Die Klägerin war im Empfang des von der Beklagten betriebenen Krankenhauses tätig. Im Januar teilte die Beklagte ihr mit, sie wolle sie im Früh- und Spätdienst eisnetzen. Unter Hinweis auf den Grad der Behinderung von 50 begehrte von der Beklagten als Arbeitgeberin, aus gesundheitlichen Gründen nur im Frühdienst eingesetzt zu werden; sie sei nicht in der Lage im Spätdienst bzw. im Wechsel im Früh- wie auch im Spätdienst tätig zu werden und verwies dazu auf Stellungnahmen ihrer behandelnden Ärzte. Eine entsprechende gesundheitliche Beeinträchtigung bestritt die Beklagte unter Verweis auf die Einschätzung ihrer Betriebsärztin. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Die Berufung der beklagten wurde zurückgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht (BAG) der Beklagten wurde das Berufungsurteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde machte die Beklagte die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) geltend, da das LAG von der Vernehmung der von ihr als sachverständigen Zeugin benannten Betriebsärztin abgesehen habe.
Das BAG verwies auf die Rechtsprechung des BGH (Urteile vom 14.01.2020 - VI ZR 97/19 - und vom 15.10.2019 - VI ZR 377/18 -), demzufolge ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vorläge, wenn das Gericht die an eine hinreichende Substantiierung zu stellenden Anforderungen überspanne und deshalb den Beweis nicht erhebe. § 373 ZPO würde von der Partei, die die Zeugeneinvernahme beantrage, verlangen, den Zeugen zu benennen und die Tatsachen zu bezeichnen, über die der Zeuge vernommen werden soll. Es verlange von der Partei nicht sich dazu zu äußern, welche Anhaltspunkte sie für die Richtigkeit der in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptung habe. Die Substantiierungspflicht eines Sachvortrags hänge vom Kenntnisstand der Partei ab (BGH, Urteil vom 14.01.2020, aaO.). Die Partei sei nicht verpflichtet, Ermittlungen von ihr unbekannten Umständen (oder solchen Umständen, die ihr unbekannt sein könnten) vorzunehmen.
Das LAF sei, ohne die Zeugin zu vernehmen, davon ausgegangen, dass die Zeugin nur Schlussfolgerungen tätigen könne, die für die Überzeugungsfindung des Gerichts nicht erheblich seien, da die Beklagte nicht mitgeteilt habe, auf welchen Tatsachen die Schlussfolgerungen beruhen würden. Darin läge der Gehörsverstoß, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass das LAG nach deren Vernehmung zu der Überzeugung (§ 286 ZPO) gelangt wäre, dass der Einsatz der Klägerin im Spätdienst bzw. im Wechsel zwischen Früh- und Spätdienst möglich ist.
Das BAG wies ergänzend darauf hin, dass die Klägerin die Betriebsärztin von ihr Schweigepflicht befreien müsse, du für den Fall, dass sie dies unterlässt, dieser Umstand im Rahmen der Beweiswürdigung durch das LAG im Rahmen des § 286 ZPO berücksichtigt werden müsse.
Anmerkung: Nach dem Inhalt des Beschlusses des BAG bezog sich die Klägerin lediglich auf schriftliche Gutachten behandelnder Ärzte, die Beklagte auf das Zeugnis des Betriebsarztes. Bei allen Ärzten handelte es sich um sachverständige Zeugen, wobei die schriftlichen Angaben der die Klägerin behandelnden Ärzte allenfalls als Privaturkunden im Verfahren verwertet werden können (§ 416 ZPO). Die unterschriebene Privaturkunde bezeugt aber grundsätzlich nur, dass sie von dem unterschreibenden Aussteller stammt, nicht deren inhaltliche Richtigkeit (anders öffentliche Urkunden, § 418 ZPO). Ein sachverständiger Zeuge ist auch nur Zeuge, nicht Sachverständiger gem. §§ 402 ff ZPO. Der sachverständige Zeuge ist nicht berufen, Schlussfolgerungen zu ziehen, sondern kann aufgrund seines Sachverstandes nur die Grundlagen klären, die dann letztlich von einem Sachverständigen zu würdigen wären. Mithin könnte nach der Beweiserhebung durch die als Zeugin benannte Betriebsärztin lediglich geklärt werden, welche gesundheitlichen Einschränkungen es bei der Klägerin gibt, dürfte aber nicht geklärt werden, ob dies auch einem Spät- oder Wechseldienst entgegensteht. Dies wäre letztlich durch ein Sachverständigengutachten zu klären. Bestreitet zudem die Beklagte die Richtigkeit der Feststellungen und die Richtigkeit der Schlussfolgerungen in den von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen, wäre die Klägerin auch hier beweisbelastet für die Richtigkeit, wobei auch insoweit wiederum für die Schlussfolgerung an sich ein Sachverständigengutachten erforderlich wäre.
BAG, Beschluss vom
06.04.2022 -5 AZN 700/21 -
Aus den Gründen:
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beklagten wird
das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 17. Juni 2021
- 5 Sa 586/20 - aufgehoben.
2. Die Sache
wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des
Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens - an das Landesarbeitsgericht
zurückverwiesen.
Gründe
I. Die
Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin
- einen schwerbehinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von
50 - ausschließlich im Frühdienst einzusetzen. Die Klägerin ist seit 2005
am Empfang des von der Beklagten betriebenen Krankenhauses beschäftigt. Sie
wurde nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts seit Beginn des
Arbeitsverhältnisses weit überwiegend im Frühdienst (von 6:00 Uhr bis
maximal 14:00 Uhr) eingesetzt. Im Januar 2018 teilte die Beklagte der
Klägerin mit, man wolle sie künftig regelmäßig sowohl im Früh- wie auch im
Spätdienst einsetzen. Die Klägerin hat behauptet, sie sei aus gesundheitlichen
Gründen nicht in der Lage, im Spätdienst (von 13:00 Uhr bzw.
14:00 Uhr bis 20:00 Uhr) bzw. im Wechsel zwischen Früh- und
Spätdienst eingesetzt zu werden und sich hierzu va. auf Stellungnahmen der sie
behandelnden Ärztinnen berufen. Die Beklagte hat dies bestritten, ua. mit
Verweis auf die Einschätzung ihrer Betriebsärztin (Dr. N). Mit ihrer Klage
- soweit für die Nichtzulassungsbeschwerde noch von Bedeutung - hat
die Klägerin ihre Beschäftigung ausschließlich im Frühdienst verlangt. Das
Arbeitsgericht hat diesem Antrag (sinngemäß) stattgegeben, das Landesarbeitsgericht
die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht
zugelassen. Hiergegen wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde, die ua. auf
die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gestützt wird.
II. Die
Beschwerde ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch der
Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt, indem es von der Vernehmung der von
der Beklagten als (sachverständige) Zeugin benannten Betriebsärztin Frau Dr. N
abgesehen hat.
1. Ein
Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, vor, wenn das Gericht die an
eine hinreichende Substantiierung zu stellenden Anforderungen überspannt und in
der Folge einen angebotenen Beweis zu Unrecht nicht erhebt (vgl. BGH
14. Januar 2020 - VI ZR 97/19 - Rn. 6;
15. Oktober 2019 - VI ZR 377/18 - Rn. 10 - jeweils
mwN). Gemäß § 373 ZPO hat die Partei, die die Vernehmung eines Zeugen
beantragen will, den Zeugen zu benennen und die Tatsachen zu bezeichnen, über
die dieser vernommen werden soll. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der
Beweisführer sich auch darüber äußert, welche Anhaltspunkte er für die
Richtigkeit der in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptung habe. Wie weit
eine Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, hängt von ihrem
Kenntnisstand ab (vgl. BGH 14. Januar 2020 - VI ZR 97/19 -
Rn. 8; 15. Oktober 2019 - VI ZR 377/18 - Rn. 10 -
jeweils mwN). Zur Ermittlung von Umständen, die ihr nicht bekannt sind (oder
sein können), ist eine Partei im Zivilprozess grundsätzlich nicht verpflichtet.
2.
Gemessen daran hat das Landesarbeitsgericht den Anspruch der Beklagten auf
rechtliches Gehör verletzt, indem es - ohne Vernehmung der von der
Beklagten als Zeugin benannten Betriebsärztin Frau Dr. N - davon
ausgegangen ist, deren „bloße Schlussfolgerungen“ seien für die gerichtliche
Überzeugungsbildung nicht erheblich, weil die Beklagte nicht mitgeteilt habe,
auf welchen Tatsachen die Schlussfolgerungen der Ärztin beruhten.
3. Die
angegriffene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts beruht auch auf diesem
Gehörsverstoß. Für die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG reicht es
aus, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht nach
Vernehmung der Betriebsärztin zu der Überzeugung (§ 286 ZPO) gelangt wäre,
dass der Einsatz der Klägerin auch im Spätdienst bzw. im Wechsel zwischen Früh-
und Spätdienst möglich wäre.
III. Der
Senat hat von der Möglichkeit des § 72a Abs. 7 ArbGG Gebrauch
gemacht. Die Sache wirft beim derzeitigen Stand des Verfahrens keine revisionsrechtlich
bedeutsamen Rechtsfragen auf.
Im
fortgesetzten Berufungsverfahren wird das Landesarbeitsgericht die Klägerin
hinsichtlich der Entbindung der Betriebsärztin von ihrer Schweigepflicht auf
ihre prozessualen Mitwirkungspflichten hinzuweisen haben (§ 139 ZPO).
Sollte die Klägerin die Betriebsärztin nicht von ihrer Schweigepflicht
entbinden, wäre auch dies ein im Rahmen der Beweiswürdigung im Rahmen des
§ 286 ZPO zu berücksichtigender Umstand.
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