Mittwoch, 30. Juni 2021

Berufung eines öffentlich bestellten Sachverständigen und Beauftragung außerhalb des bestellten Fachgebiets

Unter anderem rügte der Beklagte in seiner Berufungsbegründung die Beauftragung eines Sachverständigen durch das erstinstanzliche Landgericht mit Hinweis darauf, dass zwar der Sachverständige öffentlich bestellt und vereidigt gewesen sei, allerdings nicht zu dem Bereich, zu dem er bestellt worden sei. Diese (wie auch weitere Rügen) wies das OLG als unbegründet zurück; der Antrag des Beklagten auf Nichtzulassungseschwerde zum BGH wurde vom BGH ohne Angaben von Gründen mit Beschluss vom 30.04.2020 - VII ZR 173/19 - zurückgewiesen.

§ 404 Abs. 1 ZPO sieht vor, dass das erkennende Gericht die Auswahl und die Anzahl der zu bestellenden Sachverständigen bestimmt. Eine Spezifizierung enthält § 404 Abs. 3 ZPO nur insoweit, als dort vorgesehen ist, dass für den Fall, dass „für gewisse Arten von Gutachten Sachverständige öffentlich bestellt (sind), … andere Personen nur dann gewählt werden (sollen), wenn besondere Umstände es erfordern“. Vorliegend hatte das Landgericht einen Sachverständigen beauftragt, dessen öffentliche Bestellung allerdings zum Sachverständigen für Schäden an Gebäuden erfolgt war. Der Beklagte rügte, dass kein öffentlich bestellter Sachverständiger für Erdbau, Grundbau einschl. Flach- und Tiefgründungen beauftragt worden sei. Diese Rüge sah das OLG als nicht durchgreifend an und verwies darauf, dass es sich bei dem Sachverständigen um einen Architekten und Diplomingenieur (FH) handele, und es vorliegend um die Berechnung von Erdaushub gegangen sei, was zu den grundlegenden Aufgaben von Ingenieuren gehöre. Das OLG verkannte also vom Grundsatz her nicht § 404 Abs. 3 ZPO, vertrat allerdings die Ansicht, dass es vorliegend materie- und ausbildungsbedingt nicht darauf ankäme, ob ein der streitigen Materie sachlich von seiner Bestellung her näher stehend4er Sachverständiger beauftragt würde, wenn der beauftragte Sachverständige qua seiner Ausbildung eine letztlich einfache Frage klären soll.

Dies verdeutlichte das OLG auch an den von dem Beklagten vorgelegten Privatgutachten. Mit diesen Privatgutachten wollte der Beklagte belegen, dass es kaum möglich sei, die Gesamtkubatur des Aushubs zuverlässig auf die Bodenschichten Oberborden, Rotlage und Kies aufzuteilen. Gerade dies aber sei auch von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen aufgezeigt worden, der ebenso schließlich wie die Privatgutachter eine Schätzung vorgenommen habe. Die Massenberechnung, wie sie hier vorzunehmen sei, sei eine grundlegende Aufgabe von Ingenieuren.

Auch wenn die Entscheidung des OLG zunächst den Anschein erweckt, die Beauftragung eines auf dem zu beurteilenden Gebiet öffentlich bestellten Sachverständigen sei nicht notwendig, beruht die Entscheidung letztlich jedenfalls nicht auf einer solchen Aussage. Denn gestützt wurde die Entscheidung letztlich (auch) darauf, dass die von dem Beklagten beauftragten Sachverständigen letztlich ebenso Schätzungen unternahmen wie der gerichtlich bestellte Sachverständige und damit vom Ansatz her die Richtigkeit der Überlegungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen bestätigt worden seien. Man wird also aus der Entscheidung keinesfalls entnehmen dürfen, dass alleine mit Verweis auf eine allgemeine Kompetenz eines bestimmten Berufszweiges (auch wenn derjenige in einem artnahen Bereich öffentlich bestellt ist) davon Abstand genommen werden kann, auf den öffentlich bestellten Sachverständigen zu verzichten. Es dürfte sich hier um eine Entscheidung im Einzelfall handeln, bei der das Gericht zum Einen aufgrund Ausbildung von einer Befähigung zu der Beantwortung der Detailfrage des im anderen Zusammenhang öffentlich bestellten Sachverständigen ausging, zum Anderen aber auch die Vorgehensweise des Sachverständigen durch vom Berufungsführer vorgelegte Gutachten bestätigt wurde.

OLG München, Beschluss vom 15.07.2019 - 9 U 1957/18 -


Aus den Gründen:

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten vom 07.06.2018 gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 23.05.2018, Az. 18 O 13885/15, wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

III. Das in Ziffer I. genannte Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in der genannten Höhe leistet.

IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 22.197,41 € festgesetzt.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin, ein Tief-, Erdbewegungs- und Abbruchunternehmen, begehrt von der beklagten Bauträgerin Werklohn.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Landgerichts München I vom 23.05.2018, Az. 18 O 13885/15, § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Mit genanntem Endurteil verurteilte das Erstgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung des geforderten Werklohns. Tragend stellte es dabei darauf ab, dass hinsichtlich des Bauvorhabens E.straße in M. Einigkeit bestand, dass die Leistungen der Beklagten in Rechnung zu stellen waren, sowie dass die Schlussrechnungen sowohl zum Bauvorhaben R.straße als auch zum Bauvorhaben E.straße prüffähig und berechtigt sind. Die Hilfsaufrechnung aus der Schlussrechnung zum Bauvorhaben R.straße in Höhe von 2.219,80 € greife nicht durch, da die Beklagte den Beweis für ihre Behauptung, die im Bauvorhaben S. aufgetretene Feuchtigkeit sei von der Klägerin zu vertreten, nicht habe führen können.

Gegen dieses dem anwaltlichen Vertreter der Beklagten am 28.05.2018 zugestellte Urteil legte derselbe mit Schriftsatz vom 07.06.2018, beim Oberlandesgericht München eingegangen am 11.06.2018, Berufung ein (Bl. 188/189 d.A.), die er mit Schriftsatz vom 30.08.2018, beim Oberlandesgericht München eingegangen am gleichen Tag, begründete (Bl. 194/203 d.A.).

Er argumentierte, zum einen habe das Erstgericht die Beweise nicht zutreffend gewürdigt, zum anderen habe das Erstgericht die Substantiierungsanforderungen überspannt.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Endurteils des Landgerichts München I vom 23.05.2018

die Klage in Höhe eines Teilbetrages betreffend das Bauvorhaben Elbestraße in Höhe von 12.295,71 € nebst Zinsen abzuweisen und

die Klage unter Aufhebung des Urteils im Übrigen,

hinsichtlich eines Teilbetrages von 9.901,70 € nebst Zinsen (Bauvorhaben R.straße) an eine andere Kammer für Bausachen des Landgerichts München I zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Ersturteil.

Mit Beschluss vom 29.04.2019 (Bl. 213/218 d.A.) hat der Senat darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gemäß § 522 ZPO zurückzuweisen. Hierauf hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 06.06.2019 (Bl. 220/224 d.A.) erwidert. Die Klägerin hat keine Stellungnahme abgegeben.

II.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung der Beklagten hat nach einhelliger Überzeugung des Senats in der Sache keine Aussicht auf Erfolg und ist deshalb, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung erfordern, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Zur Begründung wird zunächst gemäß § 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO auf den Hinweis des Senats vom 29.04.2019 Bezug genommen.

Im Hinblick auf die in der Stellungnahme vom 06.06.2019 vorgebrachten Argumente sind ergänzend folgende Ausführungen veranlasst:

a) Soweit die Beklagte rügt, das Erstgericht habe überhaupt nicht angegeben, warum es den Angaben der Zeugin W. keinen Glauben schenken will und diese für nicht überzeugend hält, verkennt sie, dass sich das Erstgericht ausführlich mit den widersprüchlichen Angaben der Zeugen L., H. und W. auf Seiten 4 bis 6 des Ersturteils auseinander gesetzt hat. Das Erstgericht hat herausgearbeitet, dass die Zeugin W. zum entscheidenden Punkt, nämlich zum Telefonat mit dem Geschäftsführer der Klägerin, Herrn Wü., zur Abrechnung über die I.-H.-GmbH, keine Erinnerung mehr hatte. Sie konnte auch nicht nachvollziehbar erklären, warum die von ihr zum Bauvorhaben E.straße mit der Klägerin geführte E-Mail-Korrespondenz unter der E-Mail-Adresse der I.-H. ausging. Das Erstgericht hat sich weiter mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass es für die in J. ansässige MDMH schwierig war, im süddeutschen Raum Auftraggeber zu finden, zumal diese die in M. ansässige I.-H. bevorzugten. Die Auseinandersetzung des Erstgerichts mit den Ausführungen und Widersprüchlichkeiten der einvernommenen Zeugen bewertet der Senat als geradezu vorbildlich.

b) Trotz der Angriffe der Beklagten bleibt der Senat bei seiner Auffassung, dass auch der Sachverständige Dipl.-Ing. (FH) He., auch wenn er kein öffentlich-bestellter und vereidigter Sachverständiger für Erdbau, Grundbau einschließlich Flach- und Tiefgründungen ist, sondern als Architekt und Diplomingenieur (FH) zum Sachverständigen für Schäden an Gebäuden bestellt ist, Erdaushub berechnen kann. Dies gehört zu den grundlegenden Aufgaben von Ingenieuren.

Soweit die Beklagte vergleichsweise das Sachverständigengutachten von Dipl.-Ing. H.-P. K. (Anlage 1) vom 28.10.2016 und der KKP Ingenieure vom 02.02.2019 (Anlage 2) vorlegt, verkennt der Senat nicht, dass es nach diesen Ausführungen kaum möglich ist, die Gesamtkubatur des Aushubs zuverlässig auf die Bodenschichten Oberboden, Rotlage und Kies aufzuteilen. So ist z.B. nach dem Gutachten der KKP Ingenieure dann auf S. 24 eine näherungsweise Aufteilung vorgenommen worden. Aber auch die KKP Ingenieure arbeiten mit mittleren Erfahrungswerten (S. 25). Letztlich nehmen dann auch die KKP Ingenieure (S. 27) eine Probeschätzung vor.

Nichts anderes hat der Sachverständige He. in seinem Gutachten vom 8. Juli 2017 und vom 11.10.2018 versucht.

III.

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gründet in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 40, 48 GKG, 3 ff. ZPO.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung.


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