Der Beklagte fuhr mit einer Geschwindigkeit von ca. 200 lm/h auf der linken Fahrspur der Autobahn. Auf der linken Fahrspur kollidierte die Klägerin mit ihrem Pkw, mit dem sie mit einer Geschwindigkeit zwischen ca. 120 - 140 km/h fuhr, mit dem Fahrzeug des Beklagten. Nach der Darlegung der Klägerin will sie von der rechten auf die linke Fahrspur gewechselt haben, um ein anders Fahrzeug zu überholen; vor der Kollision sei sie bereits Sekunden auf die linke Fahrspur aufgefahren gewesen. Demgegenüber wurde vom Beklagten behauptet, die Klägerin sei unmittelbar vor ihm auf die linke Fahrspur gewechselt.
Mit ihrer Klage auf Ersatz von 100% Schadensersatz drang die Klägerin nicht durch. Das Landgericht gab der Klage mit einer Quote von 10% statt und verwies darauf, sie habe die in verkehrsgefährdender Weise die Spur gewechselt und damit gegen § 7 Abs. 5 S. 1 StVO verstoßen. Im Berufungsverfahren verfolgte die Klägerin weiterhin ihr Ziel einer alleinigen Haftung des Beklagten. Der Erfolg der Klägerin war eher bescheiden: Das OLG ging von einer Haftung der Klägerin von 75%, des Beklagten von 25% aus.
Das OLG stellet zutreffend auf § 17 Abs. 1 StVG ab: Inwieweit wurde der Schaden vorwiegend von dem einen oder andern teil verursacht. Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Beteiligten dürften nur die von den Fahrzeugen ausgehende Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene oder nachgewiesene Umstände Berücksichtigung finden, wobei jeder beteiliget Fahrzeughalter die Umstände zu beweisen habe, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Abs.1, Abs. 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (allgemeine Meinung, vgl. auch BGH, Urteil vom 13.02.1996 - VI ZR 126/95 -).
Der Wertung des Landgerichts sei zu folgen, dass die Klägerin die die überwiegende Ursache für den Unfall gesetzt habe. Sie habe gegen § 7 Abs. 5 S. 1 StVO verstoßen, wonach ein Fahrstreifenwechsel nur erfolgen darf, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei. Käme es, wie hier, im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Fahrspurwechsel zu einem Unfall, spreche gegen den Fahrspurwechsler der Beweis des ersten Anscheins, dass die gebotene besondere Sorgfaltsanforderung unbeachtet blieb.
Das OLG lässt erkennen, dass damit grundsätzlich die vom gegnerischen Fahrzeug (hier dem Pkw des Beklagten) ausgehende Betriebsgefahr angesichts des groben Verstoßes gegen § 7 Abs. 5 StVO zurücktreten könnte, was dann zur alleinigen Haftung der Klägerin führen würde. Allerdings nahm das OLG hier eine Abweichung in Ansehung der mit ca. 200 km/h über 130 km/h liegenden Geschwindigkeit an, was zur Berücksichtigung der vom Beklagtenfahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr führe.
Nach § 1 der Verordnung über eine allgemeine Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen und ähnlichen Straßen (Autobahn-Richtgeschwindigkeit-V) wird „empfohlen, auch bei günstigen Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen“ auf den entsprechenden Straßen nicht schneller als 130 km/h zu fahren, soweit nicht anderweitige Höchstgeschwindigkeiten vorgegeben sind. Da, so das OLG, die höhere Geschwindigkeit in haftungsrelevanter Weise die Gefahr erhöhe, dass sich andere Verkehrsteilnehmer auf diese Fahrweise nicht einstellen würden und insbesondere die Geschwindigkeit unterschätzen würden, sei die deutlich über 130 km/h liegende Geschwindigkeit betriebsgefahrerhöhend zu berücksichtigen. Bei einer Überschreitung der Richtgeschwindigkeit um mehr als 30 km/h würde damit die Betriebsgefahr im Regelfall nicht mehr zurücktreten (so auch OLG Hamm, Urteil vom 25.11.2010 - 6 U 71/10 -).
Soweit hier das Landgericht insoweit eine Mithaftung des Beklagten aus dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr von 10% angenommen habe, habe es die deutliche Überschreitung der Richtgeschwindigkeit um 70 km/h nicht ausreichend berücksichtigt. Diese Überschreitung rechtfertige eine Mithaftung aus dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr von 25%.
Hinweis: Die Berücksichtigungsfähigkeit der Betriebsgefahr bei Überschreitung der Richtgeschwindigkeit hatte der BGH bereits in seinem Urteil vom 17.03.1992 - VI ZR 92/91 - bejaht und ausgeführt, auf eine Unabwendbarkeit des Unfalls nach § 17 Abs. 3 StVG könne sich in diesem Fall der Halter eines Fahrzeuges nur berufen, wenn er darlege und nachweisen würde, dass es auch bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h zu dem Unfall mit vergleichbar schweren Folgen gekommen wäre.
Schleswig-Holsteinisches OLG,
Urteil vom 15.11.2022 - 7 U 41/22 -
Aus den Gründen:
Tenor
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 2.397,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.09.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 334,75 € zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.09.2020.
3. Im Übrigen
wird die Klage abgewiesen.
4. Von den
Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug tragen die Klägerin 78 % und die
Beklagten als Gesamtschuldner 22 %. Die Kosten der Berufung fallen der Klägerin
zu 86 % und den Beklagten als Gesamtschuldner zu 14 % zur Last.
5. Das Urteil
ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Klägerin
macht Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, welcher sich am 15. Februar
2020 im Kreis Y auf der Autobahn X in Richtung Norden ereignete.
Die Klägerin
befuhr gegen 14:30 Uhr mit ihrem PKW D. die Autobahn auf Höhe des Kilometers
32,4, wo für etwa einen Kilometer gerade Sicht herrscht. Die
Witterungsbedingungen an diesem Tag waren trocken und sonnig. Die Fahrbahn ist
zweispurig, am rechten Fahrbahnrand verläuft zudem ein Seitenstreifen. Eine
Geschwindigkeitsbegrenzung besteht an dieser Stelle nicht. Die Klägerin fuhr
mit einer Geschwindigkeit von ca. 120 - 140 km/h.
Sie kollidierte
auf der linken Fahrbahn mit dem PKW des Beklagten zu 1), einem A. (bei der
Beklagten zu 2) haftpflichtversichert), der eine Geschwindigkeit von ca. 200
km/h fuhr. Aufgrund des Anstoßes entstanden Schäden am Wagen der Klägerin
hinten links und am Beklagtenfahrzeug vorne rechts. In Folge des Anstoßes wurde
das Fahrzeug der Klägerin an die rechte Leitplanke geschleudert, drehte sich
hier auf das Dach und rutschte dann über die Fahrbahn zurück auf die linke
Spur, wo es erneut gegen das Beklagtenfahrzeug prallte, welches infolgedessen
mit seiner linken Seite gegen die den Mittelstreifen begrenzende Betonmauer
gedrückt wurde. Sodann drehten sich beide Fahrzeuge jeweils um die eigene Achse
und kamen am rechten Fahrbahnrand schließlich zum Stehen.
Die Klägerin
hat neben Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten folgende Schadenspositionen
geltend gemacht: Wiederbeschaffungswert für das Fahrzeug in Höhe von 9.580,00
€, Abschleppkosten in Höhe von 511,70 €, eine allgemeine Kostenpauschale in
Höhe von 20,00 €, An- und Abmeldekostenpauschale in Höhe von 100,00 €, bereits
im Voraus gezahlten Buchungskosten für die ausgefallene Urlaubsreise in Höhe
von 545,00 €.
Sie hat
behauptet, sie sei von der rechten auf die linke Fahrspur gewechselt, um
Fahrzeuge auf der rechten Spur zu überholen. Trotz Blicks in den Rück- und
Seitenspiegel sowie über die Schulter habe sie das Beklagtenfahrzeug nicht
gesehen, die Spur sei für sie frei gewesen. Vor dem Unfall sei sie bereits etwa
Sekunden auf dem linken Fahrstreifen gefahren. Sie vertritt die Auffassung, die
Beklagten müssten die Haftung für den Verkehrsunfall zu 100 % tragen.
Sie hat
erstinstanzlich zuletzt beantragt,
die Beklagten
als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 10.756,70,00 € nebst Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie
außergerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 958,19 € nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
hilfsweise die Klägerin von den Anwaltsgebühren des Rechtsanwaltes B1 in der
vorbezeichneten Höhe freizustellen.
Die Beklagten
haben beantragt,
die Klage
abzuweisen.
Sie haben
behauptet, die Klägerin sei unvermittelt vor dem Fahrzeug des Beklagten zu 1)
auf die linke Spur gewechselt. Wegen des geringen Abstandes habe dieser trotz
einer Vollbremsung den Unfall nicht mehr vermeiden können.
Das Landgericht
hat nach Anhörung der Parteien und Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung, Beiziehung
der Unfallakte, Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens)
der Klage auf der Basis einer Quote von 10 % stattgegeben. Der Klägerin habe
gegen § 7 Abs. 5 Satz 1 StVO verstoßen, indem sie in
verkehrsgefährdender Weise die Spur gewechselt habe. Aber die Betriebsgefahr
des Beklagtenfahrzeugs trete hier wegen der deutlichen Überschreitung der
Richtgeschwindigkeit nicht zurück. Es seien auch beim Haftungsumfang Abzüge
geboten. Vom Wiederbeschaffungswert müsse sich die Klägerin den Restwert von
620 € anrechnen lassen. Auch die Kosten der ausgefallenen Urlaubsreise seien
nicht ersatzfähig.
Wegen der
weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie der
tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird auf die angefochtene
Entscheidung Bezug genommen.
Mit seiner
Berufung verfolgt die Klägerin das Ziel der Verurteilung bei Zugrundelegung der
alleinigen Haftung der Beklagten weiter. Zur Begründung führt sie im
Wesentlichen aus, der gerichtliche Sachverständige habe auch die
Unfalldarstellung der Klägerin als möglich angesehen. Dass er die Darstellung
der Beklagten für wahrscheinlicher halte, genüge nicht. Bestenfalls sei von
einer Unaufklärbarkeit des Unfallgeschehens auszugehen.
Die Beklagten
treten der Berufung entgegen. Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens
der Parteien wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze
verwiesen.
II.
Die zulässige
Berufung ist teilweise begründet. Die festgestellten Tatsachen rechtfertigen
eine andere Entscheidung. Der Klägerin steht gegenüber den Beklagten der
geltend gemachte Anspruch aus §§ 7, 11, 17 Abs. 2, Abs. 1, 18
StVG, 115 VVG teilweise, nämlich im tenorierten Umfang, zu. Unter Abwägung der
Verursachungsbeiträge ist von einer Haftungsquote von 75 % zu 25 % zu Gunsten
der Beklagten auszugehen.
1. Im
Rahmen der bei einem Verkehrsunfall zweier Kraftfahrzeuge erforderlichen
Abwägung gemäß § 17 Absatz 1 StVG ist auf die Umstände des
Einzelfalles abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend
von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der
Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge
sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden
Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände zu
berücksichtigen. Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem
anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17
Absatz 1 u. 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen
herleiten will (vgl. BGH, NZV 1996, S. 231).
Dabei ist
zunächst der Wertung des Landgerichts zu folgen, dass die Klägerin die überwiegende
Ursache für den Unfall gesetzt hat, da sie gegen § 7 Abs. 5
Satz 1 StVO verstoßen hat, wonach in allen Fällen ein Fahrstreifen nur
gewechselt werden darf, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer
ausgeschlossen ist. Kommt es im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen
Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel zum Unfall spricht gegen den
Spurwechsler der Beweis des ersten Anscheins, die gemäß § 7 Abs. 5
StVO geforderten besonderen Sorgfaltspflichten nicht beachtet zu haben (vgl. KG,
Urteil vom 06.03.2003 - 12 U 229/01, NZV 2004, 28, 29).
Das Landgericht
hat insoweit die Unfalldarstellung der Beklagten als erwiesen angesehen, nach
der der Unfall im Zusammenhang mit dem Spurwechsel der Klägerin stand. Dies
begegnet keinen Bedenken.
Der Grundsatz
der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) berechtigt das Gericht, die im
Prozess gewonnenen Erkenntnisse grundsätzlich nach seiner individuellen
Einschätzung zu bewerten, wobei der Richter lediglich an die Denk- und
Naturgesetze und sonstigen Erfahrungssätze gebunden ist (vgl. Zöller/Greger,
ZPO, 34. Aufl. § 286, Rn. 13). Ein Verstoß gegen diese Grundsätze ist
nicht erkennbar. Im Übrigen steht die Wiederholung der Beweisaufnahme außerdem
gem. §§ 529, 531 ZPO nicht mehr in reinem Ermessen des Berufungsgerichts.
Sie ist im Sinne eines gebundenen Ermessens vielmehr nur dann zulässig, wenn
konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der
erstinstanzlichen Feststellungen begründen und eine gewisse - nicht notwendig
überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall einer
Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand mehr haben
werden, sich also ihre Unrichtigkeit herausstellt (vgl. Zöller/Heßler, a.a.O.
§ 529, Rn. 3). Solche konkreten Umstände werden mit der Berufung nicht
aufgezeigt. Es genügt nicht, wenn die Klägerin – wie hier – ihre
Beweiswürdigung anstelle derjenigen des Landgerichts setzt.
Zwar ist der
Berufung zuzugestehen, dass der Sachverständige Ds in seinem schriftlichen
Gutachten angegeben hat, es könne nicht „gänzlich ausgeschlossen werden“, dass
sich das Fahrzeug der Klägerin vor dem Unfall bereits länger auf der linken
Fahrspur befunden habe. Allerdings ist ein gänzlicher Ausschluss der
Unfalldarstellung der Klägerin auch nicht notwendig. Denn die Überzeugung des
Tatrichters erfordert keinen naturwissenschaftlichen Kausalitätsnachweis und
auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, vielmehr genügt ein für
das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der verbleibenden
Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH, Urteil
vom 1.10.2019 – VI ZR 164/18, NJW 2020, 1072, 1073 m. w. N.).
Hier kommt
letztlich dem Umstand maßgebliche Bedeutung zu, dass nach Darstellung des
Sachverständigen „sämtliche Anknüpfungspunkte“ dafür sprechen, dass die
Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls ihren Fahrspurwechsel noch nicht vollständig
abgeschlossen hatte. Im Übrigen würde der Unfall selbst dann noch im
Zusammenhang mit dem Spurwechsel stehen, wenn die Klägerin ihren Spurwechsel
„gerade eben“ abgeschlossen hätte.
Nur zusätzlich
zu der auch im Übrigen nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung im angefochtenen
Urteil weist der Senat auf folgendes hin: Gegen die Unfalldarstellung der
Klägerin spricht auch deren mangelnde Plausibilität. Wenn die Klägerin wirklich
schon, wie sie behauptet, vor dem Unfall zehn Sekunden auf der linken Fahrspur
gefahren wäre, hätte sie den unstreitig mit hoher Geschwindigkeit und einem
Fahrzeug größerer Bauart auf gerader Strecke von hinten herannahenden Beklagten
zu 1) geraume Zeit vor dem Unfall bemerken müssen. Dass sie das
unfallgegnerische Fahrzeug erst „plötzlich“ bevor es gekracht habe, im linken
Außenspiegel bemerkt haben will, spricht deshalb gegen ihre Darstellung eines
längst abgeschlossenen Wechsels auf die linke Spur. Ob ihre Unfalldarstellung,
wie das Landgericht angenommen hat, zudem aus dem Grund unplausibel ist, weil
das klägerische Fahrzeug mit weiteren Fahrzeugen auf der rechten Fahrspur
kollidiert wäre, wenn sich Fahrzeuge auf der Fahrbahn rechts von ihr befunden
hätten, kann folglich dahinstehen.
Das Landgericht
hat zutreffend festgestellt, dass die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs
wegen der deutlichen Überschreitung der Richtgeschwindigkeit nicht zurücktritt,
sondern die Beklagten eine Mithaftung am Unfall trifft. Dies wurde von den
Beklagten mangels der Einlegung einer eigenen Berufung gegen das Urteil auch
akzeptiert.
Die deutlich
über der Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 km/h liegende
Ausgangsgeschwindigkeit bei der Haftungsabwägung ist als betriebsgefahrerhöhend
zu berücksichtigen, denn durch sie vergrößert in haftungsrelevanter Weise die
Gefahr, dass sich andere Verkehrsteilnehmer auf diese Fahrweise nicht
einstellen und insbesondere die Geschwindigkeit unterschätzen (vgl. Senat,
Urteil vom 30.07. 2009 - 7 U 12/09, NJOZ 2010, 665; OLG Düsseldorf, Urteil vom
21.11.2017 – I-1 U 44/17, NJW-RR 2018, 788, 790, Rn. 21 - zitiert nach
beck-online). Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des
Oberlandesgerichts Hamm (Urteil v. 25.11.2010 6 U 71/10, NJW-RR 2011, 464) an,
wonach bei einer Überschreitung um 30 km/h die Betriebsgefahr im Regelfall
nicht mehr zurücktritt, weil die Geschwindigkeit dann deutlich über der
Richtgeschwindigkeit liegt.
Die Mithaftung
der Beklagten am Unfall ist hiernach bei einer Überschreitung der
Richtgeschwindigkeit um ca. 70 km/h mit 25 % anzusetzen. Die vom Landgericht
insoweit angesetzten 10 % berücksichtigen die deutliche Überschreitung der
Richtgeschwindigkeit nicht ausreichend. Soweit der Senat selbst in einer, eine
gänzlich andere Sachverhaltskonstellation betreffenden, Entscheidung (Urteil
vom 30.03.2022 – 7 U 139/20, BeckRS 2022, 11612) eine nicht zurücktretende
Betriebsgefahr mit lediglich 10 % bewertet hat (kritisch hierzu Bachmor, NZV
2022, 532), war dies lediglich dem Umstand geschuldet, dass dem Senat die
Heraufsetzung der Quote aufgrund der Grundsätze des Berufungsrechts verwehrt
war (Verbot der „reformatio in peius“).
2. Beim
Schadensumfang nimmt der Senat auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil
Bezug, die von der Klägerin mit der Berufung auch nicht im Einzelnen
angegriffen werden. Der Klägerin steht der Anspruch hiernach teilweise, nämlich
in Höhe von 2.397,93 € aus §§ 7, 17 Abs. 2, Abs. 1, 18 StVG, 115
VVG zu.
Wegen der
vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann auf die zutreffenden Ausführungen im
angefochtenen Urteil verwiesen werden, die nur wegen der zu Gunsten der
Klägerin verbesserten Quote der Korrektur bedürfen.
Die
Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708
Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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