Montag, 19. Juli 2021

Betriebsgefahr nach § 7 StVG bei Baumfällarbeiten mit Hilfe eines Traktors

Immer wieder haben Gerichte festzustellen, ob sich bei einem Schadensfall die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs als verschuldensunabhängige Betriebsgefahr iSv. § 7 Abs. 1 StVG darstellt. Dabei geht es häufig um die Frage, ob das Kraftfahrzeug als Fortbewegungs- und Transportmittel oder als Arbeitsmaschine genutzt wurde. So auch in dem hier vorliegenden  Fall der Nutzung eines Traktors im Zusammenhang mit einer Baumfällung. 

Der Antragsteller (AS) wurde vom Antragsgegner zu 1. (AG 1) gebeten, mehrere trockene Bäume auf dem Grundstück AS zu fällen. Im Rahmen dessen legte der AG 1 eine Kette um einen Baum und befestigte diese an einer an seinem Traktor befindlichen Stange, um den Baum zu sichern und ich anschließend, nach der Fällung, abzutransportieren. Der Traktor, der bei der Antragsgegnerin zu 2. (AG 2) haftpflichtversichert war, war bei diesem Vorgang auf der an das Grundstück angrenzenden öffentlichen Straße abgestellt. Der AS, der vom AG 1 angewiesen wurde, den Baum möglichst weit unten abzusägen, sägte den Baum ab, der dann auf der (abgesperrten) Straße neben dem Führerhaus des Traktors landete und sich aufgrund seiner Länge an einem Zaun und einem Busch verkeilte. Der Versuch, diesen mit dem Traktor frei zu bekommen scheiterte, weshalb der AG 1 den AS aufforderte, die Spitze der Tanne abzusägen. Bei dieser Arbeit brach der trockene Stamm, dessen Spannung durch den vorangegangenen Versuch der Lösung mittels Traktors erhöht war, wodurch der AS nach hinten geschleudert wurde und sich erhebliche Verletzungen zuzog. Er beabsichtigte eine Schadensersatzklage gegen die AG 1 und AG 2 und beantragte dazu die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH), die das Landgericht (LG) versagte. Die dagegen eingelegt Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen.

Der AS stützte seinen Anspruch auf § 7 Abs. 1 StVG (im Hinblick auf die AG 2 iVm. § 115 Abs. 1 VVG). Das OLG folgte der Annahme des LG, dass für die beabsichtigte Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten bestünde, was u.a. Voraussetzung für die Bewilligung der PKH wäre.

Das OLG stellte bei seiner Entscheidung auf das Tatbestandmerkmal des § 7 Abs. 1 StVG ab, wonach sich der den Anspruch begründende Schadensfall „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ ereignet haben müsste. „Bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeuges sei ein Schaden dann entstanden, wenn sich in dem Schaden die von dem Fahrzeug ausgehende Gefahr verwirkliche. Dies verlange, dass das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug geprägt oder jedenfalls mitgeprägt sein müsse. Ferner müsse es sich bei dem Schaden um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handeln, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll; dies setze voraus, dass die Schadensfolge in den Bereich der Gefahren fallen müsse, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden sei.

Dies zugrunde legend käme es darauf an, dass der Unfall im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs stünde (BGH, Urteil vom 20.10.2020 - VI ZR 158/19 -).  Bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktion wäre damit erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Fahrzeugs als eine der Fortbewegung und dem Tramsport dienende Maschine bestünde, was sich aus § 1 Abs. 2 StVG ergäbe. Wenn aber die Fortbewegungs- und Transportfunktion keine Rolle spiele und das Fahrzeug nur als Arbeitsmaschine eingesetzt worden sei oder sich eine Gefahr aus einem nicht der Betriebsgefahr zuzuordnenden Gefahrenkreis verwirkliche entfalle die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG (BGH, Urteil vom 24.03.2015 - V ZR 265/14 -). Verwirkliche sich die Gefahr  während der Fahrt bei Verrichtung bestimmungsgemäßer Arbeiten einer fahrbaren Arbeitsmaschine sei allerdings der Betrieb iSv. § 7 StVG zu bejahen.

Danach habe sich hier nicht das Risiko des § 7 StVG verwirklicht. Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang, dass die Straße, auf der sich der Traktor befunden habe, für die Arbeiten für den gesperrt gewesen sei. Ein ursprünglich geplanter Abtransport des Baumes mittels des Traktors sei aufgrund der Stammlänge des Baumes nicht möglich gewesen. Deshalb sei der konkrete zum Unfall führende Einsatz des Traktors auf die Arbeitstätigkeit vor Ort beschränkt gewesen. Hinzu käme, dass der Schaden nicht unmittelbar durch den Einsatz des Traktors selbst, sondern erst nach dem erfolglosen Versuch des Wegziehens bzw. -drückens des Stammes bei den nachfolgenden Sägearbeiten des AS eingetreten sei. Bei dem Versuch des Wegziehens bzw. -drückens mittels des Traktors habe die Funktion des Traktors als Arbeitsmaschine im Vordergrund gestanden; de Schadensablauf sei nicht durch den Betrieb des Traktors iSv. § 7 StVG geprägt worden.

Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. Vertrag würden nicht bestehen, da es dafür an den Voraussetzungen ermangele (Anm.: so einem fehlenden Verschulden), was auch im Rahmen der Beschwerde nicht weiter geltend gemacht worden sei.

OLG Hamm, Beschluss vom 18.05.2021 - I-9 W 14/21 -

Mittwoch, 14. Juli 2021

Zur Auslegung und Inhaltskontrolle einer Gemeinschaftsordnung der Wohnungseigentümergemeinschaft

Im Rahmen einer Anfechtungsklage von Beschlüssen einer Wohnungseigentümer-versammlung gab das Amtsgericht der Klage mit der Begründung statt, die Einladung habe Wohnungseigentümer nicht rechtzeitig) erreicht. Im Kern ging es damit darum, ob die aus 1990 stammende Regelung der Gemeinschaftsordnung „Für die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung genügt die Absendung an die Anschrift, die dem Verwalter von dem Wohnungseigentümer zuletzt mitgeteilt wurde.“  Auszulegen und ggf. wie auszulegen ist und ob die Klausel wirksam ist, nachdem das Landgericht im Berufungsverfahren dem Amtsgericht folgte und der BGH im Rahmen der Revision entscheiden musste.

Amts- und Landgericht haben die Regelung dahingehend ausgelegt, dass sie zwar die Ordnungsgemäßheit der Absendung regele, es aber darauf ankäme, dass die Ladung auch tatsächlich bei dem Adressaten ankommt (im Anschluss an OLG Hamburg 21.06.2006 - 2 Wx 33/05 -). Dem folgt der BGH nicht. Die Klausel beziehe sich nicht lediglich auf Eigentümer, die einen Wohnsitzwechsel nicht ordnungsgemäß angezeigt hätten (und von daher bei fehlender Ladung daraus kein Anfechtungsanspruch hergeleitet werden könne). Allerdings sei im Übrigen gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB, der entsprechend anwendbar sei, nicht die fristwahrende Absendung sondern der Zugang bei den Wohnungseigentümern maßgeblich. Davon abweichende Regelungen in Gemeinschaftsordnungen seien aber weit verbreitet, wobei die hier verwandte Formulierung in der Literatur als „Zugangsfiktion“ bezeichnet werde, obwohl sie dem Wortlaut nach nicht den Zugang regele. Teilweise würde angenommen, dass die Klausel allgemein als Nachweis der rechtzeitigen Absendung ausrechend und wirksam sei, teilwiese nur einschränkend dahingehend ausgelegt, sie gelte nur in Bezug auf diejenigen Eigentümer, die ihre neue Anschrift nicht mitgeteilt hätten. Zutreffend sei die erstgenannte Ansicht, da sich für die einschränkende Klausel aus dem maßgeblichen Wortlaut nichts ergäbe. Aus ihr sei zu entnehmen, dass allgemein die rechtzeitige Absendung ausreichend sei und nicht auf den Zugang abgestellt werde.

Damit musste sich der BGH der Frage zuwenden, ob die so verstandene Regelung in der Gemeinschaftsordnung wirksam ist. Die Eigentümer könnten gem. § 10 Abs. 2 S. 2 WEG von den Vorschriften des Wohnungseigentumsgesetzes abweichende Regelungen treffen, soweit dort nichts anderes bestimmt sei. Im Weiteren unterlägen die Regelungen einer Inhaltskontrolle. Bisher sei höchstrichterlich nicht entschieden, ob die §§ 307ff BGB auch auf die Gemeinschaftsordnung einer Wohnungseigentümergemeinschaft Anwendung finde oder ob unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls die Inhaltskontrolle am Maßstab des § 242 BGB (Treu und Glauben) auszurichten sei.

Bei Anwendung der §§ 307ff BGB könnte die Klausel § 308 Nr. 6 BGB unterfallen, wonach Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unzulässig seien, die vorsähen, dass Erklärungen des Verwenders von besonderer Bedeutung dem anderen Vertragsteil als zugegangen gelten würden. Eine direkte Anwendung der §§ 307ff BGB scheide aus, da es sich bei der einseitig vorgegebenen Gemeinschaftsordnung nicht um Vertragsbedingungen handele wie bei dem Abschluss eines Vertrages iSv. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB. Sie stünde einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer gleich. Eine analoge Anwendung scheide hier aber auch aus, da es an einer Vergleichbarkeit der Gemeinschaftsordnung mit einem schuldrechtlichen Vertrag als auch an einer planwidrigen Regelungslücke ermangele. An der planwidrigen Regelungslücke würde es bereits deshalb ermangeln, da die Wohnungseigentümer die ursprünglich einseitig vorgegebene Gemeinschaftsordnung jederzeit einstimmig (bei Öffnungsklauseln auch mit Mehrheitsbeschluss) ändern könnten, zudem unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 S. 3 WEG jeder Eigentümer eine Änderung unbilliger Klauseln verlangen (und einklagen) könne.

Auch wenn der teilende Eigentümer die Gemeinschaftsordnung vorgeben könne (und er sich so einseitig begünstigen könne) würde die nicht die Heranziehung des AGB-Rechts rechtfertigen können. Diese Regelungen ließen sich mit der auf einen Missbrauch der einseitigen Gestaltungsmacht durch den teilenden Eigentümer bezogenen Inhaltskontrolle des § 242 BGB bewältigen

Vereinbarungen der Wohnungseigentümer (und damit die Regelungen in der Gemeinschaftsordnung) dürften nicht treuwidrig sein. Abgesehen von den Fällen einseitiger Aufteilung sei wegen des weiten Gestaltungsspielraums der Wohnungseigentümer und des möglichen Anpassungsanspruch nach § 10 Abs. 2 S. 3 WEG allenfalls in Ausnahmefällen denkbar, Regelungen der Gemeinschaftsordnung, die sich in den Grenzen der §§ 134, 138 BGB hielten, wegen Verstoßes gegen § 242 BGB als unwirksam anzusehen. Das zugrunde legend sei die Regelung wirksam. Es würde kein spezifischer Zusammenhang mit einer einseitigen Aufteilung erkennbar, wie sich auch daraus ergäbe, dass es sich um eine gebräuchliche Regelung handele und keinen inhaltlichen Bezug zu dem teilenden Eigentümer aufweise. Weiterhin sei das aus § 130 Abs. 1 S. 1 BGB abgeleitete Zugangserfordernis abdingbar, weshalb es darauf ankomme, ob mit der Klausel in schwerwiegender Weise in das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht als unverzichtbares Mitgliedschaftsrecht eingegriffen würde und damit iSv. § 134 BGB gegen ein gesetzliches Verbot verstoße. Erforderlich sei hier eine Abwägung zwischen den Folgen für die Teilnahmerechte einerseits und die Interessen der Gesamtheit der Wohnungseigentümer. Ein gravierender Eingriff in das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht eines Eigentümers läge nicht schon vor, wenn dieses infolge eines Fehlers der Post nicht ausgeübt werden könne, zumal die Beschlussmängelklage auch noch möglich sei. Andererseits müsse en Verwalter darauf vertrauen dürfen, dass ein rechtzeitiger Postversand ausreichend ist, wobei ein Nachweis nicht möglich sei, es sei denn, die Ladungen würden per Einschreiben oder Boten zugestellt, was aber mit erheblichen Verwaltungs- und Kostenaufwand verbunden wäre, was dem Gesamtinteresse der Wohnungseigentümer widerspräche (unabhängig davon, dass bei dieser Vorgehensweise auch der Inhalt des jeweiligen Schreibens nicht nachgewiesen würde). Die Fassung rechtssicherer Beschlüsse sei aber ein elementares Interesse der Wohnungseigentümergemeinschaft, weshalb die als Zugangsfiktion anzusehende Klausel nicht treuwidrig sei.

BGH, Urteil vom 20.11.2020 - V ZR 196/19 -

Montag, 12. Juli 2021

Die Geltendmachung einer beeinträchtigenden Schenkung nach § 2287 BGB bei Erbengemeinschaft

Der Erblasser und seine bereits vorverstorbene Ehefrau hatten sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben und die Klägerin und zwei weitere Personen als Schlusserben und die Tochter eines der Schlusserben als Ersatzschlusserbin eingesetzt. Die Beklagte, eine Nachbarin des Erblassers, überwies von dem Konto des Erblassers einen Betrag von mehr als € 100.000,00 mit dem Verwendungszweck „Schenkung“ und kurze Zeit später von dem Sparkonto des Erblassers einen weiteren Betrag von € 50.000,00 mit dem Verwendungszweck „Übertrag eines Sparbuchs“ auf ihr eigenes Konto. Der Erblasser hatte mit späterer notarieller Urkunde festgehalten, er habe der Beklagten seit 2009 mehrfach größere Geldbeträge zugewandt, da  sich diese, zunächst aus nachbarschaftlichen, später freundschaftlichen Verhältnis, um ihn gekümmert habe. Danach überwies die Beklagte einen weiteren betrag von € 50.000,00 vom Sparbuch des Erblassers auf ihr Konto.

Die Klägerin begehrte die Rückzahlung der Beträge an die Erbengemeinschaft. Das Landgericht gab der Klage (nach Beweisaufnahme) statt, die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen. Mit ihrer Revision begehrte die Beklagte weiterhin Klageabweisung.

Der BGH hob das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit an das OLG zurück. Dabei hate sich der BGH nicht mit der materiellrechtlichen Frage eines Anspruchsgrundes für das Rückforderungsbegehren der Klägerin auseinander gesetzt, sondern damit, ob die Klägerin überhaupt befugt war, diesen Anspruch gerichtlich geltend zu machen.

Zutreffend sei das OLG davon ausgegangen, dass Grundlage eines Anspruchs der Erbengemeinschaft § 2287 Abs. 1 BGB wäre. § 2287 Abs. 1 BGB lautet:

„Hat der Erblasser in der Absicht, den Vertragserben zu beeinträchtigen, eine Schenkung gemacht, so kann der Vertragserbe, nachdem ihm die Erbschaft angefallen ist, von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern.“

Der Herausgabeanspruch aus § 2287 BGB gehöre zum Nachlass. Seien mehrerer Erben als Schlusserben bestimmt, würde der Herausgabeanspruch ihnen nicht  gemeinschaftlich zustehen, sondern jedem von ihnen nur in Höhe der auf ihn entfallenden Erbquote. Da hier die Klägerin den gesamten Betrag und nicht nur eine auf sie entfallende Quote aus der Erbschaft eingeklagt habe, könne das Urteil keinen Bestand haben, unabhängig davon, ob eine wirksame Schenkung vorlag (die der Klage auch entgegenstehen würde) oder nicht.

BGH, Urteil vom 10.03.2021 - IV ZR 8/20 -

Freitag, 9. Juli 2021

Eilverfahren bei Urheberrechtsverletzung und Dringlichkeit

Ein Foto aus einer Foto-Plattform (Fotolia) wurde von der Antragsgegnerin auf einer Internetseite verwandt, ohne dass der Urheber des Fotos benannt wurde. Der Antragsteller verlangte im Rahmen eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, der Antragsgegnerin zu untersagen, dass von ihm hergestellte Lichtbild ohne Urhebervermerk öffentlich zugänglich zu machen; vor der Antragstellung hatte die Antragsgegnerin (Anmerkung: Sie wurde wohl zuvor von dem Antraggegner qualifiziert abgemahnt) einen Urhebervermerk auf der Internetseite angebracht. Das Landgericht wies den Antrag zurück. Gegen die Zurückweisung legte der Antragsteller Beschwerde ein. Diese wurde vom OLG Köln zurückgewiesen.

Im Verfügungsverfahren ist zwischen dem Verfügungsanspruch und dem Verfügungsgrund zu unterscheiden. Der Verfügungsanspruch setzt die materielle Rechtsverletzung voraus. Diesen bejahte das OLG und wies darauf hin, dass der Verfügungsanspruch aus $$ 97 Abs. 1, 13, 15, 19a, 72 UrhG vorliegen dürfte, da die Antragsgegnerin den Eindruck erweckt habe, das Lichtbild stamme von ihr.

Allerdings würde es nach Annahme des OLG an dem Verfügungsgrund ermangeln. Ein solcher liegt nach §§ 935, 940 ZPO vor, wenn die objektiv begründete Besorgnis besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert werden kann. Die Dringlichkeit ist auch davon abhängig, wenn der Betroffene von der Rechtsverletzung Kenntnis erlangte und tätig wurde.

Vorliegend habe der Antragsteller zwar durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, dass er erst 16.07.2020 von der Rechtsverletzung erfahren habe. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ging am 14.08.2020 bei Gericht ein. Daraus ergäbe sich, dass der Antragsteller sein Recht iSv. §§ 935, 940 ZPO nachdrücklich betreibe. Allerdings habe die Antragsgegnerin nachträglich am 30.07.2020 einen Urhebervermerk aufgenommen. Es läge damit (zum Zeitpunkt der Antragstellung) keine aktuelle Rechtsverletzung vor. Allerdings führe (wie z.B. der BGH in seinem Beschluss vom 03.04.2014 - I ZB 42/11 - feststellte) die Bloße Einstellung oder Beendigung eines Verstoßes nicht zum Wegfall der Wiederholungsgefahr. Eine bereits begangene Verletzungshandlung indiziere die Wiederholungsgefahr.

Nach Ansicht des OLG ergäbe sich bei Unterlassungsansprüchen die Dringlichkeit als Voraussetzung für des Verfügungsgrundes nicht schon aus Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr, weshalb im Rahmen des Verfügungsgrundes die rein tatsächliche Beendigung der Verletzungslage der Verfügungsgrund entfallen könne und dem Betroffenen nur das Hauptsacheverfahren verbleibe. Dies gelte jedenfalls für das Urheberrecht. Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG würde hier nicht greifen (nach dem die Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO nicht dargelegt und glaubhaft gemacht werden müssen). Hier sei die Dringlichkeit auch dahingehend darzulegen und glaubhaft zu machen, dass der Weg ins Hauptsacheverfahren unzumutbar sei (OLG Nürnberg, Beschluss vom 12.10.2018 – 3 W 1982/18 -). Bei einer fortbestehenden Rechtsverletzung würde sich zwar die Dringlichkeit in der Regel aus der Lage des Falles selbst ergeben; vorliegend habe die Rechtsverletzung aber nicht mehr angedauert, weshalb der Antragsteller näher hätte vortragen müssen, weshalb die Sache für ihn noch dringlich gewesen sei. Die theoretische Wiederholungsgefahr genüge hier nicht. Die zeitliche Komponente, ob zeitnah eine Wiederholung drohe, sei für den Verfügungsgrund relevant. Füge die Antragsgegner nach der Abmahnung den Urhebervermerk ein, bestünde zwar auch weiterhin die Gefahr einer Wiederholung der Rechtsverletzung, was allerdings nicht ausreichend wäre für die Annahme, dass auch konkret in unmittelbarer zeitlicher Nähe dies erfolge und deshalb ein Hauptsacheverfahren nicht durchgeführt werden könne. Für eine Wiederholung in zeitlicher Nähe bestünde auch keine Vermutung.

Der Antragsteller sei auch nicht schutzlos der Willkür des Verletztes ausgesetzt. Sollte die Antragsgegnerin vor Abschluss eines Hauptsacheverfahrens den Urhebervermerk wieder löschen und damit die Rechtsverletzung wiederholen, wäre eine zeitnahe Wiederholung offensichtlich und der Verfügungsgrund (Anmerkung: Für eine neue einstweilige Verfügung) gegeben.

Anmerkung: Eine bisher in der Regel stets angenommene Dringlichkeitsvermutung im Hinblick auf die Wiederholungsgefahr kann nach dieser Entscheidung so nicht mehr bestehen bleiben. Da die Regelung des § 12 Abs. 1 UWG im Urheberrecht nicht greift, hat das OLG Köln zutreffend auf die Umstände des Falls abgestellt und diese verneint, wenn der Verletzter (auch wenn er keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat) die Rechtswidrigkeit beseitigt.

OLG Köln, Beschluss vom 12.04.2021 - I-6 W 98/20 -

Dienstag, 6. Juli 2021

Die Veränderungssperre nach § 14 BauGB als Verhinderung nicht gewünschter Bebauung

Eine Veränderungssperre des § 114 BauGB kann beschlossen werden, wenn ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplanes (BPlan) gefasst ist und mit dem Beschluss verhindert werden soll, dass im Plangebiet Vorhaben iSd. § 29 BauGB nicht durchgeführt und bauliche Anlagen nicht beseitigt werden dürfen (§ 114 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) und erhebliche oder wesentliche Veränderungen von baulichen Anlagen, die nicht genehmigungs- zustimmungs- oder anzeigepflichtig sind, nicht durchgeführt werden dürfen (§ 114 Abs. 1 Nr. 2 BauGB).

Das Bundesveraltungsgericht (BVerwG) hatte über eine Beschwerde gegen einen Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes (Hess. VGH), in dem dieses die Normenkontrollklage gegen eine Veränderungssperre abwies, zu entscheiden. Die Antragstellerin hatte sich bei ihrer Normenkontrollklage darauf berufen, Entscheidungsträger der Antragsgegnerin hätten in einer Bürgerversammlung erklärt, dass es der Stadt mit der intendierten Planung und der Veränderungssperre alleine um die Verhinderung des Vorhabens der Antragstellerin, eine Hochzeits- und Eventhalle zu errichten, gegangen sei und es an einer ausreichenden Planungsvorstellung im Übrigen gefehlt habe und entsprechende planerische Gründe nachgeschoben worden seien. Der Hess. VGH hat demgegenüber angenommen, dass im Zeitpunkt der Aufstellung des BPlans und der in der gleichen Sitzung beschlossenen Veränderungssperre die Antragsgegnerin positive planerische Ziele verfolgt habe und die Veränderungssperre nicht lediglich der Verhinderung der Hochzeits- und Eventhalle gedient habe.

Das BVerwG bekräftigte, dass eine sogen. Negativplanung, sich darin erschöpfe, einzelne Vorhaben auszuschließen, für eine Veränderungssperre nicht genüge. Die daraus erwachsenden nachteiligen Wirkungen einer Veränderungssperre seien vor dem Hintergrund der Eigentumsgarantie des Art, 14 Abs. 1 S. 2 GG nicht erträglich, wenn sie nur zu einer Sicherung einer Planung dienen sollten, die sich in ihrem Inhalt noch in keiner Weise absehen ließe. Allerdings liege eine unzulässige Negativplanung nicht bereits deshalb vor, da ggf. das Ziel verfolgt würde, bestimmte bisher zulässige Nutzungen zu verhindern, auch wenn dies der Hauptzweck der Planung sei. Ein detailliertes und ausgewogenes Planungskonzept sei nicht erforderlich; ausreichend sei ein Mindestmaß an planerischen Vorstellungen, die geeignet sein müssten, die Entscheidung der Genehmigungsbehörde (Bauamt) nach § 14 Abs. 2 S. 1 BauGB zu steuern, wenn diese über die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der beabsichtigten Planung zu befinden habe (BVerwG, Urteil vom 30.08.2012 - 4 C 1.11 -).

Auch wenn vorliegend der Hess. VGH in den Entscheidungsgründen nichts zu den Einzelheiten des Vortrags der Parteien ausgeführt habe, ließe sich daraus nicht herleiten, dass es den Vortrag nicht zur Kenntnis genommen habe. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs (hier durch Übergehen von Vortrag) könne nur angenommen werden, wenn sich dies aus besonderen Umständen des Falls ergäbe. Indem hier der Hess. VGH ausgeführt habe, nicht von einer unzulässigen Negativplanung auszugehen, sich greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die von der Antragsgegnerin in der Begründung des BPlan-Aufstellungsbeschlusses genannten Gründe nur vorgeschoben worden seien, seien nach der Darlegung des Hess. VGH nicht ersichtlich. Auch der zeitliche und inhaltliche Zusammenhang zwischen dem Antrag der Antragstellerin zur Nutzungsänderung als Hochzeits- und Eventhalle und mit der Aufstellung des BPlan und der Veränderungssperre, würde diese Annahme nicht rechtfertigen, da der Nutzungsänderungsantrag der Antragstellerin, die verhindert werden sollte, bei Vorlage von positiven Vorstellungen über den Inhalt eines BPlans, wie er hier vorgelegen habe, zulässig sei.

BVerwG, Beschluss vom 05.03.2021 - 4 BN 66.20 -

Samstag, 3. Juli 2021

Rechtskrafterstreckung des klageabweisenden Urteils gegen Kfz-Haftpflichtversicherung

Der Schwiegersohn der Beklagte parkte im September 2015 deren Fahrzeug VW Touran am Fahrbahnrand in einer Kurve und öffnete die Fahrertür. Der Ehemann der Klägerin fuhr mir einen Pkw Hyundai an dem Fahrzeug der Beklagten unter Inanspruchnahme der Gegenfahrspur vorbei und kollidierte mit einem entgegenkommenden Motorradfahrer. Zunächst erhob die Klägerin Klage gegen den Schwiegersohn der Beklagten und dem Haftpflichtversicherer (Pflichtversicherer) des VW Touran. Das Amtsgericht wies die Klage ab, da die Klägerin ihr Eigentum an dem VW Touran trotz Bestreitens der dortigen Beklagten nicht konkret dargelegt habe(fehlende Aktivlegitimation). Die gegen das Urteil eingelegte Berufung wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Nunmehr erhob die Klägerin Klage gegen die hiesige Klägerin. Die Klage wurde vom Amtsgericht unter Verweis auf § 124 VVG als unzulässig abgewiesen, die dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen. Die zugelassene Revision der Klägerin blieb ohne Erfolg.

§ 124 Abs. 1 VVG lautet:

„Soweit durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wird, dass dem Dritten ein Anspruch auf Ersatz des Schadens nicht zusteht, wirkt das Urteil, wenn es zwischen dem Dritten und dem Versicherer ergeht, auch zugunsten des Versicherungsnehmers, wenn es zwischen dem Dritten und dem Versicherungsnehmer ergeht, auch zugunsten des Versicherers.“

Der BGH verweist darauf, dass die Beklagte von der Rechtskrafterstreckung des Urteils im vorangegangenen Verfahren persönlich erfasst sei. Würde ein Urteil zwischen einem Dritten und dem Versicherer ergehen, demzufolge dem Dritten ein Anspruch gegen den Versicherer nicht zustehe, würde sich das Urteil auch auf den Anspruch des Dritten gegen den Versicherungsnehmer erstrecken. Über den Wortlaut hinaus würde sich die Bindungswirkung auch auf das Verhältnis des mitversicherten Fahrers erstrecken. Voraussetzung sei stets, dass der Dritte einen Direktanspruch gegen den Versicherer gem. § 115 Abs. 1 VVG habe, § 124 Abs. 3 VVG.

Die Direktklage gegen den Versicherer könne auf einer Haftungsverantwortlichkeit des Halters oder des Fahrers oder von beiden beruhen. Der Geschädigte sei daher nach einer rechtskräftigen Abweisung seiner Klage gegen den Halter nunmehr den Fahrer zu verklagen oder auch nur in Bezug auf dessen Haftung den Versicherer. Der Versicherer könne in diesem Fall wegen einer Haftung des Fahrers aber nicht mehr in Anspruch genommen werden, da durch die rechtskräftige Klageabweisung diesem gegenüber darüber auch im Verhältnis zum Versicherer bindend entschieden worden sei. Würde – wie hier – die Klage gegen den Versicherer abgewiesen, sei denn eine Klage gegen den Halter ausgeschlossen, wenn der Versicherer wegen oder auch wegen der Halterhaftung in Anspruch genommen worden war. Dies entspräche dem Zweck des § 124 Abs. 1 VVG, wonach der Versicherer nicht trotz eines für ihn günstigen Urteils (hier: keine Einstandspflicht, auch nicht gegenüber dem Halter) im Falle der Verurteilung seines versicherten/Versicherungsnehmers aus der Zahlpflicht aus dem versicherungsvertraglichen Deckungsverhältnis doch noch in Anspruch genommen werden könne.

Es könne auch nicht erfolgreich eingewandt werden, die Klageabweisung sei nur aus formellen Gründen erfolgt. § 124 Abs. 1 VVG würde auf ein Urteil abstellen, demzufolge ein geltend gemachter Schadensersatzanspruch der klagenden Partei nicht zustünde. Werden die Schadensersatzansprüche im ersten Prozess wie auch im zweiten Prozess aus dem gleichen Sachverhalt hergeleitet, käme es nicht darauf an, aus welchen Gründen die Abweisung erfolgte, hier also wegen fehlender Aktivlegitimation.  Entscheidend sei, dass die Abweisung aus sachlichen und nicht aus prozessualen Gründen erfolgte. Die Abweisung wegen fehlender Aktivlegitimation sei ein sachlicher Grund.

BGH, Urteil vom 27.04.2021 - VI ZR 883/20 -

Mittwoch, 30. Juni 2021

Berufung eines öffentlich bestellten Sachverständigen und Beauftragung außerhalb des bestellten Fachgebiets

Unter anderem rügte der Beklagte in seiner Berufungsbegründung die Beauftragung eines Sachverständigen durch das erstinstanzliche Landgericht mit Hinweis darauf, dass zwar der Sachverständige öffentlich bestellt und vereidigt gewesen sei, allerdings nicht zu dem Bereich, zu dem er bestellt worden sei. Diese (wie auch weitere Rügen) wies das OLG als unbegründet zurück; der Antrag des Beklagten auf Nichtzulassungseschwerde zum BGH wurde vom BGH ohne Angaben von Gründen mit Beschluss vom 30.04.2020 - VII ZR 173/19 - zurückgewiesen.

§ 404 Abs. 1 ZPO sieht vor, dass das erkennende Gericht die Auswahl und die Anzahl der zu bestellenden Sachverständigen bestimmt. Eine Spezifizierung enthält § 404 Abs. 3 ZPO nur insoweit, als dort vorgesehen ist, dass für den Fall, dass „für gewisse Arten von Gutachten Sachverständige öffentlich bestellt (sind), … andere Personen nur dann gewählt werden (sollen), wenn besondere Umstände es erfordern“. Vorliegend hatte das Landgericht einen Sachverständigen beauftragt, dessen öffentliche Bestellung allerdings zum Sachverständigen für Schäden an Gebäuden erfolgt war. Der Beklagte rügte, dass kein öffentlich bestellter Sachverständiger für Erdbau, Grundbau einschl. Flach- und Tiefgründungen beauftragt worden sei. Diese Rüge sah das OLG als nicht durchgreifend an und verwies darauf, dass es sich bei dem Sachverständigen um einen Architekten und Diplomingenieur (FH) handele, und es vorliegend um die Berechnung von Erdaushub gegangen sei, was zu den grundlegenden Aufgaben von Ingenieuren gehöre. Das OLG verkannte also vom Grundsatz her nicht § 404 Abs. 3 ZPO, vertrat allerdings die Ansicht, dass es vorliegend materie- und ausbildungsbedingt nicht darauf ankäme, ob ein der streitigen Materie sachlich von seiner Bestellung her näher stehend4er Sachverständiger beauftragt würde, wenn der beauftragte Sachverständige qua seiner Ausbildung eine letztlich einfache Frage klären soll.

Dies verdeutlichte das OLG auch an den von dem Beklagten vorgelegten Privatgutachten. Mit diesen Privatgutachten wollte der Beklagte belegen, dass es kaum möglich sei, die Gesamtkubatur des Aushubs zuverlässig auf die Bodenschichten Oberborden, Rotlage und Kies aufzuteilen. Gerade dies aber sei auch von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen aufgezeigt worden, der ebenso schließlich wie die Privatgutachter eine Schätzung vorgenommen habe. Die Massenberechnung, wie sie hier vorzunehmen sei, sei eine grundlegende Aufgabe von Ingenieuren.

Auch wenn die Entscheidung des OLG zunächst den Anschein erweckt, die Beauftragung eines auf dem zu beurteilenden Gebiet öffentlich bestellten Sachverständigen sei nicht notwendig, beruht die Entscheidung letztlich jedenfalls nicht auf einer solchen Aussage. Denn gestützt wurde die Entscheidung letztlich (auch) darauf, dass die von dem Beklagten beauftragten Sachverständigen letztlich ebenso Schätzungen unternahmen wie der gerichtlich bestellte Sachverständige und damit vom Ansatz her die Richtigkeit der Überlegungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen bestätigt worden seien. Man wird also aus der Entscheidung keinesfalls entnehmen dürfen, dass alleine mit Verweis auf eine allgemeine Kompetenz eines bestimmten Berufszweiges (auch wenn derjenige in einem artnahen Bereich öffentlich bestellt ist) davon Abstand genommen werden kann, auf den öffentlich bestellten Sachverständigen zu verzichten. Es dürfte sich hier um eine Entscheidung im Einzelfall handeln, bei der das Gericht zum Einen aufgrund Ausbildung von einer Befähigung zu der Beantwortung der Detailfrage des im anderen Zusammenhang öffentlich bestellten Sachverständigen ausging, zum Anderen aber auch die Vorgehensweise des Sachverständigen durch vom Berufungsführer vorgelegte Gutachten bestätigt wurde.

OLG München, Beschluss vom 15.07.2019 - 9 U 1957/18 -