steht gemäß § 651m Abs. 2 Satz 1 BGB ein Anspruch auf Erstattung des über den geminderten Reisepreis der gebuchten Pauschalreise hinaus gezahlten Betrags zu.

a) Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Beklagten für die Auswahl und Gestaltung des Reiseprogramms der gebuchten "Fahrt ins Blaue" ein Leistungsbestimmungsrecht zustand.

aa) Dieses Recht hat entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts allerdings seine Grundlage nicht in § 243 Abs. 2 BGB.

Reiseleistungen können in entsprechender Anwendung von § 243 Abs. 1 BGB zwar grundsätzlich Gegenstand einer Gattungsschuld sein (BGH, Urteil vom 12. März 1987 - VII ZR 37/86, BGHZ 100, 157, 174 = NJW 1987, 1931, 1935). Dies setzt aber voraus, dass eine Leistung mittlerer Art und Güte bestimmt werden kann. Letzteres ist nur dann möglich, wenn die als gattungsgemäß in Frage kommenden Leistungen durch gemeinsame Merkmale gekennzeichnet sind und sich dadurch von Gegenständen anderer Art abheben (vgl. Staudinger/Rieble (2020), § 315 BGB Rn. 204).

Bei lediglich mit "Fahrt ins Blaue" bezeichneten Reiseleistungen fehlt es an gattungsbildenden Merkmalen, die die Aussonderung eines Leistungsgegenstandes mittlerer Art und Güte erlauben.

bb) Mit dem Recht, die Reiseleistungen erst nach Abschluss des Reisevertrages festzulegen, hat sich die Beklagte als Reiseveranstalter jedoch ein Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 Abs. 1 BGB ausbedungen, das mangels abweichender Regelung nach billigem Ermessen auszuüben ist.

Dass ein solches Bestimmungsrecht auch in einem Pauschalreisevertrag vereinbart werden kann, hat der Senat bereits im Zusammenhang mit der Bestimmung von Abflugzeiten entschieden (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 - X ZR 24/13, NJW 2014, 1168 Rn. 21). Für die Bestimmung von Reisezielen oder Programmpunkten gilt nichts anderes.

b) Das ihr zustehende Bestimmungsrecht hat die Beklagte im Streitfall durch Aushändigung des Reiseprogramms ausgeübt.

aa) Die Ausübung des Bestimmungsrechts erfolgt gemäß § 315 Abs. 2 BGB durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.

Es handelt sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, mit der der Leistungsinhalt konkretisiert wird. Eine solche Erklärung ist unwiderruflich (BGH, Urteil vom 24. Januar 2002 - IX ZR 228/00, NJW 2002, 1421, 1424; Urteil vom 19. Januar 2005 - VIII ZR 139/04, NJW-RR 2005, 762, 765).

bb) Im Streitfall hat die Beklagte ihr Bestimmungsrecht nicht erst (konkludent) mit der tatsächlichen Leistungserbringung ausgeübt, sondern bereits mit der Aushändigung des Reiseprogramms bei Antritt der Busreise.

Unter der Überschrift "Ihr persönliches Reiseprogramm" werden die Reiseleistungen und der zeitliche Ablauf der Reise im Einzelnen benannt. Der Besuch des Musicals "Cirque du Soleil Paramour" wird als Höhepunkt der Reise bezeichnet.

Diese Mitteilung bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie vorläufigen Charakter hat und einzelne Programmpunkte und insbesondere der Reisehöhepunkt noch austauschbar sein sollten. Bei verständiger Würdigung aus Empfängersicht konnte und durfte die Mitteilung vielmehr als Festlegung des zuvor noch unbestimmten Inhalts der gebuchten "Fahrt ins Blaue" aufgefasst werden.

Da weitere tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten sind, kann der Senat diese Würdigung selbst vornehmen.

2. Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht den Wegfall des Musicalbesuchs als zur Minderung berechtigenden Reisemangel bewertet.

a) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung liegt kein Fall der rechtlichen Unmöglichkeit im Sinne von § 275 BGB vor.

Wird bei einer Pauschalreise eine nach dem Vertrag geschuldete Leistung aus Gründen, die nicht allein in der Person des Reisenden liegen, ganz oder teilweise nicht erbracht, handelt es sich grundsätzlich um einen Reisemangel (BGH, Urteil vom 20. März 1986 - VII ZR 187/85, BGHZ 97, 255, 259 = NJW 1986, 1748, 1749; Urteil vom 12. März 1987 - VII ZR 37/86, BGHZ 100, 157, 180 f. = NJW 1987, 1931, 1937). Ob die Erbringung der Reiseleistung nach Vertragsschluss unmöglich geworden ist oder ob den Reiseveranstalter ein Verschulden trifft, ist ohne Belang. Die reiserechtliche Gewährleistung genießt insoweit Vorrang vor den Regelungen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts (MünchKommBGB/Tonner, 9. Aufl. 2023, § 651i Rn. 29 ff.).

b) Dass das Berufungsgericht in der durchgeführten Stadtrundfahrt keine gegenüber dem Musicalbesuch gleichartige und gleichwertige den Mangel behebende Ersatzleistung gesehen hat, lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen und wird von der Revision nicht gesondert angegriffen.

3. Entgegen der Auffassung der Revision führt § 313 BGB nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

Das Pauschalreiserecht enthält umfassende Regelungen über die Folgen von Störungen der erbrachten Leistung. Hierunter fallen, wie insbesondere die Regelung in § 651h Abs. 3 BGB zeigt, auch Störungen, die auf außergewöhnliche, nicht vorhersehbare Umstände zurückzuführen sind. Vor diesem Hintergrund ist die ergänzende Heranziehung der allgemeinen Regeln über Störung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage wie schon nach früher geltendem Recht (dazu BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 - X ZR 2/12, NJW 2013, 1674 Rn. 18) ausgeschlossen.

4. Ohne Erfolg rügt die Revision, das Berufungsgericht habe den Minderungsbetrag rechtsfehlerhaft ermittelt.

a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass gemäß § 651m Abs. 1 Satz 2 BGB der Reisepreis in dem Verhältnis herabzusetzen ist, in welchem der tatsächliche Wert der Gesamtreise zu dem Wert der mangelfreien Reise steht (BGH, Urteil vom 14. Mai 2013 - X ZR 15/11, NJW 2013, 3170 Rn. 33).

b) Die vom Berufungsgericht in Übereinstimmung mit § 651m Abs. 1 Satz 3 BGB vorgenommene Schätzung des auf den Musicalbesuch entfallenden Teils der Vergütung und der daraus abzuleitenden Minderungsquote lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

Entgegen der Auffassung der Revision ist von Rechts wegen auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den so ermittelten Minderungsbetrag im Hinblick auf die als Ersatzleistung durchgeführte Stadtrundfahrt nicht weiter reduziert hat. Der Wert einer solchen Ersatzleistung kann zwar zu berücksichtigen sein (MünchKommBGB/Tonner, 9. Aufl. 2023, § 651m Rn. 13). Im Streitfall hat das Berufungsgericht diesem Aspekt aber ausreichend Rechnung getragen, indem es - ebenfalls rechtsfehlerfrei - festgestellt hat, dass die Stadtrundfahrt nicht mit dem geschuldeten Musicalbesuch gleichwertig ist, und die Schätzung der Minderungsquote auf dieser Grundlage vorgenommen hat.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen