Dienstag, 9. Juni 2020

Zur Beschwerdefähigkeit der (vorläufigen) Streitwertfestsetzung

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Die Antragstellerin bezifferte den Gegenstandswert des von ihr eingeleiteten einstweiligen Verfügungsverfahrens mit € 28.713,00 (wobei sei bereits einen Abschlag von 2/3 im Hinblick auf die Verfahrensart vorgenommen haben will). Das Landgericht setzte den Gegenstandswert auf vorläufig € 5.000,00 fest und wies die Antragstellerin sodann auf Bedenken zur sachlichen Zuständigkeit (bis € 5.000,00 ist das Amtsgericht sachlich zuständig, § 23 Nr. 1 ZPO) hin. Gegen die Streitwertfestsetzung legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein.

Unzulässig, so die Ansicht des OLG, dem nach nicht erfolgter Abhilfe durch das Landgericht der Vorgang zur Entscheidung vorgelegt wurde.  

Grundsätzlich ist eine Beschwerdegegen eine lediglich vorläufige Streitwertfestsetzung nur zulässig, wenn diese die Zahlungen weiterer Kosten für die Tätigkeit des Gerichts bedinge, §§ 63 Abs. 1 S. 2m 67 Abs. 1 S. 1 GKG. Hier aber würde für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht einmal eine Vorschussverpflichtung bestehen. Auch Anwälte könnte aus eigenem Recht gegen die vorläufige Wertfestsetzung kein Rechtsmittel einlegen, § 32 Abs. 2 RVG.

Auch wenn die vorläufige Streitwertfestsetzung (wie hier) der Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit diene, sei ein Rechtsmittel unzulässig. Dies folge bereits aus § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO, wonach der Beschluss zur Zuständigkeit unanfechtbar sei und mittels einer entsprechenden Beschwerde § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO letztlich umgangen würde. Die in § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO benannte Bindungswirkung für das danach dann zuständige Ger9icht könne allenfalls bei Willkür entfallen.

Auch die in § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG vorgesehene Änderungsmöglichkeit für das Rechtmittelgericht für den Fall, dass der Rechtsstreit in der Rechtsmittelinstanz anhängig ist, begründe nicht die Zulässigkeit, da diese Regelung ansonsten eine unzulässige Umgehung der Rechtsmittelbeschränkung des § 68 Abs. 1 S. 1 GKG darstellen würde.

Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 02.06.2020 - 1 W 16/20 -

Freitag, 5. Juni 2020

Wohngebäudeversicherung: Rohrbruch unterhalb der Bodenplatte


Der Kläger hatte bei der Beklagten eine Wohngebäudeversicherung abgeschlossen. Im Streit war zwischen den Parteien, ob der Kläger im Zusammenhang mit einem Wasserschaden Anspruch auf Versicherungsschutz hat.

Nach den der Versicherung Wohngebäudeversicherung zugrundeliegenden VGB 2011 sei die Beklagte zur Entschädigung für außerhalb von Gebäuden eintretenden frostbedingten und sonstigen Bruchschäden nur im Hinblick auf Zuleitungsrohre der Wasserversorgung und der Rohre der Warmwasserheizungs-, Dampfheizungs-, Klima-, Wärmepumpen und Solarheizungsanlagen verpflichtet (§ 3 Nr. 2 VGB 2011). Bei einem Abwasserrohr wie hier wäre dieses nur dann von der Versicherung umfasst, wenn es sich innerhalb des Gebäudes befände (§ 3 Nr. 1 VGB 2011). Nach Ansicht des OLG würde sich das Rohr aber, zu dem der Kläger mehrere Rohrbrüche behaupte, außerhalb des Gebäudes befinden. Ausdrücklich würde es in § 3 Nr. 1 VGB 2011 heißen: „Soweit nicht etwas vereinbart ist, sind Rohre und Installationen unterhalb der Bodenplatte nicht versichert.“ Die differenzierende Rechtsprechung des BGH zu den vorangegangenen VGB 62 sei durch die VGB 2011 überholt. Die Beschränkung des Versicherungsschutzes sei auch wirksam. Der Versicherer habe ein legitimes Interesse an der Beschränkung und die Regelung sei auch nicht überraschend iSv. § 305c Abs. 1 BGB und stelle sich auch nicht als eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers (§ 307 Abs. 1 BGB) dar. Dies verdeutliche sich schon daraus, dass der Ausschluss nicht nur einseitig der Beklagten als Versicherer diene, sondern auch die Versichertengemeinschaft schütze, da die Feststellung genauer Schadensursachen an solchen Rohren mit einem erheblichen Aufwand verbunden sei (dazu auch OLG Saarbrücken, Urteil vom 20.09.2000 - 5 U 345/00 -).

Auch die Formulierung im Versicherungsschein „Ihr Wohngebäude ist gegen folgende Gefahren abgesichert: Brand, Blitzschlag, .., Leitungswasser, Bruchschäden innerhalb und außerhalb von Gebäuden sowie Nässeschäden….“. Auch wenn unter gewissen Umständen bei Abweichungen von Antrag und Versicherungsschein nach § 5 Abs. 1 VVG Vertragsbestandteil würden und der Versicherungsvertrag auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 VVG  mit dem Inhalt des Versicherungsscheins zustande kommen könne, würde jedenfalls eine „Abweichung“ hier nicht vorliegen. Der Versicherungsschein müsse nicht das genaue Spiegelbild des Antrages und der zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen sein. Es sei durch Auslegung zu ermitteln, ob tatsächlich inhaltliche Abweichungen vorlägen.

Die im Versicherungsschein pauschale Formulierung „Bruchschäden innerhalb und außerhalb von Gebäuden“ ergäbe keine Abweichung, da zum Einen auf die VGB 2011 ausdrücklich verwiesen würde, zum Anderen ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer erkenne, dass im Versicherungsschein die versicherten Gefahren nur schlagwortartig erfasst würden und sich die Einzelheiten aus den in Bezug genommenen Versicherungsbedingungen ergäben.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 20.02.2019 - I-20 U 2/19 -

Dienstag, 2. Juni 2020

Gerichtsbescheid zur Aufhebung eines ablehnenden Bescheides über Grundsicherung nach SGB II


Der Kläger begehrte Leistungen nach dem SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende). Er besitze ein selbstbewohntes, 1882 gebautes Eigenheim. In Ansehung der benannten Daten zum Eigenheim holte die Beklagte eine Auskunft aus der Kaufpreissammlung des Gutachterausschusses ein. Nach der ersten Auskunft wurde ein Wert von € 50.000,00 angegeben. Die Beklagte stellte fest, dass die Angaben des Klägers zu Wohnflächen und bebaute Fläche des Grundstücks von diesem geschätzt wurden und er nicht in der Lage ist, diese Werte selbst zu ermitteln. Der Antrag wurde von der beklagten abgewiesen, da der Kläger über verwertbares Vermögen in Höhe von € 54.432,68 (davon alleine das Eigenheim mit € 50.000,00) verfüge, welches den Vermögensfreibetrag um € 9.150,00 übersteige. Der Kläger legte gegen den Bescheid der Beklagten Widerspruch ein und begründete dies damit, dass der angenommene Verkehrswert auf einer Schätzung der Beklagten beruhe, die weder das Baujahr  noch die ländliche Gegend, in der die Immobilie läge, berücksichtigt habe. In einem Vermerk stellte ein Mitarbeiter der beklagten die Problematik der unterschiedlichen Größenangaben dar und dass der Kläger nicht wisse, wie die Flächenermittlung erfolge (so z.B. in Bezug auf Schrägen). Der Zustand der Immobilie sei nicht berücksichtigt worden. Es sei davon auszugehen, dass die Immobilie nur zu einem sehr geringen Wert, wie von Kläger angegeben, zu veräußern sei.

Der Widerspruch wurde sodann von der Beklagten zurückgewiesen. Auf die dagegen erhobene Klage entschied das Sozialgericht (VG) durch Gerichtsentscheid, hob den Bescheid in der Fassung des  Widerspruchsbescheids auf und verwies den Vorgang an die Behörde zur weiteren Ermittlung zurück.

Das SG vertrat die Auffassung, dass es mit Gerichtsbescheid gem. § 105 Abs. 1 SGG entscheiden könne, d.h. ohne mündliche Verhandlung und ohne ehrenamtliche Richter nach Anhörung der Parteien. Der Rechtsstreit biete keine besonderen Schwierigkeiten und der Sachverhalt sei geklärt.

Ob der Sachverhalt geklärt sei, richte sich nicht nach dem begehren in der Hauptsache, sondern ausschließlich bei einer beabsichtigten Zurückverweisung danach, ob die tatsächlichen Voraussetzungen einer Zurückverweisung nach § 131 Abs. 6 S. 1 SGG vorlägen. Auch wenn damit eine Spruchreife (zum Hauptantrag, mit dem Leistungen nach dem SGB II begehrt wurden) nicht vorläge, sei daher der Entscheidungsweg für einen Gerichtsbescheid offen  LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.01.2006 – L 6 SB 197/05 -). Falsch sei die dagegen vertretene Ansicht, in Fällen der Zurückverweisung läge stets eine besondere Schwierigkeit vor (die als solcher dem Gerichtsbescheid entgegensteht). Dies würde unberücksichtigt lassen, dass das Gericht gerade nicht in der Sache abschließend ermittle und bewertete, sondern lediglich feststelle, dass diese Ermittlung von der Behörde nicht erfolgt sei, was regelmäßig keine besonderen Schwierigkeiten aufweise.

In der Sache würden Tatsachengrundlagen fehlen, wie auch die Beklagte ausweislich der in der Behördenakte befindlichen Notizen selbst festgestellt habe. Es würden verlässliche Angaben zur Größe der Wohnfläche und zum Zustand des Hauses fehlen. Vor diesem Hintergrund könne man nur annehmen, dass die Ausführung im Widerspruchsbescheid „Anhaltspunkte für eine falsche Entscheidung sind  weder genannt noch aus den Unterlagen ersichtlich“ bausteinartig eingesetzt wurde. Überwiegende Belange der Beteiligten, die einer Entscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG entgegen stehen könnten, sind nicht ersichtlich, vielmehr sei davon auszugehen, dass die Beklagte mit ihren Ressourcen deutlich besser als der Kläger in der Lage sein dürfte, die Grundlagen zu ermitteln.

SG Braunschweig, Gerichtsbescheid vom 18.05.2020 - S 44 AS 1780/19 -

Sonntag, 31. Mai 2020

Verbraucherinsolvenz: Vollstreckungsprivileg bei deliktischen Forderungen


Der Gläubiger beantragte den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, mit dem mit dem er Arbeitseinkommen des Schuldners unter Herabsetzung der Pfändungsfreigrenze nach § 850f Abs. 2 ZPO beantragte. Zum Nachweis einer Forderung aus einer vorsätzlich vom Schuldner begangenen unerlaubten Handlung legte der gläubiger einen vollstreckbaren Auszug aus der Insolvenztabelle aus dem Verbraucherinsolvenzverfahren des Schuldners vor. Das Amtsgericht wies den Antrag zurück, ebenso wie das Beschwerdegericht die dagegen eingelegte Beschwerde des Gläubigers. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde erfolgte ein Aufhebung der Vorentscheidungen und Zurückverweisung.

Der BGH hielt unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom 04.09.2019 - VII ZB 91/17 -  fest, dass der Gläubiger durch Vorlage eines vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle den Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung führen kann, um das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO nutzen zu können, wenn  sich daraus ergibt, dass eine entsprechende Forderung zur Tabelle festgestellt wurde und diese Feststellung nicht vom Schuldner bestritten wurde. Dieser Fall lag vor, da sich aus der Insolvenztabelle die Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung ergab und auch ergab, dass der Schuldner dies nicht bestritten hatte.

§ 850f Abs. 2 ZPO lautet:
„Wird die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung betrieben, so kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens ohne Rücksicht auf die in § 850c vorgesehenen Beschränkungen bestimmen; dem Schuldner ist jedoch so viel zu belassen, wie er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf.“

BGH, Beschluss vom 11.03.2020 - VII ZB 38/19 -

Dienstag, 19. Mai 2020

Pfändungsschutz auf P-Konto für Corona-Soforthilfe ?


Auf das Pfändungsschutzkonto (P-Konto) des Schuldners wurde eine von ihm beantragte und bewilligte Corona-Soforthilfe gezahlt. Das Konto war allerdings durch drei Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse gepfändet, demzufolge das über den nach § 850k ZPO bescheinigten pfandfreien Betrag hinaus die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse bedient werden müssten. Der Schuldner beantragte, über den nach § 850k ZPO bescheinigten pfandfreien Betrag auch einmalig € 5.000,00 (aus der Corona-Soforthilfe) gem. §§ 850k Abs. 4 iVm. § 851 ZPO pfandfrei belassen werden. Das Amtsgericht (AG) gab dem Antrag statt.

Das AG begründete seine Entscheidung damit, dass zwar der Gesetzgeber („bisher“) keine Unpfändbarkeit für eine Corona-Soforthilfe geschaffen habe. Allerdings sei gem. § 851 Abs. 1 ZPO eine Forderung in Ermangelung besonderer Vorschriften zur Pfändung dieser nur insoweit unterworfen, als sie übertragbar sei. Die Zweckbindung müsse sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ableiten lassen (wie es bei Vorschriften zur Gewährung öffentlicher Beihilfen regelmäßig der Falls sei), sondern ließe sich auch aus der Natur des Rechtsverhältnisses und bei öffentlich-rechtlichen Leistungen und aus einschlägigen normersetzenden oder –interpretierenden Verwaltungsvorschriften herleiten (wie das AG aus der Entscheidung des BGH vom 29.10.1969 – I ZR 72/67 – herleiten will, bei der sich der BGH mit § 549 Abs. 1 ZPO und dazu ergangenen innerdienstlichen Anweisungen auseinandersetzte). Danach sei die Corona-Soforthilfe iSv. § 851 ZPO zweckgebunden und damit weder abtretbar noch pfändbar.

Als problematisch sah es das AG an, dass der Betrag bereits auf das P-Konto gezahlt worden sei. Die Verweisungsvorschrift des § 850k Abs. 4 S. 2 ZPO verweise nicht auf § 851 ZPO. Hier meint das Amtsgericht eine teleologische Erweiterung (Extension) vornehmen zu können und so die Grundlagen des § 851 ZPO auch im Rahmen des § 850k Abs. 4 S. 2 ZPO anwenden zu können, weshalb dem Antrag stattgegeben wurde, da die Voraussetzungen nach § 851 ZPO vorlägen.

Die Entscheidung ist nicht überzeugend.

Zweifelhaft ist bereits, ob überhaupt die Voraussetzungen für die Soforthilfe vorlagen oder der Schuldner evtl. wegen falscher Angaben die Soforthilfe erhielt. Grundlage der Soforthilfe ist nämlich, dass ein Liquiditätsengpass infolge der Corona-Pandemie vorliegt. Dieser Liquiditätsengpass muss aber bereits vorher bestanden haben, wie die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse  aus 2015 dokumentieren und er Umstand, dass der Schuldner mittels des P-Kontos in der Verfügung über Vermögensmasse (auf dem Konto) beschränkt war. Die Entscheidungsgründe des AG lassen hierzu aber keine rechtliche Bewertung zu.

Gegen die Entscheidung spricht die teleologische Extension, bei der es sich um ein Rechtsinstitut zur Ausfüllung von Gesetzeslücken handelt. Hier müsste zunächst festgestellt werden, ob überhaupt eine Gesetzeslücke vorliegt. Bei § 850k handelt es sich um  eine Spezialvorschrift, die abweichend von den sonstigen Pfändungsnormen erreichen will, dass dem Schuldner ohne aufwendiges Verfahren ein Existenzminimum verbleibt (BT-Drs. 16/7615, S. 17f; BGH, Urteil vom 16.07.2013 - XI ZR 260/12 -). Hier hat der Gesetzgeber klar definiert, für welche Leistungen der Pfändungsschutz auf diesem Konto gilt und gerade § 851 ZPO nicht benannt. Da die speziellere Vorschrift der allgemeinen Vorschrift vorgeht (lex spexialis derogat legi generali) verbietet sich hier im Rahmen einer teleologischen Extension die Anwendung des § 851 ZPO entgegen der gesetzgeberischen Vorgabe auf die Vorschrift des § 850k Abs. 4 S. 2 ZPO.

AG Passau, Beschluss vom 07.05.2020 - 4 M 1551/20 -

Sonntag, 17. Mai 2020

Datenschutz: Auswertung von Krankendaten durch Übermittlung an Forschungszentrum


Der Antrag des Versicherten einer gesetzlichen Krankenkasse war auf eine einstweilige Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gerichtet, den Vollzug der durch Art. 1 des Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation vom 09.12.2019 in das SGB V eingefügten §§ 68a Abs. 5 und 303a bis 303f außer Kraft zu setzen, hilfsweise § 68a nur mit einem Einwilligungserfordernis und § 303b Abs. 1 nur mit einer Widerspruchsmöglichkeit des gesetzlich Versicherten anzuwenden. Er leide an einer Erbkrankheit und befürchte, trotz Pseudo- und Anonymisierung reidentifiziert werden zu können, sieht auch die Möglichkeit eines Datenmissbrauchs durch Dritte und Unberechtigte. Haupt- und Hilfsantrag wurden zurückgewiesen.

§ 68a Abs. 5 SGB V würde die Krankenkassen ermächtigen, versichertenbezogene Daten ihrer Versicherten pseudonymisiert oder, wenn möglich, auch anonymisiert auszuwerten, um den Versorgungsbedarf im Hinblick auf digitale Innovationen und deren Einfluss auf der Versorgung der gesetzlich Versicherten zu ermitteln und deren möglichen Einfluss auf etwaige positive Versorgungseffekte digitaler Anwendungen zu evaluieren.  Die §§ 303a ff SGB V würden ein Datentransparenzverfahren etablieren, in dem die Daten wie Alter, Geschlecht, Wohnort und bestimmte Gesundheitsdaten an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen übermittelt und anschließend an ein noch zu etablierendes Forschungszentrum weitergegeben würden. Dabei solle gewährleistet sein, dass die Pseudonyme eindeutig einem bestimmten Versicherten zugeordnet werden können, um darauf basierend beispielsweise medizinische Langzeitstudien oder Längsschnittanalysen durchführen zu können.

Da das Ergebnis der Verfassungsbeschwerde nicht feststehen würde, der Antrag nicht von vornherein unbegründet erscheine, sei eine Folgenabwägung vorzunehmen. Dabei sei ein besonders strenger Maßstab anzulegen, da ein Aussetzen eines in Kraft getretenen Gesetzes stets ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bedeute. Entscheidend sei daher, ob die Nachteile für den Antragsteller irreversibel oder nur schwer revidierbar wären. Danach scheide hier eine Aussetzung aus.

Die vorgesehene Datenverarbeitung und –übermittlung sei vor allem wegen der teils sensiblen und in hohem Maße persönlichkeitsrelevanten Charakters der genutzten Daten ein erheblicher Grundrechtseingriff, der durch die Menge der Daten , die erhoben, übermittelt, ausgewertet und anderweitig verarbeitet werden dürften, verstärkt werde. Dieser Nachteil trete aber nicht durch den Vollzug der Normen ein, sondern erst dann, wenn entgegen der gesetzlichen Regelung ein Personenbezug zu bestimmten Versicherten hergestellt würde. Das aber versuche das Gesetz durch Vorkehrungen und prozedurale Sicherungen zu verhindern. Auch die Missbrauchsanfälligkeit größerer Datensammlungen für den unberechtigten Zugriff Dritter bedeute einen, vom Gesetz nicht gebilligten Zwischenschritt, dessen Eintritt  nicht mit hinreichender Sicherheit als unmittelbar bevorstehend angenommen werden könne. Wegen zu Unrecht erhobener und gespeicherter Daten, die sich hierzu bei den berechtigten Stellen befänden, könne auch ein Löschungsantrag gestellt werden, so dass der eingetretene Nachteil nicht irreversibel wäre.

Würde dem Eilantrag stattgegeben, wäre eine Übermittlung der sich ohnehin bei den Krankenkassen befindlichen Daten und deren Auswertung nicht möglich. Zwar könnte, würde die Verfassungsbeschwerde abgewiesen werden, die Übermittlung und Auswertung nachgeholt werden. Aber das Ziel des Gesetzgebers, den Bedarf und die Effekte von digitalen Anwendungen mittels empirischer Datengrundlagen zuverlässig einschätzen zu können, würde erheblich zeitlich aufgeschoben und damit erheblich erschwert.

Damit würden die dem Antragsteller bei Nichtergehen einer einstweiligen Anordnung drohenden Nachteile nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit die Nachteile überwiegen, die bei einem Erlass der Anordnung trotz späterer Erfolglosigkeit einer noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde einzutreten drohen würden. Angesichts dessen könne auch dem Hilfsantrag nicht stattgegeben werden.

BVerfG, Beschluss vom 19.03.2020 - 1 BvQ 1/20 -

Freitag, 15. Mai 2020

Ehevertrag: Zugewinnausgleich nur unter Ausschluss von Betriebsvermögen einschl. gewillkürten Betriebsvermögens ?


Die Parteien hatten notariell einen Ehevertrag geschlossen. In diesem heißt es, dass es zwischen ihnen „grundsätzlich“ beim gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft verbleiben soll. Für den Fall der Ehescheidung sollte jedoch eine „Modifikation“ dahingehend erfolgen, dass die von dem Ehemann betriebene Steuerberaterkanzlei als auch sonstiges Betriebsvermögen (auch gewillkürtes Betriebsvermögen)  beider Eheleute nicht berücksichtigt werden sollen. Vorgerichtlich erteilte der Antragsteller (AS) im Scheidungsverbundverfahren vorgerichtlich Auskunft zu seinem Endvermögen, ohne Angaben zu Aktiva und Passiva der Steuerberaterkanzlei zu machen. Die Antragsgegnerin (AG) forderte im Rahmen des Scheidungsverbundverfahrens vom Antragssteller zur Steuerberaterkanzlei Auskünfte, da sie die Regelung im Ehevertrag für unwirksam ansah. Das Amtsgericht hat mit Teilbeschluss den Antrag der Antragsgegnerin zurückgewiesen. In Ansehung der von ihr dagegen eingelegten Beschwerde erließ das OLG einen Beschluss, mit dem es die Antragsgegnerin darauf hinwies, dass die Zurückweisung ihrer Beschwerde beabsichtigt sei.

Der Auskunstanspruch der AG zum Endvermögen des AS könne sich nur aus § 1379 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB herleiten lassen. Diesen Anspruch der AG habe aber der AS erfüllt, § 362 Abs. 1 BGB. Das Betriebsvermögen des AS sei mit dem notariellen Ehevertrag wirksam vom Zugewinnausgleich ausgenommen worden. Der Vertrag halte einer Wirksamkeits- und einer Ausübungskontrolle gem. § 138 BGB bzw. § 242 BGB stand (vgl. BGH, Beschluss vom 17.07.2013 - XII ZB 143/12 -).

Auch „allgemeinrechtliche Überlegungen“ der AG würden hier nicht zur Unwirksamkeit führen. Zwar könne der AS durch Veränderungen auf der Passivseite die Relation zwischen Betriebs- und Privatvermögen (mit Wirkung auch für den Zugewinnausgleich) verändern. Wenn der AS bestimte Fahrzeuge zu seinem gewillkürten Betriebsvermögen zähle, weshalb sie nicht in der Auflistung zu seinem privaten Endvermögen erscheinen, hätte er sich die Regelung aus dem Notarvertrag zur Herausnahme des Betriebsvermögens zulässigerweise zu Nutze gemacht, nach dem auch gewillkürtes Betriebsvermögen als Betriebsvermögen gelten soll. Steuerrechtlich läge gewillkürtes Betriebsvermögen vor, wenn das gemischt genutzte Wirtschaftsgut zumindest zu 10% betrieblich genutzt werde (BFH, Urteil vom 02.10.2003 - IV R 13/03 -). Die Nutzbarmachung einer zulässigen Klausel in dem Vertrag führe außerhalb des Kernbereichs des Scheidungsfolgenrechts, also insbesondere bei Regelungen zum Zugewinnausgleich, weder zur Unwirksamkeit des Vertrages noch zu einer Abänderbarkeit. Die Eheleute hätten ohne weiteres auch den Zugewinnausgleich insgesamt ausschließen können.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 13.01.2020 - 8 UF 115/19 -