Der Versicherungsnehmer der
Klägerin, einer privaten Krankenversicherung, nahm eine Ärztin in einem
Arzthaftungsprozess wegen eines angeblichen Aufklärungsfehlers in Anspruch. Die
Beklagten hatten ihn anwaltlich vertreten. Ihm wurde ein Schmerzensgeld von €
200.000,00 zugesprochen und die Klage im Übrigen festgestellt, dass alle
zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden von der Ärztin zu tragen
sind, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder
übergehen. Nach Rechtskraft schlossen die Ärztin und der Versicherungsnehmer
einen Vergleich, nach dem die Ärztin dem Versicherungsnehmer zur Abgeltung
Ansprüche, aller ob bekannt oder unbekannt pp., mit Ausnahme von übergegangenen
Ansprüchen auf Dritte, gegen Zahlung von € 580.000,00 erledigt sind.
Die Klägerin macht geltend, sie
habe nach Vergleichsschluss Aufwendungen für Behandlungskosten des
Versicherungsnehmers gehabt, die sie aufgrund des abgeschlossenen Vergleichs
nicht von der Ärztin ersetzt verlangen könne. Es sei von den Beklagten
verabsäumt worden, einen Vorbehalt für künftig übergehende Forderungen zu
machen. Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin gab
ihr das OLG statt. Auf die Revision wurde das Urteil des OLG aufheben und das
klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt.
Vom Grundsatz her bejaht der BGH
eine Pflichtwidrigkeit der Beklagten bei deren Vertretung des Versicherungsnehmers.
Doch sei dadurch kein Schaden verursacht worden. Die Auffassung des
Berufungsgerichts, der Anspruch des Versicherungsnehmers der Klägerin auf
Ersatz der Heilbehandlungskosten sei durch den Vergleich abgegolten worden, sei
verfehlt.
Der Wortlaut des Vergleichs beziehe
sich auf alle Ansprüche des Versicherungsnehmers, soweit sie nicht auf Dritte
übergegangen seien, abgegolten und erledigt, ob bekannt oder unbekannt,
gegenwärtig oder zukünftig, materiell oder immateriell. Er beziehe sich auf Ansprüche
des Versicherungsnehmers, die diesem zustünden und nicht auf Ditte übergangen
seien. Erfasst würden auch Ansprüche des Versicherungsnehmers, die zukünftig
auf Dritte übergehen würden. Auch seien Aufwendungen des Versicherungsnehmers
für Heilbehandlungskosten erfasst, die kausal dem Versicherungsnehmer
entstanden seien und nicht auf Dritte übergegangen seien oder noch entstehen
würden.
Hier setzte die Überlegung des
BGH für die Annahme einer Pflichtwidrigkeit an:
Es ergäben sich Zweifel an einem
solche weitreichenden Regelungsinhalt des Vergleich, da der Versicherungsnehmer
selbst keine Behandlungskosten mit der Klage geltend gemacht habe, lediglich
Zuzahlungen, die nicht von der Klägerin erstattet wurden. Sinn und Zweck des
Vergleichs sei die Beendigung des Rechtstreits gewesen, weshalb sich eine
Auslegungsbedürftigkeit des nach dem Wortlaut umfassenden Vergleichs.
Es sei zudem zu berücksichtigen,
dass nach dem erstinstanzlichen Grund- und Teilurteil eine Verpflichtung der
Ärztin festgestellt wurde, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger
übergegangen seien oder übergehen würden, demgegenüber im Vergleich die
Ansprüche ausgenommen wurden, die auf Dritte übergegangen seien.
Da die Reichweite der
Abgeltungsklausel nicht ausreichend klar formuliert sei, begründe die
Verletzung der dem Versicherungsnehmer gegenüber obliegenden Pflicht des
Beklagten zur Gewährleistung eines unmissverständlichen Vergleichsabschlusses.
Er habe die Aufgabe gehabt, Auslegungszweifel und damit Rechtstreitigkeiten zu
vermeiden. Dieses Auslegungsrisiko habe sich hier verwirklicht. Der Beklagte
habe berücksichtigen müssen, dass ein Forderungsübergang auf den privaten
Krankenversicherer nach § 67 VVG a.F. (heute: § 86 VVG) nicht beeinträchtigt
wird, da nach § 11 der Musterbedingungen für die private Krankenversicherung der
Versicherungsnehmer verpflichtet sei, Ansprüche gegen Dritte an den Versicherer
abzutreten; diese Verpflichtung des Vertretenen Versicherungsnehmers habe er
beachten und wahren müssen. (Anm.: Dies hat nichts damit zu tun, dass der
Versicherungsnehmer vor einem Schadensfall für den Fall eines solchen den
potentiellen Schädiger von einer Haftung im zulässigen Umfang von einer Haftung
befreien kann und damit auch Ansprüche des [privaten sowie gesetzlichen]
Krankenversicherers aus übergegangenen Recht nicht geltend gemacht werden
können).
Allerdings sei der Klägerin kein
Schaden entstanden, da nach der Auslegung des Vergleichs deren Ansprüche nicht
tangiert worden seien.
Vorliegend sei die Auslegung des
OLG, nach dem eindeutigen Wortlaut des Vergleichs sei auch auf Ansprüche
verzichtet worden, soweit sie nicht bereits auf Dritte übergegangen seien,
nicht wortsinnwidrig, berücksichtige aber nicht hinreichend den festgestellten
Sachverhalt und den übereinstimmenden Willen der Parteien und verstoße auch
gegen das Gebot der nach beiden Seiten interessensgerechten Auslegung.
Heilbehandlungskosten, mit
Ausnahme der Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers, seien nicht Gegenstand
des Rechtsstreits gewesen. Nach der Rechtskraft des Grund- und Teilurteils habe
der Versicherungsnehmer seinen Schaden mit rund € 660.000,00 beziffert, ohne
Heilbehandlungskosten zu berücksichtigen. Danach wurde der Vergleich
geschlossen. Es läge unter diesen Umständen fern, dass auch Ansprüche auf
Erstattung künftiger Heilbehandlungskosten abgegolten sein sollten. Zwar gebe
es, wie das OLG zutreffend ausgeführt habe, keinen Erfahrungssatz noch eine
Vermutung, dass sich ein Vergleich immer im Rahmen der streitgegenständlichen
Ansprüche halte. Der Regelungsinhalt könne individuell gestaltet werden. Aber
es gäbe auch keinen Erfahrungssatz oder eine Vermutung, dass mit einem
Vergleich immer alle denkbaren Ansprüche abschließend geregelt werden
sollen.
Das OLG habe den Regelungswillen
der Parteien des Arzthaftungsprozesses verkannt. Sowohl Klageantrag als auch
Urteilstenor im Vorprozess hätten Ansprüche, die auf Sozialversicherungsträger
übergehen würden, ausgenommen worden seien. Es habe festgestellt, dass die
Parteien des Arzthaftungsprozesses darin übereinstimmen würden, dass über den
Wortlaut hinaus auch Ansprüche ausgenommen sein sollten, die auf die Klägerin
als private Krankenversicherung zukünftig übergehen würden. Dass die Parteien
bei Abschluss des Vergleichs ein hiervon abweichendes Verständnis gehabt haben
sollten sei vom OLG nicht festgestellt worden. Bestehe ein übereinstimmender Wille, sei es
auch im Rahmen des § 133 BGB dieser rechtlich auch dann maßgeblich, wenn er in
dem Inhalt der Erklärung keinen oder einen nur unvollkommenen Ausdruck gefunden
habe. Das Gewollte habe Vorrang vor einer irrtümlichen oder absichtlichen
Falschbezeichnung (BGH, Urteil vom 07.12.2001 – V ZR 65/01 -).
Zudem habe das OLG die
Interessenslage nicht hinreichend berücksichtigt. Diese fordere, dass im
Zweifel der Auslegung der Vorzug zu geben sei, die zu einem vernünftigen,
widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdenden
Ergebnis führe. Hier habe das OLG lediglich das Interesse des Schädigers, alle
Ansprüche abzugelten, berücksichtigt. Somit wäre zu berücksichtigen gewesen,
dass der Versicherungsnehmer mit Abschluss des Vergleichs nicht über die
rechtshängig gemachten Ansprüche hinausgehen wollte, wie sie auch vom OLG
selbst festgehalten worden seien. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden,
dass er seine vertraglichen Obliegenheiten gegenüber seinem privaten
Krankenversicherer habe verletzen wollen. Da nach den Feststellungen des OLG
mit dem Feststellungsantrag und dem Teil- und Grundurteil in dem
Arthaftungsprozess jeweils ein Vorbehalt aufgenommen war, der nach dem
übereinstimmenden Willen der Parteien auch die die künftig auf den privaten
Krankenversicherer übergehenden Ansprüche ausnehmen sollte, wäre vom
Versicherungsnehmer mit dem Vergleich nicht beabsichtigt worden, die
auszunehmenden Ansprüche der Abgeltungsregelung dem Vergleich zu unterwerfen.
BGH,
Urteil vom 16.12.2021 - IX ZR 223/20 -