Es gibt bestimmte Rechtsfragen, zu denen bildet sich keine einheitliche
Rechtsprechung, da diese Rechtsfragen leider dem Instanzenzug zum BGH entzogen
sind. Dazu gehört die Frage, ob § 940a ZPO auch im Bereich von Geschäftsräumen entsprechend
anwendbar ist oder im Rahmen des § 940 ZPO zu übertragen ist. Zuletzt nahm dazu
jetzt das OLG Celle Stellung, mit der das OLG von den Entscheidungen des KG vom
09.05.2019 - 8 W 28/19 - (dieses wiederum unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung),
des OLG Frankfurt vom 13.09.2019 - 2 U 61/19 - und des OLG München vom
12.12.2017 - 32 W 1939/17 - abweicht.
Ausgangspunkt ist § 940a ZPO,
welcher in Bezug auf Wohnräume die Regelung enthält, dass unter bestimmten
Umständen eine auf Räumung gerichtete einstweilige Verfügung (die
Räumungsverfügung) gegen Personen erwirkt werden kann, die neben dem
(gekündigten) Mieter in den Wohnräumen leben:
"(1) Die Räumung von Wohnraum darf durch einstweilige
Verfügung nur wegen verbotener Eigenmacht oder bei einer konkreten Gefahr für
Leib oder Leben angeordnet werden.
(2)
Die Räumung von Wohnraum darf durch einstweilige Verfügung auch gegen einen
Dritten angeordnet werden, der im Besitz der Mietsache ist, wenn gegen den
Mieter ein vollstreckbarer Räumungstitel vorliegt und der Vermieter vom
Besitzerwerb des Dritten erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung
Kenntnis erlangt hat.
(3)
Ist Räumungsklage wegen Zahlungsverzugs erhoben, darf die Räumung von Wohnraum
durch einstweilige Verfügung auch angeordnet werden, wenn der Beklagte einer
Sicherungsanordnung (§ 283a) im
Hauptsacheverfahren nicht Folge leistet.
(4)
In den Fällen der Absätze 2 und 3 hat das Gericht den Gegner vor Erlass einer
Räumungsverfügung anzuhören."
Die Norm ist lediglich nach ihrem
Wortlaut auf Wohnraum anwendbar, greift mithin nicht für Gewerberäume. Die Norm
wurde vom Gesetzgeber eingefügt, da im Rahmen einer einstweiligen Verfügung
nach § 940 ZPO grundsätzlich eine Räumung nicht durchsetzbar ist (es würde sich
um eine im Verfügungsverfahren unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache handeln, da
auf der Grundlage einer entsprechenden Räumungsverfügung das eventuell streitige
Räumungsverlangen endgültig durchgesetzt werden könnte). Voraussetzung der
Anwendbarkeit ist grundsätzlich, dass der Verfügungskläger (Vermieter) im
Besitz eines vollstreckbaren Räumungstitels gegen den Mieter ist und zusätzlich
erst nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor Erlass des Räumungsurteils
erfährt, dass sich noch eine weitere Person (oder mehrere Personen) im (Mit-)
Besitz der Wohnung befinden (sei es aufgrund eines vom bisherigen Mieter
eingeräumten Nutzungsrechts oder nicht bekannten Untermietverhältnisses).
Obwohl in der Norm ausdrücklich
nur auf Wohnraum abgestellt wird, besteht in Rechtsprechung und Literatur Streit
darüber, ob die Norm nicht doch auch im Rahmen Nutzungsüberlassung von Geschäftsräumen
durch den gekündigten Mieter (gegen den ein vollstreckbarer Räumungstitel vorliegt)
entsprechend oder der Übertragung auf die Regelung in § 940 ZPO angewandt
werden kann. Das OLG Celle verneint dies. Obwohl vom Landgericht in dem
angefochtenen Urteil zutreffend ein Räumungs- und Herausgabeanspruch des Klägers
angenommen worden sei, darf nach Auffassung des OLG keine darf gerichtete
einstweilige Verfügung ergehen, da es dem Verfügungsgrund ermangele.
Der Verfügungsgrund des § 940a
ZPO (vollstreckbarer Räumungstitel gegen den Mieter, Kenntnis des Besitzerwerbs
durch einen Dritten erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die das
Urteil erging) greift nach Auffassung des OLG nicht. Überschrift und Wortlaut
der Norm würden verdeutlichen, dass diese nur für Wohnraumanwendbar sei. Eine
analoge Anwendung scheide aus (Anm.: eine Analogie einer Spezialnorm, wie hier
§ 940a ZPO zu § 940 ZPO, scheidet in der Regel aus, wenn nicht von einer
planwidrigen Regelungslücke auszugehen ist).
Auch könne § 940a ZPO nicht über
§ 940 ZPO als „Ankernorm“ auf Geschäftsraummietverhältnisse angewandt werden.
Die Argumentation des KG sowie des OLG Frankfurt, die die Anwendbarkeit des §
940a ZPO über § 940 ZPO bejahen, würden dem Prinzip der Gewaltenteilung
widersprechen und eine unstatthafte Korrektur des Gesetzgebers bedeuten. Für
ein „wenn schon, dann erst recht“ sei
bei Spezialnormen wie hier kein Raum. Dies gelte auch dann, wenn zwar die Norm
nicht analog angewandt würde, deren Wertung aber bei § 940 ZPO herangezogen
würde.
Auch der Argumentation des OLG
München könne nicht gefolgt werden. § 940 ZPO erfordere ein Werturteil, da ein
Sachverhalt erst nach einem zu konkretisierenden „ausfüllungsbedürftigen“
Maßstab beurteilt werden könne, weshalb zwar maßgeblich die Methode der
Fallvergleichung und Typisierung Anwendung fände, wobei gleiche Fälle gleich zu
behandeln seien. Es bedürfe aber der Herausarbeitung, welche Umstände in
welchem Ausmaß für die geforderte Bewertung nach allgemeinem Maßstab von Bedeutung
seien. Gerade daran fehle es aber hier: Der signifikante Unterschied bestehe in
der rechtlichen Bewertung von Wohnraummietverhältnissen und
Gewerberaummietverhältnissen, wie auch § 578 verdeutliche (die Norm überträgt
nur einzelne Normen des Wohnraummietrechts auf die Gewerberaummiete). Darin
käme bereits eine Wertentscheidung des Gesetzgebers zum Ausdruck, was dagegen
spreche, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung der Norm des § 940a ZPO eine
typisierende Bewertung für alle Arten von Mietverhältnissen vorgenommen hätte. Auch
läge damit keine Regelungslücke vor, die nur angenommen werden könne, da es auf
der Grundlage des maßgeblichen Wertungsprinzips des Gesetzgebers an einer
behebungsbedürftigen Unvollständigkeit ermangele.
Mithin käme eine einstweilige
Räumungsverfügung nach §§ 935, 940 ZPO nur in Ausnahmefällen Betracht. Dazu würden die umgehende Rückgängigmachung
verbotener Eigenmacht sowie die Fälle zählen, in denen der unberechtigte Besitzer
die Sache in einer vertragswidrigen
Weise nutzt und der Sachsubstanz aus diesem Grund konkreter Schaden drohe.
Nicht dazu würden die Nichtzahlung von Nutzungsentgelt trotz Nutzung gehören,
da es auf die Dringlichkeit ankäme (offen gelassen und in der Rechtsprechung
auch streitig für Fälle der wirtschaftlichen Notlage des Vermieters).
OLG Celle, Urteil vom 09.01.2020 - 2 U 116/19 -