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Samstag, 22. Februar 2020

Räumungsverfügung gegen Dritte bei Geschäftsräumen bei gekündigten Mietverhältnis (§§ 940, 940a ZPO)


Es gibt bestimmte Rechtsfragen, zu denen bildet sich keine einheitliche Rechtsprechung, da diese Rechtsfragen leider dem Instanzenzug zum BGH entzogen sind. Dazu gehört die Frage, ob § 940a ZPO auch im Bereich von Geschäftsräumen entsprechend anwendbar ist oder im Rahmen des § 940 ZPO zu übertragen ist. Zuletzt nahm dazu jetzt das OLG Celle Stellung, mit der das OLG von den Entscheidungen des KG vom 09.05.2019 - 8 W 28/19 - (dieses wiederum unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung), des OLG Frankfurt vom 13.09.2019 - 2 U 61/19 - und des OLG München vom 12.12.2017 - 32 W 1939/17 - abweicht.  

Ausgangspunkt ist § 940a ZPO, welcher in Bezug auf Wohnräume die Regelung enthält, dass unter bestimmten Umständen eine auf Räumung gerichtete einstweilige Verfügung (die Räumungsverfügung) gegen Personen erwirkt werden kann, die neben dem (gekündigten) Mieter in den Wohnräumen leben:

"(1) Die Räumung von Wohnraum darf durch einstweilige Verfügung nur wegen verbotener Eigenmacht oder bei einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben angeordnet werden.
(2) Die Räumung von Wohnraum darf durch einstweilige Verfügung auch gegen einen Dritten angeordnet werden, der im Besitz der Mietsache ist, wenn gegen den Mieter ein vollstreckbarer Räumungstitel vorliegt und der Vermieter vom Besitzerwerb des Dritten erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung Kenntnis erlangt hat.
(3) Ist Räumungsklage wegen Zahlungsverzugs erhoben, darf die Räumung von Wohnraum durch einstweilige Verfügung auch angeordnet werden, wenn der Beklagte einer Sicherungsanordnung (§ 283a) im Hauptsacheverfahren nicht Folge leistet.
(4) In den Fällen der Absätze 2 und 3 hat das Gericht den Gegner vor Erlass einer Räumungsverfügung anzuhören."
Die Norm ist lediglich nach ihrem Wortlaut auf Wohnraum anwendbar, greift mithin nicht für Gewerberäume. Die Norm wurde vom Gesetzgeber eingefügt, da im Rahmen einer einstweiligen Verfügung nach § 940 ZPO grundsätzlich eine Räumung nicht durchsetzbar ist (es würde sich um eine im Verfügungsverfahren unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache handeln, da auf der Grundlage einer entsprechenden Räumungsverfügung das eventuell streitige Räumungsverlangen endgültig durchgesetzt werden könnte). Voraussetzung der Anwendbarkeit ist grundsätzlich, dass der Verfügungskläger (Vermieter) im Besitz eines vollstreckbaren Räumungstitels gegen den Mieter ist und zusätzlich erst nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor Erlass des Räumungsurteils erfährt, dass sich noch eine weitere Person (oder mehrere Personen) im (Mit-) Besitz der Wohnung befinden (sei es aufgrund eines vom bisherigen Mieter eingeräumten Nutzungsrechts oder nicht bekannten Untermietverhältnisses).

Obwohl in der Norm ausdrücklich nur auf Wohnraum abgestellt wird, besteht in Rechtsprechung und Literatur Streit darüber, ob die Norm nicht doch auch im Rahmen Nutzungsüberlassung von Geschäftsräumen durch den gekündigten Mieter (gegen den ein vollstreckbarer Räumungstitel vorliegt) entsprechend oder der Übertragung auf die Regelung in § 940 ZPO angewandt werden kann. Das OLG Celle verneint dies. Obwohl vom Landgericht in dem angefochtenen Urteil zutreffend ein Räumungs- und Herausgabeanspruch des Klägers angenommen worden sei, darf nach Auffassung des OLG keine darf gerichtete einstweilige Verfügung ergehen, da es dem Verfügungsgrund ermangele.

Der Verfügungsgrund des § 940a ZPO (vollstreckbarer Räumungstitel gegen den Mieter, Kenntnis des Besitzerwerbs durch einen Dritten erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil erging) greift nach Auffassung des OLG nicht. Überschrift und Wortlaut der Norm würden verdeutlichen, dass diese nur für Wohnraumanwendbar sei. Eine analoge Anwendung scheide aus (Anm.: eine Analogie einer Spezialnorm, wie hier § 940a ZPO zu § 940 ZPO, scheidet in der Regel aus, wenn nicht von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen ist).

Auch könne § 940a ZPO nicht über § 940 ZPO als „Ankernorm“ auf Geschäftsraummietverhältnisse angewandt werden. Die Argumentation des KG sowie des OLG Frankfurt, die die Anwendbarkeit des § 940a ZPO über § 940 ZPO bejahen, würden dem Prinzip der Gewaltenteilung widersprechen und eine unstatthafte Korrektur des Gesetzgebers bedeuten. Für ein „wenn schon, dann erst recht“  sei bei Spezialnormen wie hier kein Raum. Dies gelte auch dann, wenn zwar die Norm nicht analog angewandt würde, deren Wertung aber bei § 940 ZPO herangezogen würde.

Auch der Argumentation des OLG München könne nicht gefolgt werden. § 940 ZPO erfordere ein Werturteil, da ein Sachverhalt erst nach einem zu konkretisierenden „ausfüllungsbedürftigen“ Maßstab beurteilt werden könne, weshalb zwar maßgeblich die Methode der Fallvergleichung und Typisierung Anwendung fände, wobei gleiche Fälle gleich zu behandeln seien. Es bedürfe aber der Herausarbeitung, welche Umstände in welchem Ausmaß für die geforderte Bewertung nach allgemeinem Maßstab von Bedeutung seien. Gerade daran fehle es aber hier: Der signifikante Unterschied bestehe in der rechtlichen Bewertung von Wohnraummietverhältnissen und Gewerberaummietverhältnissen, wie auch § 578 verdeutliche (die Norm überträgt nur einzelne Normen des Wohnraummietrechts auf die Gewerberaummiete). Darin käme bereits eine Wertentscheidung des Gesetzgebers zum Ausdruck, was dagegen spreche, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung der Norm des § 940a ZPO eine typisierende Bewertung für alle Arten von Mietverhältnissen vorgenommen hätte. Auch läge damit keine Regelungslücke vor, die nur angenommen werden könne, da es auf der Grundlage des maßgeblichen Wertungsprinzips des Gesetzgebers an einer behebungsbedürftigen Unvollständigkeit ermangele.

Mithin käme eine einstweilige Räumungsverfügung nach §§ 935, 940 ZPO nur in Ausnahmefällen Betracht.  Dazu würden die umgehende Rückgängigmachung verbotener Eigenmacht sowie die Fälle zählen, in denen der unberechtigte Besitzer die Sache in einer  vertragswidrigen Weise nutzt und der Sachsubstanz aus diesem Grund konkreter Schaden drohe. Nicht dazu würden die Nichtzahlung von Nutzungsentgelt trotz Nutzung gehören, da es auf die Dringlichkeit ankäme (offen gelassen und in der Rechtsprechung auch streitig für Fälle der wirtschaftlichen Notlage des Vermieters).

OLG Celle, Urteil vom 09.01.2020 - 2 U 116/19 -

Donnerstag, 1. März 2018

Räumungsverfügung gegen Dritte im Gewerberaummietverhältnis


Der Verfügungskläger ist Eigentümer eines Grundstücks, welches er zum Betrieb eines Hotels und Restaurants nebst Wirtewohnung an eine Gesellschaft vermietet hatte. Die Gesellschaft und die in dem Objekt wohnenden natürlichen Personen (mit Ausnahme der Verfügungsbeklagten) wurden zur Räumung und Herausgabe an die Verfügungsklägerin verurteilt. Nach Ankündigung der Räumungsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher erhob die Verfügungsbeklagte Vollstreckungsgenklage, mit der sie geltend machte, sie halte sich dauerhaft in den Räumen mit ihren Kindern auf und habe keine Ersatzräume. Auf ihren Antrag stellte das Amtsgericht die Zwangsvollstreckung einstweilen ein.

Der Verfügungskläger beantragte beim Landgericht, der Beklagten im einstweiligen Verfügungsverfahren zu gebieten, die fragliche Fläche zu räumen und an ihn herauszugeben. Die Verfügungsbeklagte habe ihm gegenüber kein Besitzrecht. Das Landgericht bejahte den Anwendungsbereich des § 940a Abs. 2 ZPO und verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.

Das OLG bejahte das Vorliegen von Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund und bejahte in diesme Zusammenhang die Anwendbarkeit des § 940a ZPO.  Nach dieser Norm kann der Vermieter, der gegen seinen Mieter und bekannte Dritte, die in dem Objekt wohnen bzw. dieses nutzen, ein Räumungsurteil erstritten hat, im Wege der einstweiligen Verfügung die Räumung auch von Dritten begehren, die das Objekt nutzen, wenn ihm dies erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung bekannt wird.  Es wich hier von anderen Entscheidungen ab, namentlich des OLG Celle vom 24.11.2014 - 2 W 237/14 -, des OLG München vom 10.04.20154 –-23 U 773/14 - und des KG vom 05.09.2013 - 8 W 64/13 -, die eine Anwendbarkeit des § 940a Abs. 2 ZPO auf gewerbliche Mietverhältnisse ablehnen. Nach dem Wortlaut bezieht sich § 940a ZPO nur auf Wohnraum.

Das OLG Dresden nimmt aber eine entsprechende Anwendbarkeit an. Es schließt sich der teilweise in Rechtsprechung (so LG Hamburg vom 27.06.2013 – 334 O 104/13 -, LG Krefeld vom 08.03.2016 – 2 S 60/15 – und in Teilen der Literatur vertretenen Rechtsansicht an, § 940a ZPO beinhalte eine Wertung auch hinsichtlich der Voraussetzungen für den Erlass einer Räumungsverfügung im Bereich der gewerblichen Miete. Auch wenn der Gesetzgeber mit der Norm des § 940a Abs. 2 ZPO nur den Erlass einer Räumungsverfügung bei Wohnraum habe erweitern wollen, habe dies Auswirkungen auf das Bestehen eines Verfügungsgrundes nach §§ 935, 940 ZPO bei Geschäftsräumen. Denn vom Ausgangspunkt her richte sich der Verfügungsgrund nach §§ 935, 940 ZPO. Im Wohnraummietrecht sei durch § 940a Abs. 2 ZPO dieser Verfügungsgrund dahingehend eingeschränkt, dass auch die weiteren Voraussetzungen dieser Norm vorliegen müssten.  Die Erweiterung des § 940a ZPO durch die Einfügung von Abs. 2 habe demzufolge nicht nur den Ausnahmetatbestand für eine Räumungsverfügung im Wohnraum erweitert, sondern zeige auch, dass der Gesetzgeber den dadurch geschaffenen Verfügungsgrund als von §§ 935, 940 ZPO umfasst ansähe. Der Gesetzgeber würde aufzeigen, dass der in § 940a Abs. 2 ZPO enthaltene Verfügungsgrund selbst dann eingreifen könne, wenn die für den Wohnraum aufgestellten strengeren Maßstäbe des §940a ZPO nicht vorliegen würden. Lassen aber §§ 935, 940 ZPO den Verfügungsgrund des § 940a Abs. 2 ZPO mit den strengen Maßstäben des § 940a ZPO für Wohnraum  zu, sei die Annahme gerechtfertigt, dass dies erst Recht im Rahmen der weniger strengen allgemeinen Maßstäbe der §§ 935, 940 ZPO auch § 940a Abs. 2 ZPO gelten müsse. Die Regelung des § 940 ZPO enthalte auch eine Öffnungsklausel, denn sie lasse eine Regelungsverfügung auch dann zu, wenn dies „aus anderen Gründen“ nötig erscheine, weshalb die Wertung des Gesetzgebers mit der Einführung des § 940a Abs. 2 ZPO im Bereich der gewerblichen Miete berücksichtigt werden könne.

Anmerkung: Eine Rechtssicherheit besteht hier weder für den Vermieter noch für den Nutzer.  Gleichwohl könnte es für den Vermieter bedeutsam sein, das schnellere Verfahren der einstweiligen Verfügung zu nutzen, als einen evtl. langwierigen Prozess gegen den Nutzer anstrengen zu müssen.

OLG Dresden, Urteil vom 29.11.2017 - 5 U 1337/17 -

Montag, 5. Dezember 2016

Mietrecht: Zeitpunkt der Kenntnis von einem Dritten für eine Räumungsverfügung gem. § 240a Abs. 2 ZPO

Der Verfügungskläger hatte ein Räumungsurteil gegen den Sohn des Verfügungsbeklagten erwirkt. In dem Räumungsprozess wurde im Berufungsverfahren von dem beklagten Sohn und seine Frau vortragen, dass der Verfügungsbeklagte auch auf dem Grundstück aufgenommen worden wäre. Er ist dort seit dem 20.06.2015 gemeldet, wovon der Verfügungskläger am 10.07.2015 erfuhr. Mit Urteil des Landgerichts vom 19.10.2015 wurde die Berufung gegen das Räumungsurteil zurückgewiesen.
Das Amtsgericht hat bereits mit einem Urteil vom 05.10.2015 auf Antrag des Verfügungsklägers den Verfügungsbeklagten auf Räumung und Herausgabe verurteilt. Es bejahte die Zulässigkeit einer Entscheidung durch einstweilige Verfügung nach § 940a Abs. 2 ZPO mit der Begründung, der Verfügungskläger habe erst nach der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht vom Besitz des Verfügungsbeklagten erfahren.

Die vom Berufungsbeklagten gegen die Entscheidung des Amtsgerichts eingelegte Berufung wurde vom Landgericht zurückgewiesen.

Insbesondere sei der Verfügungsbeklagte Dritter iSv. § 940a Abs. 2 ZPO. Dritter sei jeder, der nicht mit dem Mieter identisch ist und mit dessen Willen oder dessen Duldung Besitz oder Mitbesitz habe. Dies gelte auch für Ehe- und Lebenspartner sowie andere Familienangehörige, soweit es sich nicht, wie bei minderjährigen Kindern, um Besitzdiener handele. Ein Indiz für den Besitz sei hier die Anmeldung des Verfügungsbeklagten.

Nach Auffassung des Landgerichts musste der Verfügungskläger auch nicht im Berufungsrechtszug betreffend der Räumungsklage eine Klageerweiterung gegen den Verfügungsbeklagten vornehmen, da es für die Kenntnis nach § 940a Abs. 2 ZPO nach seiner Ansicht auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im erstinstanzlichen Verfahren ankommt. Die Kommentierung würde bei dem Begriff „Schluss der mündlichen Verhandlung“ überwiegend nicht auf die Frage der Instanz eingehen.  Das LG Berlin würde ein Abstellen auf die letzte mündliche Verhandlung in erster Instanz nicht abstellen, während z.B. bei Schmidt-Futterer darauf abgestellt würde.

Das LG Frankfurt/Oder schließt sich der Auffassung von Schmidt-Futterer an. Es bezieht sich auf die Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (BT-Drs. 17/11894, S. 25, rechte Spalte), wonach dem Vermieter das Instrument des § 940a Abs. 2 ZPO nur dann an die Hand gegeben werden soll, wenn er mangels Kenntnis nicht schon das Hauptsacheverfahren auf den Mitbesitzer erstrecken konnte. Diese Erstreckung wäre im Berufungsverfahren nur im Wege der Parteierweiterung möglich, die dort nach §§ 533, 263 ZPO weitgehenden Beschränklungen unterliege. So bedarf sie der Zustimmung des neuen Beklagten, die nur dann entbehrlich sei, wenn sie rechtsmissbräuchlich sei. Damit läge, anders als vom LG Berlin angenommen, eine von § 767 Abs. 2 ZPO abweichende Konstellation vor. Es wäre hier im Rahmen des § 940a Abs. 2 ZPO unangemessen, den Vermieter auf die ungewisse Möglichkeit der Parteierweiterung zu verweisen, weshalb maßgeblicher Zeitpunkt derjenige des Schlusses der mündlichen Verhandlung in erster Instanz ist.


LG Frankfurt/Oder, Urteil vom 18.04.2016 – 16 S 151/15 -