Recht (auch in
Form von Gesetzen) und Rechtsanspruch (in Form der Geltendmachung des
kodifizierten Rechts) sind zwei Seiten derselben Medaille. Dies mussten die
Kläger, die die Beklagte wegen behaupteter Verstöße gegen ein Lkw-Durchfahrtsverbot
in Anspruch nahmen, erfahren. Die Kläger hatten ein Vereinsgelände (auf dem
Gelände befanden sich das Vereinsheim und eine Kindertagesstätte) bzw.
ein Wohnhaus an der H-Straße bzw. neben der H-Straße in der Straße Am W. in Stuttgart-Hedelfingen innerhalb der
Stuttgarter Umwelt- und Lkw-Durchfahrtsverbotszone. Das Lkw-Durchfahrtsverbot war
durch Zeichen 253 zu § 41 Abs. 1 StVO mit dem Zusatzzeichen nach § 38 Abs. 3
StVO „Lieferverkehr frei“ angeordnet worden.
Nach der
Behauptung der Kläger verstoße die Beklagte, die eine Spedition betreibe, mehrmals
täglich gegen das Durchfahrtsverbot. Daher sei ihre Gesundheit und die der
Kinder durch die Feinstaub- und Stickoxidbelastung gefährdet. Sie begehrten eine
Verurteilung auf Unterlassung der Befahrung der H-Straße mit Lkw mit einem
höheren Gesamtgewicht als 3,5 Tonnen, sofern die Fahrt nicht dem Ziel der
Verbringung von Gütern in die Verbotszone oder von Gütern aus der Zone diene.
Die Klage wurde
vom Amtsgericht abgewiesen, die dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen.
Auch die zugelassene Revision zum BGH blieb erfolglos.
Das
Unterlassungsbegehren ließe sich nicht aus § 1004 Abs. 1 iVm. § 823 Abs. 1 BGB
aufgrund der Gesundheitsverletzung ableiten. Auch sei der Beklagten auf der
Grundlage des klägerischen Vortrages keine wesentliche Beeinträchtigung der
Benutzung der klägerischen Grundstücke iSd. § 906 BGB zuzurechnen, weshalb ein
Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 iVm. § 906 BGB ausscheide.
Streitig war -
im Revisionsverfahren - ob ein Anspruch der Kläger analog § 823 Abs. 2 iVm §
1004 Abs. 1 S. 2 BGB bestünde. Dass aber hätte zur Voraussetzung, dass die
Beklagte wegen der behaupteten Missachtung des durch Zeichen 253 nach § 41 Abs.
1 StVO im Wege eines Verwaltungsakts in Gestalt einer Allgemeinverfügung (BVerwG,
Urteil vom 06.04.2016 - 3 C 10/15 -) angeordnetes Lkw-Durchfahrtverbot gegen ein
auf das Rechtsschutzbegehren der Kläger ausgerichtetes Verbotsgesetz iSv. § 823
Abs. 2 BGB verstoßen haben müssten, was der BGH verneinte.
Für einen Verstoß
gegen ein Schutzgesetz sei erforderlich, dass es zumindest auch dazu dient, dem
Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten
Rechtsguts oder Rechtsinteresses zu schützen. Nicht ausreichend sei, dass der
Individualschutz durch Befolgung der Norm als Reflex objektiv erreicht werden
könne, vielmehr müsse der Individualschutz im Aufgabenbereich der Norm liegen (z.B.
BGH, Urteil vom 13.03.2018 - VI ZR 307/18 -). In diesem Fall könne dies auch zu
deliktischen Ansprüchen führen, auch wenn die im Einzelfall zur Konkretisierung
der Ge- oder Verbote noch der Konkretisierung durch Verwaltungsakte bedürfen
(BGH, Urteil vom 14.06.2005 - VI ZR 185/04 -). Das Schutzgesetz sei dann nicht der
Veraltungsakt als solcher, sondern die jeweilige Eingriffsnorm, auf die der
Verwaltungsakte beruhe.
Nicht nur müsse ein Gebot oder
Verbot als Schutzgesetz das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und
den Kreis der geschützten Personen hinreichend klarstellen und bestimmt sein.
Weitere Voraussetzung sei, dass die Schaffung eines individuellen deliktischen
Anspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar
erscheine. Dazu müsse der gesamte Regelungszusammenhang, in den die Norm
gestellt sei, dahingehend geprüft werden, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers
liegen könne, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische
Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des
Geschädigten Haftungs- und Beweislasterleichterungen zu knüpfen (BGH, Urteil
vom 23.07.2019 - VI ZR 307/18 -).
Das Landgericht habe
festgestellt, dass das Lkw-Durchfahrtsverbot eine im „Lauftreinhalte- und
Aktionsplan“ für Stuttgart vorgesehene Maßnahme zur Verbesserung der
Luftqualität sei, welche also planerische Vorgaben iSv. § 47 Abs. 1 und 2
BImSchG umsetze. Umgesetzt würden die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a
Abs. 1 BImSchG festgelegten Immissionsgrenzwerte. Für den Straßenverkehr sei in
Bezug auf Feinstaub- und Stickstoffdioxidkonzentrationen die 39. BImSchV vom
02.08.2010 als Umsetzung europäischer Normen von Bedeutung.
Maßgeblich sei daher für die
Beurteilung der Schutzgesetzqualität des Durchfahrtsverbots § 40 Abs. 1 S. 1
BImSchG, wonach die zuständige Straßenverkehrsbehörde den Kraftfahrzeugverkehr
nach Maßgabe der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften beschränke oder
verbiete, soweit ein Luftreinhalteplan oder ein Plan für kurzfristige Maßnahmen
nach § 47 Abs. 1 oder 2 BImSchG dies vorsehe. Nach den dargelegten Maßstäben
sei daher das im „Luftreinhalte- und Aktionsplan“ vorgesehene
Lkw-Durchfahrtsverbot kein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der einzelnen
Anwohner innerhalb der Durchfahrtsverbotszone.
Zweck des § 40 Abs. 1 S. 1
BImSchG sei die Durchsetzung von Verkehrsbeschränkungen, die in
Rechtsverordnungen nach § 48a Abs. 1 BImSchG festgelegt worden seien. Dies
diene dem Gesundheitsschutz. Daraus ließe sich aber (entgegen anderweitiger
Ansicht) noch nicht ergeben, dass es in der Intention des Gesetzgebers lag, dem
Einzelnen generell einen individuellen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch
bei Zuwiderhandlungen zu gewähren. Im Streitfall sei das Lkw-Durchfahrtverbot
für bestimmte Straßen zur Reduzierung der die dortigen Anlieger
beeinträchtigenden Schadstoffkonzentrationen angeordnet worden, um die
Luftqualität zu verbessern und einer Überschreitung der Immissionsgrenzwerte entgegenzuwirken.
Die Kläger seien nur als Teil der Allgemeinheit davon begünstigt, was bereits
gegen den Schutz von Einzelinteressen spräche. Schon durch die Größe der
Verbotszone könne nicht angenommen werden, könne nicht angenommen werden, dass
die an einer beliebigen Stelle der Verbotszone durch Kraftfahrzeuge
verursachten Immissionen für jeden Anlieger in der Zone eine Gefahr der
Überschreitung der Werte an seinem Aufenthaltsort und damit eine potentielle
Gesundheitsgefährdung verursachen könnten. Dafür, dass die
streitgegenständlichen Planmaßnahmen einen Anspruch auf Normvollzug zwischen
einzelnen Bürgern begründen sollten, sei nichts ersichtlich.
Auch könnten sich die Kläger
nicht auf das Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Gemeinschaftsrechts
(effet utile) berufen. Zwar seien nach der Richtlinie 2008/50/EG über
Luftqualität und saubere Luft für Europa Verstöße gegen die aufgrund dieser
Richtlinie erlassenen Vorschriften zu sanktionieren; da aber der Verstoß gegen
das Lkw-Durchfahrtsverbot eine Verkehrsordnungswidrigkeit sei (§ 49 Abs. 3 Nr.
4 StVO, § 24 Abs. 1 StVG) gäbe es diese Sanktionen, wenn auch die Verfolgung
von Ordnungswidrigkeiten nach dem Opportunitätsprinzip im pflichtgemäßen
Ermessen der Verfolgungsbehörde liege (§ 47 Abs. 1 OWiG).
BGH, Urteil vom 14.06.2022
- VI ZR 110/21 -