Freitag, 2. Juni 2023

Haftung bei Unfall eines Businsassen durch starkes Abbremsen (Notbremsung)

An einer Kreuzung hielt der Linienbus an einer Ampel mit Rotlicht. Nachdem die Ampel auf Grün umsprang, fuhr der Bus in den Kreuzungsbereich hinein um dort nach links abzubiegen. Die Klägerin, die kurz nach dem Kreuzung an der Haltestelle aussteigen wollte (und bereits das Haltesignal betätigt hatte) stand auf und positionieret sich am Ausgang, mit einer Hand sich an der Haltestange haltend, in der anderen Hand einen Regenschirm und die Handtasche haltend. Nach einem kurzen Stopp im Kreuzungsbereich, um Gegenverkehr durchfahren zu lassen, fuhr er wieder an; eine im Kreuzungsbereich anwesende Fußgängerin wollte im Bereich der Fußgängerfurt (bei Grünlicht für Fußgänger) die Straße überqueren, in die der Bus im Begriff war einzufahren. Nachdem der Busfahrer (der Beklagte zu 1.) die Fußgängerin wahrnahm, nahm er bei einem Abstand von nur noch 1 m eine Notbremsung vor, erfasste die Fußgängerin aber gleichwohl, die deshalb stürzte (aber unverletzt blieb). Infolge der Notbremsung konnte sich die Klägerin nicht mehr an der Haltestange ausreichend festhalten und stürzte. Sie machte Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend. Das Landgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die Klägerin hätte bis zum Halt an der Haltestelle sitzen bleiben können und dann zügig den Bus verlassen können; in diesem Fall wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu einer Schädigung gekommen. In der von der Klägerin eingelegten Berufung machte sie nur noch 50% als Haftungsanteil der Beklagten geltend. Das Oberlandesgericht (OLG) stellte dem Grunde nach eine Haftung der Beklagten zu 50% fest und verwies den Rechtsstreit zur Höhe an das Landgericht zurück.

Das OLG verwies darauf, dass die Beklagten die Gefährdungshaftung gem. §§ 7, 8a, 18 StVG treffe. Eine die Haftung nach § 7 StVG ausschließende höhere Gewalt wurde vom OLG nicht erörtert, da diese ersichtlich nicht vorliegen konnte. Stattdessen nahm das OLG sogar (zutreffend) eine durch einen Verkehrsverstoß des Busfahrers leicht gesteigerte Betriebsgefahr beim Abbiegen an. Zwar bedeute das für den Beklagten zu 1. (Busfahrer) gültige Licht der Ampel nach § 37 Abs. 2 S. 3 Nr. 1, S. 2 StVO, dass er nach den Regeln des § 9 StVO abbiegen dürfe. Allerdings habe derjenige, der nach § 9 StVO abbiegen wolle, u.a. auf Fußgänger zu achten und ggf. zu warten, § 9 Abs. 3 S. 3 StVO. Hier habe der Beklagte zu 1. die Fußgängerin übersehen, was zu der Notbremsung führte. Der Verkehrsverstoß sei in die Haftungsabwägung mit einzubeziehen, auch wenn nicht die Klägerin der Grund für die Notbremsung war. Der Bremsvorgang sei kein normaler Bremsvorgang im fließenden Straßenverkehr gewesen, sondern eben als Notbremsung, der eine Verletzung der Pflicht aus § 9 Abs. 3 StVO zugrunde liegt.

Allerdings läge auch ein Mitverschulden der Klägerin vor, §§ 9 StVG, 254 BGB. Der Fahrgast von Straßenbahnen und Bussen sie verpflichtet, sich im Fahrzeug einen festen Halt zu verschaffen, § 4 Abs. 3 S. 5 BefBedV. Ein Beweis des ersten Anscheins läge aber dafür nur vor, wenn keine außergewöhnlichen Fahrereignisse vorlägen (OLG Celle, Urteil vom 02.05.2019 - 14 U 183/18 -), welches hier infolge der Notbremsung vorläge. Jeder Fahrgast sei aber selbst dafür verantwortlich. Dass er durch typische und zu erwartende Bewegungen des Busses nicht zu Fall käme (KG, Urteil vom 07.05.2012 - 22 U 251/11 -). Das erfordere, gerade bei älteren Fahrgästen, ein Festhalten mit beiden Händen an der Haltestange (OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.05.2015 - 1 U 71/14 -). Dem sei die Klägerin nicht nachgekommen. Das Festhalten mit nur einer Hand genüge schon bei ruckartigen Fahrt- oder Bremsbewegungen nicht, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.  Zudem habe die Klägerin ihren sicheren Sitzplatz im unmittelbarer Nähe zum Ausgang trotz ausgelösten Haltesignals verlassen.

Mit dem Kammergericht (KG, Beschluss vom 29.06.2010 - 12 U 30/10 -) würde das Eigenverschulden des Fahrgastes, der sich nicht ordnungsgemäß festhalte, eine Gefährdungshaftung aus einfacher Betriebsgefahr des Busses vollkommen verdrängen. Das Eigenverschulden könne sich bei Vorliegen besonderer Umstände verringern. Es sei (so hier) eine Haftungsquotelung von 50 : 50 bei einer kausalen Notbremsung des Busfahrers anzunehmen.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 25.04.2023 - 7 U 125/22 -

Sonntag, 28. Mai 2023

Parteiberichtigung auf Beklagtenseite bei der Beschlussmängelklage und Fristwahrung (§ 45 WEG)

Die Kläger, Mitglieder der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GsWE), erhoben eine Klage gegen Beschlüsse einer Eigentümerversammlung vom 14.12.2020 zu TOP 1 und TOP 2, die die geänderte Ausführung einer Geländerkonstruktion im Zusammenhang mit einer zu einem früheren Zeitpunkt beschlossenen Instandsetzung zusammenhängender Dachterrassenflächen zum Gegenstand hatten. In der am 13.01.2021 bei Gericht eingegangenen Klageschrift benannten sie die übrigen Wohnungseigentümer als Beklagte und die Verwalterin als Zustellungsbevollmächtigte. Auf Hinweis des zuständigen Amtsgerichts auf die neue Rechtslage seit dem 01.12.2020 haben sie noch mit am 11.02.2021 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz das Beklagtenrubrum dahingehend geändert, dass Beklagte die GsWE sei, „mit Ausnahme der Kläger“. In der Verhandlung wurde von den Klägern erklärt, die Klage richte sich ohne Ausnahme gegen die GdWE. Die Klage wurde von Amts- und Landgericht zurückgewiesen.

Das Landgericht hatte die Zulassung der Revision auf die für die Anfechtungsfrist des § 45 S. 1 WEG entscheidende Frage, ob die Frist gewahrt sei, beschränkt. Diese Beschränkung sah der BGH als unwirksam an. Eine Beschränkung der Revisionszulassung sei nur auf rechtlich und tatsächlich abtrennbare Teile des Gesamtstreitstoffs zulässig. Danach müsste der zugelassene Streitstoff unabhängig von dem übrigen Streitstoff bewertet werden können. Auf einzelne Rechtsfragen könne die Zulassung nicht beschränkt werden. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen seien materiellrechtlich auf das gleiche Rechtsschutzziel, Klärung der Gültigkeit der angegriffenen Beschlüsse, gerichtet. Es läge keine Klagehäufung vor. Infolge der Identität wären auch die Auswirkungen der Rechtskraft dieselben. Nach dem Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz zum 01.12.2020 habe sich daran nichts geändert. Eine rechtserhebliche Unterscheidung gäbe es zwischen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage lediglich dann, wenn es auf eine der Fristen des § 45 S. 1 WEG (Frist für Anfechtungsklage 1 Monat nach Beschlussfassung, für Klagebegründung 2 Monate nach Beschlussfassung) ankäme. Bei Versäumung dieser Fristen könne die Klage nur Erfolg haben, wenn der angefochtene Beschluss nichtig sei.

Allerdings wurde die Revision zurückgewiesen, da die Beschlussklagen gem. § 44 Abs. 2 S. 1 WEG gegen die GdWE und nicht mehr (wie nach § 46 Abs. 1 S. 1 WEG) ein Klage auf Erklärung der Ungültigkeit eines Beschlusses der Wohnungseigentümer  gegen die weiteren Wohnungseigentümer zu richten sei. Eine gegen die Wohnungseigentümer gerichtete Klage könne damit auch die Frist des § 45 WEG (für die Anfechtungsklage) nicht wahren.

Innerhalb der Frist des § 45 WEG sei die Klage gegen die übrigen Wohnungseigentümer bei Gericht eingegangen. Wer Partei ist, ergäbe sich aus der in der Klageschrift anzugebenden Parteibezeichnung, § 253 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Diese sei zwar als Prozesshandlung auslegungsfähig. Maßgeblich sei dabei auf den Inhalt der Klageschrift einschließlich etwaig beigefügter Anlagen aus objektiver Deutung aus Sicht des Empfängers abzustellen. Bei objektiv unrichtiger oder auch mehrdeutiger Bezeichnung sei grundsätzlich die Person als Partei anzusehen, die erkennbar betroffen sein soll. Zu unterscheiden sei dies von einer irrtümlichen Benennung der falschen, materiell am Rechtsverhältnis nicht beteiligten Person als Partei, die Partei würde. Danach würden die übrigen Wohnungseigentümer Parte auf Beklagtenseite, wenn eine Beschlussklage wie hier gegen sie gerichtet wird.  

Eine Auslegung, dass sich die Klage entgegen der Parteibezeichnung gegen die GdWE richte, sei nur ausnahmsweise möglich. Dafür müssten konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Wenn  die Wohnungseigentümer als Partei bezeichnet würden, müsste sich für die Annahme, die Klage richte sich gegen die GdWE entsprechende Anhaltspunkte aus dem übrigen Inhalt der Klageschrift (und Anlagen) ergeben. Die Benennung des Verwalters genüge dazu nicht; dieser sei als Organ der Gemeinschaft (§ 9a Abs. 1 S. 1 WEG) auch nach § 44 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 WEG a.F. zu benennen gewesen. Die irrtümliche Benennung der falschen Partei sei daher damit gerade nicht auszuschließen.

In seinem späteren Urteil vom 24.02.2023 - V ZR 152/22 - wies der BGH auch darauf hin, dass die Klage gegen die nicht namentlich benannten übrigen Wohnungseigentümer diese als Partei darstellen würde, nicht die GdWE, da nach bisherigen Recht (gültig bis 30.11.2020) nicht notwendig die Wohnungseigentümer bereits in der Klage benannt werden mussten und der Verwalter (als Zustellungsvertreter) benannt wurde, es ausreichend gewesen sei, wenn die Benennung bis zum Schluss der Verhandlung erfolgt, § 44 Abs. 1 S. 2 WEG a.F. Diese Regelungen habe der BGH auch herangezogen, um eine fristwahrenden Parteiwechsel von den übrigen Wohnungseigentümern auf den Verband zu rechtfertigen. Dies sei auf die jetzige Rechtslage (seit dem 01.12.2020) nicht übertragbar. Die Regelungen in den bisherigen §§ 44 Abs. 1, 45 Abs. 1 WEG a.F., und damit die Anknüpfung für den bisher angenommenen fristwahrenden Parteiwechsel, seien ersatzlos entfallen.

Damit sei hier zum Zeitpunkt der Änderung (Richtigstellung) der Parteibezeichnung mit Schriftsatz vom 11.02.2021 die Frist des § 41 S. 1 WEG zur Erhebung der Anfechtungsklage abgelaufen. Die Klage gegen die richtige Beklaget wurde (mit dem Schriftsatz vom 11.02.2021 qua Berichtigung der Parteibezeichnung) verspätet gewesen. Eine Beschlussanfechtungsklage, die nach dem 30.11.2021 bei Gericht eingehe und sich gegen die übrigen Wohnungseigentümer richte, wahre die Klagefrist nicht.

Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gem. § 45 S. 2 WEG iVm. §§ 233 ZPO scheide aus, da dies ein fehlendes Verschulden an der Versäumung der Frist voraussetze.  Dies könne bei der Benennung der übrigen Wohnungseigentümer statt der GdWE als Beklagte bei der (hier) anwaltlich vertretenen Partei nicht in Betracht kommen.

Damit scheide eine Anfechtung der Beschlüsse aus. Ein Nichtigkeitsgrund wurde vom BGH verneint.

BGH, Urteil vom 13.01.2023 - V ZR 43/22 -

Freitag, 26. Mai 2023

AGB-Kontrolle der Reservierungsgebühr zu Immobilienmaklerverträgen

Die Beklagte (Immobilienmaklerin) wies den Klägern ein Einfamilienhaus nach. Die Maklerprovision sollte nach dem Maklervertrag 6,69% des Kaufpreises betragen. Da die Kläger sich um die Finanzierung bemühen mussten, schlossen sie einige Monate später mit der Beklagten den von dieser vorgelegten Reservierungsvertrag, in dem es u.a. hieß, dass mit Zahlung einer Reservierungsgebühr (die bei kauf auf die Maklerprovision angerechnet werden sollte) von € 4.200,00 das Objekt exklusiv nur den Klägern angeboten und verkauft würde. Käme es während der Reservierungszeit nicht zu einem Kaufvertrag, hätten die Kläger keinen Erstattungsanspruch. Der Kaufvertrag wurde, da die Kläger keine Finanzierung erhielten, nicht abgeschlossen. Die Klage auf Rückzahlung der Reservierungsgebühr wurde vom Amtsgericht zurückgewiesen. Ihre Berufung blieb erfolglos. Auf die vom Landgericht (Berufungsgericht) zugelassene Revision wurden die Urteile vom BGH aufgehoben und der Klage stattgegeben.   

Das Landgericht ging von einer Wirksamkeit der Reservierungsvereinbarung aus. Eine Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BGB käme nicht in Betracht, da es sich bei der Vereinbarung nicht um eine Nebenabrede zum Maklervertrag handele, sondern um eine eigenständige Vereinbarung. Dem folgte der BGH nicht. Vielmehr sah der BGH den Reservierungsvertrag als unwirksam nach § 307 Abs. 1 S. 1 Abs. 2 Nr. 1 BGB an, weshalb die Reservierungsgebühr ohne Rechtsgrund geleistet worden sei und zurückzuzahlen sei, § 812 Abs. 1 S. 1 Fall 1 BGB.

Wie auch das Landgericht sah der BGH in dem Reservierungsvertrag Allgemeine Geschäftsbedingungen (§ 305 Abs. 1 BGB), mithin um Vertragsbedingungen, die für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert wurden und von der Beklagten den Klägern gestellt wurden. Zwar könne eine einseitige Vertragsgestaltungsfreiheit dann noch vorliegen (und gegen die Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 305 ff BGB sprechen), wenn sich der Inhalt dieser vorformulierten Bestimmungen als Ergebnis einer freien Entscheidung des mit dem Vorschlag Konfrontierten darstelle, was aber voraussetze, dass der Konfrontierte, wenn er schon keine Möglichkeit hat, auf den Inhalt Einfluss zu nehmen, in der Auswahl der in Betracht kommenden Vertragstexte frei ist und insbesondere alternative Textvorschläge mit der effektiven Möglichkeit der Durchsetzung einbringen kann (BGH, Urteil vom 15.02.2017 - IV ZR 91/16 -); derartiges sei aber weder behauptet noch festgestellt worden.

Unzutreffend sei die Annahme des Landgerichts, bei dem Reservierungsvertrag würde es sich um eine vom Maklervertrag zu trennende eigenständige Vereinbarung handeln. § 307 Abs. 2 S. 1 BGB zur Inhaltskontrolle von Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen fände auf Abreden nicht Anwendung, die Art, Umfang und Güte der vertraglichen Hauptleistung und die hierfür vorgesehene Vergütung unmittelbar regeln (BGH, Urteil vom 05.10.2017 - III ZR 56/17 -); hier greife die Privatautonomie, derzufolge es den Vertragsparteien im Allgemeinen freigestellt sei, Leistung und Gegenleistung zu bestimmen. Dies gelte aber mir für Abreden, die den unmittelbaren Leistungsgegenstand betreffen, nicht für solche Regelungen, die die Leistungspflicht der Parteien einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren (BGH, Urteil vom 05.10.2017 aaO.). Pflichten die die Hauptleistungspflicht charakterisieren, seien durch Auslegung der Vereinbarung zu ermitteln. Anders als individuelle Vertragsbestimmungen seien Allgemeine Geschäftsbedingungen objektiv und ohne Berücksichtigung des Einzelfalls und des Willens der Parteien auszulegen, wobei besondere Bedeutung dem Wortlaut der Klausel und ihrem Verständnis des typischerweise beteiligten redlichen  Verkehrskreises unter Berücksichtigung von deren Interessen zukomme.

Danach könne der Reservierungsvertrag nicht als eine gegenüber dem Maklervertrag eigenständige Vereinbarung angesehen werden; er handele sich bei diesem um eine ergänzende Regelung zum Maklervertrag. Hauptleistung sei die Verschaffung der Möglichkeit des Abschlusses eines Kaufvertrages durch die Kläger. Dazu stelle sich die Reservierungsvereinbarung nur eine Nebenabrede dar. Deutlich würde dies schon an der Einleitung, in der die Parteien als „Makler“ und „Kaufinteressent“ bezeichnet würden; zudem würde festgehalten, dass der Kaufinteressent mit der Reservierungsgebühr eine bestimmte Leistung des Maklers (nämlich das exklusive Vorhalten der Immobilie) honoriere. Das wäre ohne einen Maklervertrag zwischen den Parteien nicht sinnvoll möglich. Zudem würde sich der Zusammenhang auch daraus ergeben, dass die Reservierungsgebühr auf die Maklerprovision angerechnet werden soll.

Dem würde nicht entgegen stehen, dass die Vereinbarungen in zwei Dokumenten aufgenommen seien. Auch der Umstand, dass die Reservierungsvereinbarung erst 13 Monate nach dem Maklervertrag abgeschlossen worden sei, stünde dem nicht entgegen. Eine andere Sichtweise würde es Maklern durch die Wahl der Vertragsgestaltung ermöglichen, sich der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle zu entziehen. Ebensowenig käme es darauf an, dass es der freien Entscheidung des Kaufinteressenten unterlag, die Reservierungsvereinbarung abzuschließen (sollte sich aus der Entscheidung BGH im Urteil vom 10.02.1988 - Iva ZR 268/86 - ein anderes Verständnis ergeben, würde daran nicht mehr festgehalten).

Nach § 207 Abs. 1 S. 1 BGB seien Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine solche Benachteiligung sei im Zweifel anzunehmen, wenn die Regelung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen würde, nicht zu vereinbaren sei oder wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus dem Vertrag ergeben, so einschränke. Dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet sei.

Eine unangemessene Benachteiligung läge vor, wenn der Verwender der AGB missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners versuche durchzusetzen, ohne auch die Belange des Vertragspartners hinreichend zu berücksichtigen. Zur Feststellung sei eine umfassende Würdigung des Vertrages erforderlich. Die Reservierungsvereinbarung stelle den Versuch der Beklagten dar, sich für den Fall des Scheiterns ihrer Vermittlungsbemühungen gleichwohl eine Vergütung zu sichern, ohne dass gewährleistet sei, dass sich für den Kunden nennenswerte Vorteile ergeben würden. Auch wenn die Beklagten ein gewisses Interesse daran haben konnten, dass die Klägerin das Objekt Dritten nicht anbietet, sei zu berücksichtigen, dass der Verkaufsinteressent nicht gebunden würde; er könne seine Verkaufsabsicht aufgeben oder das Objekt ohne die Beklagte an einen Dritten veräußern. Auch in diesen Fällen hätte die Kaufinteressenten einen nicht unerheblichen betrag zu zahlen, ohne Gewähr zu haben, dass sie das Objekt auch tatsächlich erwerben können. Zudem würde ein derartiges Entgelt regelmäßig geeignet sein, Einfluss auf die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit im Sinne einer Förderung des Kaufentschlusses zu nehmen, um nicht die bereist erfolgte Zahlung verfallen zu lassen. Auch erbringe die Beklaget keine relevante Gegenleitung; davon könne allenfalls gesprochen werden, wenn die Reservierungszeit so lang wäre, dass die Gefahr bestünde, dass das Objekt nicht mehr zu dem ins Auge gefassten Kaufpreis veräußert werden könnte, was bei einer Reservierungsdauer hier von einem Monat nicht der Falls sei. Hinzu käme hier zudem noch, dass nach der Vereinbarung die reservierungsgebühr auch dann nicht zurückgezahlt werden müsse, wenn nicht der Kaufinteressent das Nichtzustandekommen des Kaufvertrages zu vertreten habe, sondern die Beklagte oder ein Dritter.

Zudem würde der Reservierungsvertrag auch dem Leitbild der gesetzlichen Regelung widersprechen, da die Kaufinteressenten, da das Reservierungsgeld unabhängig davon geschuldet würde, ob sie die Immobilie erwerben oder nicht. Dies käme einer erfolgsunabhängigen (Teil-) Provision gleich, die nach allgemeiner Ansicht in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zugunsten von Maklern unwirksam sei (BGH, Urteil vom 18.12.1974 - IV ZR 89/73 -).

Offen bleiben könne vor diesem Hintergrund der Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, ob der Reservierungsvertrag auch nach § 311b Abs. 1 S. 1 BGB (notarielle Beurkundung) formunwirksam und damit nach § 125 S. 1 BGB nichtig sei. 

BGH, Urteil vom 20.04.2023 - I ZR 113/22 -

Mittwoch, 24. Mai 2023

Vollstreckung des titulierten Anspruchs auf Heckenrückschnitt

Die Schuldnerin hatte sich in einem gerichtlichen Vergleich verpflichtet, „die sich über die Länger der überdachten Terrasse der der Beklagten ziehende Bepflanzung auf ihrer Seite auf einer Höhe von 2,50 m zu kürzen und auf dieser Höhe zu halten“. Dem kam sie aber nicht nach, weshalb der Gläubiger beantragte, gegen die Schuldnerin ein Zwangsgeld, für den Fall der Nichtzahlung desselben Zwangshaft festzusetzen. Den beantragten Beschluss erließ das Landgericht und setzte ein Zwangsgeld von € 500,00, ersatzweise Zwangshaft für je € 500,00 1 Tag, fest. Der dagegen von der Schuldnerin eingelegten Beschwerde half das Landgericht nicht nach; das Oberlandesgericht hob den angefochtenen Beschluss sodann auf und wies den Antrag des Gläubigers zurück.

Das Oberlandesgericht wie auf die Unterschiede in §§ 888 Abs. 1 und 887 ZPO hin. § 888 Abs. 1 ZPO ist für Zwangsvollstreckungen bei vertretbaren Handlungen, § 888 ZPO für Zwangsvollstreckungen bei nicht vertretbaren Handlungen anwendbar. Hier sei aber der Antrag nach § 888 ZPO (Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft) gestellt worden, obwohl ein Fall des § 887 ZPO vorgelegen habe.

Eine vertretbare Handlung liege vor, wenn das geschuldete Verhalten von einem Dritten anstelle der Schuldnerin vorgenommen werden könne, ohne dass es dem Gläubiger darauf ankäme, dass die Handlung gerade von der Schuldnerin vorgenommen wird (BGH, Beschluss vom 27.11.2008 - I ZB 46/08 -). Anderes könne nur angenommen werden, wenn die Vollstreckung von einer Mitwirkung eines Dritten abhänge, gegen den sich der titulierte Leistungsanspruch nicht richte.  Erteile der Dritte sein Einverständnis nicht, könne der Schuldner seiner Verpflichtung nicht nachkommen und wäre auch ein Dritter dazu nicht in der Lage; in diesem Fall läge eine nicht vertretbare Handlung iSv. § 888 Abs. 1 ZPO vor (BGH, Beschluss vom 27.11.2008 aaO.; BGH, Beschluss vom 09.10.2013 - I ZB 51/11 -).

Da der geschuldete Rückschnitt auch von einem Dritten vorgenommen werden könne (BGH, Beschluss vom 19.03.2004 - IXa ZB 328/03 - zur Beseitigung von Anpflanzungen; OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.03.2022 - 26 W 19/21 - zur Beseitigung von Zäunen) handele es sich grds. um eine vertretbare Handlung. Es sei für den Gläubiger rechtlich als auch wirtschaftlich gleichgültig, ob die Schuldnerin selbst oder ein Dritter für diese die Arbeiten durchführt. Dass hier der Rückschnitt noch von der Zustimmung eines Dritten abhängig wäre, sei auch nicht ersichtlich. Damit fehle es bereits an einem schlüssigen, das beantragte Zwangsmittel des § 888 ZPO begründenden Sachvortrag des Gläubigers.

Das OLG wies darauf hin, dass alleine der Umstand, dass die Schuldnerin als Eigentümerin des Grundstücks dessen betreten durch Dritte versagen könne, nicht dazu führe, die Handlung als unvertretbar iSv. § 887 ZPO anzusehen. Unter Beachtung der Grenzen aus § 38 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 BNatSchG sei sie zum Rückschnitt der Hecke auf eine Höhe von 2,50 m verpflichtet. Damit müsste das Landgericht ggf. auf Antrag des Gläubigers diesen ermächtigen, die erforderlichen Maßnahmen unter Beachtung der naturschutzrechtlichen Grenzen selbst (Anm.: oder durch einen Dritten) vorzunehmen und der Schuldnerin aufzugeben, das Betreten des Grundstücks zu diesem Zweck zu dulden (OLG Hamm, Beschluss vom 23.09.1983 - 14 W 121/93 -).

Eine Umdeutung des nach § 888 ZPO gestellten Antrages als einen solchen nach § 887 ZPO scheide aus. Die Zwangsmittel seien so wesensverschieden, dass eine solche Umdeutung allenfalls in Betracht käme, wenn der der Gläubiger seinen Antrag nach § 887 ZPO hilfsweise (notfalls) als einen solchen nach § 887 ZPO behandelt wissen will (OLG Hamm, Beschluss vom 23.09.1983 - 14 W 121/83 -). Diese Voraussetzung läge hier nicht vor.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.03.2023 - 26 W 1/23 -

Sonntag, 21. Mai 2023

Nachlasspflegschaft bei Vielzahl von (auch unbekannten) Erben gem. § 1961 BGB

Das OLG Brandenburg setzte sich mit den Hürden für eine von Nachlassgläubigern begehrte Nachlasspflegschaft auseinander, wenn diverse Erben unbekannt sind und diverse Erbausschlagungen von Miterben vorliegen. Denn eine unsichere Erbrechtslage nach § 1961 BGB könne nicht schon angenommen werden, wenn mehre Erben bekannt sind, die keinen Erbschein beantragt haben und auch untätig sind.

Die Antragstellerin begehrte als Nachlassgläubigern des Erblassers die Anordnung einer Nachlasspflegschaft zur Durchsetzung offener Darlehensforderungen. In Ansehung der komplexen Erbrechtslage (die nachverstorbene Ehefrau des Erblassers sei Miterbin geworden, weshalb deren unbekannte Erben nun auch zu berücksichtigen seien, neben den Abkömmlingen des Erblasers aus 1. Ehe, der auch nachverstorben sei, und en Abkömmlingen aus 2. Ehe, von denen zwei die Erbschaft ausgeschlagen hätten, der dritte die Ausschlagungsfrist versäumt habe und Erbe geworden sei; weiterhin sei ein Enkel Erbe geworden, da dessen Mutter die Einholung der Genehmigung für die Ausschlagung versäumt habe).

Das Amtsgericht wies den Antrag zurück. Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, der vom Amtsgericht nicht abgeholfen wurde und die nunmehr das Oberlandesgericht (OLG) rechtskräftig zurückwies.

Das OLG konstatierte, dass die Antragstellerin gemäß der Voraussetzung der § 1961 einen gegen den Nachlass gerichteten Anspruch geltend machte. Darüber hinaus sei aber eine unsichere Erbrechtslage erforderlich, § 1690 BGB. Der Erbe dürfe die Erbschaft noch nicht angenommen haben, die Annahme müsse ungewiss sein oder der Erbe müsse seiner Person nach unbekannt sein. Abzustellen sei auf die auch im Rahmen der Amtsermittlung erfolgte Überzeugungsbildung des Nachlassgerichts bzw. an seiner Stelle des Beschwerdegerichts, wobei auch im Fall des § 1961 BGB die besondere Situation des dem Erben fernstehenden Gläubigers zu berücksichtigen sei, dem die regelmäßig umfangreiche Nachforschung zur Beschaffung der erforderlichen Unterlagen zum Nachweis der Passivlegitimation des Erben nicht zugemutet werden könne.  Daraus schlussfolgerte das OLG, dass eine unsichere Erbrechtslage vorliege, wenn die maßgeblichen Verhältnisse in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht sehr weitläufig wären, weshalb dem Nachlassgläubiger nicht zugemutet werden könne, den Nachweis zur Erbenstellung zu erbringen. Das sei etwa der Fall, wenn alle potentiellen gesetzlichen und testamentarischen die Erbschaft ausgeschlagen hätten oder weder dem Nachlassgläubiger noch dem Nachlassgericht Erkenntnisse zur Person des Erben bekannt seien. Ausreichend für § 1961 BGB sei, dass beschaffbare Unterlagen zu keiner zweifelsfreien Würdigung der Erbrechtslage führen würden. Stehe mit hoher Wahrscheinlichkeit fest, wer Erbe sei, käme - auch wenn ein Erbschein nicht erteilt würde - eine Nachlasspflegschaft nicht in Betracht (in deren Rahmen der Nachlassgläubiger dann seinen Anspruch gegen den Nachlasspfleger als Vertreter des endgültigen Erben geltend machen kann).

Nach diesen vom OLG benannten Grundsätzen kann nach seiner Auffassung hier keine Nachlasspflegschaft abgeordnet werden. Dabei bezog sich das OLG auf ein anderes Verfahren, in dem die Erben des nachverstorbenen 2. Ehefrau des Erblassers bekannt waren und nach Erlass der hier streitigen Entscheidung des Nachlassgerichts bekannt wurde, dass eine dortige Miterbin die Erbschaft ausgeschlagen habe; ohne diese Feststellung wäre dem Antrag stattzugeben gewesen. Damit würden mit hoher Wahrscheinlichkeit alle Miterben feststehen.

Das OLG sah m Hinblick auf die nach Erlass der Entscheidung des Nachlassgerichts bekannt gewordene Erbausschlagung nach der 2. Ehefrau von einer Kostenauferlegung des Beschwerdeverfahrens aus Billigkeitsgründen ab. Die Entscheidung verdeutlicht aber, dass der Nachlassgläubiger vor der Beantragung einer Nachlasspflegschaft selbst tätig werden muss, um mögliche Erben festzustellen.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 22.12.2022 - 3 W 84/22 -

Freitag, 19. Mai 2023

Vergütung des Zwangsverwalters bei Weiterführung eines Gewerbebetriebs

Der Zwangsverwalter wurde in einem von der Gläubigerin in 2018 beantragten Zwangsverwaltungsverfahren vom Gericht bestellt. Auf dem der Zwangsverwaltung unterliegenden Grundstück befand sich ein Biomassekraftwerk, welches vom Zwangsverwalter weiter betrieben wurde. Für eine Tätigkeit beantragte er für 2020 die Festsetzung einer Vergütung von € 238.437,55 beantragt und hierbei auf § 18 Abs. 1 ZwVwV eine Regelvergütung von 12% der von ihm erzielten Einnahmen sowie von 2,4% im Hinblick auf vertraglich geschuldete, aber nicht eingezogene Forderungen, ferner eine Auslagenpauschale und die gesetzliche Mehrwertsteuer verwiesen Das Amtsgericht setzte die Vergütung antragsgemäß fest. Dagegen wandten sich die Schuldnerin und die Gläubigerin. Das Landgericht hob den Beschluss des Amtsgerichts auf und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen. Die vom Landgericht zugelassene Rechtsbeschwerde wurde vom Zwangsverwalter gegen die Entscheidung des Landgerichts eingelegt.

Der BGH gab der Rechtsbeschwerde insoweit statt, als es die Beschwerde der Schuldnerin (über deren Vermögen zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet worden war) nicht als unzulässig abgewiesen hatte; im Übrigen wurde die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.

1. Durch die Insolvenz der Schuldnerin sei das Verfahren nicht nach § 240 ZPO unterbrochen worden. Wenn die Beschlagnahme (wie hier) bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam geworden sei, würde sie gem. § 80 Abs. 2 InsO von der Insolvenz nicht betroffen. Allerdings sei durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Insolvenzverwalter als Rechtsnachfolger des Insolvenzschuldners Verfahrensbeteiligter kraft Amtes. Das zulässige Rechtsmittel des Schuldners, eingelegt vor der Insolvenzeröffnung, bleibe zwar wirksam, doch an seien Stele trete der Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes. Dies habe das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt.

2. Der Beschwerde des Gläubigers habe das Landgericht zutreffend stattgegeben. Führe der Zwangsverwalter einen auf dem beschlagnahmten Grundstück befindlichen Gewerbebetrieb fort, bemesse sich seine Vergütung nach Zeitaufwand, § 19 Abs. 1 ZwVwV. § 18 Abs. 1 ZwVwV fände nur bei Nutzung des Grundstücks durch Vermieten und Verpachten Anwendung, nicht bei der Fortführung eines Gewerbebetriebs.

Da der Zwangsverwalter hier nicht vermietete oder verpachtete käme von vornherein im Rahmen des Weiterbetriebs des Biomassekraftwerkes allenfalls eine entsprechende Anwendung des § 18 Abs. 1 ZwVwV in Betracht. Allerdings lägen die Voraussetzungen für eine Analogie nicht vor, da keine planwidrige Regelungslücke bestünde. § 19 ZwVwV würde zeigen, dass der Verordnungsgeber für den Fall des Nichtgreifens der Regelung des § 18 ZwVwV eine Regelung geschaffen habe. Danach sei eine Vergütung nach Zeitaufwand vorzunehmen, wobei unterschiedliche Stundensätze heranzuziehen seien. Fallen Einnahmen aus Vergütung und Verpachtung nicht an, käme es auf solche nicht an.

Auch habe der Verordnungsgeber nicht übersehen, dass es nicht nur Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung geben könne, sondern auch durch sonstige Verwertungsmaßnahmen.  

§ 5 Abs. 1 ZwVwV sehe vor, dass die Art der Nutzung zum Zeitpunkt der Anordnung der Zwangsverwaltung beibehalte werden soll, was durch § 5 Abs. 2 ZwVwV belegt würde, wonach die „Nutzung“ grundsätzlich durch Vermietung/Verpachtung erfolgt, dies aber nicht zwingend sei. Handele es sich z.B. bei dem der Zwangsverwaltung unterliegenden Grundstück um eine Ton-, Sand- oder Kiesgrube, sei stets anerkannt, dass der Zwangsverwalter die Rohstoffe ausbeuten und verkaufen könne (OLG Hamm, Beschluss vom 28.09.1994 - 15 W 369/93 -). Hier sei anerkannt, dass sich die Vergütung des Zwangsverwalters nach § 19 ZwVwV und damit nach Stundensätzen richte. Entsprechendes gelte auch bei landwirtschaftlicher Zwangsverwaltung, wenn der Zwangsverwalter (bei Abweichung von § 150b ZVG, wonach der Schuldner zum Verwalter bestellt wird) im Wege der Eigenbewirtschaftung die Ernte einbringe und verkaufe. Es könne nicht angenommen werden, dass dem Verordnungsgeberdiese Praxis üblicher Berechnung bei Erlass der Verordnung unbekannt war, was bedeute, dass die Entscheidung in § 18 ZwVwV bewusst auf Vermietung und Verpachtung beschränkt wurde.  

Eine Regelungslücke ergäbe sich auch nicht im Hinblick auf Insolvenzrechtliche Vergütungsordnung (InsVV). Zwar sei der Zwangsverwalter in seiner Rechtsstellung im Grundsatz einem Insolvenzverwalter vergleichbar (BGH, Urteil vom 05.02.2009 - IX ZR 21/07 -). Dies gelte auch bei einer Betriebsfortführung. Allerdings habe der Verordnungsgeber die Vergütung des Zwangsverwalters anders als jene des Insolvenzverwalters geregelt und gerade nicht an einen bestimmten Prozentsatz einer der Verwaltung unterliegenden Vermögensmasse angeknüpft (so § 2 InsVV), sondern nach §§ 18, 19 ZwVfV danach unterschieden, ob die Zwangsverwaltung durch Vermietung/Verpachtung erfolgt (dann seien die Bruttomieten entscheidend) oder in sonstiger Weise (dann wäre auf Zeitaufwand/Stundensatz abzustellen). Folgerichtig würde es damit an einer Regelung zu einer Berechnungsgrundlage entsprechend § 1 InsVV für eine nach an der Vermögensmasse orientierten Vergütung fehlen.

Die Entscheidung des Verordnungsgebers sei zu respektieren und könne nicht durch eine Analogiebildung abgeändert werden. Da mithin eine Abrechnung gemäß § 18 ZwVwV ausscheide und eine Entscheidungsreife nicht vorläge, habe das Landgericht ermessensfehlerfrei die amtsgerichtliche Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht aufgehoben.

BGH, Beschluss vom 11.01.2023 - V ZB 23/22 -

Montag, 15. Mai 2023

Die virtuelle Mitgliederversammlung des (eingetragenen) Vereins und deren Regelung in der Satzung

Das Vereinsregister hatte die Anmeldung der (einstimmig beschlossenen) satzungsändernden Regelung zur Ausübung von Mitgliedschaftsrechten in einer Mitgliederversammlung im Wege elektronischer Kommunikation des beschwerdeführenden Vereins als zu unbestimmt und daher unzulässig angesehen. Die Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen.

Das OLG wies darauf hin, dass eine Vereinssatzung sehr wohl die Möglichkeit einer virtuellen Versammlung begründet, auch, dass sie alternativ eine reale und eine virtuelle Versammlung vorsehen würde, ebenso wie Mischformen (Teilnahme physisch oder nach Wahl virtuell) denkbar seien. Dies könne mit Begründung des verein sind ei Satzung aufgenommen werden, aber auch nachträglich.

Das OLG stellte auf die Notwendigkeit einer konkreten Fassung der Satzungsregelung ab. Es müssten zwar nicht sämtliche Einzelheiten der virtuellen Durchführung geregelt werden (wie sie der Entscheidung des OLG Hamm vom 27.09.2022 - 27 W 106/11 - zugrunde gelegen hätten), aber es müsse der Satzung der grundsätzliche Durchführungsweg einer virtuellen Mitgliederversammlung entnommen werden können. Dies gelte insbesondere dann, wenn eine Mischform aus realer und virtueller Mitgliederversammlung zugelassen würde, da sichergestellt werden müsse, dass die virtuell anwesenden ebenso wie die physisch anwesenden Mitgliedre partizipieren können.

Die neue Satzungsregelung, dass ein teil der Mitglieder oder alle ihre Mitgliedsrechte im Wege elektronischer Kommunikation und ohne Anwesenheit am Versammlungsort ausüben könnten, sei dahin auszulegen, dass auch eine rein virtuelle Mitgliederversammlung durchgeführt werden könne und sei nicht unbestimmt. Nicht geregelt sei aber, ob es im Rahmen einer virtuellen Mitgliederversammlung erforderlich sei, dass sämtliche Mitgliedre gleichzeitig unter Nutzung der elektronischen Kommunikationsmittel virtuell anwesend sein müssen, oder ob es ausreichend sei, dass diese auf elektronischen Weg Fragen und Anträge stellen und ihre Stimme abgeben könnten, sie aber nicht gleichzeitig virtuell anwesend sein müssten und auch nicht die Möglichkeit einer Diskussion bestehen müsse. Wegen der Wesentlichkeit sei dies aber in der Satzung zu regeln und könne nicht in das Ermessen des Vorstandes gestellt werden.

Weiterhin enthalte die neue Satzungsregelung keine Regelung dazu, wie die vorgesehene Möglichkeit der Wahrnehmung der Mitgliedsrechte auf elektronischen Weg durch den dies nutzenden Teil der Mitglieder umgesetzt werden soll. Letztlich könne es sich entsprechend der Videoverhandlung nach § 128a ZPO nur um eine reale Mitgliederversammlung handeln, bei der den Mitgliedern freigestellt würde, an dieser virtuell teilzunehmen. In diesem Fall der Mischform müsse aber eine vergleichbare Partizipation der virtuell und physisch anwesenden Mitglieder gewährleistet sein. Wie vorliegend die virtuell teilnehmenden Mitglieder ihre Mitgliedschaftsrechte wahrnehmen können, sei aber nicht geregelt. Es würden insbesondere Regelungen dazu fehlen, dass den virtuell Teilnehmenden wie den real Teilnehmenden die Verfolgung der Mitgliederversammlung ermöglicht werden muss und sie Fragen und Anträge stellen und sich an Abstimmungen beteiligen können. Auch das führe zur Unzulässigkeit der Satzungsregelung.

OLG Hamm, Beschluss vom 04.08.2022 - I-27 W 58/22 -