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Samstag, 6. Februar 2021

Obligatorische Angabe „Herr“ oder „Frau“ im Internetbestellformular rechtfertigt Unterlassungsbegehren

 

Die Entscheidung ist schon deshalb interessant, da nicht von dem Kläger oder der Klägerin und auch nicht von der Beklagten oder dem Beklagten gesprochen wird, sondern von der beklagten Person bzw. der klagenden Person. Die geschlechtsneutrale Formulierung hängt mit dem Sachverhalt und dem Begehren der „klagenden Person“ zusammen. Diese wollte via Internet bei der Beklagten Person etwas kaufen und musste dort bei dem Bestellvorgang expressis verbis zwischen den Anredeformen „Herr“ und „Frau“ wählen. Gleiches war der Fall bei der Registrierung; ohne die entsprechende Angabe wurde weder der Bestellvorgang noch die Registrierung fortgesetzt. Daraufhin begehrte sich zum Einen Unterlassung und zum Anderen eine Geldentschädigung in Höhe von € 5.000,00. Während der Anspruch auf Geldentschädigung abgewiesen wurde, war der Unterlassungsantrag erfolgreich.

Das Landgericht (LG) negierte einen Verstoß gegen § 21 AGG (Benachteiligung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes [AGG]). Eine Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1, 2 AGG liege wegen eines fehlenden Bezuges zur vertraglichen Leistung nicht vor. Von daher scheide auch eine Geldentschädigung auf der Grundlage von § 21 Abs. 2 S. 2 AGG aus.

Der Unterlassungsanspruch sei aber nach § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB begründet. Zu den geschützten Rechtspositionen würde nach § 823 Abs. 1 BGB auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gehören. Dieses würde auch die geschlechtliche Identität umfassen (BVerfG, Beschluss vom 10.10.2017 - 1 BvR 2019/17 -). Die Anreden „Herr“ und „Frau“ würden jeweils dem männlichen bzw. weiblichen Geschlecht zugeschrieben. Wenn wie hier die klagende Person gezwungen würde, eine dieser Anreden zu wählen, was aber nicht der Identität der klagenden Person entspräche. Die beklagte Person habe darauf auch keinen Anspruch, da dies für die von ihr zu erbringenden Dienstleistungen (wie sie selbst einräumte) völlig irrelevant sei. Eine individuelle Entscheidung eines Menschen zu seiner Geschlechtsidentität sei zu respektieren (BVerfG, Beschluss vom 15.08.1996 - 2 BvR 1833/95 -). Die Geschlechtsidentität würde auch über die Anrede zum Ausdruck kommen. Wenn eine Änderung des Namens nach dem Transsexuellengesetz bereits geändert wurde, sei dies zu berücksichtigen. Allerdings ei dies nicht nur auf diesen Fall begrenzt. Die Anrede sei nach dem Selbstverständnis der betroffenen Person zu ihrer selbstempfundenen Geschlechtszugehörigkeit auszurichten. Die Entscheidung des BGH vom13.03.2018 - VI ZR 143/17 - würde dem nicht entgegenstehen, da sich dort der BGH auf Vordrucke und Formulare beschränkte und festhielt, dass kein Anspruch bestünde, dort mit den generischen Maskulinum angesprochen zu werden; hier würde es um die Anrede einer bestimmten Person in konkret an diese gerichtete Erklärungen gehen. Der Umstand, dass es noch keine Anredeform für Personen aus dem heterogenen Kreis der Personen nicht nicht-binärer Geschlechtsidentität gäbe, sei nicht entscheidend.

Allerdings würde sich aus § 823 BGB kein Anspruch auf Entschädigung ableiten lassen. Eine Geldentschädigung könne nur verlangt werden, wenn die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen schwerwiegenden Eingriff bedeuten würde und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden könne. Auch wenn hier bei der Rechnung die Anrede „Herr“ erfolgte, sei zu berücksichtigen, dass dieses Schreiben nur an die klagende Person gerichtet worden sei und der beklagten Person keine Böswilligkeit zur Last gelegt werden könne.

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 03.12.2020 - 2-13 O 131/20 -

Donnerstag, 4. Mai 2017

Rechtsbehelfsfrist: Zur Wirksamkeit der Unterschrift bei Abweichung derselben von der maschinenschriftlichen Angabe

Es kann leicht passieren. Der sachbearbeitende Anwalt gibt seiner Mitarbeiterin an, gegen ein bestimmtes Urteil für den Mandanten Berufung einzulegen. Die Mitarbeiterin fertigt die Berufungsschrift und setzt unter die vorgesehene Unterschriftszeile des Namen des sachbearbeitenden Anwalts. Ein anderer Anwalt unterschreibt (ohne Vertretungszusatz). 

In einem entsprechenden Fall hat OLG Stuttgart darauf hingewiesen, dass es die Verwerfung der Berufung als unzulässig beabsichtige. Der Berufungsführer stellte mit der Begründung einen Wiedereinsetzungsantrag, es sei seit jeher usus der Partnerschaftsgesellschaft der Anwälte, dass ein anderes Mitglied der Kanzlei bestimmende Schriftsätze unterschreibe, als derjenige, der maschinenschriftlich aufgenommen wurde, ohne dass dies bisher jemals beanstandet worden wäre. Das half nichts. Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig. Zwar ergäbe sich die Unwirksamkeit der Berufung nicht daraus, dass die Namensunterschrift nicht lesbar sei, da es sich doch noch um eine hinreichend individualisierende Unterschriftsleistung handele, die auch dem unterzeichnenden Anwalt zugeordnet werden könne. Allerdings sei der maschinenschriftliche Zusatz des Namens eines anderen Anwalts aufgenommen worden, ohne zu verdeutlichen, dass der unterzeichnende Anwalt für diesen in Vertretung handele. Damit, so das OLG, sei der unbedingte Wille der unterzeichnenden Anwalts, die Verantwortung für den Inhalt zu übernehmen, nicht deutlich gemacht worden. Für das Gericht müssen gewährleistet sein, dass eine nicht lesbare Unterschrift durch einen maschinenschriftlichen Zusatz identifizierbar würde, was hier nicht der Fall sei. Da ein Verschulden vorläge, käme auch eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht.

Die gegen den Verwerfungsbeschluss erhobene Rechtsbeschwerde zum BGH war erfolgreich.

Die eigenhändige Unterschrift des zugelassenen Anwalts unter die Berufungsschrift sei Wirksamkeitsvoraussetzung für die rechtzeitige Berufung, §§ 519 Abs. 4, 130 Nr. 6 ZPO. Das Berufungsgericht habe richtig angenommen, dass die Unterschrift auf Berufungs- und Berufungsbegründung den  Anforderungen an eine Unterschrift entsprochen habe, da sie zwar unleserlich war, aber ersichtlich keine Paraphe oder Abkürzung.   Rechtsfehlerfrei habe das OLG die Unterschrift auch einem bestimmten postulationsfähigen Anwalt zugeordnet; zwar wurde erst später (nach dem Hinweis des OLG) erklärt, wer die Unterschrift geleistet habe, doch sei eine Identitätsfeststellung noch ausreichend und rechtzeitig, wenn diese zum Zeitpunkt über die Entscheidung über die Zulässigkeit feststünde.

Die Formwirksamkeit der Unterschrift scheitere entgegen der Auffassung des OLG nicht daran, dass unterhalb der Unterschrift maschinenschriftlich der Name eines anderen Anwalts aufgenommen wurde.  Der maschinenschriftliche Zusatz verdeutliche, dass der Schriftsatz von diesem Anwalt und nicht vom Unterzeichner stamme. Auch wenn bei der Unterschrift ein Zusatz fehle „für“ diesen zu unterschrieben, ließe sich doch erkennen, dass der Unterzeichner an dessen Stelle die Unterschrift leiste und damit als weiterer Hauptbevollmächtigter oder zumindest Unterbevollmächtigter in Wahrnehmung des Mandats auftreten wolle. Damit habe er auch die Verantwortung für den Inhalt übernommen, da sich dies für einen Anwalt im Zweifel von selbst verstehe; er sei nicht als Erklärungsbote tätig geworden. Über den Wiedereinsetzungsantrag habe danach nicht mehr entschieden werden müssen, da die Berufung formgerecht eingelegt wurde.


BGH, Beschluss vom 29.03.2017  - XII ZB 567/16 -

Sonntag, 11. September 2016

Mieters Vorkaufsrecht bei Realteilung, § 577 BGB

§ 577 BGB regelt das Vorkaufsrecht des Mieters im Falle des Verkaufs einer Eigentumswohnung für den Fall, dass nach Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet wird und es sich um den ersten Verkauf dieser Wohnung handelt.

Die Klägerin war Mieterin eines Hauses in einer Siedlung ehemaliger Zolldienstwohnungen. Die Eigentümerin (Beklagte) veräußerte mit einem Kaufvertrag vom 14.12.2012 das Gesamtgrundstück, auf dem mehrere Häuser, u.a. das von der Klägerin gemietete Haus standen, an fünf Ehepaare dergestalt, dass das Gesamtgrundstück und die Grundstücksteilflächen als Kaufgegenstand bezeichnet wurden und in einem gesonderten Paragraphen geregelt wurde, dass in einem dem Vertrag beigefügten Lageplan noch nicht vermessene farblich markierte Teilflächen bestimmten Käufern zuzuordnen sind, im übrigen eine Gemeinschaftsfläche bilden. Zum Zwecke der Berechnung der Grunderwerbsteuer stellten die Käufer in einem weiteren gesonderten Paragraphen klar, dass der Gesamtpreis einschließlich Kosten in einem bestimmten Anteil von ihnen bezahlt wurde. Weiterhin wurde in dem Vertrag die Auflassung erklärt, und zwar dergestalt, dass das Eigentum in einem bestimmten Anteil an die jeweiligen Käufer (Eheleute) übergehen sollte. In einer weiteren Urkunde vereinbarten die Käufer die Miteigentumsrechte an den Gemeinshaftsflächen und führten in dessen Vorbemerkung aus, sie hätten das Grundstück zu „Eigentum in Teilflächen“ erworben.

Die Klägerin berief sich auf § 577 BGB und machte einen Anspruch auf Auflassung an sich geltend. Das Amtsgericht gab der Klage statt, das Landgericht wies die Klage ab. Auf die zugelassene Revision hin stellte der BGH die amtsgerichtliche Entscheidung wieder her.

Der BGH hatte bereits in früheren Entscheidungen entschieden, das § 577 BGB nicht nur auf in Wohnungseigentum umzuwandelnde Objekte anwendbar wäre, sondern wegen der vergleichbaren Interessensklage auch auf die Realteilung unterschiedlich Grundstücke anwendbar sei (Urteile vom 28.05.2016 – VIII ZR 126/07 – und 23.06.2010 – VIII ZR 325/09 -). Vorliegend wird vom BGH klargestellt, dass die Grundsätze zur Umwandlung in künftiges Wohnungseigentum auch dann beachtlich sind, wenn zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages die Teilung noch nicht vollzogen ist. Allerdings muss sich aus dem Vertrag eine Verpflichtung des Verkäufers (wie hier) ergeben und die jeweiligen Flächen müssen sich aus dem Vertrag auch ermitteln lassen, wobei es nicht darauf ankommen könne, dass eine vollständige Übereinstimmung gegeben ist.

Da danach entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht das Gesamtgrundstück an die Käufer verkauft werden sollte, sondern nach dem objektiven Vertragswortlaut elf Einzelgrundstücke gebildet werden sollten und nur zwei Grundstücke im Interesse eines gemeinschaftlichen Zusammenlebens gemeinsam genutzt werden sollten, läge bereits mit dem Kaufvertrag die Verpflichtung des Beklagten zur Teilung des Grundstücks vor, aus dem er dann einzelne Grundstücke und Miteigentumsanteile an den gemeinschaftlichen Flächen veräußert. Der streitgegenständlich wesentliche Vekaufsgegenstand, das von der Klägerin angemietet Haus, wäre mit dem entsprechenden Grundstücksteil identisch; dass eine weitere Mietteilfläche nicht vom Kaufgegenstand umfasst ist (es handelt sich hier um die für die Gemeinschaft vorgesehene Fläche), sei unschädlich. Dies ergäbe sich aus §§ 577 Abs. 1 S. 3,  467 S. 1 BGB.

Auch wenn danach die benannte Teilfläche nicht dem Vorkaufsrecht nach § 467 BGB unterfallen würde, habe der Kläger gleichwohl einen Anspruch. Hier würden zugunsten des Klägers §§ 577 Abs. 1 S. 3, 467 S. 2 BGB analog greifen (zur Analogie BGH vom 10.10.1969 – V ZR 155/66 -). Denn die Beklagte habe von der ihr als Vorkaufsverpflichteter von dem ihm eingeräumten Recht Gebrauch gemacht, den Vorkauf auf alle Teilflächen zu erstrecken, die nicht ohne Nachteile für sie getrennt werden können. Dieses sei von der Klägerin aufgegriffen worden.


BGH, Urteil vom 27.04.2016 – VIII ZR 61/15 -

Sonntag, 5. Juli 2015

Grundbucheinsichtsrecht für Bauhandwerkersicherungshypothek

Immer wieder bereitet die Bauhandwerkersicherungshypothek nach § 648 BGB Schwierigkeiten. Dabei geht es häufig um die Frage der rechtlichen Identität zwischen Auftraggeber und Eigentümer (BGH, Urteil vom 22.10.1987 – VII ZR 12/87 -).  Da der Werkunternehmer im Regelfall die tatsächlichen rechtlichen Verhältnisse an dem Grundstück nicht kennt, muss er sich also vor Beantragung einer Bauhandwerkersicherungshypothek kundig machen, um nicht eventuell kostenpflichtig mit seinem Antrag auf Wahrung der Sicherung wegen fehlender Identität abgewiesen zu werden. In einem entsprechenden Fall hat allerdings der Rechtspfleger des AG Miesbach den Antrag des Bauhandwerkers, der einen vollständigen, auch die Belastungen am Grundstück ausweisenden beglaubigten Grundbuchauszug beantragte, abgewiesen. Er erteilte lediglich einen Auszug, der das Bestandsverzeichnis und Abt. I umfasste und aus dem ersichtlich war, dass mit Auflassung vom 22.10.2013 (gewahrt am 21.01.2014) Eigentümerin nun eine R KG ist, während zuvor Frau R Eigentümerin war. Die Kopie der Auflassung als auch eine Gesellschaftsvertrages überließ der Rechtspfleger nicht.


Das OLG München hat auf die sofortige Beschwerde des Bauhandwerkers den Beschluss des Amtsgerichts (Rechtspflegers) aufgehoben. Das OLG hebt hervor, dass das Einsichtsrecht in das Grundbuch ein rechtliches Interesse voraussetze, welches darzulegen sei, wobei das Einsichtsrecht sowohl die Urkunden als auch die Grundakte umfasse. Dieses Recht wäre bei einem Gläubiger, der eine Sicherungshypothek nach § 648 BGB begehren könne, zu bejahen.


Allerdings wäre Voraussetzung für die Sicherungshypothek die rechtliche, nicht alleine die eventuelle wirtschaftliche Identität. Nach dem Bauvertrag wären Auftraggeber die Eheleute R gewesen; Eigentümer wäre aber seit dem 21.01.2014 die R KG. Allerdings gäbe es auch Ausnahmen von der Notwendigkeit der rechtlichen Identität. Eine solche Ausnahme habe der BGH (aaO.) im Hinblick auf den Missbrauch der Berufung auf die fehlende rechtliche Identität dann angenommen, wenn sich der Eigentümer selbst wie der Besteller (Auftraggeber) behandeln lassen müsse, § 242 BGB. Die Entscheidung, ob ein solcher Fall hier vorliegt, wäre allerdings nicht im Rahmen des vorliegenden Gesuchs (und der Beschwerde) zu prüfen, sondern obläge dem Bauhandwerker und seinem Anwalt, eventuell einem später in der Sache selbst erkennenden Gericht. Vorliegend wäre lediglich entscheidend ein dargelegtes berechtigtes Interesse, welches nicht glaubhaft zu machen ist. Da die Bauleistungen des beantragenden Bauhandwerkers sowohl vor als auch nach der Eigentumsübertragung lägen, würde ersichtlich der Bauhandwerker von einer wirtschaftlichen Identität ausgehen, die hier eine Haftung des Eigentümers (ausnahmsweise) begründet, weshalb auch seinem Ersuchen statt zugeben sei. 

OLG München, Beschluss vom 09.02.2015 - 34 Wx 43/15 -