Der 1922 geborene Kläger schenkte
mit notariellen Vertrag vom 133.06.2017 den Beklagten Wertpapiere in einem Wert
von € 219.000,00. Weiterhin übertrag er dem Vater der Beklagten, seinem Sohn,
das Eigentum an einem Mehrfamilienhaus. Mit Schreiben vom 15.08.2017 erklärte
der Kläger im Hinblick auf die Schenkung an die Beklagten die Anfechtung des
(noch nicht vollzogenen) Schenkungsvertrages und erhob im Anschluss Anfechtungslage,
die vom Landgericht abgewiesen wurde. Die Berufung des Klägers wurde vom
Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen. De BGH hatte auf die zugelassene
Revision das Urteil des OLG aufgehoben und den Rechtsstreit an das OLG
zurückverwiesen.
Kernpunkte der Auseinandersetzung
waren, ob (1) der Schenkungsvertrag aufgrund der Anfechtung nichtig war, was
der Fall gewesen wäre, wenn die Beklagten dem Kläger ein Übel in Aussicht gestellt
hätten, um ihn zur Schenkung zu veranlassen, und (2) ob der Vertrag wegen
Ausnutzung einer erheblichen Willensschwäche des Klägers nichtig war. Beides
wurde vom OLG verneint.
(1) Der BGH schloss sich dem OLG
in dessen Würdigung an, dass die Voraussetzungen für eine Anfechtung der
Schenkung nicht vorlagen. Es sei dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen,
dass die Beklagten oder deren Vater den Kläger durch Drohung mit einem
empfindlichen Übel (§ 123 Abs. 1 BGB) zum Abschluss der Schenkungsverträge
veranlassten.
(2) Allerdings sei eine
Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit aufgrund der Feststellungen des OLG entgegen
dessen Rechtsauffassung nicht zu verneinen.
Sittenwidrig sei ein Rechtsgeschäft,
wenn es nach seinem Inhalt oder Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller
billig und gerecht Denkenden verstoße. Würde es nicht bereits seinem Inhalt
nach gegen die grundlegenden Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung
verstoßen, müsse ein persönliches Verhalten des Handelnden hinzukommen, das
diesem zum Vorwurf gemacht werden könne (BGH, Urteil vom 16.07.2019 - II ZR
426/17 -). Dabei sei der dem Inhalt, Zweck und Beweggrund zu entnehmende
Gesamtcharakter des Verhaltens maßgeblich (BGH, Urteil vom 04.06.2013 - VI ZR
288/12 -). Die Sittenwidrigkeit könne sich je nach Einzelfall aus einem dieser
Elemente oder aus einer Kombination und deren Summenwirkung ergeben (BGH,
Urteil vom 26.04.2022 - X ZR 3/20 -).
Bei einem unentgeltlichen Geschäft
gem. § 138 Abs. 1 BGB könne sich die Sittenwidrigkeit nicht nur aus den Motiven
des Zuwendenden ergeben, sondern auch und sogar in erster Linie aus den Motiven
des Zuwendungsempfängers. Das sei beispielhaft der Fall, bei dem aus fremder
Bedrängnis in sittenwidriger Weise Vorteile gezogen würden. Von Bedeutung könne
dabei sein, ob der der Schenker den Wünsche des Beschenkten aufgrund seiner
Persönlichkeitsstruktur nicht oder kaum habe entziehen können, ob dies der
Beschenkte wusste oder sich einer derartigen Erkenntnis leichtfertig verschloss
und er die fehlende oder geschwächte Widerstandskraft des Schenkers eigennützig
ausnutzte oder es sogar darauf anlegte (BGH, Urteil vom 04.07.1990 - IV ZR
121/89 -). Es würde sich um Gesichtspunkte handeln, die auch die (bloße) Anfechtbarkeit
nach § 123 Abs. 1 BGB überlagern würden, da nicht die Drohung mit einem Übel im
Vordergrund stünde, sondern die Ausnutzung einer vorhandenen Zwangslage im Vordergrund
stünde oder hinzutreten würde.
Befände sich der Schenker in
einer objektiven und subjektiven Zwangslage, könne der Vorwurf der
Sittenwidrigkeit nicht nur denjenigen treffen, der diese Zwangslage
herbeigeführt habe; ausreichend sei, wenn der Zuwendungsempfänger sich eine
bestehende Zwangslage bewusst nutzbar mache. Das sei auch dann der Fall, wenn
der Vertrag vom Zuwendungsempfänger in der Kenntnis abgeschlossen wird, dass
der Schenker sich in einer Zwangslage befindet. Das Wissen einer mit den
Vertragsverhandlungen und Vertragsabschluss beauftragten Person müsse sich der
Zuwendungsempfänger im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB entsprechend § 166 Abs. 1
BGB zurechnen lassen (BGH, Urteil vom 08.11.1991 - V ZR 260/90 -).
Dies zugrunde gelegt habe das OLG
die vom Kläger vorgetragenen Gesichtspunkte nicht vollständig berücksichtigt.
Nicht berücksichtigt habe das OLG
den Vortrag, der Vater der Beklagten habe den Kläger am Abend vor der Beurkundung
des Schenkungsvertrages über längere Zeit hinweg „bearbeitet“ und am nächsten
Morgen in Begleitung der Beklagten zum Notar gefahren, wo er erstmals den
Inhalt der abzuschließenden Verträge erfahren habe. In diesem Zusammenhang sei
der Vortrag beachtlich gewesen, der Beklagte zu 1. und sein Vaterhätten den Kläger über mehrere
Monate intensiv überwacht und weitgehend isoliert. Es sei möglich, dass der
Kläger den Schenkungsvertrag zugunsten der Beklagten abgeschlossen habe, um der
von ihm als Überwachung und Isolation empfundenen Situation, die im Hinblick
auf den vermeintlichen Entscheidungszwang in dem nicht zuvor angekündigten
Notartermin seien Zuspitzung gefunden habe, zu entkommen.
Als Indiz könne auch das vom
Kläger behauptete Geschehen nach der notariellen Beurkundung Bedeutung haben.
Zwar seien grundsätzlich für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit von Relevanz,
die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorgelegen haben (BGH, Urteil vom
30.07.2020 - VI ZR 5/20 -), können aber danach liegende Umstände gleichwohl
indizielle Bedeutung gewinnen.
Eine solche Indizwirkung könne
dem klägerischen Vortrag zukommen, ein Mitarbeiter der Bank, bei der der Kläger
sein Wertpapierdepot hatte, soll den von den Beklagten angestrebten Vollzug der
Übertragung verhindert haben. Das könne darauf hindeuten, dass der Kläger dem
Schenkungsvertrag nur abschloss, da er die Situation im Notartermin als
besonders bedrängend empfand und anders als bei dem nachfolgenden Banktermin
keinen Ausweg aus einer subjektiv empfunden Zwangslage gesehen habe.
Das OLG hätte sich mit diesem
Vortrag im Zusammenhang befassen müssen und auf dieser Grundlage in
tatrichterlicher Würdigung entscheiden müssen, ob die Schenkungsverträge mit den
Beklagten auf einer vom Kläger als bedrohlich empfundenen Zwangslage beruhten
und ob die Beklagten dies wussten oder sich entsprechende Kenntnisse des Vaters
zurechnen lassen müssten. Auch hätte sich das OLG mit der Frage befassen
müssen, ob der Kläger aufgrund seines hohen Alters die Situation als besonders
belastend empfand.
BGH, Urteil vom 15.11.2022
- X ZR 40/20 -