Der Antrag des Versicherten einer
gesetzlichen Krankenkasse war auf eine einstweilige Anordnung durch das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gerichtet, den Vollzug der durch Art. 1 des
Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation vom
09.12.2019 in das SGB V eingefügten §§ 68a Abs. 5 und 303a bis 303f außer Kraft
zu setzen, hilfsweise § 68a nur mit einem Einwilligungserfordernis und § 303b
Abs. 1 nur mit einer Widerspruchsmöglichkeit des gesetzlich Versicherten
anzuwenden. Er leide an einer Erbkrankheit und befürchte, trotz Pseudo- und
Anonymisierung reidentifiziert werden zu können, sieht auch die Möglichkeit
eines Datenmissbrauchs durch Dritte und Unberechtigte. Haupt- und Hilfsantrag
wurden zurückgewiesen.
§ 68a Abs. 5 SGB V würde die
Krankenkassen ermächtigen, versichertenbezogene Daten ihrer Versicherten
pseudonymisiert oder, wenn möglich, auch anonymisiert auszuwerten, um den
Versorgungsbedarf im Hinblick auf digitale Innovationen und deren Einfluss auf
der Versorgung der gesetzlich Versicherten zu ermitteln und deren möglichen
Einfluss auf etwaige positive Versorgungseffekte digitaler Anwendungen zu
evaluieren. Die §§ 303a ff SGB V würden
ein Datentransparenzverfahren etablieren, in dem die Daten wie Alter,
Geschlecht, Wohnort und bestimmte Gesundheitsdaten an den Spitzenverband Bund
der Krankenkassen übermittelt und anschließend an ein noch zu etablierendes
Forschungszentrum weitergegeben würden. Dabei solle gewährleistet sein, dass
die Pseudonyme eindeutig einem bestimmten Versicherten zugeordnet werden
können, um darauf basierend beispielsweise medizinische Langzeitstudien oder
Längsschnittanalysen durchführen zu können.
Da das Ergebnis der Verfassungsbeschwerde
nicht feststehen würde, der Antrag nicht von vornherein unbegründet erscheine,
sei eine Folgenabwägung vorzunehmen. Dabei sei ein besonders strenger Maßstab
anzulegen, da ein Aussetzen eines in Kraft getretenen Gesetzes stets ein
erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bedeute.
Entscheidend sei daher, ob die Nachteile für den Antragsteller irreversibel
oder nur schwer revidierbar wären. Danach scheide hier eine Aussetzung aus.
Die vorgesehene Datenverarbeitung
und –übermittlung sei vor allem wegen der teils sensiblen und in hohem Maße
persönlichkeitsrelevanten Charakters der genutzten Daten ein erheblicher
Grundrechtseingriff, der durch die Menge der Daten , die erhoben, übermittelt,
ausgewertet und anderweitig verarbeitet werden dürften, verstärkt werde. Dieser
Nachteil trete aber nicht durch den Vollzug der Normen ein, sondern erst dann,
wenn entgegen der gesetzlichen Regelung ein Personenbezug zu bestimmten
Versicherten hergestellt würde. Das aber versuche das Gesetz durch Vorkehrungen
und prozedurale Sicherungen zu verhindern. Auch die Missbrauchsanfälligkeit
größerer Datensammlungen für den unberechtigten Zugriff Dritter bedeute einen,
vom Gesetz nicht gebilligten Zwischenschritt, dessen Eintritt nicht mit hinreichender Sicherheit als
unmittelbar bevorstehend angenommen werden könne. Wegen zu Unrecht erhobener
und gespeicherter Daten, die sich hierzu bei den berechtigten Stellen befänden,
könne auch ein Löschungsantrag gestellt werden, so dass der eingetretene
Nachteil nicht irreversibel wäre.
Würde dem Eilantrag stattgegeben,
wäre eine Übermittlung der sich ohnehin bei den Krankenkassen befindlichen
Daten und deren Auswertung nicht möglich. Zwar könnte, würde die
Verfassungsbeschwerde abgewiesen werden, die Übermittlung und Auswertung
nachgeholt werden. Aber das Ziel des Gesetzgebers, den Bedarf und die Effekte
von digitalen Anwendungen mittels empirischer Datengrundlagen zuverlässig
einschätzen zu können, würde erheblich zeitlich aufgeschoben und damit erheblich
erschwert.
Damit würden die dem
Antragsteller bei Nichtergehen einer einstweiligen Anordnung drohenden
Nachteile nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit die Nachteile überwiegen,
die bei einem Erlass der Anordnung trotz späterer Erfolglosigkeit einer noch zu
erhebenden Verfassungsbeschwerde einzutreten drohen würden. Angesichts dessen könne
auch dem Hilfsantrag nicht stattgegeben werden.
BVerfG, Beschluss vom 19.03.2020 - 1 BvQ 1/20 -