Dienstag, 9. März 2021

WEG: Ermessen bei Absehen von Rückbau unzulässiger baulicher Veränderung von Gemeinschaftseigentum

 

In 1977 wurde auf dem Gemeinschaftseigentum eine Garage errichtet und vor einigen Jahren eine Gartenhütte. Ein Antrag au Beseitigung dieser Bauwerke wurde in der Eigentümerversammlung vom 25.07.2018 mit Mehrheitsbeschluss zurückgewiesen. Der Kläger erhob Anfechtungsklage, die vom Amtsgericht als unbegründet abgewiesen wurde. Mit seiner Berufung verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Das Landgericht gab im berufungsverfahren der Klage statt.

Das Landgericht wies darauf hin, dass zwar im Rahmen seiner Beurteilung das jetzt geltende WEG-Recht einschlägig sei, sich hier aber materiell gegenüber dem bisherigen Recht keine anderweitige Beurteilung ergäbe. Entscheidend sei, ob der Beschluss ordnungsgemäßer Verwaltung entspräche (§ 21 Abs. 4 WEG a.F., § 19 Abs. 1 WEG n.F.), was nicht der Fall sei.

Eine Negativbeschluss könne nur erfolgreich angefochten werden, wenn nur eine positive Beschlussfassung ordnungsgemäßer Verwaltung entsprochen haben würde. Dies fordere vorliegend eine Ermessensreduzierung auf Null. Allerdings müsse  eine Anfechtungsklage gegen eine Negativbeschluss auch dann Erfolg haben, wenn zwar nicht notwendig eine Ermessensreduzierung auf Null vorläge, aber die Wohnungseigentümer ein ihnen zustehendes Ermessen nicht ausgeübt hätten, da auch in diesem Fall der Anfechtende in seinem Recht auf ordnungsgemäße  Verwaltung verletzt sei.

Da die Errichtung von Garage und Gartenhütte rechtwidrig erfolgt seien, entspräche der Rückbau in der Regel ordnungsgemäßer Verwaltung, da dies der Wiederherstellung des ordnungsgemäßen Zustandes entspräche. Allerdings könne ein Ansehen davon u.U. auch ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen, wobei den Wohnungseigentümern insoweit ein Ermessen zustehe. Das aber würde hier nach dem jetzigen WEG voraussetzen, dass die bauliche Veränderung nach § 20 Abs. 1 WEG n.F. genehmigt würde, womit dann auch Klarheit über Nutzung und Kosten geschaffen würde (§ 21 WEG n.F.).

§ 20 Abs. 1 WEG n.F. lautet:

„Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen), können beschlossen oder einem Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden.“

Der Negativbeschluss als solcher reicht allerdings nach dem Urteil des LG Frankfurt am Main für eine Ermessensausübung nicht aus. Vielmehr müssten sich die Wohnungseigentümer über ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechende Alternativen zum Rückbau bewusst gewesen sein und die bei einer Abwägungsentscheidung mit einbezogen haben. Nicht ausreichend seien theoretische denkbare Nutzungsalternativen (wie sie im berufungsverfahren mit Fahrradunterstand, Lagerraum pp. benannt seien. Die Abwägung hätte zum Zeitpunkt der Beschlussfassung stattfinden müssen und zudem alternativ zum Abriss entsprechende Nutzungen ermöglicht oder zumindest in die Wege geleitet werden müssen. Das sei nicht geschehen. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung seien Garage und Gartenhaus weder im Interesse der Gemeinschaft tatsächlich genutzt worden noch habe es Regeln zu deren Nutzung gegeben.

Es sei auch keine Verjährung eingetreten, da der Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung nicht verjähre (BGH, Urteil vom 27.04.2012 - V ZR 177/11 -).

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 14.01.2021 - 2-13 S 26/20 -

Aus den Gründen:

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Büdingen vom 20.01.2020, Az. 2 C 576/18 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der in der Versammlung vom 25.07.2018 gefasste Beschluss der Wohnungseigentümer zu Tagesordnungspunkt 7 wird für ungültig erklärt.

Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz sowie die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten und Berufungsbeklagten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien, Mitglieder der WEG …, liegen über einen abgelehnten Beschlussantrag im Streit. Mehrheitlich abgelehnt wurde in der Eigentümerversammlung vom 25.07.2018 der zu Tagesordnungspunkt 7 angebrachte Beschlussantrag, die auf dem Gemeinschaftseigentum 1977 errichtete Garage und die vor einigen Jahren als Anbau hierzu errichtete Gartenhütte zu beseitigen. Gegen den Negativbeschluss wendet sich die Klägerin mit der Anfechtungsklage.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Garage und die Anbauten seien zwar rechtswidrig errichtet worden. Dies allein zwinge nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung aber nicht zu einer Beseitigung. Vielmehr sei im Einzelfall zu prüfen, ob die jeweiligen Umstände für eine Beseitigung sprächen oder nicht. Hier entspräche es ordnungsmäßiger Verwaltung, Garage und Gartenhaus nicht zu beseitigen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Begehren weiter und ist der Ansicht, dass die Nutzung einer Einzelgarage denknotwendig nicht gemeinschaftlich möglich sei. Unstreitig ist unbekannt, wer derzeit einen Schlüssel zur Garage besitzt. Die Klägerin beruft sich zudem darauf, dass wegen der Garage unstreitig weniger Hoffläche zum Abstellen von Fahrzeugen vorhanden ist; das gemeinschaftliche Eigentum sei massiv eingeschränkt. Ohne die Garage könnte jeder Eigentümer sein Fahrzeug im Hof abstellen. Die Beklagten hätten das ihnen zustehende Ermessen nicht ausgeübt.

Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt unter Änderung des am 20.01.2020 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Büdingen, Az. 2 C 576/18,

1. den Beschluss aus der Eigentümerversammlung vom 25.07.2018 zu Tagesordnungspunkt 7) für ungültig zu erklären;

2. hilfsweise für den Fall, dass der Beschluss nichtig ist, festzustellen, dass der Beschluss aus der Eigentümerversammlung vom 25.07.2018 zu Tagesordnungspunkt 7) nichtig ist.

Die Beklagten und Berufungsbeklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil in der Auffassung, der angefochtene Beschluss entspreche ordnungsmäßiger Verwaltung. Sie verweisen darauf, dass die Garage durchaus gemeinschaftlich genutzt werden könnte, etwa zum Abstellen von Fahrrädern; auch könnte sie zur Generierung von Einnahmen für die Gemeinschaft vermietet werden. In der Gartenhütte könnten Gartengeräte gelagert werden.

II.

Die zulässige Berufung hat Erfolg.

Das Verfahren ist nach dem bisherigen Verfahrensrecht - gegen die übrigen Eigentümer - weiter zu führen (§ 48 Abs. 5 WEG), materiell ist der gefasste Beschluss im Grundsatz nach dem bei Beschlussfassung geltenden Recht zu beurteilen (Kammer, Urteil vom 17.12.2020 – 2-13 S 108/20; Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kap. 14 Rn. 223), wobei bezüglich der sich hier stellenden Fragen eine Rechtsänderung ohnehin nicht eingetreten ist. Der Beschluss entspricht nicht ordnungsmäßiger Verwaltung (§ 21 Abs. 4 WEG aF; § 19 Abs. 1 WEG nF).

Begehrt wird allein die Ungültigerklärung eines Negativbeschlusses. Eine derartige Anfechtungsklage hat in aller Regel nur dann Erfolg, wenn lediglich eine positive Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entsprochen hätte, also insoweit der Fall einer Ermessensreduzierung auf Null vorgelegen hat. Ebenso muss die Anfechtung eines Negativbeschlusses Erfolg haben, wenn die Wohnungseigentümer ein ihnen zustehendes Ermessen nicht ausgeübt haben. Denn der Anerkennung der Anfechtbarkeit von Negativbeschlüssen liegt der Gedanke zu Grunde, dass auch durch die Ablehnung der Wohnungseigentümer in seinem Recht auf ordnungsmäßige Verwaltung des Gemeinschaftseigentums verletzt sein kann (BGH, Urteil vom 15. 1. 2010 - V ZR 114/09 = ZWE 2010, 174). Ein Verstoß gegen das Recht auf ordnungsmäßige Verwaltung liegt auch bei Ermessensnichtgebrauch vor (LG München I Endurteil v. 22.4.2013 – 1 S 5114/12 WEG, BeckRS 2014, 2285 Rn. 5). Die Ablehnung des streitgegenständlichen Rückbaubeschlusses entsprach nicht ordnungsmäßiger Verwaltung.

Die Errichtung der Garage und der Gartenhütte erfolgte rechtswidrig. ...

Der Rückbau einer unzulässigen baulichen Veränderung entspricht im Regelfall ordnungsmäßiger Verwaltung, da er der Wiederherstellung des ordnungsmäßigen Zustandes entspricht (BeckOK WEG/Elzer, 42. Ed. 1.8.2020, WEG § 22 Rn. 291; BeckOGK/Karkmann, 1.3.2020, WEG § 22 Rn. 152.1; Bärmann/Merle, 14. Aufl. 2018, WEG § 22 Rn. 330). Allerdings gilt dies nicht unbedingt; es kann je nach den Umständen des Einzelfalls (auch) ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, hiervon abzusehen (BGH, Urt. v. 5.7.2019 – V ZR 149/18 = NZM 2019, 788 Rn. 17). Insoweit haben die Wohnungseigentümer einen Ermessensspielraum. Im Einzelfall kann es auch ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, von einem Rückbau abzusehen (dazu jüngst LG München I ZWE 2021, 42), wobei dies unter Geltung des reformierten Wohnungseigentumsgesetzes wohl voraussetzt, dass die bauliche Veränderung nach § 20 Abs. 1 WEG nF genehmigt wird, womit sodann auch Klarheit über Nutzungen und Kosten (§ 21 WEG nF) herrscht.

Eine Entscheidung gegen den grundsätzlich vorgesehenen Rückbau setzt allerdings voraus, dass die Wohnungseigentümer ihr Ermessen auch ausüben, sich also ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechende Alternativen zum Rückbau bewusst machen und diese in eine Abwägungsentscheidung miteinbeziehen. Dies ist hier nicht geschehen. Dabei ist nicht ausreichend, dass theoretisch denkbare Nutzungsalternativen bestehen, wie dies erstmals im Berufungsrechtszug bezüglich einer denkbaren Nutzung als Fahrradunterstand, als Lagerraum oder als Einnahmequelle durch Vermietung vorgetragenen wurde. Erforderlich wäre zumindest, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung (Kammer WuM 2020, 382) die Wohnungseigentümer diese Nutzungen abgewogen haben und alternativ zum Abriss entsprechende Nutzungen ermöglichen oder zumindest in die Wege leiten.

Dies ist hier nicht geschehen. Vielmehr haben die Wohnungseigentümer ohne Abwägung entschieden, den bestehenden der Rechtslage widersprechenden Zustand beizubehalten. Dies entsprach hier jedenfalls nicht ordnungsmäßiger Verwaltung. Denn zum entscheidenden Zeitpunkt der Beschlussfassung wurden Garage und Gartenhütte weder im Interesse der Gemeinschaft tatsächlich genutzt noch gab es Regeln zu deren Nutzung. Die Garage war mangels Schlüssels nicht zugänglich, die Gartenhütte wurde offenbar vor Jahren lediglich als Lager für einen keinem Wohnungseigentümer zuzuordnenden Rasenmäher genutzt. Bei dieser Sachlage konnte der Antrag auf Rückbau der unzulässigen baulichen Veränderung nicht abgelehnt werden, wenn nicht andere schwerwiegende Gründe dem entgegenstanden. Dass der Rückbau aus wirtschaftlichen oder tatsächlichen Gründen (dazu LG München I ZWE 2021, 42) nicht möglich war, ist weder dargetan noch ersichtlich.

Anders als das Amtsgericht meint, ist auch keine Verwirkung anzunehmen. Der Anspruch auf ordnungsmäßige Verwaltung verjährt nicht (BGH ZWE 2012, 325). Zwar kann in Ausnahmefällen seiner Geltendmachung Treu und Glauben entgegenstehen (Bärmann/Merle WEG § 21 Rn. 69 mwN), dies ist hier aber nicht alleine im Hinblick auf das Zeitmoment gegeben, zumal die Klägerin nicht schon bei Errichtung der Bauten Eigentümerin war, sondern dieses erst im Jahre 2012 erwarb. Ob der Zeitraum bis zur Klageerhebung im Jahre 2018 für das Zeitmoment der Verwirkung genügen würde, kann dahinstehen, denn es ist schon nicht ersichtlich, dass die Beklagten schützenswerte Dispositionen im Vertrauen auf den Bestand von Garage und Gartenhütte getroffen hätten; es fehlt daher bereits am Umstandsmoment. Aus den tatsächlichen Gegebenheiten, dass beide ungenutzt sind und nicht feststellbar ist, wer Zugang zu der Garage hat, folgt eher das Gegenteil.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen