Freitag, 13. September 2019

Klagebefugnis des Wohnungseigentümers zur Umsetzung von Beschlüssen


Die Wohnungseigentümergemeinschaft, der die Kläger angehörten, hatte in der Eigentümerversammlung vom 14.12.2015 beschlossen, der Beklagte als Verwalter solle im Auftrag der Eigentümergemeinschaft Klage gegen die frühere Verwalterin auf Neuerstellung der Jahresabrechnungen 2009 bis 2012 erheben. Der Beklagte setzte dies aber nicht um. Daraufhin haben die Kläger (nach vorangegangener anwaltlicher Mahnung) mit am 19.07.2016 bei Gericht eingegangener und am 22.07.2016 dem Beklagten zugestellter Klage beantragt, den Beklagten zur Beauftragung eines Anwalts zu verpflichten, der für die Gemeinschaft Klage mit dem Ziel der Erstellung der Einzel- und Gesamtjahresabrechnungen 2009 bis 2012 erhebt. Am Tag vor Zustellung der Klage (also am 21.07.2016) gegen den Beklagten bei diesem fasste allerdings die Eigentümergemeinschaft den (in der Folge von den Klägern angefochtenen) Beschluss, nach dem unter Aufhebung des Beschlusses vom 14.12.2015, der alten verwalterin eine Frist zur Abrechnung gesetzt werden sollte und für den Fall des fruchtlosen Ablaufs der Frist eine Ersatzvornahme angedroht werden sollte.

Auf die Anfechtungsklage gegen den Beschluss vom 21.07.2016 wurde dieser mit Urteil vom 09.01.2017 für ungültig erklärt. Sodann hatte das Amtsgericht der gegen den Beklagten gerichteten Klage stattgegeben. Nachdem nunmehr auf Veranlassung des Beklagten die erstrebte Klage gegen die frühere Verwalterin erhoben wurde, erklärten die Kläger (im Berufungsverfahren) die Hauptsache für erledigt. Der Beklagte widersprach dem. Das Landgericht erlegte dem Kläger mit dem mit der (zugelassenen) Revision angefochtenen Urteil die Kosten auf. Die Revision wurde zurückgewiesen.

Die einseitige Erledigungserklärung der klagenden Partei führt dazu, dass das Gericht nicht im beschlussweg gem. § 91 a ZPO über di Kosten entscheiden kann, sondern durch Urteil darüber zu entscheiden hat, ob sich die Hauptsache erledigt hat oder nicht. Die Erledigung sei vom Berufungsgericht vorliegend unter Auferlegung der Kosten auf den Beklagten zu Recht angenommen worden.

Entscheidend war hier, dass ein einzelner Wohnungseigentümer vom Verwalter nach Auffassung des BGH die Umsetzung eines Beschlusses verlangen kann. Der Verwalter habe gem. § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG eine gesetzliche Pflicht zur Durchführung von Beschlüssen, Dies resultiere aus dem Anspruch jeden Wohnungseigentümers, und diese Pflicht könne jeder Wohnungseigentümer gerichtlich gegen den Verwalter geltend machen.

Der Annahme, die Klage sei ursprünglich zulässig und begründet gewesen, würde hier der Beschluss vom 21.07.2017 nicht entgegenstehen. Zwar sei dieser Beschluss über eine abweichende Vorgehensweise gegen die frühere Verwalterin verbindlich gewesen, da eine Beschlussanfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung begründe, § 23 Abs. 4 S. 2 BGB. Allerdings wäre ausreichend, wenn zwar die Klage bei Erhebung der Klage nicht zulässig und begründet sei, aber zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses (BGH, Urteil vom 06.12.1984 - VII ZR 64/84 -). Dies sei vorliegend der Fall: Das erledigende Ereignis läge in der Umsetzung des Beschlusses vom 14.12.2015 durch den beklagten. Diese Pflicht sei mit Rechtskraft des den Beschluss vom 21.07.2016 für ungültig erklärenden Urteils wieder aufgelebt.  

Praxishinweis: Wird ein Beschluss, dessen Umsetzung ein Wohnungseigentümer gerichtlich geltend macht, vor Zustellung der Klage aufgehoben, kann der Wohnungseigentümer die Klage mit Verweis auf § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO („Ist der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen und wird die Klage daraufhin zurückgenommen, so bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen; dies gilt auch, wenn die Klage nicht zugestellt wurde.“) die Klage zurücknehmen und ebenso wie bei einer Erledigung des Hauptsache nach Rechtshängigkeit (§ 91a ZPO) die Kostentragung der Beklagtenseite begehren.  

BGH, Urteil vom 15.02.2019 - V ZR 71/18 -

Mittwoch, 11. September 2019

WEG-Verwalterwahl mit mehreren Bewerbern – wie ist sie durchzuführen ?


Häufiger als erwartet gestaltet sich wohl die Wahl des Verwalters einer Wohnungseigentümergemeinschaft als formales Problem. Der BGH hat sich dazu geäußert. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Nach der Teilungserklärung (TE) bestimmte sich das Stimmrecht nach Mieteigentumsanteilen (MEA); Stimmenthaltungen sollten als nicht abgegebene Stimmen gelten, die ebenso wie die Stimmen nicht anwesender und gleichzeitig nicht vertretener Wohnungseigentümer bei der Feststellung der Stimmenmehrheit nicht mit berücksichtigt werden. Auf der maßgeblichen Wohnungseigentümerversammlung waren 935,35/1.000 MEW anwesend bzw. vertreten. Neben der bisherigen Verwalterin gab es drei weitere Bewerber um das Amt des Verwalters. Für jeden Bewerber ab es einen Beschlkussvorschlag; bei dem Beschlussvorschlag 1 handelte es sich um die bisherige Verwalterin, die Beschlussvorschlage 2 bis 4 betrafen die weiteren drei Bewerber. Bei der Abstimmung über den Beschlussvorschlag 1 entfielen auf die bisherige Verwalterin auf Ja-Stimmen 463,40/1.000 MES, auf Nein-Stimmen 382,25/1.000 MEA und auf Enthaltungen 89,70 MEA. Der Versammlungsleiter stellte darauf fest, dass damit die bisherige Verwalterin widergewählt worden sei und es keiner weiteren Abstimmungen zu den weiteren drei Bewerbern bedürfe. Die Kläger hatten diesen Beschluss (und den nachfolgenden Beschluss zum Verwaltervertrag) angefochten. Das Amtsgericht gab der Klage statt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Die (zugelassene) Revision der Beklagten wurde vom BGH abgewiesen.

Der BGH führte aus, dass die Wohnungseigentümer gem. § 26 Abs. 1 S. 1 WEG über Bestellung und Abberufung des Verwalters mit Stimmenmehrheit beschließen würden. Die Festlegung der Verfahrensweise bei Abstimmungen obliege, wenn in der TE / Gemeinschaftsordnung oder durch einen einfachen Geschäftsordnungsbeschluss nicht anderes festgelegt worden sei, dem Versammlungsleiter. Dieser könne nach pflichtgemäßen Ermessen den Abstimmungsmodus, insbesondere die Reihenfolge der Abstimmungsfragen, festlegen. Ferner könne er im Rahmen dieses Ermessens auch darüber bestimmen, welches Wahlverfahren durchgeführt werden soll, wenn es (wie hier) mehrere Bewerber um da Amt gäbe. Insoweit käme in Betracht:
  •      Jeder Wohnungseigentümer habe bei einer nacheinander erfolgenden Abstimmung über die einzelnen Bewerber nur eine Ja-Stimme.
  •     Jeder Wohnungseigentümer könne in jedem Wahlgang, unabhängig von seiner vorherigen Stimmabgabe von seinem Stimmrecht, und damit auch wieder von einer Ja-Stimme, Gebrauch machen.
Vorliegend habe der Versammlungsleiter gemäß dem ihm zustehenden Ermessen die Kandidaten, beginnend mit der bisherigen Verwalterin, zur Abstimmung gestellt. Fehlerhaft sei allerdings der Abbruch der Abstimmung nach dem ersten Wahlgang gewesen.

Es müsse, stehen mehrere Bewerber zur Wahl, über jeden Bewerber abgestimmt werden. Dies dürfe nur unterbleiben, wenn ein Bewerber die absolute Mehrheit erreiche und die Wohnungseigentümer nur eine Ja-Stimme insgesamt abgeben dürften. Läge diese Voraussetzung nicht vor, dürfe die Abstimmung über die weiteren Bewerber nicht abgebrochen werden, da nicht festgestellt werden könne, ob die erforderliche Mehrheit erreicht wurde.

Grundsätzlich käme es zwar bei der Bestimmung der Mehrheit iSv. § 25 Abs. 1 WEG allein entscheidend auf die Ja-Stimmen an, da Enthaltungen wie bei (auch kurzzeitig) abwesenden und nicht vertretenen Eigentümern nicht mitgezählt würden. Stünden aber mehrere Bewerber zur Auswahl, sei die Abstimmung über jeden einzelnen Bewerber nur ein Teilakt eines als Einheit anzusehenden Verfahrens. Die relative Mehrheit für einen Bewerber sei nicht ausreichend, wenn mehr als zwei Kandidaten zur Auswahl stünden.

Bei einem Wahlverfahren, bei dem unabhängig von der vorangegangenen Stimmabgabe das Stimmrecht bei jedem Wahlgang umfassend ausgeübt werden könne, also jeweils mit Ja gestimmt werden kann, könnten auch nachfolgende Bewerber mehr Ja-als Nein-Stimmen auf sich vereinigen, wobei es auch möglich sei, dass zwei oder mehr Bewerber die Stimmen aller Wohnungseigentümer erhalten. Dieses Wahlverfahren eröffne die Möglichkeit, dass nach einer persönlichen Präferenzordnung abgestimmt würde, also etwa ein Bewerber bevorzugt, aber auch andere für annehmbar gehalten würden. Würde über den bevorzugten Bewerber erst später abgestimmt, müsse der Eigentümer auch insoweit die Möglichkeit haben sein Stimmrecht auszuüben, weshalb der Willensbildungsprozess der Wohnungseigentümer erst nach dem letzten Wahlgang abgeschlossen sei.

Würde ein Wahlverfahren festgelegt, wonach jeder Eigentümer nur eine Ja-Stimme habe, müssten grundsätzlich auch alle Bewerber zur Abstimmung gestellt werden. Zwar könnten diejenigen Miteigentümer, die im ersten oder nachfolgenden Wahlgang bereits mit Ja gestimmt hätten, bei weiteren Wahlgang nicht mehr mit Ja stimmen; diejenigen, die aber mit Nein gestimmt hätten oder sich enthalten hätten, könnten jeweils mit Ja stimmen. Die Abstimmung über alle Bewerber müsste in diesem Verfahren nur dann nicht fortgeführt werden, wenn ein Bewerber in einem Wahlgang bereits die absolute Mehrheit erzielt habe und weitere Wahlgänge an diesem Ergebnis nichts mehr ändern könnten.

Damit stünde vorliegend nicht fest, dass die bisherige Verwalterin mit der notwendigen Stimmenmehrheit wiederbestellt worden sei. Dabei könne offen bleiben, welches der benannten Wahlverfahren der Versammlungsleiter vorliegend angewandt habe. Jedenfalls habe die bisherige Verwalterin nicht die absolute Stimmenmehrheit auf sich vereinigt, weshalb bereits deshalb der Abbruch der weiteren Abstimmung unzulässig gewesen sei (Anm.: die absolute Stimmenmehrheit hätte 467,68 Stimmen bedurft). Damit sei der Beschluss über die Verwalterbestellung nicht ordnungsgemäß zustande gekommen, weshalb auch der Beschluss über den Verwaltervertrag mit der bisherigen Verwalterin als ungültig zu erklären war.

BGH, Urteil vom 18.01.2019 - V ZR 324/17 -

Dienstag, 10. September 2019

WEG: Die Voraussetzungen für einen „Abmahnbeschluss“ (und Entziehung des Wohnungseigentums) bei rechtsmissbräuchlicher Rechtsausübung


Direkt nach einer Wohnungseigentümerversammlung vom 31.08.2016, an der sie nicht teilnahmen,  forderten die Kläger die Verwalterin auf, ihnen eine Kopie aus der Beschlusssammlung bis 05.09.2016 zu überlassen und wiesen die Verwalterin drauf hin, dass diese, komme sie dem nicht nach, aus wichtigen Grund wegen Pflichtverletzung abberufen werden könne. Auf einer von den Klägern begehrten Eigentümerversammlung beschlossen die beklagten Mitglieder der WEG eine Abmahnung der Kläger, in der sie darauf hinwiesen, dass die Kläger es seit Jahren darauf anlegen würden, die jeweiligen Verwalter durch permanente Aufforderung zum Rücktritt und Ankündigung der Abwahl zu zermürben, womit sie es darauf anlegen würden, die Gemeinschaft in eine verwalterlosen Zustand zu treiben. Der Vorverwalter habe deshalb bereits seinen Vertrag nicht verlängert und eine Zerrüttung drohe nun auch mit der erst seit dem 01.01.2016 amtierenden neuen Verwalterin.


Die Klage, Berufung und auch (zugelassene) Revision der Kläger gegen diesen Abmahnbeschluss blieb erfolglos.

Die Klage sei zulässig. Auch wenn die Abmahnung durch die Verwalterin selbst oder einzelne Wohnungseigentümer hätte ausgesprochen werden können, ohne dass dies anfechtbar wäre (BGH, Urteil vom 19.01.2007 - V ZR 26/06 -), hätte die Eigentümer das Recht, die Abmahnung qua Beschluss auszusprechen und sei dieser Beschluss wie jeder andere Beschluss anfechtbar, auch wenn bei einer erfolgreichen Beschlussanfechtung die rechtliche Wirkung der Abmahnung nicht beseitigt würde, wenn der Beschluss den Anforderungen an eine Abmahnung entspräche.

Im Beschlussanfechtungsverfahren würde der Abnahmebeschluss lediglich darauf überprüft, ob die formellen Voraussetzungen der Beschlussfassung eingehalten worden seien, ob das abgemahnte Verhalten einen Entziehungsbeschluss rechtfertigen könnte und ob die Abmahnung hinreichend bestimmt sei. Die Prüfung der materiellen Richtigkeit der Abmahnung (ob also ein entsprechendes Verhalten tatsächlich vorlag) würde aber erst nach einem Entziehungsbeschluss in einem folgenden gerichtlichen Entziehungsprozess geprüft werden (BGH, Urteil vom 08.07.2011 - V ZR 2/11 -).  In diesem im Beschlussanfechtungsverfahren zu prüfenden Umfang sei der Beschluss nicht zu beanstanden.

Allerdings könne die Entziehung des Wohnungseigentums im Grundsatz nicht auf die Ausübung von Eigentümerrechten durch den betroffenen Wohnungseigentümer gestützt werden. Der einzelne Wohnungseigentümer habe, auch in Ansehung seines Anspruchs auf ordnungsgemäße Verwaltung (§ 21 Abs. 3 bis 5 WEG) das Recht, sich mit Anträgen an die Verwaltung zu richten, Anträge bei Wohnungseigentümerversammlungen zu stellen und gefasste Beschlüsse durch Anfechtung oder Beschlussersetzungsklage gerichtlich überprüfen zu lassen. Sein diesbezügliches Verhalten könne nicht zur Entziehung des Wohnungseigentums führen, da er ansonsten seine Rechte nicht unbefangen und effizient ausüben könne.

Die Geltendmachung von Eigentümerrechten könne aber rechtsmissbräuchlich sein und, wenn dieses Verhalten ein entsprechendes Gewicht habe, auch die Entziehung des Wohnungseigentums nach § 18 WEG rechtfertigen. Die Rechte des Wohnungseigentümers würden unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben  (§ 242 BGB) stehen. So könnte eine Beschlussanfechtungsklage, bei der der Eigentümer in Kenntnis des Verfahrensmangels zugestimmt habe, wegen widersprüchlichen Verhaltens rechtsmissbräuchlich oder mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig sein. Rechtsmissbräuchlichkeit könne aber auch in Ansehung der Ziele vorliegen (so für eine Vollstreckungsgegenklage, die prozessfremden Zielen diene, BGH, Urteil vom 21.10.2016 - V ZR 1/08 -; bei Klagen eines Aktionärs gegen Beschlüsse, nur um die Gesellschaft in eigennütziger Weise zu veranlassen, ihm Leistungen zu gewähren). Entsprechendes gelte für die Wahrnehmung von Eigentümerrechten, wenn diese zur Verfolgung von wohnungseigentumsfremder oder gar –feindlicher Ziele eingesetzt würden. Hier seien aber strenge Anforderungen zu stellen, da es um den Kernbereich der elementarer Mitgliedschaftsrechte ginge. Alleine die fehlende oder unzureichende Begründung einer Beschlussanfechtungsklage reiche nicht, ebenso wenig die der Umfang (wie zahlreiche Anfechtungsklagen). Auch auf den Erfolg dieser Klagen käme es nicht an. Rechtsmissbrauch läge auch nicht bei querulatorischen Anfechtungsklagen vor.

Vorliegend sei aber ein Rechtsmissbrauch anzunehmen. Nah dem Beschluss sollen es die Kläger seit Jahren darauf angelegt haben, die jeweiligen Verwalter durch Aufforderungen zum Rücktritt und Ankündigungen einer Abwahl versucht haben zu zermürben und die Gemeinschaft so in einen verwalterlosen Zustand zu treiben (die materielle Richtigkeit wurde nicht geprüft, da dies einem Entziehungsprozess vorbehalten bleibt). Damit stützen sich die Beklagten nicht auf ein Antrags-, Abstimmungs- oder Klageverhalten der Kläger als solchem sondern darauf, dass diese ihre Eigentümerrechte zur Destabilisierung der Wohnungseigentümergemeinschaft missbrauchen würden.

Ein derartiger Missbrauch könne die Entziehung des Wohnungseigentums  rechtfertigen, da es im diametralen Gegensatz zum Kernanliegen des WEG läge, welches in der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Verwaltung läge. Dieses Ziel würde nach der Konzeption des WEG im Regelfall nur durch die Bestellung eines Verwalters, insbesondere bei größeren Wohnungseigentümergemeinschaften wie hier, erreicht. Würden die Verwalter vergrault, würden die kontinuierliche Pflege, Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums, die geordnete Aufbringung der zu dieser Verwaltung benötigten Mittel, die Erfüllung gemeinschaftlicher Verpflichtungen und das Zustandekommen der für die Verwaltung erforderlichen Beschlüsse nicht mehr gesichert sein. Lege es ein Wohnungseigentümer darauf an, missbrauche er seine Rechte zu wohnungseigentumsfeindlichen Zwecken und verletzte durch diese Instrumentalisierung seiner Rechte die ihm gegenüber den übrigen Eigentümern und der Gemeinschaft obliegenden Pflichten grob, was den übrigen Eigentümern nicht zumutbar sei und die Entziehung des Wohnungseigentums rechtfertige.


BGH, Urteil vom 05.04.2019 - V ZR 339/17 -

Sonntag, 8. September 2019

WEG: Beschlussanfechtungsklage und Berechnung der Frist für die rechtzeitige Zahlung des Gerichtskostenvorschusses


Die Parteien, Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft, hatten auf einer Eigentümerversammlung vom 16.06.2016 diverse von dem klagenden Miteigentümer mit am 13.07.2016 bei dem zuständigen Amtsgericht eingegangener Klage angefochten. Mit Schreiben des Gerichts vom 15.07.2016 wurde der Kläger gem. § 12 Abs. 1 GKG zur Zahlung des Gerichtskostenvorschusses aufgefordert. Dieser Vorschuss ging am 09.08.2016 bei der Gerichtskasse ein. Die Zustellung der Klage wurde daraufhin veranlasst und erfolgte am 17.08.2016. Mit am 16.08.2016 bei dem Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz wurde die Klage vom Kläger begründet; zugleich hatte er wegen Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung beantragt und die Klage um einen Verpflichtungs- und Feststellungsantrag erweitert.

Klage und Berufung gegen das klageabweisende Urteil blieben erfolglos. Die Abweisung erfolgte wegen Nichtwahrung der Klagefrist nach § 46 Abs. 1 S. 2 WEG. Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Berufung.

Anders als das Amts- und Landgericht nahm der BGH an, dass der Kläger die Klageerhebungsfrist gewahrt habe. Zwar sei die Zustellung der Klage nicht innerhalb eines Monats nach der Beschlussfassung erfolgt, doch wirke die tatsächliche (spätere) Zustellung nach § 167 ZPO auf den Tag der Einreichung der Klage zurück, an dem die Anfechtungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei. Das in § 167 ZPO „demnächst“ sei erfüllt, wenn sich die der Partei zuzurechnenden Verzögerungen in einem hinnehmbaren Rahmen halten würden. Für die Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses, der für die Zustellung erforderlich ist, sei bei der Berechnung der noch hinnehmbaren Verzögerung von 14 Tagen nicht auf die Zeitspanne zwischen der Aufforderung zur Einzahlung der Gerichtskosten und deren Eingang bei der Gerichtskasse abzustellen, sondern darauf, um wie viele Tage sich der für die Zustellung der Klage ohnehin erforderliche Zeitraum infolge einer Nachlässigkeit des Klägers verzögert habe, um eine Überforderung des Klägers sicherzustellen (BGH, Urteil vom 10.07.2015 - V ZR 154/14;BGH Urteil vom 29.09.2017 - V ZR 103/16 -). Der Umstand, dass zwischen dem (zu Gunsten des Klägers unterstellten) Zugang der Gerichtskostenrechnung am 20.07.2016 und dem Eingang des Vorschusses bei der Gerichtskasse mehr als 14 Tage lägen, würd daher einer Annahme einer Zustellung „demnächst“ iSv. § 167 ZPO nicht entgegen stehen. Festzustelle sei, ob dem Kläger eine Verfahrensverzögerung von mehr als 14 Tagen vorgeworfen werden könne.

Diese Frage verneinte der BGH. Die zahlungspflichtige Partei müsse nicht am gleichen Tag zahlen, an dem ihr die Zahlungsaufforderung zugehen würde. Es sei eine Zeitspanne zu berücksichtigen, die die Partei im Normalfall benötigen würde, um für eine ausreichende Kontendeckung zu sorgen und die Überweisung zu veranlassen. Hier sei in der Regel (dies könne sich nach den Umständen des Falls verlängern, BGH Urteil vom 29.09.2017 - V ZR 103/126 -) eine Woche. Das würde bedeuten: Eine Untätigkeit zur Einzahlung nach Zugang der Vorschussanforderung am 20.07.2016 könnte dem Kläger bis zum  27.07.2016 nicht vorgeworfen werden. Der maßgebliche Zeitraum der 14 Tage hätte am 28.07.2016 begonnen und wäre daher erst am 10.08.2016 abgelaufen. Die Zahlung sei aber bereits am 09.08.2016 bei der Gerichtskasse eingegangen. Aber auch wenn man von einem Zugang der Gerichtskostenrechnung bereits am Montag, 18.07.2016 oder früher ausgehen wollte, wäre eine zurechenbare Verzögerung nicht angenommen werden: Zwar wären unter Zugrundelegung der Wochenfrist zur Überweisung und der weiteren 14 Tage diese Fristen bereits am Montag, 08.08.2016 abgelaufen gewesen, weshalb der Zahlungseingang am 09.08.2019 an sich später gewesen wäre. Allerdings könne dem Kläger kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er nach Einreichung der Anfechtungsklage bis zum Ablauf der Klagefrist des § 46 Abs. 1 S. 2 WEG (ein Monat nach Beschlussfassung) nicht unternommen habe. Würde eine Klage bereits vor Ablauf einer durch Zustellung zu wahrenden Frist eingereicht, erfolge die Zustellung der Klage aber erst nach Ablauf der Frist, seien bis zum Fristablauf eingetretene Versäumnisse in die maßgebliche 14-Tage-Frist nicht mit einzurechnen (BGH, Urteil vom 25.09.2015 - V ZR 2013/14 -; BGH, Urteil vom 29.09.2017 - V ZR 103/16 -). So sei es vorliegend: Die maßgebliche Klagefrist war Montag, der 18.07.2016 (der 16.06,2016 sei ein Samstag gewesen, der nach § 222 ZPO ausscheidet). Eine bis dahin eingetretene Versäumnis sei dem Kläger daher nicht zuzurechnen. Für § 167 ZPO käme es also nur auf die relevante Verzögerung ab dem 19.07.2016 an. Unter Berücksichtigung der Erledigungsfrist (bis spätestens 26.07.2016) wäre daher der Vorschuss am 09.08.2019 noch innerhalb des zuzubilligenden 14-Tage-Zeitraums erfolgt.  

Das angefochtene Urteil wurde vom BGH aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

BGH, Urteil vom 17.05.2019 - V ZR 34/18 -

Donnerstag, 5. September 2019

Barkaution – wer kann wann eine Aufrechnung mit Forderungen erklären ?


Die Beklagten hatten im Rahmen des Mietverhältnisses über Wohnraum, welches am 05.02.2015 durch fristlose Kündigung der Beklagten endete, an den Kläger als Vermieter eine Barkaution von € 1.780,00 geleistet. Der Kläger forderte mit seiner Klage u.a. restliche Miete und Mitausfallschaden und Nebenkosten. Im Berufungsverfahren wurde seitens der Beklagten ein „Zurückbehaltungsrecht“ in Ansehung der gezahlten Kaution eingewandt zum Anspruch auf Nebenkosten eingewandt, welchen das Landgericht als Aufrechnung auslegte, der es folgte. Mit seiner vom Landgericht zugelassenen Revision wendet sich der Kläger gegen das landgerichtliche Urteil im Hinblick auf die angenommene Aufrechnung. Die Revision wurde zurückgewiesen.

Vom BGH wird festgehalten, dass zum Zeitpunkt der Berufungsbegründung der Beklagten eine Aufrechnungslage (§ 387 BGB) bestanden habe. Auch die Auslegung des erklärten Zurückbehaltungsrechts als Ausübung eines Aufrechnungsanspruchs sei aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Bei dem Kautions-Rückzahlungsanspruch der Beklagten handele es sich um eine Geldforderung, und damit um eine der Nebenkostennachforderung gleichartige Forderung. Die Rückzahlung der Kaution sei zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung auch fällig gewesen.

Diese Fälligkeit läge vor, da der Kläger durch Erhebung seiner Klage (konkludent) die Kaution abgerechnet habe. Diese Folgerung leitet der BG daraus ab, da nach dem Ende eines Mietverhältnisses der  Vermieter innerhalb einer angemessenen, nicht allgemein bestimmten Frist (vgl. BGHZ 101, 244, 250f) dem Mieter erklären müsse, ob und gegebenenfalls welche aus dem Mietverhältnis herrührenden Ansprüche er gegen den Mieter erhebt. Mit dieser Erklärung würde die Mietsicherheit abgerechnet, da der Vermieter deutlich mache, ob er und gegebenenfalls in Bezug auf welch Forderungen er ein Verwertungsinteresse an der gewährten Mietsicherheit habe.

In Ermangelung gesetzlicher Regelungen könne der Vermieter damit nach den Vorgaben des § 259 BGB abrechnen, in dem er alle ihm nach seiner Auffassung zustehenden Forderungen im Einzelnen bezeichnet und der Kautionsrückzahlungsforderung gegenüberstellt. Allerdings könne der Vermieter auch konkludent abrechnen, was dann anzunehmen sei, wenn er ihm nach seiner Auffassung zustehende Forderungen aus dem beendeten Mietverhältnis gegen den Mieter klageweise geltend macht, ohne einen Vorbehalt zu erklären, dass noch mit der Geltendmachung weiterer Forderungen zu rechnen sei. Denn damit bringe der Vermieter zum Ausdruck, dass sich sein Verwertungsinteresse an der Kaution ausschließlich auf die in der Forderungsaufstellung bezeichneten bzw. von ihm selbst aufgerechneten oder klageweise geltend gemachten Forderungen beschränke (vgl. auch den Fall BGH, Urteil vom 20.07.2016 - VIII ZR 263/14 -).

Zwischenanmerkung: Es lässt sich nicht erkennen, dass der Vermieter bei Erhebung einer Zahlungsklage gegen den Mieter nach beendeten Mietvertrag damit, wenn kein Vorbehalt aufgenommen wird, über die Kaution abrechnen will. Gerade der Umstand, dass er nicht mit der ihm zur Verfügung gestellten Barkaution aufgerechnet hat, sondern Klage erhebt, gibt er an sich bereits zu erkennen, dass er weitergehende Forderungen gegen den Mieter meint zu haben, die vielleicht zu diesem Zeitpunkt auch nicht bezifferbar sind (wie z.B. eine Betriebskostenabrechnung für das laufende Abrechnungsjahr, in dem das Mietverhältnis endeten (vgl. auch BGH aaO.).
Mit Zugang der Abrechnung bei  Mieter, so der BGH vorliegend, sei die gezahlte Barkaution zur Rückzahlung fällig. Der Vermieter könne sich nunmehr wegen seiner bestimmten und bezifferten Ansprüche, unabhängig davon, ob sie streitig sind oder nicht, aus der Barkaution befriedigen, so durch Aufrechnung seiner Forderungen gegen den Rückzahlungsanspruch des Mieters. (Anmerkung: Die Betriebskosten müssen auch bei Beendigung des Mietverhältnisses im Laufe einer Abrechnungsperiode erst innerhalb der Frist von 12 Monaten nach Ende der Abrechnungsperiode abgerechnet werden, BGH aaO., weshalb wohl teilweise eine Bezifferung der Forderung noch gar nicht möglich ist, also nur ein Zurückbehaltungsrecht durch den Vermieter ausgeübt werden kann). Erkläre der Vermieter Aufrechnung mit einer streitigen Forderung, könne der Mieter insoweit auf Rückzahlung der Kaution klagen; in diesem Prozess müsse dann geklärt werden, ob die aufgerechnete Forderung dem Vermieter zustünde, wobei dem Vermieter die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen der Forderung treffe, unabhängig davon, ob er diese einklagt oder aufgerechnet habe.  

Mache der Vermieter von deiner Verwertungsbefugnis durch Aufrechnung mit dem Kautionsrückzahlungsanspruch keinen Gebrauch, könne der Mieter gegen die Forderung des Vermieters Aufrechnung erklären. Ein Sicherungsbedürfnis des Vermieters bestünde nicht, die Fälligkeit der Forderung auf Rückzahlung der Kaution über die Erteilung der Abrechnung der Kaution hinauszuschieben, da er durch die Abrechnung sein Verwertungsinteresse auf die abgerechnete Forderung beschränke. Er habe die Möglichkeit, im Rahmen der Abrechnung zu erklären, für welche von möglicherweise mehreren Forderungen er die Kaution vorrangig verwerte. Alleine eine Abrechnung, ohne auf die Barkaution zuzugreifen, rechtfertige sein Sicherungsbedürfnis für deren weiteren Einbehalt nicht.

Anmerkung: Die vorliegende Entscheidung und die Entscheidung des gleichen Senats im Urteil vom 20.07.2016 - VIII ZR 263/14 - verdeutlichen, dass der Vermieter sein Vorgehen sorgfältig abwägen muss. Will er eine Forderung nach beendeten Mietverhältnis gegen den Mieter gerichtlich geltend machen, ohne für diese Forderung auf die ihm übergebene Barkaution zurückzugreifen, sollte er jedenfalls verdeutlichen, dass die Barkaution für andere offene Positionen als Sicherheit diene, über die er entweder dann bereits abrechnen kann (und mithin insoweit Aufrechnung gegen den Rückzahlungsanspruch des Mieters erklären kann) oder darlegen müsste (so bei noch nicht abgerechneten Betriebskosten), mit welchen künftigen Forderungen zu rechnen ist, zu deren Sicherung die Kaution dienen soll.

BGH, Urteil vom 24.07.2019 - VIII ZR 141/17 -

Freitag, 30. August 2019

Darlegungs- und Beweislast zur Wohnfläche bei einer Mieterhöhung und die (vergebliche) Hoffnung auf eine vom Gericht veranlasste gutachterliche Prüfung


Die Klägerin begehrte Mieterhöhung für ein von ihr 2010 vermietete Wohnung. Im Mietvertrag war keine Mietfläche benannt, lediglich der Mietzins mit € 8,63/qm und insgesamt mit netto € 798,62/Monat benannt; die Wohnungsgröße wurde von der Klägerin mit 92,54qm benannt. Amts- und Landgericht wiesen die Klage ab. Auf die zugelassene Revision wurde das Urteil des Landgerichts aufgehoben und der Rechtsstreit zurückverwiesen. Die Beklagte behauptete nunmehr eine Wohnfläche von 80,674qm. Auf Nachfrage wurde klägerseits mitgeteilt, keinen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung der Größe der Wohnung stellen zu wollen. Die Berufung wurde neuerlich unter Zulassung der Revision zurückgewiesen. Die Revision wurde diesmal ebenfalls zurückgewiesen.

Die Beweislast für die in Ansatz zu bringende Wohnungsgröße läge bei der Klägerin als Vermieterin, die eine Mieterhöhung begehre. Den Beweis einer für den Erfolg der Klage maßgeblichen Wohnungsgröße von 92,54 qm habe die Klägerin allerdings nicht erbracht. Die Beklagte habe unter Vorlage von Messergebnissen der einzelnen Räume und einer sich hieraus ergebenden Wohnfläche von 80,674qm die klägerseits behauptete Größe der Wohnung substantiiert bestritten, weshalb es nunmehr Sache der Klägerin gewesen wäre, einen Beweis für die von ihr behauptete Größe der Wohnung anzutreten. Auf die Nachfrage des Berufungsgerichts an die anwaltlich vertretene Klägerin, ob sie ein Sachverständigengutachten zur Größe der Wohnung wolle, sei dies ausdrücklich verneint worden und auch kein anderes Beweismittel angeboten worden.

Der Vortrag der Beklagten in der widereröffneten Berufungsverhandlung nach Rückverweisung zur Wohnfläche sei nach §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO berücksichtigungsfähig, wobei allerdings selbst bei fehlerhafter Berücksichtigung neuen Tatsachenvortrags durch das Berufungsgericht dies im Rahmen einer Revision nicht erfolgreich eingewandt werden könne (BGH, Urteile vom 02.03.2005 - VIII ZR 174/04- und vom 06.12.2007 - III ZR 146/07 -).

Mit der Revision macht die Klägerin geltend, das Gericht habe auch gem. § 144 ZPO ohne Antrag des Beweispflichtigen ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung der Wohnungsgröße einholen können. Das Landgericht habe aber nach Auffassung des BGH hier nicht gegen § 144 ZPO verstoßen. Die Anordnung zur Einholung eines Sachverständigengutachtens stünde im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts und damit könne vom BGH auch nur zur Ausübung des Ermessens geprüft werden. Zu beachten sei, dass die dem Gericht nach § 144 ZPO eröffnete Möglichkeit die Parteien nicht von deren Darlegungs- und Beweislast befreie.  Daher sei der Tatrichter, dem die erforderliche Sachkunde fehle und der davon Abstand nehmen wolle, von Amts wegen gemäß § 144 ZPO sachverständige Hilfe in Anspruch zu nehmen, grundsätzlich gehalten, die beweisbelastete Partei nach § 403 ZPO auf die Notwendigkeit eines Beweisantrags hinzuweisen (BGH, Urteil vom 24.06.2015 - IV ZR 181/14 -; vgl. aber auch BGH, Beschluss vom 12.03.2019 – VI ZR 278/18 -). Dies sei der im Zivilprozess geltenden Parteiherrschaft geschuldet.  Damit habe es zunächst der Klägerin bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten oblegen zu klären, ob und welche Beweismittel angeboten werden, was insbesondere für ein mit höheren Kosten verbundenes Sachverständigengutachten gelte. Es sei daher nicht ermessenfehlerhaft, wenn nach einem Hinweis und einem offen ausgesprochenen entgegenstehenden Willen der beweisbelasteten Partei  der Tatrichter von einer Einholung des Gutachtens von Amts wegen absähe. Das Absehen sei damit begründet worden, dass die Klägerin der Auffassung sei, die Beklagte sei mit ihrem Vortrag zur Größe der Wohnung im Berufungsrechtszug nach der Zurückverweisung an das Landgericht ausgeschlossen, da der klägerische Vortrag im Rahmen der Klage erstinstanzlich nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gelte; damit habe die Klägerin zum Ausdruck gebracht, dass nach ihrer (im Ergebnis fehlerhaften) Auffassung eine Beweiserhebung entbehrlich sei. Bei dieser Konstellation habe auch nicht vom Gericht die anwaltlich vertretene Klägerin fragen müssen, ob diese bei einem entsprechenden Beweisbeschluss den Kostenvorschuss (§ 17 Abs. 3 GKG) zahlen würde.

Ebenso habe das Landgericht nach der Zurückverweisung nicht nach § 139 ZPO darauf hinweisen müssen, dass das durch die Zurückverweisung wiedereröffnete Berufungsverfahren durch das vorangegangene Urteil des BGH in keiner Weise vorgezeichnet sei und es keine Bindung des Berufungsgerichts gäbe, dass jetzt nur noch um die (im vorangegangenen Revisionsverfahren zur Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung führenden) sonstigen Voraussetzungen (also nicht die Größe der Wohnung) gehen würde. Es sei gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung, dass nach einer Zurückverweisung jedenfalls in den Grenzen des § 531 Abs. 2 ZPO neue Angriffs- und Verteidigungsmittel möglich seien. Dies unabhängig davon, dass hier auch die Klägerin unmissverständlich vom Berufungsgericht darauf hingewiesen worden sei, dass es gedenkt das neue Vorbringen der Beklagten zur Wohnungsgröße zu berücksichtigen und damit zu erkennen gegeben habe, dass es nicht gedenke, nur über die sonstigen Voraussetzungen des Erhöhungsbegehrens zu entscheiden.

BGH, Urteil vom 27.02.2019 - VIII ZR 255/17 -

Mittwoch, 28. August 2019

Arbeitsrecht: Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages bei Verstoß gegen Gebot des fairen Verhandelns


Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der als Reinigungshilfe beschäftigten Beklagten mit einem Schreiben vom 22.06.2015 zum 22.06.2015. Mit einem weiteren Schreiben die Beklagten an die Klägerin, dessen Zugang streitig ist, teilte die Beklagte mit, das Arbeitsverhältnis sei bis zum 29.02.2016 verlängert. Die Klägerin war über den 22.06.2015 hinaus tätig. Am 15.02.2015 suchte der Lebenspartner der Beklagten (der tatsächlich die Geschäfte führte) die Klägerin in ihrer Wohnung auf und unterbreitete ihr einen Aufhebungsvertrag zum gleichen Tag, den die Beklagt unterschrieb. Mit Ausnahme von überzahlten Arbeitsstunden sollten mit dem Vertrag alle wechselseitigen Ansprüche abgegolten sein. 

Die Klägerin ließ in der Folge den Aufhebungsvertrag wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und Drohung anfechten und widerrief hilfsweise ihre Zustimmung zum Vertragsabschluss. Da die Beklagte an der Aufhebung festhielt, klagte die Klägerin auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch Aufhebungsvertrag oder Befristungsbarde beendet worden sei und fortbestünde, wobei sie geltend machte, sie habe am 15.02.2016 erkrankt im Bett gelegen. Der Lebenspartner der Beklagten habe erklärt, ihre Faulheit nicht zu unterstützen, ihr den Vertrag hingehalten und sie habe diesen dann unter dem Einfluss von Schmerzmitteln „im Tran“ unterschrieben. Rst später habe sie festgestellt, was sie gemacht habe. Der Widerruf sei gem. §§ 355 Abs. 1 und Abs. 2 BGB fristgerecht erfolgt.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hatten die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin wurde das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen.

Richtig sei allerdings, so das LAG, das der Vertrag nicht nichtig oder anfechtbar sei und auch ein Widerruf nicht in Betracht käme. Eine Nichtigkeit sei vom LAG zutreffend negiert worden, da die Behauptung der Klägerin zu einem Zustand vorrübergehender Störung ihrer Geistestätigkeit nach § 105 Abs. 2 2. Alt. BGB nicht hinreichend substantiiert gewesen sei. Aus diesem Grund käme auch eine Anfechtung nach §§ 119ff BGB nicht in Betracht.

Da formularmäßige Abreden zu Art und Umfang von Hauptleistungen und der dafür zu zahlenden Vergütung nicht der Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unterlägen, § 307 Abs. 3 S. 1 BGB, käme auch eine Angemessenheitskontrolle nicht in Betracht.

Ein Widerrufsrecht gem. § 355 iVm. 312g Abs. 1, 312b BGB scheide auch aus, da deren Anwendungsbereich gem. § 312 Abs. 1 BGB nicht gegeben sei. Damit könne der Aufhebungsvertrag nicht deshalb widerrufen werden, da er in der Wohnung der Klägerin schlossen worden sei. Zwar handele es sich um einen Verbrauchervertrag; die Auslegung des § 312 Abs. 1 BGB, systematischer Zusammenhang und gesetzgeberischer Wille ergäben allerdings, dass hier die Norm für die arbeitsrechtliche Beendigungsvereinbarung nicht den Anwendungsbereich des 2. Kapitels und damit der §§ 312n, 312g BGB eröffnen würden.

Nicht geprüft habe aber das Landesarbeitsgericht, ob der streitgegenständliche Vertrag unter Verstoß gegen das sogen. Gebot des fairen Verhandeln zustande gekommen sei und von daher unwirksam sei. Für den Verstoß seien Anhaltspunkte erkennbar; da die Feststellungen nicht für eine Entscheidung durch das BAG ausreichen würden, müsste das Landesarbeitsgericht nach Zurückverweisung dazu neu verhandeln du entscheiden.

Der Gefahr der Überrumplung des Arbeitnehmers bei Vertragsverhandlungen (da z.B. diese zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten stattfinden) könne mit dem Gebot fairen Verhandeln begegnet werden. Bei diesem Gebot handele es sich im Zusammenhang mit Verhandlungen zu einem arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag um eine durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründete Nebenpflicht iSv. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. § 241 Abs. 2 BGB, da es sich bei dem Aufhebungsvertrag um ein eigenständiges Rechtsgeschäfts handele. Die aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis stammenden Verpflichtungen zur wechselseitigen Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB würden auf die Verhandlungen bezüglich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausstrahlen. Das Gebot fairen Verhandelns schütze daher durch §§ 105, 119ff BGB erfasste Willensmängel unterhalb der dort  vorgegebenen Schwelle im Hinblick auf die Entscheidungsfreiheit bei Vertragsverhandlungen. Bei Vertragsverhandlungen seien regelmäßig widerstreitende Interessen wahrzunehmen, die nicht geleugnet werden müssten, sondern lediglich im Interesse der Gegenseite angemessen berücksichtigt werden. Dabei käme dem Arbeitgeber u.U. auch eine Aufklärungs- und Hinweispflicht zu (BAGE 161, 245; BAG, Urteil vom 15.12.2016 – 6 AZR 578/15 -). Danach verstößt derjenige gegen die Verpflichtungen aus § 241 Abs. 2 BGB, der eine Verhandlungssituation herbeiführe oder ausnutze, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstelle. Es ginge dabei nicht um die Schaffung einer für den Vertragspartner möglichst angenehmen Verhandlungssituation. Es müssten aber psychische Drucksituationen vermieden werden, und es dürften auch nicht körperliche oder psychische gebrechen wie auch Sprachunkenntnis ausgenutzt werden.

Der Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns sei in der Regel die Unwirksamkeit des darauf beruhenden Vertrages. Einer neuen (vertraglichen) Vereinbarung bedürfe es nicht.

Die Beweislast für den Verstoß gegen ein faires Verhandeln trage derjenige, der sich darauf berufe.

BAG, Urteil vom 07.02.2019 - 6 AZR 75/18 -