Freitag, 10. Februar 2023

Vollziehbare bauaufsichtliche Verfügungen zum Gemeinschaftseigentum und Beschlussfassung nach § 19 Abs. 1 WEG

Das im gemeinschaftlichen Eigentum der antragstellenden Wohnungseigentümergemeinschaft stehende 12-stöckige Hochhaus hatte eine Fassade mit brennbaren Holzwolleleichtbauplatten. Die Baubehörde hatte mit einer an die Wohnungseigentümergemeinschaft  gerichteten bauaufsichtlichen Verfügung vom 08.07.2019 dieser unter Anordnung des Sofortvollzugs aufgegeben, die brennbare Fassadenbekleidung zu entfernen. Dem kam die Wohnungseigentümergemeinschaft innerhalb der Ausführungsfristen seit Sommer 2021 nicht nach; die Eigentümergemeinschaft fasste zwar entsprechende Beschlüsse, die allerdings das AG Wennigsen mit Urteil vom 05.07.2022 für unwirksam erklärte. Daraufhin drohte die Baubehörde (Antragsgegnerin) ein Zwangsgeld an und setzte dieses mit € 100.000,00 nach Ablauf der Frist unter gleichzeitiger erneuter Androhung eines weiteren Zwangsgeldes von € 200.000,00 fest. Gegen diese Verfügung legte die Wohnungseigentümergemeinschaft Widerspruch ein und beantragte vorläufigen Rechtsschutz, den das Verwaltungsgericht versagte. Die dagegen eingelegte Beschwerde wies das OVG Lüneburg zurück.

Ein Vollstreckungshindernis nach dem Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG) läge nicht vor. Ein solches Hindernis iSv. §§ 64 Abs. 1, 65 Abs. 1 Nr. 2, § 67 NPOG läge u.a. dann vor, wenn der Vollstreckungsschuldner (hier die Wohnungseigentümergemeinschaft) einer ihm obliegenden Pflicht nicht nachkommen könne, ohne in die Rechte Dritter (Miteigentümer oder sonstige Nebenberechtigte) einzugreifen, da in diesem Fall gegen den Dritten mit Beginn der Vollstreckungsmaßnahme eine Duldungsverfügung gegen den Dritten ergehen müsste.

Verstoße eine in Wohnungseigentum aufgeteilte bauliche Anlage hinsichtlich der im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Gebäudeteile (§ 1 Abs. 5 WEG), so die Fassade, gegen öffentliches Baurecht, sei der richtige Adressat der bauaufsichtlichen Verfügung gem. § 85 Abs. 2 NBauO die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Dies begründe sich daraus, dass diese die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte ausübe und die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahrnehme, § 9a Abs. 2 WEG (§ 10 Abs. 6 S. 3 WEG in der bis 30.11.2020 geltenden Fassung). Die einzelnen Wohnungseigentümer seien von der Verwaltung ausgeschlossen, § 18 Abs. 1 WEG. Damit sei auch die Vollstreckung gegenüber der Gemeinschaft vorzunehmen.

Es bedürfe auch gegenüber den einzelnen Wohnungseigentümern keiner Duldungsverfügung, da diese von der Verwaltung ausgeschlossen seien und sich ihre Rechte in Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum auf die Mitwirkung an entsprechenden Beschlussfassungen im Innenverhältnis beschränken würden, § 19 Abs. 1 WEG. Ihnen würden keine Rechte zustehen, mittels der sie die Gemeinschaft an der Befolgung einer wirksamen und vollziehbaren bauaufsichtlichen Verfügung hindern könnten.

Zwar sei der Einwand der Antragstellerin grundsätzlich zutreffend, dass die Verwaltungsbefugnis im Innenverhältnis gegenüber den einzelnen Wohnungseigentümern beschränkt sei und jeder Wohnungseigentümer nach § 18 Abs. 2 WEG eine ordnungsgemäße Verwaltung im Rahmen der bestehenden Beschlüsse der Gemeinschaft verlangen und gerichtlich durchsetzen könne. Allerdings stehe aufgrund der wirksamen und vollziehbaren und damit zwingend zu befolgenden bauaufsichtlichen Anordnung für die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer verbindlich auch ohne eine Beschlussfassung, sogar entgegen einer Beschlussfassung der Wohnungseigentümer fest, dass ein Handeln entsprechend der Verfügung geboten sei. Damit folge die Handlungspflicht unmittelbar aus der bauaufsichtlichen Verfügung und überwinde selbst entgegenstehende interne Willensbildungen der Wohnungseigentümer(OVG des Saarlandes, Beschluss vom 17.08.2022 - 2 B 104/22 -).

OVG Lüneburg, Beschluss vom 16.11.2022 - 1 ME 106/22 -


Aus den Gründen:

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer - vom 5. September 2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 100.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin, eine Wohnungseigentümergemeinschaft, wendet sich gegen die Festsetzung und erneute Androhung eines Zwangsgeldes zur Durchsetzung einer bauaufsichtlichen Verfügung, die ihr die Entfernung einer brennbaren Fassadenverkleidung eines Hochhauses aufgibt.

Die Antragstellerin ist eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, in deren gemeinschaftlichem Eigentum das mit einem 12-geschossigen Hochhaus bebaute Grundstück A-Straße im Stadtgebiet der Antragsgegnerin steht. Das in den 1970er-Jahren errichtete und mehr als 30 m hohe Gebäude weist 48 Wohneinheiten auf. Die Außenwände sind mit brennbaren Holzwolleleichtbauplatten gedämmt und mit Faserzementplatten verkleidet; dazwischen befindet sich ein Hohlraum.

Anlässlich der Brandkatastrophe im Londoner Grenfell Tower überprüfte die Antragsgegnerin das Gebäude und ordnete gegenüber der Antragstellerin mit Bescheid vom 8. Juli 2019 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Zwangsgeldandrohung die Entfernung der brennbaren Fassadenkonstruktion in zwei Bauabschnitten an. Ein verwaltungsgerichtliches Eilverfahren endete unter anderem damit, dass die Antragsgegnerin die Ausführungsfristen verlängerte. Über den Widerspruch ist bislang nicht entschieden.

Die Antragstellerin begann daraufhin mit vorbereitenden Maßnahmen zur brandschutzgerechten Sanierung der Fassade und fasste entsprechende Beschlüsse, die das Amtsgericht Wennigsen mit Urteil vom 5. Juli 2022 für unwirksam erklärte. Bis heute sind die angeordneten Maßnahmen nicht durchgeführt, obwohl die Ausführungsfristen seit Sommer 2021 verstrichen sind.

Mit Bescheid vom 24. Mai 2022 setzte die Antragsgegnerin das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 100.000 EUR fest und drohte für den Fall der weiteren Nichtbefolgung der Anordnung die Festsetzung weiterer Zwangsgelder in Höhe von 200.000 EUR an. Die Antragstellerin legte Widerspruch ein und beantragte vorläufigen Rechtsschutz. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 5. September 2022 ab. Insbesondere sei es der Antragstellerin möglich, der bauaufsichtlichen Anordnung nachzukommen. Einer Duldungsverfügung gegenüber den einzelnen Mitgliedern der Antragstellerin habe es nicht bedurft, weil diesen keine sich aus Eigentums- oder Besitzrechten ergebenden Abwehransprüche zustünden. § 9a Abs. 2 WEG weise die Zuständigkeit im Hinblick auf bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum allein der Antragstellerin zu. Das gelte auch dann, wenn kein wirksamer Beschluss der Wohnungseigentümer vorliege; auf einen solchen Beschluss komme es aus vollstreckungsrechtlicher Sicht nicht an.

Gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt.

II.

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung entschieden, dass der auf § 64 Abs. 1, § 65 Abs. 1 Nr. 2, § 67 NPOG gestützten Zwangsgeldfestsetzung kein Vollstreckungshindernis entgegensteht. Ein solches Hindernis liegt u. a. dann vor, wenn der Vollstreckungsschuldner einer ihm obliegenden Pflicht nicht nachkommen kann, ohne in die Rechte Dritter (Miteigentümer oder sonstige Nebenberechtigte) einzugreifen; in diesem Fall muss mindestens zeitgleich mit dem Beginn von Vollstreckungsmaßnahmen eine Duldungsverfügung gegenüber dem Dritten ergehen (vgl. Senatsbeschl. v. 24.5.1994 - 1 M 1066/94 -, NJW 1994, 3309 = BRS 56 Nr. 214 = juris Rn. 3 ff.; v. 6.5.2011 - 1 ME 14/11 -, NJW 2011, 2228 = BRS 78 Nr. 202 = juris Rn. 10). Ein solches Erfordernis bestand hier nicht.

Verstößt eine in Wohnungseigentum aufgeteilte bauliche Anlage hinsichtlich der in gemeinschaftlichem Eigentum stehenden Gebäudeteile (vgl. § 1 Abs. 5 WEG) - dazu zählt die Fassade - gegen öffentliches Baurecht, ist richtiger Adressat einer bauaufsichtlichen Verfügung gemäß § 85 Abs. 2 NBauO die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, weil diese die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte ausübt und die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahrnimmt (§ 9a Abs. 2 WEG, vgl. zuvor bereits § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG in der bis zum 30.11.2020 geltenden Fassung; näher dazu Drasdo, NVwZ 2022, 1575 f.). Die einzelnen Wohnungseigentümer sind insoweit von der Verwaltung ausgeschlossen (vgl. § 18 Abs. 1 WEG), sodass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer auf das gemeinschaftliche Eigentum bezogene bauaufsichtliche Forderungen erfüllen kann und erfüllen muss. Demzufolge muss auch die Vollstreckung gegenüber der Gemeinschaft und nicht gegenüber den einzelnen Wohnungseigentümern erfolgen.

Vollstreckt die Bauaufsichtsbehörde - wie hier - eine bauaufsichtliche Forderung gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, bedarf es aufgrund des vollständigen Ausschlusses der einzelnen Wohnungseigentümer von der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums keiner gegen diese gerichteten Duldungsverfügungen. Die Rechte der Wohnungseigentümer beschränken sich im Hinblick auf das gemeinschaftliche Eigentum auf die Mitwirkung an der entsprechenden Beschlussfassung im Innenverhältnis (§ 19 Abs. 1 WEG). Ihnen stehen hingegen keine Rechte zu, aufgrund derer sie die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer an der Befolgung einer wirksamen und vollziehbaren bauaufsichtlichen Verfügung hindern könnten.

Soweit die Antragstellerin dagegen einwendet, die Verwaltungsbefugnis der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sei im Innenverhältnis gegenüber den einzelnen Wohnungseigentümern beschränkt; jeder Wohnungseigentümer könne gemäß § 18 Abs. 2 WEG eine ordnungsgemäße Verwaltung im Rahmen der bestehenden Beschlüsse der Gemeinschaft verlangen und gerichtlich durchsetzen, trifft das zwar grundsätzlich zu. Aufgrund der wirksamen und vollziehbaren - und daher zwingend zu befolgenden - bauaufsichtlichen Anordnung steht jedoch für die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer verbindlich und ohne Rücksicht auf eine fehlende oder sogar gegenläufige Beschlussfassung der Wohnungseigentümer fest, dass ein Handeln in Befolgung der Verfügung geboten ist. Die Handlungspflicht folgt unmittelbar aus der Anordnung selbst und überwindet etwaige Hindernisse aufgrund einer fehlenden oder entgegenstehenden internen Willensbildung (vgl. zutreffend OVG Saarl., Beschl. v. 17.8.2022 - 2 B 104/22 -, NVwZ 2022, 1572 = juris Rn. 39). Demzufolge kann der einzelne Wohnungseigentümer die Gemeinschaft nicht unter Berufung auf zivilrechtliche Bestimmungen zur Willensbildung im Innenverhältnis hindern, ihrer öffentlich-rechtlichen Handlungspflicht nachzukommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG; der Senat schließt sich den Erwägungen des Verwaltungsgerichts an.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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