Recht (auch in
Form von Gesetzen) und Rechtsanspruch (in Form der Geltendmachung des
kodifizierten Rechts) sind zwei Seiten derselben Medaille. Dies mussten die
Kläger, die die Beklagte wegen behaupteter Verstöße gegen ein Lkw-Durchfahrtsverbot
in Anspruch nahmen, erfahren. Die Kläger hatten ein Vereinsgelände (auf dem
Gelände befanden sich das Vereinsheim und eine Kindertagesstätte) bzw.
ein Wohnhaus an der H-Straße bzw. neben der H-Straße in der Straße Am W. in Stuttgart-Hedelfingen innerhalb der
Stuttgarter Umwelt- und Lkw-Durchfahrtsverbotszone. Das Lkw-Durchfahrtsverbot war
durch Zeichen 253 zu § 41 Abs. 1 StVO mit dem Zusatzzeichen nach § 38 Abs. 3
StVO „Lieferverkehr frei“ angeordnet worden.
Nach der
Behauptung der Kläger verstoße die Beklagte, die eine Spedition betreibe, mehrmals
täglich gegen das Durchfahrtsverbot. Daher sei ihre Gesundheit und die der
Kinder durch die Feinstaub- und Stickoxidbelastung gefährdet. Sie begehrten eine
Verurteilung auf Unterlassung der Befahrung der H-Straße mit Lkw mit einem
höheren Gesamtgewicht als 3,5 Tonnen, sofern die Fahrt nicht dem Ziel der
Verbringung von Gütern in die Verbotszone oder von Gütern aus der Zone diene.
Die Klage wurde
vom Amtsgericht abgewiesen, die dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen.
Auch die zugelassene Revision zum BGH blieb erfolglos.
Das
Unterlassungsbegehren ließe sich nicht aus § 1004 Abs. 1 iVm. § 823 Abs. 1 BGB
aufgrund der Gesundheitsverletzung ableiten. Auch sei der Beklagten auf der
Grundlage des klägerischen Vortrages keine wesentliche Beeinträchtigung der
Benutzung der klägerischen Grundstücke iSd. § 906 BGB zuzurechnen, weshalb ein
Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 iVm. § 906 BGB ausscheide.
Streitig war -
im Revisionsverfahren - ob ein Anspruch der Kläger analog § 823 Abs. 2 iVm §
1004 Abs. 1 S. 2 BGB bestünde. Dass aber hätte zur Voraussetzung, dass die
Beklagte wegen der behaupteten Missachtung des durch Zeichen 253 nach § 41 Abs.
1 StVO im Wege eines Verwaltungsakts in Gestalt einer Allgemeinverfügung (BVerwG,
Urteil vom 06.04.2016 - 3 C 10/15 -) angeordnetes Lkw-Durchfahrtverbot gegen ein
auf das Rechtsschutzbegehren der Kläger ausgerichtetes Verbotsgesetz iSv. § 823
Abs. 2 BGB verstoßen haben müssten, was der BGH verneinte.
Für einen Verstoß
gegen ein Schutzgesetz sei erforderlich, dass es zumindest auch dazu dient, dem
Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten
Rechtsguts oder Rechtsinteresses zu schützen. Nicht ausreichend sei, dass der
Individualschutz durch Befolgung der Norm als Reflex objektiv erreicht werden
könne, vielmehr müsse der Individualschutz im Aufgabenbereich der Norm liegen (z.B.
BGH, Urteil vom 13.03.2018 - VI ZR 307/18 -). In diesem Fall könne dies auch zu
deliktischen Ansprüchen führen, auch wenn die im Einzelfall zur Konkretisierung
der Ge- oder Verbote noch der Konkretisierung durch Verwaltungsakte bedürfen
(BGH, Urteil vom 14.06.2005 - VI ZR 185/04 -). Das Schutzgesetz sei dann nicht der
Veraltungsakt als solcher, sondern die jeweilige Eingriffsnorm, auf die der
Verwaltungsakte beruhe.
Nicht nur müsse ein Gebot oder
Verbot als Schutzgesetz das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und
den Kreis der geschützten Personen hinreichend klarstellen und bestimmt sein.
Weitere Voraussetzung sei, dass die Schaffung eines individuellen deliktischen
Anspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar
erscheine. Dazu müsse der gesamte Regelungszusammenhang, in den die Norm
gestellt sei, dahingehend geprüft werden, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers
liegen könne, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische
Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des
Geschädigten Haftungs- und Beweislasterleichterungen zu knüpfen (BGH, Urteil
vom 23.07.2019 - VI ZR 307/18 -).
Das Landgericht habe
festgestellt, dass das Lkw-Durchfahrtsverbot eine im „Lauftreinhalte- und
Aktionsplan“ für Stuttgart vorgesehene Maßnahme zur Verbesserung der
Luftqualität sei, welche also planerische Vorgaben iSv. § 47 Abs. 1 und 2
BImSchG umsetze. Umgesetzt würden die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a
Abs. 1 BImSchG festgelegten Immissionsgrenzwerte. Für den Straßenverkehr sei in
Bezug auf Feinstaub- und Stickstoffdioxidkonzentrationen die 39. BImSchV vom
02.08.2010 als Umsetzung europäischer Normen von Bedeutung.
Maßgeblich sei daher für die
Beurteilung der Schutzgesetzqualität des Durchfahrtsverbots § 40 Abs. 1 S. 1
BImSchG, wonach die zuständige Straßenverkehrsbehörde den Kraftfahrzeugverkehr
nach Maßgabe der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften beschränke oder
verbiete, soweit ein Luftreinhalteplan oder ein Plan für kurzfristige Maßnahmen
nach § 47 Abs. 1 oder 2 BImSchG dies vorsehe. Nach den dargelegten Maßstäben
sei daher das im „Luftreinhalte- und Aktionsplan“ vorgesehene
Lkw-Durchfahrtsverbot kein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der einzelnen
Anwohner innerhalb der Durchfahrtsverbotszone.
Zweck des § 40 Abs. 1 S. 1
BImSchG sei die Durchsetzung von Verkehrsbeschränkungen, die in
Rechtsverordnungen nach § 48a Abs. 1 BImSchG festgelegt worden seien. Dies
diene dem Gesundheitsschutz. Daraus ließe sich aber (entgegen anderweitiger
Ansicht) noch nicht ergeben, dass es in der Intention des Gesetzgebers lag, dem
Einzelnen generell einen individuellen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch
bei Zuwiderhandlungen zu gewähren. Im Streitfall sei das Lkw-Durchfahrtverbot
für bestimmte Straßen zur Reduzierung der die dortigen Anlieger
beeinträchtigenden Schadstoffkonzentrationen angeordnet worden, um die
Luftqualität zu verbessern und einer Überschreitung der Immissionsgrenzwerte entgegenzuwirken.
Die Kläger seien nur als Teil der Allgemeinheit davon begünstigt, was bereits
gegen den Schutz von Einzelinteressen spräche. Schon durch die Größe der
Verbotszone könne nicht angenommen werden, könne nicht angenommen werden, dass
die an einer beliebigen Stelle der Verbotszone durch Kraftfahrzeuge
verursachten Immissionen für jeden Anlieger in der Zone eine Gefahr der
Überschreitung der Werte an seinem Aufenthaltsort und damit eine potentielle
Gesundheitsgefährdung verursachen könnten. Dafür, dass die
streitgegenständlichen Planmaßnahmen einen Anspruch auf Normvollzug zwischen
einzelnen Bürgern begründen sollten, sei nichts ersichtlich.
Auch könnten sich die Kläger
nicht auf das Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Gemeinschaftsrechts
(effet utile) berufen. Zwar seien nach der Richtlinie 2008/50/EG über
Luftqualität und saubere Luft für Europa Verstöße gegen die aufgrund dieser
Richtlinie erlassenen Vorschriften zu sanktionieren; da aber der Verstoß gegen
das Lkw-Durchfahrtsverbot eine Verkehrsordnungswidrigkeit sei (§ 49 Abs. 3 Nr.
4 StVO, § 24 Abs. 1 StVG) gäbe es diese Sanktionen, wenn auch die Verfolgung
von Ordnungswidrigkeiten nach dem Opportunitätsprinzip im pflichtgemäßen
Ermessen der Verfolgungsbehörde liege (§ 47 Abs. 1 OWiG).
BGH, Urteil vom 14.06.2022
- VI ZR 110/21 -
Aus den Gründen:
Tenor
Die Revision
der Kläger gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom
11. März 2021 wird zurückgewiesen.
Die Kläger
tragen die Kosten des Revisionsverfahrens je zur Hälfte (§ 97 Abs. 1,
§ 100 Abs. 1 ZPO).
Von Rechts
wegen
Tatbestand
Die Kläger
nehmen die Beklagte wegen behaupteter Verstöße gegen ein Lkw-Durchfahrtsverbot
auf Unterlassung in Anspruch.
Das
Vereinsgelände des Klägers zu 1 liegt an der H. Straße in Stuttgart-Hedelfingen
innerhalb der Stuttgarter Umwelt- und Lkw-Durchfahrtsverbotszone. Auf dem
Gelände befinden sich sowohl das Vereinsheim als auch eine
Ganztages-Kindertagesstätte. Das Wohnhaus des Klägers zu 2 liegt ebenfalls
innerhalb der vorgenannten Zone und neben der H. Straße in der Straße "Am
W.". Das Lkw-Durchfahrtsverbot ist durch das Vorschriftzeichen 253 zu
§ 41 Abs. 1 StVO mit dem Zusatzzeichen nach § 39 Abs. 3
StVO "Lieferverkehr frei" (Nr. 1026-35 Verkehrszeichenkatalog)
angeordnet und gilt grundsätzlich für das gesamte Stadtgebiet.
Die Kläger
machen geltend, die Beklagte, die eine Spedition betreibt, verstoße mehrmals
täglich gegen das Durchfahrtsverbot, indem sie das Gebiet mit Lkw befahre. Die
Kläger sehen im Hinblick auf die Feinstaub- und Stickoxidbelastung sowohl ihre
als auch die Gesundheit der Kinder gefährdet, die die Kindertagesstätte
besuchen. Sie begehren die Verurteilung der Beklagten es zu unterlassen, die H.
Straße in Stuttgart-Hedelfingen Richtung Heumaden mit Lkw mit einem höheren
Gesamtgewicht als 3,5 Tonnen zu befahren, sofern die Fahrt nicht zum Transport
von Gegenständen in die hinter dem Verbotsschild liegende
Lkw-Durchfahrtsverbotszone oder zum Transport von Gegenständen aus dieser Zone
dient. Daneben verlangen die Kläger Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Das Amtsgericht
hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist vor dem Landgericht
erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
verfolgen die Kläger ihre Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht
hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, ein Unterlassungsanspruch
gemäß § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB wegen einer
Verletzung der Gesundheit bestehe nicht, da es unstreitig nicht zu einer
Körperverletzung oder Gesundheitsbeschädigung der Kläger oder der die
Tagesstätte besuchenden Kinder gekommen sei und eine lediglich abstrakte
Gesundheitsgefahr nicht ausreiche, um einen Unterlassungsanspruch zu begründen.
Auch ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1, § 823
Abs. 2 BGB i.V.m. dem Luftreinhalteplan für die Landeshauptstadt Stuttgart
bzw. der Umsetzung von EU-Recht durch Schaffung von Durchfahrtsverbotszonen sei
im Ergebnis abzulehnen. Dabei könne offenbleiben, ob das Zeichen 253 im
Zusammenhang mit dem Luftreinhalteplan als Schutzgesetz anzusehen sei. Es fehle
jedenfalls an der gemäß § 906 BGB erforderlichen, der Beklagten
zurechenbaren wesentlichen Beeinträchtigung der geschützten Interessen der
Kläger. Eine etwaige Beeinträchtigung von Eigentum und Gesundheit sei hier der
Beklagten nicht messbar als Störer zuzuordnen. Von der stark befahrenen
Durchgangsstraße gingen ohnehin erhebliche Immissionen aus, weshalb nicht
allein der Beklagten die Verantwortung für mögliche abstrakte
Gesundheitsbeeinträchtigungen auferlegt werden könne. Die Kläger hätten weder
zur Häufigkeit oder Anzahl der behaupteten Durchfahrten vorgetragen noch zur
Frage, inwieweit die Durchfahrten der Lkw der Beklagten zu einer erhöhten
Belastung der Grundstücke mit Immissionen führten. Die Kläger hätten auch nicht
vorgetragen, dass die nach § 906 Abs. 1 BGB beachtlichen
immissionsschutzrechtlichen Grenzwerte an der streitgegenständlichen Straße
bzw. im Bereich ihrer Grundstücke tatsächlich (dauerhaft, regelmäßig oder
punktuell) überschritten würden.
II.
Die Revision
der Kläger ist unbegründet. Das angefochtene Urteil hält der rechtlichen
Überprüfung im Ergebnis stand. Den Klägern steht der geltend gemachte
Unterlassungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
1. Die
Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach sich das Unterlassungsbegehren der
Kläger nicht auf § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB
aufgrund einer Gesundheitsverletzung stützen lässt, ist nicht zu beanstanden.
Hiergegen wendet sich die Revision auch nicht. Sie greift zudem nicht die
Annahme des Berufungsgerichts an, der Beklagten sei auf der Grundlage des
klägerischen Vortrags keine wesentliche Beeinträchtigung der Benutzung der
klägerischen Grundstücke im Sinne des § 906 BGB zuzurechnen. Insoweit sind
Rechtsfehler auch nicht ersichtlich. Damit scheidet ein auf die
Eigentümerstellung der Kläger gestützter Unterlassungsanspruch nach § 1004
Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 906 BGB ebenfalls aus.
2. Einen
Unterlassungsanspruch der Kläger gegen die Beklagte analog § 823
Abs. 2 i.V.m. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB - und in der Folge
einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten - hat das
Berufungsgericht im Ergebnis ebenfalls zu Recht verneint. Die Beklagte hat
durch eine etwaige Missachtung des durch § 41 Abs. 1 StVO in
Verbindung mit Verkehrszeichen 253 im Wege eines Verwaltungsakts in Gestalt
einer Allgemeinverfügung (vgl. zur st. Rspr. des BVerwG zur Rechtsnatur von
Verkehrszeichen etwa BVerwGE 154, 365 Rn. 16 mwN) angeordneten
Lkw-Durchfahrtsverbots kein auf das Rechtsschutzbegehren der Kläger ausgerichtetes
Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verletzt.
a) Nach
ständiger Rechtsprechung des BGH ist eine Rechtsnorm ein Schutzgesetz im Sinne
des § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den
Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten
Rechtsgutes oder eines bestimmten Rechtsinteresses zu schützen. Dafür kommt es
nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt, Zweck und Entstehungsgeschichte des
Gesetzes an, also darauf, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade
einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch
genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen
gewollt oder doch mit gewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das in Frage
stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie
das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben. Andererseits soll der
Anwendungsbereich von Schutzgesetzen nicht ausufern. Es reicht deshalb nicht
aus, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als Reflex objektiv
erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen (vgl.
nur Senatsurteile vom 23. Juli 2019 - VI ZR 307/18, NJW 2019, 3003 Rn. 12; vom
13. März 2018 - VI ZR 143/17, BGHZ 218, 96 Rn. 27; vom 22. Juni 2010 - VI ZR
212/09, BGHZ 186, 58 Rn. 26; BGH, Urteile vom 13. März 2018 - II ZR 158/16,
BGHZ 218, 80 Rn. 14; vom 27. November 1963 - V ZR 201/61, BGHZ 40, 306, juris
Rn. 1; jeweils mwN). Dann allerdings kann eine im Gesetz angelegte
drittschützende Wirkung der Norm auch zu deliktischen Ansprüchen führen, wenn
sie in Bezug auf die im Einzelfall zu erlassenden Ge- und Verbote noch der
Konkretisierung durch einen Verwaltungsakt bedarf (vgl. Senatsurteile vom 14.
Juni 2005 - VI ZR 185/04, VersR 2005, 1449, 1450, juris Rn. 8; vom 18. November
2003 - VI ZR 385/02 - VersR 2004, 255 f., juris Rn. 12; BGH, Urteile vom 27.
September 1996 - V ZR 335/95, VersR 1997, 367, 368, juris Rn. 9; vom 26.
Februar 1993 - V ZR 74/92, BGHZ 122, 1, 3 ff., juris Rn. 10 ff.; vom 22. April
1974 - III ZR 21/72, BGHZ 62, 265, 266 f., juris Rn. 6). Als Schutzgesetz
betrachtet wird dabei nicht der Verwaltungsakt als solcher, sondern die
jeweilige Eingriffsnorm, auf der er beruht (vgl. BGH, Urteile vom 26. Februar
1993 - V ZR 74/92, BGHZ 122, 1, 3, 6 f., juris Rn. 10 und 18 f.; vom 14.
Oktober 1994 - V ZR 76/93, NJW 1995, 132, 134, juris Rn. 24; vom 27. September
1996 - V ZR 335/95, VersR 1997, 367, 368, juris Rn. 9). Ein gesetzliches Gebot
oder Verbot ist als Schutzgesetz nur geeignet, soweit das geschützte Interesse,
die Art seiner Verletzung und der Kreis der geschützten Personen hinreichend
klargestellt und bestimmt sind (Senatsurteil vom 23. Juli 2019 - VI ZR 307/18,
NJW 2019, 2003 Rn. 12; BGH, Urteile vom 11. Dezember 2018 - II ZR 455/17, MDR
2019, 419 Rn. 32; vom 27. November 1963 - V ZR 201/61, BGHZ 40, 306, 307, juris
Rn. 2).
Voraussetzung
für die Annahme eines Schutzgesetzes ist zudem, dass die Schaffung eines
individuellen deliktischen Anspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen
Gesamtsystems tragbar erscheint. Dabei muss in umfassender Würdigung des
gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, geprüft werden,
ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des
geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen
Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und
Beweiserleichterungen zu knüpfen (vgl. Senatsurteile vom 23. Juli 2019 - VI ZR
307/18, NJW 2019, 3003 Rn. 13; vom 22. Juni 2010 - VI ZR 212/09, BGHZ 186, 58
Rn. 26, 29; BGH, Urteil vom 13. März 2018 - II ZR 158/16, BGHZ 218, 80 Rn. 14;
jeweils mwN).
b) Nach
den Feststellungen des Berufungsgerichts ist das streitgegenständliche
Lkw-Durchfahrtsverbot eine im "Luftreinhalte- und Aktionsplan" für
die Landeshauptstadt Stuttgart vorgesehene Maßnahme zur Verbesserung der
Luftqualität, setzt also planerische Vorgaben im Sinne von § 47
Abs. 1 und 2 BImSchG um. § 47 Abs. 1 Satz 1 BImSchG
schreibt die Aufstellung eines Luftreinhalteplans bei Überschreitung der durch
eine Rechtsverordnung nach § 48a Abs. 1 BImSchG festgelegten
Immissionsgrenzwerte vor. § 47 Abs. 2 BImSchG betrifft die
Aufstellung eines Plans für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen (in der bis
zum 5. August 2010 gültigen Fassung: "Aktionsplan", vgl.
Bekanntmachung der Neufassung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 26.
September 2002, BGBl. I S. 3830, 3845), wenn die Gefahr einer
Überschreitung der in der Rechtsverordnung festgelegten Immissionsgrenzwerte
oder Alarmschwellen besteht. Nach § 48a Abs. 1 BImSchG kann die
Bundesregierung zur Erfüllung von bindenden Rechtsakten der Europäischen
Gemeinschaften oder der Europäischen Union Rechtsverordnungen unter anderem
über die Festsetzung von Immissions- und Emissionswerten erlassen. Für den
Straßenverkehr ist in Bezug auf Feinstaub- und Stickstoffdioxidkonzentrationen
derzeit die - auch auf § 48a Abs. 1 BImSchG gestützte - 39. BImSchV
(Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen vom 2. August
2010, BGBl. I S. 1065, zuletzt geändert durch Artikel 112 der
Verordnung vom 19. Juni 2020, BGBl. I S. 1328) von Bedeutung, die unter
anderem der Umsetzung der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl.
L 152 vom 11. Juni 2008 S. 1) dient.
Die für die
Beurteilung der Schutzgesetzqualität des Durchfahrtsverbots maßgebliche
Ermächtigungsnorm ist demnach § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG, wonach
die zuständige Straßenverkehrsbehörde den Kraftfahrzeugverkehr nach Maßgabe der
straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften beschränkt oder verbietet, soweit ein
Luftreinhalteplan oder ein Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen (in
der bis zum 5. August 2010 gültigen Fassung: "Aktionsplan", vgl.
Bekanntmachung der Neufassung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 26.
September 2002, BGBl. I S. 3830, 3845) nach § 47 Abs. 1 oder 2
BImschG dies vorsehen. Nach den oben dargelegten Maßstäben ist § 40
Abs. 1 Satz 1 BImSchG in Verbindung mit dem im "Luftreinehalte-
und Aktionsplan" für die Landeshauptstadt Stuttgart vorgesehenen
Lkw-Durchfahrtsverbot kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB
zugunsten der einzelnen Anwohner innerhalb der Durchfahrtsverbotszone, das es
diesen ermöglicht, dem Verbot Zuwiderhandelnde zivilrechtlich auf Unterlassung
in Anspruch zu nehmen.
aa)
Zweck des § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG ist, wie sich aus den oben
wiedergegebenen Normen ergibt, die Durchsetzung von Verkehrsbeschränkungen, die
in EU-rechtlich bedingten Maßnahmeplänen gemäß § 47 Abs. 1 oder
Abs. 2 BImSchG in Verbindung mit einer auf der Grundlage des § 48a
Abs. 1 BImSchG erlassenen Rechtsverordnung festgelegt wurden, also
letztlich die Einhaltung von Grenzwerten und Alarmschwellen des EU-Luftqualitätsrechts
im Bereich des Straßenverkehrs (vgl. Jarass, BImSchG, 13. Aufl., § 40 Rn.
1 mwN). Dies dient auch dem Gesundheitsschutz (vgl. z.B. § 4 Abs. 1
und 2 der 39. BImSchV; BVerwG, NVwZ 2014, 64 Rn. 40; BVerwGE 121, 57, 60, juris
Rn. 22; EuGH, NVwZ 2008, 984 Rn. 37 [Janecek]). Daher wird vertreten, dass
denjenigen Personen, die unmittelbar von der Gefahr einer Überschreitung der
Grenzwerte oder Alarmschwellen betroffen sind, gegenüber den zuständigen
Behörden ein subjektiv öffentliches Recht auf die Umsetzung der in einem Maßnahmeplan
vorgesehenen Verkehrsbeschränkungen nach § 40 Abs. 1 Satz 1
BImSchG zusteht (vgl. zum Drittschutz der in einem Aktions- oder
Luftreinhalteplan festgelegten Maßnahmen BVerwG, NVwZ 2007, 695 Rn. 27; VG
Hannover, ZUR 2010, 208, 210, juris Rn. 19; Jarass, BImSchG, 13. Aufl.,
§ 40 Rn. 21; BeckOK UmweltR/Reese, 60. Ed. 1.12.2017, BImSchG § 40
Rn. 13; Storost in Ule/Laubinger/Repkewitz, BImSchG, § 40 C10; Scheidler
in Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, 2. Aufl., § 40 BImSchG Rn. 99;
Steenbuck NVwZ 2005, 770, 771; Klinger/Löwenberg, ZUR 2005, 169, 173).
bb) Aus
einer derartigen im Verhältnis zwischen Bürger und Staat drittschützenden
Wirkung der Norm folgt jedoch noch nicht, dass es in der Intention des
Gesetzgebers lag, dem Einzelnen generell einen individuellen zivilrechtlichen
Unterlassungsanspruch bei einem Verstoß gegen Verkehrsbeschränkungen, die auf
der Grundlage des § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG angeordnet wurden,
an die Hand zu geben, wie ihn die Kläger geltend machen. Vielmehr ist insoweit
Inhalt und Zweckrichtung der durch die Verkehrsbeschränkung umgesetzten
Planmaßnahme in den Blick zu nehmen.
Im Streitfall
wurde das Lkw-Durchfahrtsverbot nicht für bestimmte Straßen zur Reduzierung der
die dortigen Anlieger beeinträchtigenden Schadstoffkonzentrationen, sondern
grundsätzlich für das gesamte Stadtgebiet angeordnet, um allgemein die
Luftqualität zu verbessern und der Überschreitung von Immissionsgrenzwerten
entgegenzuwirken. Die Kläger sind insoweit nur als Teil der Allgemeinheit
begünstigt. Bereits dies spricht gegen die Annahme, ein Schutz von
Einzelinteressen in der von den Klägern begehrten Weise sei Intention des
streitgegenständlichen Lkw-Durchfahrtsverbots. Unter dem potentiell
drittschützenden Aspekt des Gesundheitsschutzes käme auch ein Unterlassungsanspruch
des Einzelnen hinsichtlich des Befahrens der gesamten Verbotszone nicht in
Betracht. Denn schon angesichts der Größe der Verbotszone kann nicht angenommen
werden, dass die an einer beliebigen Stelle der Verbotszone durch
Kraftfahrzeuge verursachten Immissionen für jeden Anlieger innerhalb dieser
Zone die unmittelbare Gefahr einer Überschreitung der Immissionsgrenzwerte an
seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort und damit eine potentielle
Gesundheitsbeeinträchtigung verursachen. Im Ergebnis lässt sich daher im
Streitfall kein Personenkreis bestimmen, der durch das Lkw-Durchfahrtsverbot
seinem Zweck entsprechend im Wege der Einräumung eines individuellen
deliktischen Unterlassungsanspruchs bei Verstößen gegen das Verbot geschützt
werden sollte. Es ist nichts ersichtlich dafür, dass § 40 Abs. 1
Satz 1 BImSchG i.V.m. der streitgegenständlichen Planmaßnahme einen
Anspruch auf Normvollzug zwischen einzelnen Bürgern begründen will.
cc) Die
Streitsache ist insoweit nicht mit den Fällen vergleichbar, in denen der
Bundesgerichtshof dem Drittbegünstigten eines bestandskräftigen
Verwaltungsaktes analog § 823 Abs. 2 i.V.m. § 1004 Abs. 1
Satz 2 BGB einen quasinegatorischen Anspruch auf Einhaltung der zu seinen
Gunsten getroffenen Anordnung - unabhängig von den Voraussetzungen des
§ 906 BGB - zugestanden hat (vgl. BGH, Urteile vom 26. Februar 1993 - V ZR
74/92, BGHZ 122, 1, 3, 6 f., juris Rn. 10 ff.; vom 14. Oktober 1994 - V ZR
76/93, NJW 1995, 132, 134, juris Rn. 24; vom 27. September 1996 - V ZR 335/95,
VersR 1997, 367 f., juris Rn. 9 f.). Dort ergab sich aus der jeweils
nachbarschützenden Norm in der Konkretisierung durch den Verwaltungsakt eine
hinreichend bestimmte Schutzrichtung des verletzten nachbarschützenden Gebots
in den jeweiligen Anordnungen der Behörden. Hiermit ist das Verhältnis der
einzelnen Bewohner innerhalb der Stuttgarter Umwelt- und
Lkw-Durchfahrtsverbotszone zu einem potentiellen Störer, der mit seinem Lkw die
Zone verbotswidrig befährt, nicht zu vergleichen.
dd)
Entgegen der Auffassung der Revision ist der geltend gemachte
Unterlassungsanspruch auch nicht aufgrund des Gebots einer möglichst wirksamen
Anwendung des Gemeinschaftsrechts (effet utile) zu bejahen.
Zwar weist die
Revision zu Recht darauf hin, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 30 der
Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai
2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl. L 152 vom 11. Juni
2008 S. 1) verpflichtet sind, für Verstöße gegen die aufgrund dieser
Richtlinie erlassenen innerstaatlichen Vorschriften Sanktionen festzusetzen,
die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind (vgl. auch Erwägungsgrund
26). Da ein Verstoß gegen das Lkw-Durchfahrtsverbot nach § 49 Abs. 3
Nr. 4 StVO, § 24 Abs. 1 StVG eine Verkehrsordnungswidrigkeit
darstellt, sind insoweit jedoch hinreichende Sanktionsmöglichkeiten (Bußgeld,
Fahrverbot, Entziehung der Fahrerlaubnis) vorhanden. Dass die Verfolgung von
Ordnungswidrigkeiten nach dem Opportunitätsprinzip im pflichtgemäßen Ermessen
der Verfolgungsbehörden liegt (§ 47 Abs. 1 OWiG), ändert daran -
anders als die Revision meint - nichts.
Auch aus dem
von der Revision angeführten Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom
25. Juli 2008 - C-237/07 ergibt sich die von den Klägern gewünschte Rechtsfolge
nicht. Dort wurde zu der der Richtlinie 2008/50/EG vorhergehenden Richtlinie
96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die
Kontrolle der Luftqualität (ABl. L 296 vom 21. November 1996 S. 55) entschieden,
dass es mit dem zwingenden Charakter einer Richtlinie, die den Schutz der
öffentlichen Gesundheit bezweckt, unvereinbar sein kann, grundsätzlich
auszuschließen, dass eine mit der Richtlinie auferlegte Verpflichtung von einer
betroffenen Person geltend gemacht werden kann. Der Gerichtshof der
Europäischen Union hat daraus aber lediglich gefolgert, dass Personen, die
unmittelbar von der Gefahr einer Überschreitung von Grenzwerten betroffen sind,
bei den zuständigen Behörden, ggf. unter Anrufung des zuständigen Gerichts, die
in der Richtlinie für diesen Fall zwingend vorgesehene Erstellung eines
Aktionsplans erwirken können müssen (EuGH, NVwZ 2008, 984 Rn. 35 ff.
[Janecek]). Aus dem Grundsatz des effet utile ergibt sich dagegen auch unter
Berücksichtigung dieser Entscheidung eindeutig nicht das Gebot, dem Einzelnen
einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch bei Verstößen gegen eine
Planmaßnahme der streitgegenständlichen Art zu gewähren. Ein
Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union
(Art. 267 Abs. 3 AEUV) ist daher nicht veranlasst.
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