Freitag, 2. September 2022

Nachtragsliquidation nach Löschung der GmbH: Eintragung des Liquidators im Handelsregister

Die GmbH wurde 2006 gem. § 141a FGG wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht. In 2019 bestellte das Amtsgericht K. gem. § 66 Abs. 5 S. 2 GmbHG zum Liquidator mit dem Wirkungskreis des Nachtragsliquidators zur Vertretung der Gesellschaft hinsichtlich deren Eigentum an im Grundbuch verzeichneten Teileigentum. Im Hai 2021 beantragte K. seine Eintragung als Nachtragsliquidator im Handelsregister mit Hinweis darauf, dass das Grundbuch für Eintragungen ein Hindernis daran sähe, dass seine Vertretungsberechtigung nicht nach § 32 GBO nachgewiesen sei. Der Antrags wurde zurückgewiesen, ebenso die dagegen erhobene Beschwerde. Die zugelassene Rechtsbeschwerde führte aber zum Erfolg in der Sache.

In Literatur und Schrifttum sei umstritten, ob bei einer wegen Vermögenslosigkeit gelöschten Gesellschaft Liquidatoren ins Handelsregister eingetragen werden müssten. Hierzu vertrat der BGH die Ansicht, dass auch bei einer gelöschten GmbH nach § 67 Abs. 4 GmbHG die Liquidatoren von Amts wegen einzutragen seien, wenn sie vom Gericht ernannt worden seien und sich nach der Löschung herausstelle, dass Vermögen vorhanden sei, welches der Verteilung unterliege (§ 66 Abs. 5 GmbHG). § 67 Abs. 4 GmbHG erfasse auch die nach § 66 Abs. 5 GmbHG ernannten Liquidatoren und das Gesetz biete auch keine Anhaltspunkte für eine einschränkende Auslegung. Der BGH wies aber auch darauf hin, dass es auch um die Publizierung des Liquidators gehen würde; schweige das Handelsregister, würde sich vielfach ein Gläubiger nicht veranlasst sehen ihre Forderungen geltend zu machen, die im Rahmen der Nachtragsliquidation befriedigt werden könnten.

Gegen die Eintragung könnten nur verfahrensökonomische Gründe sprechen. Vorliegend handele es sich um fünf Teileigentumsrechten mit einem Wert von 700.000,00 bis 750.000.000 Euro.  Es könne bei diesem Vermögen nicht die Rede davon sein, dass nur noch einzelne, schnell zu erledigende Abwicklungsmaßnahmen notwendig seien, die verfahrensökonomisch der Eintragung entgegenstehen könnten. Es würden gem. § 66 Abs. 5 GmbHG die §§ 68ff GmbHG grundsätzlich Anwendung finden, wonach der Liquidator zur Rechnungslegung (§ 71 Abs. 1, § 74 Abs. 1 S. 1 GmbHG) und zur Umsetzung der Teileigentumsrechte in Geld (§ 70 Abs. 1 GmbHG) verpflichtet sei. Er dürfe dazu auch neue Geschäfte eingehen (z.B. Beauftragung von Renovierungsarbeiten, Bestellung von Grundpfandrechten zur Kaufpreisfinanzierung). Die erforderliche Vertretungsmacht könne der Liquidator gegenüber dem Grundbuchamt nach § 32 GBO durch den Handelsregistereintrag nachweisem. Da ihm § 32 GBO die Möglichkeit zu dem entsprechenden Nachweis eröffne, käme es nicht darauf an, ob er (wie das Beschwerdegericht meinte) seine Vertretungsberechtigung auch durch eine Ausfertigung des Bestellungsbeschlusses nachweisen könne.

Auch käme es nicht darauf an, dass die Eintragung eine überschießende Vertretungsmacht gegenüber dem Bestellungsbeschluss darstellen könne. Denn die Eintragung nach § 67 Abs. 4 GmbHG habe nur deklaratorische Wirkung und seine Befugnis ergäbe sich aus dem Gesetz, wonach seine Vertretungsbefugnis nach § 71 Abs. 4, § 37 Abs. 2 GmbHG grundsätzlich unbeschränkt und unbeschränkbar sei.  

BGH, Beschluss vom 26.07.2022 - II ZB 20/21 -

Dienstag, 30. August 2022

WEG: Kann das Abstellen von E-Autos in Tiefgarage untersagt werden ?

Der Mieter in der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft hatte ein Hybrid-Fahrzeug und von der klagenden Sondereigentümerin einen Tiefgaragenabstellplatz angemietet, an dem dieser ein Sondernutzungsrecht hatte.  In einer Eigentümerversammlung beschloss diese mehrheitlich, dass das Abstellen von Elektrofahrzeugen in der Tiefgarage bis auf weiteres untersagt wird. Die WEG verteidigte den Beschluss u.a. mit Hinweis darauf, dass sich die Lithium-Ionen-Batterien, mit denen E-Fahrzeuge betrieben würden, entzünden und im Brandfall der Brandverlauf länger als bei einem Benzinbrand sei und im Gegensatz zu diesem nicht mit Löschschaum gelöscht werden könne und ein Hineinfahren mit einem Container, wie dies für den Vorgang bei E-Fahrzeugen (zum Zwecke des Ausbrennens) erforderlich sei, hier nicht möglich sei.  Die Klage gegen diesen Beschluss war erfolgreich.

Soweit die Klägerin die Auffassung vertrat, der Beschluss sei schon wegen mangelnder Beschlusskompetenz nichtig, folgte dem das Amtsgericht nicht. Es handele sich um eine Nutzungsregelung. Nach § 19 Abs. 1 WEG habe die Eigentümerversammlung die Beschlusskompetenz für Nutzungsregelungen des Sonder- und Gemeinschaftseigentums. Zwar sei ein solcher Beschluss nichtig, wenn er das Sondernutzungsrecht aushöhlen würde, doch sei dies hier nicht der Fall, da nur das Abstellen bestimmter Fahrzeuge untersagt worden sei.

Allerdings verstoße der Beschluss gegen die ordnungsgemäße Verwaltung iSv. § 18 Abs. 2 WEG. Nach § 20 Abs. 2 Nr. 2 WEG bestünde ein individueller Rechtsanspruch von jedem Wohnungseigentümer auf Gestattung von Maßnahmen, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen würden. Dieser individuelle Anspruch sei nicht abdingbar und würde durch den Beschluss ins Leere laufen, da zwar der Wohnungseigentümer die Ermöglichung der Installation einer Ladestation erzwingen könne, diese aber nicht nutzen könnte. Selbst wenn man hier eine besondere Brandgefahr durch E-Fahrzeuge bejahen würde, entspräche die Untersagung des Abstellens von E-Fahrzeugen damit nicht ordnungsgemäßer Verwaltung.

Anmerkung: Dieser Rechtsansicht des Amtsgerichts kann nicht zugestimmt werden. Zutreffend, dass zur ordnungsgemäßen Verwaltung notwendig auch die Verwirklichung des gesetzgeberischen Ziels in § 20 Abs. 2 Nr. 2 WEG gehört. Dass durch E-Fahrzeuge eine besondere Brandgefahr ausgeht, ist bekannt, wie auch, dass ein Löschen wie bei herkömmlichen Vergaserfahrzeugen nicht möglich ist. Der Umstand, dass die Tiefgaragen nicht den Anforderungen an diese besondere Gefahr entsprechen, ist nicht explizit im Rahmen des § 20 Abs. 2 Nr. 2 WEG berücksichtigt. Allerdings wird nicht zum Ausdruck gebracht, dass die Lademöglichkeit notwendig in der Tiefgarage gegeben sein muss. Könnte die WEG einen anderen Bereich - alleine zum Laden der Batterien - zur Verfügung stellen, könnte der Anspruch auf eine Ladestation in der Tiefgarage wohl jedenfalls dann versagt werden, wenn zum Laden (wenn auch nicht zum dauerhaften Abstellen) ein anderer Platz zur Verfügung gestellt wird. Für den Fall, dass nur die Tiefgarage bleibt, um eine Ladestation zu installieren, wird man dem Amtsgericht zustimmen müssen. Dies aber hätte wohl zur Konsequenz, dass die WEG das Brandschutzkonzept überprüfen müsste und ggf. durch bauliche Maßnahmen zum Brandschutz ergreift. § 20 Abs. 2 Nr. 2 WEG begründet keinen Rechtsanspruch darauf, dass die Ladestation am Abstellplatz des Fahrzeuges errichtet werden müsset, sondern stellt auch im Rahmen der Entscheidung auf eine ordnungsgemäße Verwaltung ab.

AG Wiesbaden, Urteil vom 04.02.2022 - 92 C 2541/21 -

Samstag, 27. August 2022

Zum Substantiierungserfordernis bei Zeugenbenennung

Die Klägerin war im Empfang des von der Beklagten betriebenen Krankenhauses tätig. Im Januar teilte die Beklagte ihr mit, sie wolle sie im Früh- und Spätdienst eisnetzen. Unter Hinweis auf den Grad der Behinderung von 50 begehrte von der Beklagten als Arbeitgeberin, aus gesundheitlichen Gründen nur im Frühdienst eingesetzt zu werden; sie sei nicht in der Lage im Spätdienst bzw. im Wechsel im Früh- wie auch im Spätdienst tätig zu werden und verwies dazu auf Stellungnahmen ihrer behandelnden Ärzte. Eine entsprechende gesundheitliche Beeinträchtigung bestritt die Beklagte unter Verweis auf die Einschätzung ihrer Betriebsärztin. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Die Berufung der beklagten wurde zurückgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht (BAG) der Beklagten wurde das Berufungsurteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde machte die Beklagte die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) geltend, da das LAG  von der Vernehmung der von ihr als sachverständigen Zeugin benannten Betriebsärztin abgesehen habe.

Das BAG verwies auf die Rechtsprechung des BGH (Urteile vom 14.01.2020 - VI ZR 97/19 - und vom 15.10.2019 - VI ZR 377/18 -), demzufolge ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vorläge, wenn das Gericht die an eine hinreichende Substantiierung zu stellenden Anforderungen überspanne und deshalb den Beweis nicht erhebe. § 373 ZPO würde von der Partei, die die Zeugeneinvernahme beantrage, verlangen, den Zeugen zu benennen und die Tatsachen zu bezeichnen, über die der Zeuge vernommen werden soll. Es verlange von der Partei nicht sich dazu zu äußern, welche Anhaltspunkte sie für die Richtigkeit der in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptung habe. Die Substantiierungspflicht eines Sachvortrags hänge vom Kenntnisstand der Partei ab (BGH, Urteil vom 14.01.2020, aaO.). Die Partei sei nicht verpflichtet, Ermittlungen von ihr unbekannten Umständen (oder solchen Umständen, die ihr unbekannt sein könnten) vorzunehmen.

Das LAF sei, ohne die Zeugin zu vernehmen, davon ausgegangen, dass die Zeugin nur Schlussfolgerungen tätigen könne, die für die Überzeugungsfindung des Gerichts nicht erheblich seien, da die Beklagte nicht mitgeteilt habe, auf welchen Tatsachen die Schlussfolgerungen beruhen würden. Darin läge der Gehörsverstoß, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass das LAG nach deren Vernehmung zu der Überzeugung (§ 286 ZPO) gelangt wäre, dass der Einsatz der Klägerin im Spätdienst bzw. im Wechsel zwischen Früh- und Spätdienst möglich ist.

Das BAG wies ergänzend darauf hin, dass die Klägerin die Betriebsärztin von ihr Schweigepflicht befreien müsse, du für den Fall, dass sie dies unterlässt, dieser Umstand im Rahmen der Beweiswürdigung durch das LAG im Rahmen des § 286 ZPO berücksichtigt werden müsse.

Anmerkung: Nach dem Inhalt des Beschlusses des BAG bezog sich die Klägerin lediglich auf schriftliche Gutachten behandelnder Ärzte, die Beklagte auf das Zeugnis des Betriebsarztes. Bei allen Ärzten handelte es sich um sachverständige Zeugen, wobei die schriftlichen Angaben der die Klägerin behandelnden Ärzte allenfalls als Privaturkunden im Verfahren verwertet werden können (§ 416 ZPO). Die unterschriebene Privaturkunde bezeugt aber grundsätzlich nur, dass sie von dem unterschreibenden Aussteller stammt, nicht deren inhaltliche Richtigkeit (anders öffentliche Urkunden, § 418 ZPO). Ein sachverständiger Zeuge ist auch nur Zeuge, nicht Sachverständiger gem. §§ 402 ff ZPO. Der sachverständige Zeuge ist nicht berufen, Schlussfolgerungen zu ziehen, sondern kann aufgrund seines Sachverstandes nur die Grundlagen klären, die dann letztlich von einem Sachverständigen zu würdigen wären. Mithin könnte nach der Beweiserhebung durch die als Zeugin benannte Betriebsärztin lediglich geklärt werden, welche gesundheitlichen Einschränkungen es bei der Klägerin gibt, dürfte aber nicht geklärt werden, ob dies auch einem Spät- oder Wechseldienst entgegensteht. Dies wäre letztlich durch ein Sachverständigengutachten zu klären. Bestreitet zudem die Beklagte die Richtigkeit der Feststellungen und die Richtigkeit der Schlussfolgerungen in den von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen, wäre die Klägerin auch hier beweisbelastet für die Richtigkeit, wobei auch insoweit wiederum für die Schlussfolgerung an sich ein Sachverständigengutachten erforderlich wäre.

BAG, Beschluss vom 06.04.2022 -5 AZN 700/21 -

Freitag, 26. August 2022

(Un-) Selbständiger Stellplatzmietvertrag neben Wohnraummietvertrag

Die Klägerin zu 1. mietete zunächst eine Wohnung vom Rechtvorgänger des Beklagten an. In dem Mietvertrag befand sich auch eine Regelung, wonach dem Mieter die jederzeit widerrufliche Nutzung eines PKW-Stellplatzes auf dem Grundstück. Dieses Recht wurde durch den Beklagten widerrufen, der einen Stellplatz an die Kläger gegen einen Mietzins von € 23,00. Die Beklagte kündigte 2019 unter Beachtung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist den Stellplatzmietvertrag. Die Kläger begehrten die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und Fortbestand des Stellplatzmietvertrages.  Die Klage wurde ab- und die dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen. Die vom Landgericht zugelassene Revision bot dem BGH noch einmal die Möglichkeit, seine Rechtsprechungsgrundsätze zu diesem Komplex  darzulegen.

Beide Verträge würden sich als AGB-verträge darstellen, also als Verträge, die vorformuliert sind für eine Vielzahl von Fällen, § 305 Abs. 1 S. 1 BGB. Bei der Auslegung der Klausel eines solchen Vertrages sei der gesamte Inhalt des Formularvertrages zu berücksichtigen und dürfe eine Klausel nicht aus ihrem Zusammenhang gerissen werden. Entgegen der Annahme des Landgerichts würde es sich hier aber nicht um eine Klauselinterpretation handeln. Vielmehr würde es darum gehen, ob der Stellplatzmietvertrag aus 2005 mit zu dem regelungskomplex des Wohnraummietvertrages aus 1988 zähle, es sich also bei den beiden Verträgen in Wirklichkeit um einen Vertrag handele.

[Anmerkung: Wird die Regelung zum Stellplatz nebst gesondertem Mietzins für diesen in einem Wohnraummietvertrag mitgeregelt, ist - auch bei abweichender Bestimmung in dem Wohnraummietvertrag, der Stellplatzmietvertrag nur zusammen mit der Wohnung kündbar und sind die Kündigungsschutzvorschriften des Wohnraumrechts zu berücksichtigen].

Der BGH verwies auf seine dezidierte Rechtsprechung zu der streitentscheidenden Frage, ob ein einheitlicher vertrag vorliegt.

Würden der schriftliche Wohnraummietvertrag und der schriftliche Stellplatz-/Garagenmietvertrag in separaten Mietverträgen abgeschlossen, spräche eine tatsächliche Vermutung für die rechtliche Selbständigkeit der Vereinbarungen. In diesem Fall müsste derjenige, der sich gegen die rechtliche Selbständigkeit wendet die Vermutung durch Darlegung (und evtl. Beweis) besonderer Umstände des Einzelfalls widerlegen (so z.B. BGH, Urteil vom 12.10.2011 - VIII ZR 251/10  -; BGH, Beschluss vom 09.04.2013 - VIII ZR 245/12 -).

[Anmerkung: Widerlegen ließe sich die Vermutung, wenn in dem späteren Vertrag auf die Regelungen in dem Wohnraummietvertrag verwiesen wird und dieser so auch zum Bestandteil des Stellpatz-/Garagenvertrages gemacht würde. Auch wenn in dem Stellplatz-/Garagenmietvertrag ein Kündigungsrecht des Mieters davon abhängig gemacht würde, dass auch der Wohnraummietvertrag gekündigt wird, dürfte die gewollte Einheitlichkeit gegeben sein, auch wenn sich der Vermieter ein - dann unzulässiges - Sonderkündigungsrecht für den Stellplatz vorbehält. Es müsset auch möglich sein, ggf. durch Zeugenbeweis nachzuweisen, dass die Parteien den späteren Stellplatz-/Garagenmietvertrag als Einheit mit dem Wohnraummietvertrag verstanden wissen wollten.]

Vorliegend lagen zwei getrennte schriftliche Verträge vor. Besondere Gründe, die der Vermutung entgegenstehen würden, hätten auch nicht vorgelegen. Zwar könnte der Umstand, dass beide Mietobjekte auf dem gleichen Grundstück lägen, dass die Vermietung des Stellplatzes nach dem Willen der Parteien in den Wohnraummietvertrag mit einbezogen werden sollte (BGH, Urteil vom 12.10.2011 - VIII ZR 251/10 -). Dies sei aber dann nicht zwingend, wenn andere Umstände vorlägen, die die Vermutung für zwei Mietverträge bekräftigen würden. Hier sei im Stellplatzmietvertrag an keiner Stelle auf den Wohnraummietvertrag Bezug genommen worden, und der Stellplatzmietvertrag könne auch nicht unter den gleichen Voraussetzungen wie der Wohnraummietvertrag gekündigt werden. Zwar sei die Kündigungsmöglichkeit für den Mieter identisch, nicht aber für den Vermieter, da der Vermieter kein berechtigtes Interesse (§ 573 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB) für die Kündigung des Stellplatzmietertrages benötige. Dass lasse auf den fehlenden Willen der Parteien zu einer Einheitlichkeit schließen.

Nach dem Hinweis durch den BGH wurde die Revision zurückgenommen.

BGH, Beschluss vom 14.12.2021 - VIII ZR 95/20 -

Sonntag, 21. August 2022

Kaufrecht: Anspruch des Gewährleistungsschuldners auf Ausgleichung von „neu für alt“ ?

Die Beklagten verkauften unter Ausschluss der Sachmängelhaftung an die Kläger ein 1979 gebautes Reihenhaus. Im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens im Jahr 2022 erfuhren die Beklagten, dass Feuchtigkeit in den Kellerwänden bestand, vornehmlich beruhend auf einer unzureichenden Abdichtung der Wände.  Die Kläger stellten 2013 eine Durchfeuchtung der Kellerwände fest und forderten von den Beklagten die Kosten für eine neue Kellerabdichtung. Das Landgericht hat der Klage nur in einem kleinem Umfang stattgegeben. Auf die Berufung beider Parteien wies das OLG die Klage insgesamt ab. Die Revision der Kläger war im Wesentlichen erfolgreich, dem Erstattungsanspruch auf die Mängelbeseitigungskosten hätte stattgegeben werden müssen.

Die Kläger könnten dem Grunde nach von den Beklagten Schadensersatz statt der Leistung nach § 437 Nr. 3, § 280 Abs. 1 und 3m § 281 Abs. 1 und 2 BGB wegen einer erforderlichen Neuabdichtung verlangen. Die Feuchtigkeit und die nicht ordnungsgemäß angebrachte Kellerabdichtung würden sich als Sachmangel darstellen. Der im notariellen Kaufvertrag enthaltene Haftungsausschluss der Beklagten reife nicht, da sie selbst Kenntnis von dem Mangel im Rahmen des Beweisverfahrens 2002 erhalten und diesen arglistig (§ 444 BGB) den Klägern gegenüber verschwiegen hätten. 

Die Höhe des Schadens könnten die Kläger anhand der zur Herstellung einer mangelfreien Herstellung der Kellerwandabdichtung erforderlichen Kosten berechnen, auch wenn die Arbeiten noch nicht ausgeführt worden seine. Der  Schadensersatzanspruch statt der Leistung (sogen. Kleiner Schadensersatz) gemäß § 437 Nr. 3, § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB könne anhand der voraussichtlich erforderlichen fiktiven Mängelbeseitigungskoste geltend gemacht werden. 

Fehlerhaft sei das Berufungsgericht davon ausgegangen, die Kläger könnten wegen eines notwendigen Abzugs „neu für alt“ keinen Schaden geltend machen, wobei das Berufungsgericht davon ausgegangen sei, dass die Haltbarkeit einer Mauerabdichtung 40 Jahre betrage und zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht bereits mehr als 40 Jahre vergangen seien. Zwar sei grundsätzlich ein Vermögensvorteil, der erst durch die Ersatzleistung des Schädigers entstünde, nach den Regeln „neu für alt“ auszugleichen. Stünde dabei im Fall des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung der Anspruchsberechtigte besser, als er bei ordnungsgemäßer Erfüllung gestanden hätte, sei grundsätzlich die Differenz vom Anspruchsberechtigten auszugleichen, da der Schadensersatz den Berechtigten nicht bereichern soll. Diese Grundsätze könnten aber nicht auf einen kaufvertraglichen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung nach dem seit dem 01.01.2022 geltenden Recht nicht ohne weiteres übertragen werden. Die Mangelfreiheit der Kaufsache gehöre jetzt zur Leistungspflicht des Verkäufers (§ 433 Abs. 1 S. 2 BGB). Es müsse bei der Prüfung, ob ein Abzug „neu für alt“ gerechtfertigt sei, berücksichtigt werden, dass der Verkäufer zunächst der Pflicht zur Nacherfüllung unterliege. Der primär auf die Lieferung einer mangelfreien Sache gerichtete Erfüllungsanspruch setze sich im in modifizierter Form in dem Nacherfüllungsanspruch fort, an dessen Stelle der Schadenersatzanspruch nach den §§ 437 Nr. 3, 289, 281 BGB trete. Er richte sich danach, was der Käufer erhalten hätte, wenn der Verkäufer seiner Pflicht zur Nacherfüllung ordnungsgemäß nachgekommen wäre (BGH, Beschluss vom 13.03.2020 - V ZR 33/19 -). 

In Ansehung des Zusammenhangs zwischen dem Schadensersatz statt der Leistung und dem (Nach-) Erfüllungsanspruch müsse der Käufer, wenn er sich unter Berücksichtigung von „neu für alt“ auch bei der Nacherfüllung an den Kosten zu beteiligen hätte, einen entsprechenden Abzug am Schadensersatz hinnehmen. Müsse sich der Käufer nicht an den Kosten der Nacherfüllung beteiligen, müsse dies auch entsprechende Auswirkungen auf den Schadensersatz haben. Diese Frage würde in der Literatur kontrovers erörtert. Darauf käme es aber nicht an, da jedenfalls dann eine Beteiligung des Käufers an den Kosten der Nachbesserung an einer (gebrauchten) Kaufsache nach den Grundsätzen „neu für alt“ ausscheide, wenn sich der Vorteil des Käufers darin erschöpfe, dass die Kaufsache durch den zur Mangelbeseitigung erforderlichen Ersatz eines mangelhaften Teils durch ein neues Teil einen Wertzuwachs erfahre oder der Käufer durch die dadurch bedingte längere Lebensdauer des ersetzten Teils Aufwendungen erspare. Dass die Kläger darüberhinausgehende Vorteile hätten, sei von den Beklagten nicht eingewandt worden. 

Bei der Nachbesserung käme der Verkäufer nur seiner vertraglichen Pflicht nach. Hierfür könne er keinen Ausgleich verlangen (BGH, Urteil vom 17.05.1984 - VII ZR 169/82 -). Dies gelte auch dann, wenn der Verkäufer u.U. eine Leistung erbringen müsse, die eine andere Qualität aufweise als jene, die er bei mangelfreier Leistung zur erbringen gehabt hätte. Da infolge der mangelhaften Leistung des Verkäufers der Vertrag nicht wie vorgesehen abgewickelt werden könne, habe sich die Nacherfüllung an dieser veränderten Situation auszurichten (BGH, Urteil vom 21.07.2021 - VIII ZR 254/20 -). Dies gelte auch bei gebrauchten Sachen. Der regelmäßige Vorteil eines Wertzuwachs der Sache sei ebenso wie der Umstand, dass der Käufer durch eine längere Lebensdauer Aufwendungen erspare, eine unvermeidliche Folge des dem Käufer vom Gesetzgeber eingeräumten Nacherfüllungsanspruchs (zur Abgrenzung zur Anrechnung von Aufwendungen, die der Käufer ohnehin plante BGH, Urteil vom 04.04.2014 - V ZR 275/12 -).   

Der Umstand, dass eine Nachbesserung wegen arglisten Verschweigens des Mangels nicht angeboten werden müsse, führe zu keiner anderen Betrachtung. 

Die Grenze für den Nacherfüllungsanspruch und dem folgend für den auf Ersatz der fiktiven Mängelbeseitigung gerichteten Schadensersatzanspruch ergäbe sich bei einer Unverhältnismäßigkeit, abgeleitet aus § 439 Abs. 4 S. 2 BGB.  Sie verhindere eine Überkompensation des Käufers. Könne der Verkäufer die Nacherfüllung verweigern, da sie mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist, beschränke sich der Schadensersatzanspruch des Käufers auf den mängelbedingten Minderwert. Dieser Fall wurde hier vom BGH nicht angenommen. 

BGH, Urteil vom 13.05.2022 - V ZR 231/20 -

Freitag, 19. August 2022

Beweiswirkung der schriftlichen Einlassung am Unfallort

Im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall musste sich das OLG mit dem widersprüchlichen Vortrag der Parteien auseinandersetzen. In diesem Fall lag ein am Unfalltag gefertigter und von dem beklagten Fahrer, dessen Mitfahrerin und einem Zeugen des Unfalls (dem Fahrer des gegnerischen Lkw) gefertigter Unfallbericht vor, in dem ausgeführt wurde, dass an dem klägerischen Lkw der linke Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt war, als der beklagte Fahrer diesen überholte.  Das OLG wies darauf hin, dass im Rahmen der Beweiswürdigung dies Unfallprotokoll zu berücksichtigen sei.

Die schriftliche Einlassung würde sich nicht rechtsgeschäftliches Anerkenntnis darstellen. Rücke der Anerkennende später von seiner schriftlichen Erklärung ab, käme dann der schriftlichen Erklärung keine besondere Bedeutung zu, wenn auch das übrige Beweisergebnis gegen seine Schuld spreche. Sei dies aber nicht der Fall, müsste er plausibel erklären, weshalb er sich zu dem objektiv falschen Anerkenntnis habe bewegen lassen. Je konkreter die schriftliche Erklärung sei, umso schwerer würde es ihm fallen. Ferner sei im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen, ob das Anerkenntnis zu einer Beeinträchtigung der Beweismöglichkeiten des Gegners geführt habe, da dieser evtl. wegen der schriftlichen Erklärung auf die Hinzuziehung der Polizei verzichtet habe. 

Der BGH hatte bereits in seinem Urteil vom 10.01.1984 - VI ZR 64/82 -, auf welches sich das OLG bezog, ausgeführt, dass die Alleinschulderklärung grundsätzlich mangels rechtsgeschäftlichen Charakters kein deklaratorisches Schuldanerkenntnis sei. Anderes könne nur angenommen werden, wenn der erklärte Wille der Beteiligten die mit einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis verbundenen Rechtsfolgen tragen. Das setze voraus, dass die gewollte Rechtsfolge der Interessenslage der Beteiligten, dem mit der Erklärung erkennbar verfolgten Zweck und der allgemeinen Verkehrsauffassung über die Bedeutung eines solchen Anerkenntnisses entspricht. Eine generelle Vermutung für einen bestätigenden Schuldanerkenntnisvertrag gäbe es nicht und die Vermutung für einen solchen Vertrag fordere, dass die Beteiligten und den konkreten Umständen einen besonderen Anlass für diesen Anschluss hatten, wie z.B. Streit oder (subjektive) Ungewissheit über das Bestehen der Schuld. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Versicherungsnehmer im Verhältnis zu seinem Versicherer nach den zugrundeliegenden AKB grundsätzlich nicht berechtigt sei, einen Anspruch ganz oder zum Teil anzuerkennen. Im Hinblick darauf seien besondere Anforderungen notwendig, die eine solche Wertung zuließen, z.B. dass der Erklärung ein Gespräch über Haftpflichtansprüche vorausging. Das Absehen von einer polizeilichen Unfallaufnahme sei nicht ausreichend. Aber auch wenn danach das Schuldanerkenntnis nicht als deklaratorisches Schuldanerkenntnis mit den entsprechenden Rechtsfolgen gewertet werden könne, käme dem Schuldanerkenntnis Bedeutung im Schadensersatzprozess zu, was Äquivalent dafür sei, dass der Erklärungsempfänger von Aufklärungsmöglichkeiten absehe. Folge sei, dass der Erklärungsempfänger zunächst nicht den ansonsten gegebenen Beweisanforderungen unterläge; diese träfe ihn erst dann, wenn dem Erklärenden der Nachweis der Unrichtigkeit des Anerkenntnisses gelingt. 

Dem folgte das OLG. Zwar liegt kein Schuldanerkenntnis vor, aber eine Erklärung zum Geschehensablauf. Während sich das Schuldanerkenntnis lediglich auf die Verschuldensfrage bezieht, sei in dem Unfallbericht auch der Unfallhergang (detailliert) dargelegt worden. Dieser (anerkannte) Sachverhalt wäre damit von dem Erklärenden selbst zu widerlegen. Darauf verwies das OLG, welches darauf verwies, dass in der handschriftlichen Erklärung nicht nur ein Verschulden vom beklagten Fahrer bestätigt worden sei, sondern darüber hinaus detaillierte Ausführungen zum Unfallhergang gemacht worden seien. Dem beklagten Fahrer sei es nicht gelungen, den Gegenbeweis zu führen. Seine allgemeine Erklärung im Rahmen der informatorischen Anhörung (§ 141 ZPO), er habe nach dem Unfall neben sich gestanden, reiche nicht aus. 

OLG Nürnberg, Urteil vom 29.03.2022 - 3 U 4188/ 21 -

Dienstag, 16. August 2022

Schadstoffkonzentration: Lkw-Durchfahrtsverbot und Unterlassungsklage der Anwohner

Recht (auch in Form von Gesetzen) und Rechtsanspruch (in Form der Geltendmachung des kodifizierten Rechts) sind zwei Seiten derselben Medaille. Dies mussten die Kläger, die die Beklagte wegen behaupteter Verstöße gegen ein Lkw-Durchfahrtsverbot in Anspruch nahmen, erfahren. Die Kläger hatten ein Vereinsgelände (auf dem Gelände befanden sich das Vereinsheim und eine Kindertagesstätte)   bzw. ein Wohnhaus an der H-Straße bzw. neben der H-Straße in der Straße Am W.  in Stuttgart-Hedelfingen innerhalb der Stuttgarter Umwelt- und Lkw-Durchfahrtsverbotszone. Das Lkw-Durchfahrtsverbot war durch Zeichen 253 zu § 41 Abs. 1 StVO mit dem Zusatzzeichen nach § 38 Abs. 3 StVO „Lieferverkehr frei“ angeordnet worden.

Nach der Behauptung der Kläger verstoße die Beklagte, die eine Spedition betreibe, mehrmals täglich gegen das Durchfahrtsverbot. Daher sei ihre Gesundheit und die der Kinder durch die Feinstaub- und Stickoxidbelastung gefährdet. Sie begehrten eine Verurteilung auf Unterlassung der Befahrung der H-Straße mit Lkw mit einem höheren Gesamtgewicht als 3,5 Tonnen, sofern die Fahrt nicht dem Ziel der Verbringung von Gütern in die Verbotszone oder von Gütern aus der Zone diene.

Die Klage wurde vom Amtsgericht abgewiesen, die dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen. Auch die zugelassene Revision zum BGH blieb erfolglos.

Das Unterlassungsbegehren ließe sich nicht aus § 1004 Abs. 1 iVm. § 823 Abs. 1 BGB aufgrund der Gesundheitsverletzung ableiten. Auch sei der Beklagten auf der Grundlage des klägerischen Vortrages keine wesentliche Beeinträchtigung der Benutzung der klägerischen Grundstücke iSd. § 906 BGB zuzurechnen, weshalb ein Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 iVm. § 906 BGB ausscheide.

Streitig war - im Revisionsverfahren - ob ein Anspruch der Kläger analog § 823 Abs. 2 iVm § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB bestünde. Dass aber hätte zur Voraussetzung, dass die Beklagte wegen der behaupteten Missachtung des durch Zeichen 253 nach § 41 Abs. 1 StVO im Wege eines Verwaltungsakts in Gestalt einer Allgemeinverfügung (BVerwG, Urteil vom 06.04.2016 - 3 C 10/15 -) angeordnetes Lkw-Durchfahrtverbot gegen ein auf das Rechtsschutzbegehren der Kläger ausgerichtetes Verbotsgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB verstoßen haben müssten, was der BGH verneinte.

Für einen Verstoß gegen ein Schutzgesetz sei erforderlich, dass es zumindest auch dazu dient, dem Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts oder Rechtsinteresses zu schützen. Nicht ausreichend sei, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als Reflex objektiv erreicht werden könne, vielmehr müsse der Individualschutz im Aufgabenbereich der Norm liegen (z.B. BGH, Urteil vom 13.03.2018 - VI ZR 307/18 -). In diesem Fall könne dies auch zu deliktischen Ansprüchen führen, auch wenn die im Einzelfall zur Konkretisierung der Ge- oder Verbote noch der Konkretisierung durch Verwaltungsakte bedürfen (BGH, Urteil vom 14.06.2005 - VI ZR 185/04 -). Das Schutzgesetz sei dann nicht der Veraltungsakt als solcher, sondern die jeweilige Eingriffsnorm, auf die der Verwaltungsakte beruhe.

Nicht nur müsse ein Gebot oder Verbot als Schutzgesetz das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und den Kreis der geschützten Personen hinreichend klarstellen und bestimmt sein. Weitere Voraussetzung sei, dass die Schaffung eines individuellen deliktischen Anspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheine. Dazu müsse der gesamte Regelungszusammenhang, in den die Norm gestellt sei, dahingehend geprüft werden, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen könne, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten Haftungs- und Beweislasterleichterungen zu knüpfen (BGH, Urteil vom 23.07.2019 - VI ZR 307/18 -).

Das Landgericht habe festgestellt, dass das Lkw-Durchfahrtsverbot eine im „Lauftreinhalte- und Aktionsplan“ für Stuttgart vorgesehene Maßnahme zur Verbesserung der Luftqualität sei, welche also planerische Vorgaben iSv. § 47 Abs. 1 und 2 BImSchG umsetze. Umgesetzt würden die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Abs. 1 BImSchG festgelegten Immissionsgrenzwerte. Für den Straßenverkehr sei in Bezug auf Feinstaub- und Stickstoffdioxidkonzentrationen die 39. BImSchV vom 02.08.2010 als Umsetzung europäischer Normen von Bedeutung.

Maßgeblich sei daher für die Beurteilung der Schutzgesetzqualität des Durchfahrtsverbots § 40 Abs. 1 S. 1 BImSchG, wonach die zuständige Straßenverkehrsbehörde den Kraftfahrzeugverkehr nach Maßgabe der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften beschränke oder verbiete, soweit ein Luftreinhalteplan oder ein Plan für kurzfristige Maßnahmen nach § 47 Abs. 1 oder 2 BImSchG dies vorsehe. Nach den dargelegten Maßstäben sei daher das im „Luftreinhalte- und Aktionsplan“ vorgesehene Lkw-Durchfahrtsverbot kein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der einzelnen Anwohner innerhalb der Durchfahrtsverbotszone.

Zweck des § 40 Abs. 1 S. 1 BImSchG sei die Durchsetzung von Verkehrsbeschränkungen, die in Rechtsverordnungen nach § 48a Abs. 1 BImSchG festgelegt worden seien. Dies diene dem Gesundheitsschutz. Daraus ließe sich aber (entgegen anderweitiger Ansicht) noch nicht ergeben, dass es in der Intention des Gesetzgebers lag, dem Einzelnen generell einen individuellen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch bei Zuwiderhandlungen zu gewähren. Im Streitfall sei das Lkw-Durchfahrtverbot für bestimmte Straßen zur Reduzierung der die dortigen Anlieger beeinträchtigenden Schadstoffkonzentrationen angeordnet worden, um die Luftqualität zu verbessern und einer Überschreitung der Immissionsgrenzwerte entgegenzuwirken. Die Kläger seien nur als Teil der Allgemeinheit davon begünstigt, was bereits gegen den Schutz von Einzelinteressen spräche. Schon durch die Größe der Verbotszone könne nicht angenommen werden, könne nicht angenommen werden, dass die an einer beliebigen Stelle der Verbotszone durch Kraftfahrzeuge verursachten Immissionen für jeden Anlieger in der Zone eine Gefahr der Überschreitung der Werte an seinem Aufenthaltsort und damit eine potentielle Gesundheitsgefährdung verursachen könnten. Dafür, dass die streitgegenständlichen Planmaßnahmen einen Anspruch auf Normvollzug zwischen einzelnen Bürgern begründen sollten, sei nichts ersichtlich.

Auch könnten sich die Kläger nicht auf das Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Gemeinschaftsrechts (effet utile) berufen. Zwar seien nach der Richtlinie 2008/50/EG über Luftqualität und saubere Luft für Europa Verstöße gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften zu sanktionieren; da aber der Verstoß gegen das Lkw-Durchfahrtsverbot eine Verkehrsordnungswidrigkeit sei (§ 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, § 24 Abs. 1 StVG) gäbe es diese Sanktionen, wenn auch die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach dem Opportunitätsprinzip im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde liege (§ 47 Abs. 1 OWiG).

BGH, Urteil vom 14.06.2022 - VI ZR 110/21 -